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Gerald Ganglbauer  Frei und die Liebe

Aus: Ich bin eine Reise
Erzählung

Ich denke. Aber es sind keine konkreten Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Ich bin auch kein Philosoph, der seine Ideen in von Weisheit triefenden Zeilen niederschreiben kann. Ich bin einfach ich. Nicht unbedingt der Durchschnitt, aber auch kein genialer Schriftsteller, der das, was zählt auch so auszusagen vermag, dass es zählt. Ich weiß auch nicht, warum ich diese Gedanken zum ersten Mal aufschreibe. Vielleicht ist es die Musik, die traurig und leise aus den Boxen fließt, vielleicht ist es ein bisschen Sentimentalität, die mich in diesem Moment motiviert, oder es ist nur der schwache Versuch eines jungen Menschen, seine Gedanken zu speichern, was aber wohl nur in sehr unausgereifter Form geschehen kann.

Was eigentlich wirklich los ist mit mir?

Der graublaue Hauch meiner Zigarette lässt mich meinen Blick zur Decke richten. Ich bin ruhig, etwas müde, doch nur physisch. Ich überlege, was einen Menschen reif werden lässt. Doch wohl kaum nur das Alter. Das Wissen? Die Erfahrung? Das ist Leben mit seinen Tiefen und Höhen. Ist das Schöne stärker als das Hässliche oder ist es nur die Liebe, die uns reifen lässt. Wie schön und edel sie doch sein kann, doch wie vernachlässigt sie oft wird. Man darf sie nicht unterschätzen – die wichtigste aller Beziehungen im Leben eines Menschen, die ihm erst den Sinn gibt – die Liebe. Lieben und geliebt werden wollen. Ach es ist wunderschön zu lieben.

Dies dachte sich Frei, seit er das Mädchen seiner Träume gefunden hatte. Ein Mädchen, das ihm so viel Wundervolles eröffnete, das sein Leben so sehr bereicherte, wie er es nie zuvor erlebt und gespürt hatte. Es war für ihn etwas Hohes, überaus Edles, erstmals Gefühltes, das er für sie empfand. Es war Liebe, die erwidert wurde. Und die von beiden jungen Leuten intensiv gelebt wurde. Es gab für ihn nichts Schöneres, als für sie dazusein, mit ihr zu träumen, mit ihr zu sein.

Doch Frei war kein Nur-Träumer. Er war auch Realist genug um an eine gemeinsame Zukunft zu denken. Der Abschluss der Studien, die ihnen als nächstes Ziel der Ist-Welt vorrangig waren, kam näher. Unter den beiden Liebenden war es selbstverständlich auch zu arbeiten und zu lernen, sich die Zeit vernünftig einzuteilen. Doch der Vater von Freis Freundin, der ihr auch ein Lebenslehrer gewesen war, sprach den beiden die geistige Reife noch ab, die sie benötigten, um in ihrer persönlichen Freiheit, die auch nur den Anschein der Zwanglosigkeit hatte, Liebe und Lernen durch Ratio zu verbinden. Er ließ es ihn in langen Monologen wissen, was er sich vorstellte. Er hatte eine Menge zu sprechen, nichts Neues zu sagen. Die Meinungen des Alten und des Jungen hatten die gleiche Basis, doch während die des Alten in einer Soll-Welt existierten, so dachte der Junge doch wesentlich mehr in klaren Formen der ihn umgebenden Ist-Welt.

Er wollte dem sorgenden Vater nicht widersprechen, doch hätte er ihm gerne vieles gesagt, es aber nicht getan, da seine Worte von ihm vielleicht falsch interpretiert worden wären.

Es tat Frei leid, dass er in solchen Situationen nicht die passenden Worte zu erwidern wusste, doch brächte es der Beziehung zu seinem Mädchen keine Wendung, da sie so gut war, dass es scheinbar keine von außen wirksamen Einflüsse gab. Die Differenz zwischen den beiden Generationsstufen war fast zu groß um eine Brücke zu schlagen. Es wollte nicht in das Bewusstsein des Vaters, dass ein junger Mensch um die Zwanzig Verantwortung tragen kann, reif durch und für die neue Zeit sein kann, ein Mädchen – seine Tochter – so stark lieben kann und von ihr widergeliebt wird. Es wollte nicht in Freis Kopf, dass ein Vater mit solchen Idealen überhaupt so lange ein Leben lebt und liebt, drei Kinder in die Welt setzt und sie dann mit solcher Weltfremdheit zu erziehen versucht. Doch ist der Mann in seinem Beruf, den er sich zur Berufung erkoren hat, als gebildeter Mensch durchaus zu schätzen, aber als Vater wäre Frei anders.

Doch soll an dieser stelle nicht nur die Rede vom Vater von Freis Freundin sein, es sollte ein Stück des Lebens der beiden Liebenden erzählt werden. Doch spielten diese Einflüsse auch eine anfangs nicht geahnte Rolle.

Die übrige Familie stand der Beziehung von Anfang an unkomplizierter gegenüber. Ihre Mutter, eine gute, überaus gerechte und liebe Frau, mochte Frei recht gern. Er schloss sie und die beiden Geschwister seines Mädchens bald in den Kreis seiner Lieben ein.

Im ersten gemeinsamen Sommer verbrachte Freis Freundin zwei Wochen mit ihrer Mutter auf einer Insel vor Split. Während dieser Zeit und länger arbeitete er bei einem Bauunternehmer als Praktikant oft bis spät in den Abend und trotzdem ging sie ihm sosehr ab. Er wartete jeden Tag auf Post von ihr und freute sich wie ein kleiner Junge über Süßigkeiten auf ihre Karten. Der Sonntag ihrer Rückkehr war kaum noch zu erwarten. In diesen Tagen der Einsamkeit wusste er solche Liebe richtig zu schätzen, die seinen Gefühlen Ruhe und Aufgewühltheit, Sicherheit und Sorge, Rückhalt und Losgelöstheit in einem bot.

Aber alles war gut. Er konnte sich besser verstehen und begreifen als vorher. Und es gab eine Zukunft, einen wahren Sinn seiner Existenz.

Dann war sie wieder da und die Welt war in Ordnung. Als dann ihr Bruder Frei zu seiner Hochzeit lud, war die ganze Familie natürlich mit dabei. Die Stimmung war durch dieses Ereignis vertraut und gut. Man lernte einander das erste Mal anders kennen, kam sich menschlich näher und wurde per du. Frei und sein geliebtes Mädchen waren die ganze Zeit zusammen und zeigten allen, dass sie zusammengehörten. Er wurde akzeptiert und fühlte sich darüber wohl. Dann an der Tafel bei einem Glas Wein zeigte der Vater plötzlich seine freundlichste Seite. Er eröffnete dem überraschten Frei seine Sympathie und bot ihm das Du-Wort, dem sich auch ihre Mutter anschIoss.

Er fand es herrlich, diesen Mann duzen zu dürfen, dem er schon früher so gern vieles durch ein intimes du gesagt hätte. Er war auch stolz ob der Ehre, dass er, der Schüler, ihm, dem Lehrer du sagen konnte. Nun wollte niemand mehr gegen die Liebe sein. Man konnte über alle Probleme wie unter Freunden sprechen. Oh war das endlich gut. Nicht nur die Verliebten, sondern auch die Familien einander verstehen war mehr, als man sich wünschen konnte.

Auch mit der Schwester von Frei und ihrem Freund wurde sein Mädchen am selben Abend per du, worüber sie sich so freute wie er vorhin. Soweit war nun alles in Ordnung, jetzt hatte sie nur noch ihre Schulverpflichtungen zu erfüllen. Zwei wichtige Prüfungen, für deren Vorbereitung ihr völlige Ruhe gegönnt werden müsse. Deswegen reiste Frei für die zwei Wochen vor dem Prüfungstermin nach Italien, um sich allein am Meer von seiner Arbeit zu erholen. Er hoffte, dass, wenn er nach Hause zurückkehrte, schon alles überstanden war und ein ruhiges, mit Liebe, Zeit und gerade der notwendigen Arbeit ausgefülltes Jahr beginnen konnte.

Allein ging es nun also nach Italien. Unterwegs besuchte er seinen Neffen in Kärnten. Das waren drei Tage, in denen er nicht alleine war, doch war er auf der Suche nach Ruhe und Besinnung und so verließ er am vierten Tag seinen gastfreundlichen Neffen, der ihn sogar noch ein Stück, weiter an die Straße in den Süden brachte. Hinaus über sein Österreich der Sonne und dem Meer entgegen. Da stand er nun und wartete in einem letzten Aufglühen der mitteleuropäischen Sonne auf Autos, die ihn weiterbringen konnten. Das genaue Ziel spielte gar keine große Rolle und so landete er abends verschwitzt, zum Umfallen müde doch mit einem eigenartigen Lächeln nahe Lignano am Strand der Mündung des Tagliamento.

Nun war er inmitten dessen, was er wollte und brauchte – Sand, Meer, rauschende Wogen, untergehende rote Sonne und was an diesem Abend vor allem wichtig war, gemütliche Dünen, die ihm ein von der Natur gemachtes Bett boten. Neben einem Brombeerstrauch ließ er sich in den Sand fallen, fand nicht einmal mehr Zeit, den Schlafsack zu schließen, sondern schlief sofort und ohne Gedanken vor Müdigkeit ein.

Zu denken begann erst wieder der erwachende Frei, als ihn die morgendlichen Sonnenstrahlen über dem Wasser weckten. Er sandte wie noch so oft einen innigen Gedanken an seine geliebte Freundin zu Hause, die arbeiten würde, während er sich sein Fell bräunen ließ. Doch gerade diese Zeit in den adriatischen Dünen war für Frei eine wichtige in vielerlei Hinsicht und eine produktive. Er führte zwar ein ganz einfaches Leben ohne den üblichen Luxus, doch brachte vielleicht gerade dieses Leben genug Zeit um zu Ruhen, zu Schwimmen, zu Lesen, Spaziergänge zu unternehmen, zu Denken und zu Schreiben.

In jener Zeit entstanden seine ersten zaghaften lyrischen Wortspiele über Einsamkeit, Liebe und das Leben. Fast jeder Gedanke brachte ihn zu seiner Freundin, der er in der Zeit der Trennung geistig sehr nahe kam. Er wünschte sich mehr als einmal, sie mögen doch nur füreinander da sein, ohne Ablenkungen, Belastungen und Gesellschaftszwänge. In einer reinen und schönen ideellen Beziehung zu leben war sein Traum.

Nachts – die Nächte hier waren wundervoll – erwachte er des Öfteren und 1ieß dann einfach die Sterne oder später den Mond nur mit offenem Herzen auf sich wirken. In diesen Momenten war er nicht mehr der Österreicher Frei, dann war er Stern unter Sternen und strahlte selbst irgendwo als Sonne auf einen fremden Planeten. Die absurdesten Ideen umkreisten dabei sein Gehirn wie die Mücken, die er dabei kaum spürte. Es war für ihn keine Plage, kaum fühlte er die kleinen Stiche der Schmarotzer. Er trank an der Essenz des Universums und hielt seine Gedanken fest und baute sie aus.

Frei ahnte die Myriaden von Sonnen, dachte an ihre Welten und deren mögliche Bewohner. Er dachte an den christlichen Gott, an Abraxas, an Allah, an Krishna und seine Vorstellung von dem, was die Allgemeinheit als Gott bezeichnet. An das Schicksal, an Fügung oder Zufall oder wie immer man seinen Gott nennen möchte. Und dabei wieder daran, dass es ·einer jener glücklichen Zufälle war, der ihm seine geliebte Freundin näher gebracht hatte. Sie kannten sich nur flüchtig bis zu dem Tag, an dem sie zu Mittag beide auf eine Straßenbahn warteten und er versprach, sie anzurufen. Seit diesem Tag verliebte er sich über alles in sie, wie er noch nie geliebt hatte.

Und bald wurden die Tage fern von ihr zu lang. Er konnte es nimmer erwarten, sie in seine Arme zu schließen und lang und innig zu liebkosen. Es zog und zerrte ihn nach Hause zu ihr. Sie hatte inzwischen ihre Aufgabe erfüllt und die drohende Wiederholung des Schuljahres abgewendet. Ein großer Seufzer und eine Zeit der Erleichterung waren die Folge.

Doch das Leben nahm bald wieder seinen gewöhnlichen Lauf. Der Herbst war da, Weihnachten und der Winter kamen. Frei und sein Mädchen fuhren in die Alpen, um Schizulaufen. In einer Gruppe netter junger Leute in ihrer Schihütte lernten sie neue Freunde kennen. Sie verbrachten über eine Woche in dieser Wunderwelt aus Schnee und Eis. Tagsüber ging’s die Berge ringsum hinauf und mit den Bretteln wieder ab. Ab und zu machten sie einen Einkehrschwung in eine warme Stube und in der Abenddämmerung die letzte Abfahrt nach Hause, wo dann noch gespaßt, gesungen und gefeiert wurde. Nachts rückte man eng zusammen um sich zu wärmen und zu lieben. Es war eine glückliche Zeit da oben in den Salzburger Bergen.

Zu Hause wurde von ihrem Vater auf seine ihm so eigene Art der Dämon Schule wieder zu unseligem Leben erweckt, indem er seine Erwartungen und Befürchtungen mit wichtiger Miene darbot. Er konnte einfach nicht aus seiner Haut heraus! Dadurch machte er das Lernen zur lästigen Pflicht und nahm ihr die Freude daran. Obwohl doch viel Interessantes daraus zu erfahren wäre. Er ließ auch wieder langsam durchblicken, dass ihm Frei zu locker war und dass er seine Tochter vielleicht doch vom Lernen abhielte. Es war auch jetzt noch nicht so einfach, mit ihrem Vater zu sprechen. Entweder war er belehrend und verbreitete sich über absolute Wahrheiten oder er versuchte durch eigenartige Fragestellungen ein synthetisches Gespräch mit ihnen zu erzeugen. Ein Streitgespräch akzeptierte er nicht, da nach seinen Worten Frei viel zu jung wäre um mit ihm, dem alten erfahrenen und wissenden Lehrer zu streiten.

An diesem Punkt scheiterte dann auch jedes weitere tiefe Verständnis zwischen den Generationen und eine Art des faulen Friedens entstand. Leider.

Die beiden jungen Menschen erlebten nun ihr zweites gemeinsames Osterfest. Frei nahm die Zeit zum Anlass um mit ihr nach Venedig zu fahren. Herrliche Tage waren das. Es waren Tage des Staunens, Sehens, Erlebens und Tage des Festes der Liebe. Die Kanäle und Paläste Venedigs zusammen mit dem dolce vita Italiens verfehlten nicht ihre Wirkung auf die Leute, die mit offenen Sinnen wahrzunehmen imstande sind. Und dazu konnte man Frei und sein Mädchen zählen. Sie waren voll des Neuen und sie liebten sich.

In diesem ersten Jahr der tiefen Freundschaft gab es aber nicht, wie nirgends im Leben, nur Liebe, sondern auch Momente des Konfliktes und Probleme verschiedenen Umfangs. Allerdings nichts, das den Grundstein der Beziehung hätte aus seiner Lage bringen können. Es gab keine anderen Frauen in seinem Leben und auch sie dachte nicht daran, ihren Frei zu belügen oder zu betrügen. Obwohl Chancen da waren gab es gegenseitige Treue. Man genoss die gemeinsame Zeit, obwohl es dazwischen immer wieder harmlose, jedoch aufgebauschte Streitpunkte gab. Warum? Keiner von beiden wusste es und man kam sich wieder näher. Die Versöhnung war dann ein gutes Gefühl, einen Stein der Grundmauern wieder gefestigt zu haben.

Das Schuljahr ging dem Ende zu. Im Endspurt schafften es beide ganz gut und dieses Mal begannen die Ferien ohne Prüfungssorgen für den Herbst. Man entschloss sich zu einer gemeinsamen Urlaubsfahrt in den Süden – nach Griechenland und in die Türkei. Von Seiten der Eltern kam wohlwollende Zustimmung zur Reise, da es keine Schwierigkeiten mit der Schule gab und nichts stand der Abreise am ersten Ferientag im Wege.

"Freiheit, du bist doch unser größter Schatz, an dem man sich berauscht, den wir gar nicht bis an seine Grenzen ausnützen können!" jubelte Frei als er seinen kleinen Renault fertig bepackt vor das Haus seiner Freundin fuhr. Sie beeilten sich sosehr mit der Abfahrt, dass sie erst hinter der jugoslawischen Grenze bemerkten, dass das Geld zu Hause vergessen lag. Also wurde umgekehrt. Es war nicht weiter schlimm, sie hatten sogar ihren Spaß daran und nützten die Zeit daheim noch für ein ordentliches Abschiedsmahl, ehe sie endgültig und nun ohne etwas vergessen zu haben in die Ferienreise starteten. Dass Dach wurde geöffnet und der frische Wind tat gut und untermalte die fröhliche Musik aus dem Autoradio.

Hinter Zagreb fand sich abseits der Autoput ein erster Platz zum Übernachten wo man sich auch zögernd und neugierig den neuen Anforderungen solch einer Reise anpasste. Es war ein romantischer Abend, bis auf die vielen Gelsen, mit denen sie aufregende Schlachten fochten. Außerdem konnten sie lange nicht einschlafen, da die Gedanken um die nun begonnene Reise die Köpfe durchwühlten.

Doch ging es nach dieser ersten Nacht im Schoß der freien Natur bald fröhlich weiter. Jeder Aufbruch zu etwas Neuem hatte für beide Menschen das uralte Drängen in sich. Das Drängen nach Neuem, Unbekanntem, Exotischem und Schönem. Weiter entdeckten sie zwischen Banja Luka und der Küste Straßen und Städte, die in der k.u.k. Zeit Bedeutung erlangt hatten. Sie folgten den Spuren alter Kaiser und verbrachten Stunden auf der wundervollen Steinbrücke in Mostar. Sie erlebten das Treiben in der Altstadt von Dubrovnik, der vielleicht schönsten Stadt der Küste und sie gaben ihre Körper der Sonne und dem Heer auf der Insel Lokrum. Sie überquerten die montenegrinischen Berge und erreichten die makedonischen Ebenen. Sie lernten die Griechen kennen und schätzen und bewunderten natürlich auch ihre antiken und weithin bekannten historischen Stätten. Frei lief Stadien im Stadium und seine Freundin mimte die Schauspielerin im Amphitheater in Delphi. Sie bekamen eine Ahnung vom spartanischen Leben in Mistras und genossen den Anblick der sich im Hafen schaukelnden Boote in Kalamata, wo sie auch mit einigen Griechen in lockerster Stimmung Sirtaki tanzten.

So ging es wundervolle Wochen lang dahin. Sie sahen viele Städte und Dörfer und vor allem Menschen darin. Freundliche Menschen, die erzählten und bewunderten, Menschen, die vielleicht etwas von ihnen lernten, die aber bestimmt viele Erfahrungen an sie weitergeben konnten. Sie wurden eingeladen und wohnten sogar einige Zeit im Kreise netter Griechen und Türken. Es war einfach eine wunderbare Zeit für beide. Sie genossen intensiv das starke, überwältigende Erleben des Neuen.

Am Meer in Jugoslawien, an den griechischen Dünen und dann sogar an den drei türkischen Meeren erquickte das kühle Nass und erwärmte die immer nur strahlende Sonne des Südens. Dann waren es wieder die landschaftlichen Schönheiten im Inneren des Landes, die sie in Entzücken versetzten. Quer durch das Land in malerische Bergdörfchen und an exotischen Wäldern vorbei. Einmal überwanden sie mit der Bootsfähre ein Stück des Meeres vom Peloponnes auf griechisches Festland, dann setzten sie wieder von der europäischen auf die asiatische Türkei über. Und immer gab es etwas zu erleben. Kleine Abenteuer, jedoch nie ernsthafte Schwierigkeiten.

Es wurde eine schöne und reiche Urlaubsfahrt über ein paar tausend Kilometer fremdes Land, von der sie gar nicht so schnell zurückkommen wollten.

Doch gab es wieder eine Hochzeit zu Hause, die ihr Erscheinen und somit die Rückreise notwendig machte. Die Schwester vom Mädchen Freis ging nun, wie ein Jahr zuvor ihr Bruder, den Bund der Ehe ein. Es gab ein hübsches Fest nach volkstümlichem Muster in den Trachten Österreichs.

Freis Beziehungen zu der Familie seiner Freundin waren nun gut, es schien alles in bester Ordnung zu sein. Er wurde von allen anerkannt und es wurde in lockerster Manier geplaudert. Ob es auch eine glückliche Ehe werden würde, war natürlich nicht vorauszusehen – die besten Wünsche aller Gäste begleiteten zwar das jungvermählte Paar – doch ein gelungenes Hochzeitsfest war es auf alle Fälle. Würde vielleicht eine dritte Hochzeit der jüngsten Tochter und Freis folgen? Das wussten nur die Sterne.

Kurz danach bezog Frei bald eine neue Wohnung. Es gab dabei für ihn ohnehin so viel zu tun, dass andere Gedanken gar keinen Platz fanden. Er übersiedelte alles selbst und schuftete recht hart für die neue Umgebung. Jedes Möbelstück wurde eigenhändig zerlegt, manchmal auch mit Unterstützung seiner Freunde in den zweiten stock des neuen Hauses geschleppt, gepflegt und wieder zusammengebaut. Für die Gestaltung seiner neuen vier Wände scheute Frei weder Zeit noch Mühe um sie seinen Vorstellungen entsprechen zu lassen. Er verzichtete auch auf Handwerker und erarbeitete sich jedes Detail mit viel Liebe und Geduld. In dieser Zeit des Umzuges blieb ihm nicht viel Zeit für seine Freundin. Sie unternahmen nur noch eine gemeinsame Fahrt nach Wien, die aber in erster Linie dazu diente, skandinavisches Mobiliar einzukaufen.

Doch bevor das letzte Schuljahr seines Lebens anbrach, wurde auch die Wohnung fertig und gemeinsam mit seiner Mutter bezogen. Beide lebten sich recht bald in die neue Umgebung ein, nur sein Mädchen trauerte der alten, gewohnten Bleibe noch nach. Was sollte er machen – er genoss diese Wohnung und fühlte sich darin wohler denn je.

So kam also das letzte Jahr Schule und die Matura für die zwei jungen Menschen heran. Beide hatten nun eine Menge zu arbeiten für diesen Abschluss und deswegen· auch weniger Zeit für einander.

Für Frei waren es Programme mit Berechnungen, Plänen, Detailausarbeitungen, Kalkulationen und dergleichen noch vieles mehr, für seine Freundin war es eine ganze Menge Lernstoff verschiedenster Gebiete. Zu tun gab es genug.

In dieser Zeit wurde die Freundschaft und Kameradschaft in der Klasse enger, wogegen, oder vielleicht auch ein bisschen deswegen die Liebesbeziehung zu seinem Mädchen litt. Sie redeten nur mehr selten von Liebe und hatten auch kaum mehr Gelegenheit dazu. Das Gemeinsame in diesem Jahr kam wahrscheinlich zu kurz.

Es wurde nur noch im Winter ein gemeinsamer Schiurlaub unternommen. Der Schnee in Kärnten war herrlich, doch die zwischenmenschlichen Gefühle waren bald so kühl, wie Luft beim Schilaufen. In dieser Woche kam es des Öfteren zu Auseinandersetzungen mit an und für sich kleinen Ursachen, doch umso größeren Auswirkungen. Gott sei dank war es aber noch nicht so schlimm, dass sie sich dadurch die Freude am Wintersport verleideten.

Auch zu Hause dann in Graz kamen nun solche Szenen in immer häufigeren Konfliktsituationen in immer kürzeren Abständen. Sie versöhnten sich zwar immer wieder, für einen von beiden war es aber bestimmt schwer, irgendetwas rückstandslos zu verdauen. Sie machten sich abwechselnd etwas vor und stauten unbewältigte Gefühle auf. Es war für beide nicht gut so. Das legte sich auf das Gemüt und es gab viel seltener echte Fröhlichkeit wie früher einmal, wo beide noch die Fähigkeit besessen hatten, in ihrer Liebe zueinander miteinander so schön verrückt sein zu können. So etwas gab es nun nicht mehr. Frei dachte eine Zeit lang daran, dass es nach der Matura wieder so wie früher sein könnte. Doch das waren Illusionen.

Noch gab es doch eine zärtliche Beziehung, die aber immer öfter in Frage gestellt wurde. Ein Streit, Misstrauen, dann Eifersucht, wieder Versöhnung. Nicht das, was man anzustreben gedacht hatte: echte, reine, wahre Liebe.

Er mochte das Mädchen, zehrte noch an einer wundervollen gemeinsamen Vergangenheit, doch was sollte die Zukunft den beiden sich einst so Liebenden bringen? Gab es noch eine gemeinsame Zeit der Liebe?

Vor der Matura machte Frei mit seinem besten Freund eine Entspannungsreise nach Istrien ans Meer. lm Campingbus fuhren die beiden Freunde also südwärts – ohne ihre Mädchen. Und beide fanden in der Einsamkeit ihre Liebe zu den Freundinnen bestätigt. Frei schrieb einen zärtlichen Brief an sein Mädchen und gab sich das letzte Mal der Illusion eines gemeinsamen Neubeginnens hin. Doch war es wahrscheinlich zu spät dafür. Auch ein größerer Abstand zu ihr würde nicht mehr helfen. Beide liebten das Traumbild des Anderen, und wenn sie zusammenkamen, schaute schon alles wieder ganz anders aus. Es fiel in sich zusammen und die Beziehung schien fahl und unsinnig zu sein.

Zu Pfingsten, in den letzten Tagen vor der Reifeprüfung, gab es im Burgenland ein Musikfestival, an dem Frei mit Freunden und ohne Mädchen teilnahm. Man genoss die Atmosphäre der Freiheit und machte Bekanntschaften, frischte alte Verbindungen wieder auf und tanzte mit Musik in die Nächte hinein.

Am nächsten Tag begannen die Prüfungen, bei denen Frei keine Schwierigkeiten hatte. Das ersehnte Maturazeugnis war endlich in seiner Tasche und von nun an wurde alles anders.

Nun ging eine Wandlung mit Frei vor. Le Freak. (c’est chic?) Er wurde ein bisschen verrückt. Aber gerade richtig crazy. in dieser Zeit der vollen Freiheit lernte er viele Menschen kennen. Frauen, Typen und eine Menge Studenten zu denen er sich nun auch bald zählen durfte. (Als ob das etwas Besseres wäre!) Es wurden neue Freunde entdeckt und neue Freundeskreise erschlossen, was er früher, in Zeiten seiner Beziehung zu seinem Exmädchen, kaum für möglich gehalten hätte.

Er fühlte sich unheimlich wohl in seiner neuen Freiheit. Nach fast drei Jahren mit einem geliebten Mädel nun ohne sie, doch mit einer Menge anderer Leute.

Bald darauf flog die ganze Maturaklasse nach Spanien, auf eine Baleareninsel, und Frei mit ihnen. Es wurden wunderbare Tage und Nächte dort. Faul in der Sonne liegen, braun werden, den Mädchen nachschauen und sie erobern, sich wieder im Meer aalen und anschließend am Hotelswimmingpool faulenzen, bis sie zu ihren nächtlichen Exkursionen ausschwärmten. Es wurde ein Urlaub, wie ihn Frei bisher noch nicht gemacht hatte, doch er konnte zur Abwechslung auch daran großen Gefallen finden.

Das Verständnis mit und in der Klassengemeinschaft war bestens, besonders zu einem Typ, mit dem er gemeinsame Pläne für Amerika und Mexiko schmiedete. Kaum einer der Kollegen glaubte daran, teilweise wurden sie dafür belächelt, doch war es für Frei und seinen Partner ernst. Wenn der Zivildienst für sein Land geleistet sein würde, sollte es losgehen. Ohne Frauen. (Wozu auch. Cherchez la famme.) Drüben, hinter dem großen Teich, wollten sie ihr Glück versuchen.

Doch auch in Spanien fand Frei sein Glück. Er machte die Bekanntschaft eines hübschen, deutschen Mädchens in einem der zahlreichen Tanzlokale. Als sie sich tags darauf zufällig wieder trafen, merkten sie, dass sie ungefähr dieselbe Wellenlänge hatten und sich gut verstanden. Von nun an trafen sie sich im Rising Sun und bummelten gemeinsam durch die Nächte oder über den Strand.

So verging die Zeit dort viel zu schnell und der Rückflug musste angetreten werden. Es war allen Freunden ein Spaß gewesen und man würde sich immer mit Freude an die Maturareise erinnern. So wurde Abschied genommen von der Insel, von den vielen Leuten, die man kennen gelernt hatte und Frei nahm Abschied vom deutschen Mädchen.

Doch kaum zu Hause packte ihn das Reisefieber. Den Rucksack gepackt und losgewandert, raus in die Welt, in die Freiheit, die er sich vorstellte.

Über Grenzen hinweg einfach raus in die Welt.

Allein und frei.

Und er würde nicht so bald zurückkommen.

Unterschrift 1980

Graz 1980
Erstveröffentlicht online, Chennai 2010