der mann.
jeden abend legte sich der leise hauch des fortschritts über
die einschlafende stadt. wenn jemand um diese zeit sich in die
engen gassen verirrte, in eine der aus ruhigeren tagen noch
übriggebliebenen gaststätten einkehrte, wo an den
wänden spinnweben heruntertropften, in den klüften des
bretterbodens schicksale und leibesfrüchte armer
landmädchen festgeklebt waren, die schummrigen lampen die
lauen lüfte des satten reichtums und schmieriger
zufriedenheit zudeckten, oder der pensionierte oberlandsgerichts
vorsteher sich sein letztes bier aus dem schlaffen körper
seiner ehemaligen hure schlürfte, ein solch einsamer gast
wollte nichts anderes als abdriften in das, was er glaubte
verloren zu haben. er konnte eine tür öffnen, die aus
den angeln fiel, er ließ sie hinter sich liegen, schlenderte
durch die verschmutzten tische und stühle auf die theke zu,
bestellte ein bier und träumte seinen traum zu ende. hinter
ihm begann sich das lokal zu füllen, gläser wanderten zu
rauchenden lippen, das piano schlug lose tasten, die spiegel bogen
sich im takt, geruch billigen parfüms rann seinen rücken
entlang. er fingerte eine packung aus der innentasche seiner
jacke, zog umständlich und ohne hast an dem plastikband,
ließ das zellophan zu boden segeln, öffnete das
glanzpapier und nestelte sich die erste zigarette heraus. ein
feuerzeug war eilfertig genug, er blies den rauch stoßweise
in den raum.
wie das alles so gekommen war, und jetzt sind wir hier und wundern
uns über gar nichts mehr. es könnte die welt sich ihren
magen umdrehen und wir würden es nicht merken. vielleicht ist
es schon geschehen. vielleicht leben wir schon auf der nach
außen gestülpten innenseite des erdenmagens und wundern
uns nur deshalb über die klebrigen säfte auf unseren
untergründen, weil wir vergessen haben, die letzten
blätter vom kalender zu reißen. wenn ich an mein leben
denke, fällt mir nichts ein, wenn ich mein glied entlade,
kann ich mich ruhig betrachten, muß nichts spüren und
nichts fühlen. mein innerstes bin ich nicht mehr. eigentlich
bin ich schon lange zugrunde gegangen, eigentlich müßte
ich schon längst krepiert sein.
der einsame gast konnte sprechen, keine schranken gab es in dem
lokal, manchmal waren seine monologe prophetisch, manchmal
obszön, alles um ihn herum blieb gleichlautend, und der pegel
der geräuschkulisse änderte sich selten. er hörte
gläser klirren, rauchige frauenstimmen in lose ohren
aufgeblähter bürokraten und geschäftsmänner
stöhnen, geldscheine wanderten in geschlechtsorgane und
wurden ausgekotzt, einige penise wanderten durch den raum. es gab
keine grenzen. eine weiße sklavenzunge leckte ihrer herrin
heilige bilder vom leib. während draußen in der stadt
die verbote der verwaltung bis hin zum geregelten wasserdruck der
klospülung das leben der einwohner bestimmten, die
tränen mit augentropfen bekämpft werden mußten,
und jedes gestöhne den sensiblen apparaturen der spione
ausgesetzt war, herrschte im inneren der gaststätte die
freiheit der illusionen, mit der die großen löcher in
den finsteren nächten überbrückt werden konnten. es
kannten sich alle hier, und niemand wußte was vom anderen.
die gesichter verloren sich im rauch, stimmen machten sich von
ihren organen unabhängig, was blieb, waren einzelne glieder,
augenpaare, die an der garderobe aufgehängt waren,
mitteralterliche, häßliche bäuche, die sich in den
ecken türmten, einige ärsche suchten befriedigung auf
abgeschlafften titten, eine hand wusch aus gewohnheit die andere.
eine arglose gesellschaft, die ihre lustbarkeiten konsumieren
wollte und in der freiheit bald ihre funktionen und sich selbst
verlor. aus lautsprechern floß literweise musik und wurde
manchmal von einem durstigen hund gierig gesoffen. jede nacht war
gleich. jede anders. was sollte es hier mehr geben als das.
draußen gab es ja kaum was, und dieses wenige war
deprimierend. die ehen hingen in den kleiderschränken der
schäbigen und geschmacklosen appartements, der kindersegen
ging in die geschlossenen anstalten und kam verwöhnt und
rotzig am abend wieder. auf lust konnte verzichtet werden, da der
tod keine bedeutung hatte, und das leben keine alternative
mehr.
was war ich für ein widerlicher sprößling dieser
welt. nichts war wichtiger als anerkennung und das, was man uns
als liebe aufgeschwätzt hatte. den lehrern kaufte ich ihre
wortblasen ab, den ersten weibern die jungfräulichkeit. das
gebot der persönlichen entfaltung wurde nicht als geisel
empfunden, sondern als waffe gegen die weltgeschichte. aber beim
kleinsten erdbeben schauten wir verängstigt aus unseren
uniformen und waren froh, wenn ein anderer sagte: hinlegen,
maulhalten, überleben. wir werden hier noch eines tages
betteln, daß uns jemand den kopf vom leib schneidet, weil
wir es nicht mehr aushalten, weil all diese scheißsicherheit
hier wie ein martertropfen ist, der uns ewig aufs trommelfell und
in die nasenlöcher rinnt. ich sags euch, es ist eine
verdammte sache, aber die straßen führen nur noch in
serpentinen durch unsere innereien, bis wir glauben, jetzt, jetzt
endlich gehts raus, und wir finden uns wieder am start und haben
keinen mut, den rückgang einzulegen. es gibt keinen
rückgang mehr, den haben sie uns nur noch als attrappe in
unseren limousinen gelassen. was sind wir für deppen hier,
alles arschlöcher seid ihr, keine ahnung, mit der kleinsten
scheiße zufrieden, als sei es das himmlische manna zum
ewigen körperglück.
er konnte nach einem solch verbrachten abend nicht glücklich,
aber doch abgespannt nach hause ziehen, schaltete im schlafzimmer
schon lange kein licht mehr ein, war froh, wenn ihm auf der
toilette kein kind begegnete, schlich auf seinen verschwitzten
socken ins bett neben das weib und war ihr unendlich dankbar, wenn
sie sich schlafend stellte und von seiner männlichkeit nichts
mehr verlangte. nur manchmal kam es noch vor, daß sie ihr
geschlecht über ihn stülpte, so als sei das irgendein
altes recht, aber er wußte sich inzwischen zu entziehen,
glitt mit seinen gedanken unter ihrem trägen körper weg
und ließ sich auf dem schmalen balkon nieder, wo er wartete,
biß sie ihre muskeln gebändigt hatte. die wohnung war
ihm nichts anderes als ein paar aneinandergelehnte wände, die
keinen anderen zweck mehr hatten, als das gefühl zu geben, es
würden sich eines tages doch noch schlösser bauen
lassen, mit prinzessinnen und königssöhnen, die die
kunst des wachküssens beherrschten und andere techniken. aber
der mann wußte, daß auch er in seinem mühsam
erworbenen heim nur mehr ein gast war, frau und kinder hatten wie
räudige kater alle ecken bereits markiert und fauchten
tödliche gifte aus, wenn er sich, immer seltener, auf
territoriumssuche aufmachte. die samstage waren unausstehlich
geworden, er hatte sich einem freizeitclub angeschlossen, so
konnte er frühmorgens aus dem haus, beschäftigte sich
mit dem, was gerade angeboten wurde und wußte sich in der
geborgenen sicherheit, daß niemand, auch sein weib nicht,
sich auflehnen würde, von den kindern ganz zu schweigen.
samstag war clubtag, vater braucht auch abwechslung. er
haßte seine frau nicht, sie ihn auch nicht, die beiden
wußten um ihre unvereinbarkeit, mann und frau, das ging
nicht mehr zusammen, die paar kinder waren das
äußerste, was ihre bindung hervorbringen konnte. er war
höflich, oder versuchte es zumindest. nicht zu höflich
oder gar freundlich, aber er wollte doch ein erträgliches
maß an umgangsformen finden. allein zu leben war keine
lösung, ein anderer partner kam nicht mehr in frage,
schließlich hört die illusion der großen lieben
doch irgendwann auf, vorausgesetzt man hat zugelassen, daß
in seinem leben auch noch anderes möglich war. was war da
alles verlorengegangen und warum. keine kraft zum fragen mehr. nur
noch abdrehen, und das war schon mühsam genug. und doch war
es nicht zu vermeiden, daß plötzlich ganz unerwartet
sich wieder alte, verstaubte, wunderschöne bilder
aufdrängten, die freilich mit denselben unkrontollierbaren
gesetzlichkeiten sich wieder auflösten, mit denen sie sich in
die kampflosen gehirne hinein katapultiert hatten. früher
hatte er noch manchmal mit jemandem darüber gesprochen, hatte
trost gesucht bei gleichfühlenden, konnte sich dann noch in
zwar fragwürdigen, doch immerhin möglichen feuerroten
sonnenuntergängen verlieren, doch seit einigen jahrzehnten
war die wetterlage kein geheimnis mehr, die temperaturschwankungen
ließen sich auf jahrhunderte hinaus genau vorhersagen, es
bleib kein platz mehr für ungereimtheiten. ein alter,
stinkender schwamm, mit dem seine frau ewig die verstaubten regale
der erinnerung in der wohnung zu reinigen versuchte. da standen
nebeneinander all die fotoalben der urgroßväter und
großmütter, der kindheit, der eigenen familie, mit
kindern in allen lagen und in dem schrank unter seiner
intimwäsche hatte die frau die paar eindeutigen bilder
versteckt, die sie in den ersten jahren, als die lust noch etwas
mehr war als bloß notwendig, von sich und ihren liebschaften
gemacht hatten. dort, unter socken und hemden, lag ein teil der
träume, zugegeben nicht gerade der wichtigste, aber das
material wäre vorhanden gewesen, man hätte sich bedienen
können, sich erinnern. er war froh darüber, daß
sie ihm die unterwäsche täglich auf den stuhl legte,
weshalb er nie die schranktür öffnen mußte. der
kleiderschrank im schlafzimmer barg einige kleine vergangenheiten,
wie froh war er, daß der kinder wegen, ein großes tabu
sich darüber breiten konnte. am morgen stand er immer als
erster auf. diese halbe stunde zwischen halb sieben und sieben uhr
war die einzige zeit, wo er das gefühl hatte, in seiner ganz
eigenen wohnung zu sein, wo die noch schlafenden körper
seiner mitbewohner und deren nächtliche ausdünstungen
mit seinem wirklichen leben übereinzustimmen schienen. allein
auf der kloschüssel zu sitzen, in ruhe, in die dusche zu
steigen, alles noch im halbschlaf, sich mit der rasierklinge
allmorgentlich dieselbe stelle am hals aufzureißen, diese
halbe stunde vor arbeitsbeginn war die einzige zeit, während
der er noch so etwas wie ziele, wenn auch keine erstrebenswerten,
zu erkennen glaubte. der stinkende atem seiner frau aus dem
offenen schlafzimmer vermischte sich mit seinem künstlichen,
frischen mundgeruch aus der tube, das heiße wasser auf das
kaffeepulver geschüttet ließ gerüche aus der
verlorenen welt frei. schlafen, weiter schlafen, aber er
wußte schon, daß er zu diesem zeitpunkt bereits zu
müde war, um noch einmal zu dem weib zurückzukriechen
und sich in schwere träume zu flüchten. das einzige was
möglich schien, war sich leise und schnell anzuziehen,
niemanden aufzuwecken, damit zumindest der tägliche abschied
aus den unliebsamen wänden reibungslos vor sich gehen konnte,
ohne kinder oder frau sehen zu müssen. kein schöneres
gefühl gab es, als die haustür leise und unbemerkt
hinter sich zu schließen und damit das familienleben bis zum
nächsten aufstehen vergessen zu können. daß die
frau meistens nicht schlief, sondern nur sehnlichst darauf
wartete, bis er endlich außer haus war, das ahnte er, doch
war es ihm bedeutungslos, mit ihren problemen mußte sie
alleine fertig werden, er hatte mit sich selbst genug zu tun.
wie sich all diese verhätschelten kinder auf die natur
gestürzt hatten, und dieser ganze leerlauf in die
ursprünglichkeit begann, wollte er beginnen. eines seiner
lieblingsthemen in der gaststätte. da konnte er sich in feuer
reden und stürzte in die tiefsten schluchten, rot von dem
alkohol, den zigarettenrauch in stößen ausatmend,
dieses thema war das seine, und niemand mußte fragen,
niemand hörte zu, andere münder hatten andere themen,
die worte lagen herum und wurden erst in den späten
morgenstunden vom personal aufgesaugt, bis zum abend hin war alles
wie immer. wenn die wörter so völlig ohne rahmen und
ordnung im lokal lagen, wenn sich einige betrunkene ein paar
besonders scharfe vokabeln hervorwühlten und, je nach laune
und kräften, mehr oder minder das pantomimisch
nachzuvollziehen versuchten, was sie da vom boden geholt hatten,
dann war die stimmung gut, die ganze last des sprechens, lesens
und schreibens lag da wie in einem sandkasten, und die betrunkenen
riesenbabys machten sich genüßlich darin schmutzig. klo
hielt einer zwischen den fingern und sein bauch flog vor lachen
auf die leere theke und entleerte sich in einem glas, zwei
frauenhände hielten weinend karotte fest und wollten es in
einen roten mund führen, hin und wieder fand einer liebe,
stieg auf den stuhl, hielt es in die höh, alles brüllte,
bis aus liebe beile geformt war, und dann gab es in der
gaststätte ein großes schlachtfest, dessen ende erst
bei morgengrauen, als alle kräfte verloren waren, seinen
müden mantel über die erschöpften körper
deckte. er wollte gerade die geschichte von den sanften kindern
der kräutersammler und naturanbeter beginnen, dieses noch
immer vorhandene kleinste bißchen an agression und wut in
die luft schmeißen, das saublöde grinsen all der
jungfrauen und männlein im antilook neben das veteranenfoto
über die eingangstür hängen, er war wieder kaputt
genug und wollte seine paar energien zerstören. wie sich
damals all diese verhätschelten kinder auf die natur
gestürtzt hatten, wollte er sagen, aber er brachte keinen ton
hervor. er merkte plötzlich, wie ihm die zähne aus den
lippen bröckelten, alles kieselsteine, die sich lösten
und in und neben sein glas fielen. die oberlippe hing in fetzen
herab, der linke augapfel verflüssigte sich, er sah rechts
noch normal, links jedoch rutschte der blickwinkel allmählich
nach unten, verschwommene bilder entstanden. nicht jetzt nein,
nein nicht mehr, hilfe, so helft mir doch, schrie es in ihm, aber
wer sollte ihn denn bei all dem lärm auch hören, es gab
kein halten mehr, bald war er vom barhocker zu boden
geflossen.
wie kann ein mensch hier liegen, nein das geht nicht, ich kann
hier nicht bleiben, kann nicht in den ritzen neben den blutigen
landmädchen vertocknen, nein noch nicht, es ist noch zu
früh, ich habe ein recht, meine organe sind noch in ordnung,
ihr schweine da oben, meine hände, wo sind die hände,
verdammt, wenn ich hände hätte, ich könnte mich
hochziehen, wo sind die hände, es geht nicht, kein
körper kann so sich auflösen, so schnell nicht, nur
einen finger brauch ich, grad bis zu dem untersten eisenring des
hockers müßt ich kommen, nein, kein gesicht kann hier
so liegen, warum, staub, staub wird man doch, staub und leicht und
schmerzlos vom wind verweht, so muß es doch sein, das
läuft ja alles falsch, ich bin keine ausgeschüttete
schleimsuppe, ihr sauhunde.
es war anstrengend, ein einziges fallen, und ständig
abwärts, schneller, schneller, keine bremsen, kaum luft zum
atmen bei dieser geschwindigkeit, er rauschte durch die erde
hindurch und hinaus in die dunklen nächte, er spürte die
entfernung hautnah, spürte sie in jedem kleinsten teil des
körpers und lag doch nur armselig, bewegungslos und klebrig
neben dem hocker, inzwischen ohne willen mehr, einfach brei, ohne
substanz, ohne farbe, ohne geruch. in der gaststätte nahm
niemand notiz, alles lief wie an anderen tagen auch, das
konturlose licht beleuchtete nur einige weiße zähne
zwischendurch heftiger, mehr war kaum zu sehen, niemand brauchte
ein licht, weil keiner was genauer zu sehen brauchte. niemand kann
sich eine solche existenz vorstellen, niemand kann das verstehen.
alle emotionen lagen da in der langweiligen masse, vermischt mit
den gliedern, mit den sünden, mit den begierden, all diese
sulze aus dem bißchen wirklichkeit und vielen träumen,
zusammengelaufen wie ein alter omeletteteig, auseinanderstrebend,
aber ohne überzeugung. da lag ein gast in der
gaststätte, lag inmitten anderer gäste und winselte um
das bißchen aufmerksamkeit, das nötig gewesen
wäre, um ihn wieder auf seinen barhocker hinauffließen
zu lassen. ein mund über ihn spuckte auf den boden, mitten
auf ihn, wollte mit der sohlenspitze den eigenen schleim in den
fußboden treten, spürte den brei, fluchte, sauerei. es
war die ewigkeit, aber kein gott in sicht, keine engel. die
gedanken existierten alleine, die sprache ohne worte, das fleisch
ohne formen. liegen, liegen, bald würde jemand kommen und den
boden wischen, bald, es konnte nicht mehr lange dauern, irgendwann
verwischt auch die unendlichkeit. er hätte sich viel sparen
können, wie lächerlich die paar ejakulationen in die
scheide seiner und anderer frauen, die verzerrten gesichter an
diesen tierischen höhepunkten. er schämte sich,
wirklich, der brei lag da zerstört und schämte sich
wegen seiner affigen fratzen beim geschlechtsakt. er hatte sein
ganzes leben über sex nie mehr nachgedacht als übers
essen, manchmal, sehr selten, hatte er appetit auf was besonderes,
aber kaum hatte er es umschlungen, wußte er auch schon,
daß es sich auch diesmal nicht gelohnt hatte, diese öde
und der satte bauch danach. aber viel mehr war nicht übrig
geblieben als ein paar einzelheiten aus dem nackten mief. sein
brei und sex.
ich müßte mit jemandem sprechen können, es
müßte mich jemand hören und mir zuhören, nur
ein ohr brauch ich, dann könnte ich an das trommelfell
fließen und die schwingungen würden irgend jemanden
erreichen. oder auch eine hosentasche, eine handtasche wären
zu gebrauchen, ich könnte hineingleiten und warten, bis eine
hand was sucht, bis sie erschrocken zurückfährt, um es
ungläubig nochmals zu versuchen, und sie würde mich
spüren, hände gewöhnen sich an alles, bald
würde sie vertraut in mir wühlen, mich durch die finger
gleiten lassen wie süßwasserperlen. könnte ich
meine zunge finden, wäre es zumindest noch möglich, mich
selbst aufzulecken, so aber, verflucht, so geht es nicht, ich kann
so nicht liegenbleiben, nicht so einfach warten, bis man mich
wegwischt, oder bis ich vertrocknet bin. es muß mehr geben.
wenn mich wenigstens jemand mit beiden händen aufheben und an
die wand werfen würde. langsam eine wand hinunterlaufen,
zäh und träge und unwillig der schwerkraft nach unten
folgen müssen, die freuden des widerstands der masse
auskosten können. keine lösung wäre das, aber
für eine gewisse zeit eine erleichterung, bewegungsfreiheit,
nicht hier liegen müssen, starr und gefangen.
an einer straßenecke um vier uhr morgens wanderten zwei
betrunkene geschlechter ihrer vereinigung entgegen, die sie nicht
mehr erreichen konnten, ein frühlingsblütenbett, ein
schwanz lag abseits in einem kanal und badete wie ein junger hund,
schwarze mieder, ein strumpfband, rot geschminkte lippen mit
langen fingernägeln, ein praller tampon, vereinzelt
süßliche tropfen, ein ganzes leben.in der
gaststätte begann man aufzuräumen, die letzten
gäste wurden auf die straße geworfen, ein paar zu
langsame beine, ein männerschädel, der sich gerade noch
die nase putzte, schlüsselbunde, feuerzeuge, taschenspiegel
mit den müden augen ihrer besitzerinnen, ein halboffenes hemd
mit zu vielen brusthaaren. alles landete lieblos auf der
straße, ordnete sich dort, schweigend, ohne hektik und begab
sich dann in die überfüllten wohnungen, die um diese
zeit immer ihren jahrzehnte lang gehorteten moder lüfteten.
man ging nach hause und hatte das ruhige gefühl, nichts
versäumt zu haben, keine möglichkeit ausgelassen zu
haben, das beste getan zu haben, was in dieser umgebung zu tun
gewesen war. die schicksale der heimkehrenden hatten nach solchen
abenden schon des öfteren nicht mehr ihre ursprünglichen
körper gefunden, frauen in männerkleidungen und
umgekehrt, es blieb sich gleich, niemand störte es, kaum
jemand merkte es. die schicksale kannten keinen unterschied und
paßten sich beliebig jeder neuen umgebung an ohne
aufzufallen. auch der brei wurde auf die straße geworfen.
der letzte gast. es war schwierig sich wieder zu sammeln, allein
am gehsteig, inmitten des abfalls stickiger nächte. aber er
war froh, daß niemand mehr in der schmalen gasse war, stand
auf, ordnete mit müden handgriffen seine kleidung, atmete
kurz tief durch und begab sich nach hause. ein paar stunden
schlaf, dann war er wieder an seinem arbeitstisch. die arbeit als
meditationsübung, die leere suchen, die ruhe, alles auf sich,
in sich fließen lassen, keine regungen spüren, die
glieder so zu beherrschen, daß sie alle bewegungen ohne
willen, ohne befehle, ohne energie durchzuführen
wußten. finger unterschrieben akten, augen kontrollierten
zahlen, es ging alles ohne ihn, er konnte während der arbeit
sich selbst auf ein nichts reduzieren, gleichbleibend,
nichtssagend freundlich sein mienenspiel, ob maschinen oder
menschen, er behandelte alle und alles gleich, er war ganz
körper, seine sprache war ein wörterbuch, seine stimme
jene des radiosprechers der börsenkurse. die arbeit befreite
ihn. er befreite sich. am abend war er müde, doch ausgeruht.
es war keine belastung, es war sein dasein, und oft fragte er
sich, wozu man zu arbeiten aufhört, warum man nicht ohne
unterbrechung ewig arbeiten kann, ohne schlaf, ohne hunger, ohne
durst. essen. essen war nur noch erträglich, weil er
wußte, daß er jederzeit kotzen konnte, einfach den
magen umstülpen und im klo ausschütten. nichts widerte
ihn mehr an, selbst die kinder nicht. essen.
wir schlingen tonnen von fleisch, fisch, getreide, gemüse in
uns hinein, verdauen, lassen wasser und dreck ab, täglich,
endlos. einige verhungern noch erbärmlich, andere verhungern
in teuren sanatorien. die landwirtschaft produziert effektiver als
jedes fließband, die köche variieren ihre rezepte.
essen. wie kann man noch hunger verspüren, wenn man den
eigenen kindern beim frühstück am sonntag zusehen
muß, brot hinein, käse hinein, wurst hinein, yoghurt
hinein, kaffee, juice, die blöden wangen vollgeschmiert von
butterresten, die finger voll von marmelade, der frau hängen
brotkrümeln im farblosen bh, sie trägt sonntags meistens
nur slip, bh und darüber einen offenen bademantel. wie ekelig
der kaffetropfen auf dem bauch ist, der aus dem slip herausquillt.
nach dem frühstück die ganze familie im gänsemarsch
zum schiß, die frau als letzte, weil sie noch eine rauchen
muß, ihre fetten gedärme sind träge wie der ganze
übrige körper, wie kann man dabei noch appetit haben.
und wir sagen bei tisch mahlzeit, können das sagen ohne
schlechtes gewissen. ich kann nichts mehr essen, ich brauch nichts
mehr, ich esse und kotze wegen der etikette, um nicht aufzufallen.
die restaurants sterilisiert, alles hygienisch, alles
desinfiziert, auch der fraß. vielleicht ists das, es fehlt
das unsaubere, der dreck, der schmutz alten öls in den
küchen, der gestank der essensabfälle, es fehlt auch
hier das mögliche ende, der tod. wir bräuchten wieder
küchenschaben hinter den theken, wir bräuchten was,
wovor wir uns grausen können. jetzt müssen wir uns vor
dem essen grausen. vor etwas muß man sich ja grausen, wie
sonst könnte man sich darauf freuen, daß es wieder
aufhört. essen und kotzen, das geht, aber nichts anderes ist
möglich. trinken geht einfacher. wenn ich zu viel gesoffen
habe, rebelliert der magen ganz von alleine, handelt ohne mich,
peinigt den bauch bis zur äußersten grenze. das ist
noch eine vage spur von leben.
er war gerade aufgestanden, zuvor ein paar tiefe stunden in den
schlaf gefallen. er stand unter der dusche, ließ sich gerne
am morgen mit siedend heißem wasser die haut verbrennen, bis
er ganz rot anlief, bis alles schmerzte und vor schmerz wieder
aufhörte, er fühlte wie sich die haut straffte, einige
kleinere furunkel öffneten sich von selbst, dann drehte er
das warme wasser ab, öffnete den kaltwasserhahn und
genoß das prickeln tausend kleiner nadeln. die letzte nacht
fiel ihm wieder ein, die bilder aus der gaststätte kamen
ungeordnet wieder, ein brei am boden, das war sein leben, die
wenigen erfreulichen augenblicke. zähne putzen, die frische
unterwäsche, ein schneller schluck kaffee, die türe
schließen. es war ein wunderschöner morgen. klar,
glasklar, alles scharf erkennbar, jeder geruch noch einzeln
wahrnehmbar, die welt lag noch ganz ohne scham vor ihm. bald
würde sich wieder der schleimige rauch auf die landschaft und
in die menschen legen, aber in diesem augenblick sah er kurz ein
stück wirklichkeit und wußte es. er öffnete noch
einmal die wohnungstür, roch den stinkigen atem aus den
schlafzimmern, grinste ohne mitleid, schloß wieder ab und
ging zu seinem arbeitsplatz. die frische, das stückchen
wahrheit, war schon wieder weg, die sulze war aufgewacht, autos,
menschen, bahnen. er lief hinter unbekannten füßen, sah
die prall gefüllte röcke, dachte daran, wie sich unter
all diesen slips, strümpfen, engen miedern schamlippen
ineinander winden, überquerte ein paar kreutzungen ohne es zu
merken, aufzug. aufzug.
das unerträglichste am morgen, der aufzug.
überfüllt, bereits wieder die ersten ausdünstungen.
schweigen eine qual, sprechen die noch viel größere.
wenn man bloß nicht zuhören müßte.
unverschämt erzählt man sich den letzten wetterbericht,
das neueste aus den nachrichten, noch 7 stockwerke, wie soll man
das aushalten. ruhig bleiben, augen schließen, aber dann
sind die gespräche noch besser hörbar, dringen ohne den
widerstand der augen in den kopf, also wieder aufblicken, hinter
mir hat einer die aktentasche gerade so in der hand, daß ich
den metallverschluß in den rücken bekomme. ich steige
jemandem links von mir auf den schuh. das befriedigt. man
empfindet nicht das geringste dabei, die faden intimitäten
der öffentlichkeit preiszugeben, keine rücksicht auf die
anderen, ich sollte mir die ohren verschließen, ich kann
nicht jeden tag.
die tür des büros öffnen, arbeit. er konnte einfach
arbeiten, ohne das geringste zu denken, ohne das geringste zu
fühlen. und er wußte auch, daß, je abwesender er
war, desto besser lief das geschäft. kein gedanke, nur
anweisungen ausführen, weiterleiten, ohne zutaten, ohne
umwege, ohne ein einziges mal aufzuwachen oder einzuschlafen.
arbeiten war sein einziger zweck, arbeiten und am abend in die
gaststätte gehen, das waren ein und dasselbe, pol und
gegenpol seiner welt. der ganzen welt. was wären diese
nachtstunden ohne die grenzenlose unbedeutsamkeit seiner arbeit.
wo sollte der ausgleich gefunden werden, wenn nicht am
arbeitstisch, wo er penibel sein weniges werkzeug, bleistift,
diktiergerät oder morgenzeitung ordnen konnte. die
einrichtung seines büros hatte er zur gänze seiner
sekretärin überlassen, ihm war alles recht, er konnte
sich überall fallen lassen, ohne auch nur die geringste
emotion zu verspüren. hellgetäfelt, marmorne decke, ein
viel zu teurer teppichboden, einfacher luxusschreibtisch,
ledersessel. er war sich seines status wohl bewußt und
vermied es peinlichst, diesen zustand zu ändern.
gast bei tag, gast in der nacht, gast in der berufswelt, in der
familie, in den wenigen schößen einiger flüchtiger
bekanntschaften. so ist das leben recht genug, um anständig
gelebt zu werden, so kann ich besten gewissens auf das ende
hinsteuern, ohne angst, ohne gram, ohne irgendwas. am ende werde
ich liegen, und in kurzer zeit wird nichts mehr von mir über
bleiben. einen gast vergißt man schnell, er läßt
keine löcher irgendwo, er muß nur bezahlen, mit geld,
mit arbeit, das ist alles.
er ordnete seine akten, machte ein paar telefonate, kritzelte
einige unterschriften, starrte in den ausschnitt der
sekretärin, die er nur zu diesem zweck eingestellt hatte. sie
war bereits um eine spur zu alt und zeigte recht schamlos all die
überschüssigen reize ihres körpers. und sie
verstand ihn. noch nie zusammen ausgegangen, noch nie
berührt, immer höflich distanziert, aber sie wußte
seine lust zu schüren, wenn ihm danach war, diese öde
lust in den hosen. dann setzte sie sich in einigem abstand ihm
gegenüber und ließ unglaublich langsam ihre beine
spielen, unaufällig aber beharrlich, übereinander,
auseinander, sie konnte das eine ganze stunde lang so treiben, den
rock hochrutschen lassen, aber mit endloser geduld, und
aufhören bevor was begonnen hatte, keine mine verziehen,
alles geschäftlich, sie wußte wohl auch, wofür sie
bezahlt war und akzeptierte die bedingungen. es gab tage, da
geilten ihn ihre stöckelschuhe auf, sie hielt die beine
übereinander geschlagen, der eine schuh wippte zwischen
himmel und erde, er stellte sich ihre zehen vor, sicher waren sie
rot gestrichen, diese schlampe, sicher steckt sie sich den
stöckel in ihre fotze, wenn sie sich zuhause, angefüllt
von champagner, mit ein paar alten wichsenden säcken die
langeweile vertreibt, die ihr am ende dann noch voller stolz
einige zu große geldscheine in den arsch schieben. dieser
stöckel konnte ihn nach verbrauchten nächten in die
richtige stimmung heben und ihn für kurze zeit fast so was
wie ein kleines glück empfinden lassen. sie war nie zu sexy
angezogen, eigentlich immer dezent, so wie sichs gehört, aber
sie wußte sich zu bewegen, sie war eine gute tänzerin,
konnte ihren körper gezielt einsetzen, ihr gesicht blieb
immer ausdruckslos freundlich. er konnte ihre lippen ohne kopf
betrachten, die lippen lösten sich von ihr, wanderten unter
den schreibtisch ohne umwege auf den reißverschluß zu,
holten geschickt den laschen schwanz heraus und leckten und
leckten, daß er bald alle muscheln der griechischen venus an
den eiern spürte, bald das maul einer gebärenden kuh,
die ihre mutterlust der welt mitteilte. die arbeitsteilung
funktionierte bestens, er war zufrieden mit ihr, aber
wahrscheinlich wäre er mit jeder anderen auch zufrieden
gewesen, da er weder wählerisch war, noch sich irgend eine
bestimmte frau seiner träume vorstellen konnte. alles war
recht, wenn er das bedürfnis hatte. er benutzte die frau
nicht, er benutzte seine fantasie und stülpte sie über
dieses weib vor ihm. das war schon alles. seine frau war immer
eifersüchtig auf die sekretßrin gewesen, ihr war jede
erotik außerhalb des geschlechtsverkehrs eine sünde
wider die guten sitten einer modernen frau. nur im bett konnte sie
ein paar unflätige seufzer hervorbringen, das waren die
äußersten grenzen ihrer verbalen lust.
nun ist sie gestorben. plötzlich. ohne vorwarnung, ohne
anzeichen. stirbt kurz vor den wechseljahren hemmungslos,
gefühlslos, stirbt im bett neben mir, ohne was zu sagen. gute
nacht, das war alles, und heute morgen noch gleich im bett,
unverändert, fast herausfordernd, bestimmt aber ohne jedes
mitleid. habe ihr noch einen flüchtigen kuß übers
gesicht gehaucht, als ich am morgen aufgestanden bin, habe eine
leiche geküßt, habe mit meinen lippen totes fleisch
berührt, fleisch, das schon begonnen hatte, allmählich
in sich selbst zu sinken, sich zu vernichten. ich habe den tod mit
meinen lippen umklammert, flüchtig aber immerhin, und bin
daran spurlos weiter aufs klo, als sei nichts gewesen. neben einer
leiche habe ich mich rasiert, unterhosen gesucht, die kniebeuge
beim schließen des reißverschlusses, damit der
mannessack auch richtig liegt, ja, so war das, und das angetraute
weib schaut als tote zu, heimlich, kalt, spart sich den stinkenden
morgenatem, liegt da im bett auf dem rücken, das gesicht
leicht nach links geneigt, das haar noch fast in ordnung, tote
reden nicht, heißt es oft, aber ich bin mir sicher, sie hat
die ganze zeit geredet, sie hat mir unsere magere ehe vorgeworfen,
mit jenem leicht zynischen lächeln, das sie immer dann
aufsetzte, wenn sie wußte, daß sie fest im sattel
saß. ich mußte geld aufs konto bringen, das war meine
aufgabe, dafür ließ sie mich anfangs wahllos in ihrem
fleisch arbeiten, später wurde das immer mehr zu einer
gnadengabe, oft hatte ich das gefühl, nach dem abspritzen
danke sagen zu müssen. am ende war ich froh, wenn ich sie
nicht mehr berühren mußte, leichter ekel, wenn ich auf
ihr lag, diese müde geilheit, jede falte bekannt, mein
schwanz tropfte nur mehr aus notwendigkeit in sie hinein, der
hunger wurde reduziert aufs minimum. wann haben wir denn das
letzte mal gefickt. irgendwann letzte woche, ich war von der
gaststätte ins bett gefallen, sie wachte auf, ich drehte sie
auf den bauch und ließ mich und diese späte nacht in
sie fließen. wie üblich kam ich viel zu schnell. und
jetzt stirbt sie einfach, liegt da tot, steif, häßlich
ohne leben, der unterschied zwischen uns ist endlos geworden, wer
weiß, wie das nach dem tot funktioniert. man steht ganz
schön beschissen vor einer toten. und mir kommen ein paar
tränen. ich vergieße am bett neben dem toten weib
trauertränen, ich spüre wies hochkommt, es
schüttelt mich, die luft bleibt aus, kann meinen atmen nicht
mehr ordnen, einatmeb, ausatmen gleichzeitig, es geht nicht, ich
heul hinaus, muß schreien, es geht ja nicht, einfach neben
mir zu krepieren, ist kein leben mehr alleine, was soll ich mit
den kindern. der hals schmerzt, fest durchatmen. ein neuer anfall,
ohne erbarmen, gewalttätig, die füße ziehts mir
weg, mensch weib, einfach sterben, so schlimm wars ja auch nicht,
und ich soll jetzt die kinder aus der schule holen, was soll ich
denn sagen: mutter ist grad abgekratzt, ihr arschlöcher, ja
habt ihr denn nichts gemerkt am morgen, seid einfach in die
küche gestolpert, den lauwarmen kaffee getrunken, ein
schnelles butterbrot, während eure mutter da schon steif und
tot im bett lag. der anfall läßt nach, ich spür
langsam wieder meine knochen, mein fleisch, es wird schon wieder
besser, warum so ausklinken, schließlich waren wir nicht so
eng zusammen, waren uns gleichgültig, bis wir uns nicht mehr
spürten, bis wir den anderen völlig vergessen hatten.
und nun steh ich da, jetzt kommt das schon wieder, ich will nicht
mehr plärren, es geht nicht, ich geh kotzen, vielleicht hilft
das. über die kloschüssel gebeugt hol ich mir die
spärlichen mageninhalte heraus, bis am ende nur mehr etwas
sauerer saft heraufkommt, wie sodbrennen. sterben und kotzen. es
tut gut den hals abzulenken, er ist jetzt beschäftigt mit dem
brennen in der mandelgegend, hat vergessen, wegen der tränen
zu würgen. wie gräßlich wir in unserem inneren
sind, da liegt dieser brei in der schüssel, zieht langsame
fäden hinab, gelblich, braun, ätzend, ein stück
tod. ich sterb also auch vor mich hin, aber ich weiß es.
zähneputzen jetzt, zähneputzen, während da
drüben die leiche auf mich störrisch wartet, sie
verweigert jede aktion, sie würde dort liegen bleiben, ohne
die geringsten skrupel, bis nichts mehr von ihr übrig ist als
ein paar bleiche knochen, ein haufen dreck. sie würde ewig
hier liegen bleiben, ich muß was tun, das sind die befehle
des todes. so aufdringlich wie der tod ist nichts lebendiges, was
zum teufel ist denn jetzt überhaupt zu tun, wo lernt man
denn, wie man mit seiner toten frau umgehen soll, welcher lehrer
gibt seinen schülern die telefonnummer des günstigsten
leichenbestatters. man kann ja gar nicht anders, ich kann ja gar
nicht sagen: moment liebe leute, meine alte verscharr ich mir
selber. das ist sicher verboten. hilflos, arzt anrufen, kinder
holen, leiche abtransportieren, sarg aussuchen, blumen bestellen,
todesanzeige aufgeben, den kindern irgendwas geben. was geb ich
denn den kindern, irgendwas muß ein vater in solchen
situationen sicher den kindern geben. vielleicht ein paar gute
worte, meine kinder, ein schwachsinn. ich werd sie verschicken,
irgendwohin auf urlaub, meinetwegen eine weltreise, nur nicht
vater spielen müssen, ich war nie einer, sie nie kinder, was
soll das theater. da liegt das weib meines lebens steif und tot.
was ist das für ein leben. noch ein paar jahrzehnte wenns
hochkommt. ich muß sie ankleiden, liegt da obszön ohne
leben im bett, ich muß jetzt.
er schüttelte sich, wie ein nasser hund stand er im
schlafzimmer, schüttelte sich, heftig, immer schneller,
stöhnte, schrie laut unverständliches durch die zimmer,
diese mauern wollte er niederreißen, diese
unertäglichen mauern zwischen den zimmern, mit dem kopf
schlug er gegen den türrahmen, bis er blutete, er spürte
keinen schmerz, sah nur das blut, sah sich, die roten flecken,
riß irgendwas herunter, lärm. lärm tat gut,
lärm legte sich über die welt, es gab keine welt mehr,
es gab nur noch lärm. er hörte das leben in den
wänden, hörte den strom durch die leitungen
fließen wie gewalttätige gebirgsbäche aus den
kinderträumen, die bretter des fußbodens knarrten wie
friedhofssärge nach mitternacht, seine magensäfte
rauschten, stürzten ab, wasserfälle, meerestiefen. er
war nur noch ton und spürte nichts außer die lust, aus
sich nur ohren zu machen, ein einziges ohr wollte er werden, nur
mehr schwingungen, keine notenskalen, immer lauter, der rythmus,
pauken und trommeln, hunderttausend trommler marschierten durch
ihn durch, ein chaos und allmählich im gleichschritt,
monoton, dasselbe pulsieren, sein herz lag in den ohrmuscheln. es
hörte auf, er war ruhig geworden, wischte sich die blutspuren
von der stirn, räumte das chaos auf, zog der leiche saubere
wäsche an. keinen gedanken trug er bei sich, er war wieder im
büro, alle handgriffe mechanisch, alles richtig, er konnte
nichts falsch machen, er mußte nicht mehr denken, nicht mehr
fühlen. den hausarzt anrufen, die schule, der arzt stellte
die todesursache fest, die kinder verzogen sich in ihre zimmer und
heulten, alles lief vorschriftsmäßig, er saß in
der küche, rauchte, es war vorbei, das leben hatte ihn wieder
losgelassen, er sah alles ohne es wahrzunehmen, er saß und
stellte fest, das der tod seiner frau ihm nur unannehmlichkeiten
bringen wird, aber keine zu großen, ein loch würde
bleiben in der wohnung, er konnte es aber wieder auffüllen,
wenn er lust dazu gehabt hätte. später vielleich, im
augenblick dachte er an nichts, die sekretärin würde ihm
helfen, sie kannte sich in praktischen dingen aus, also würde
sie wohl auch mit leichen umzugehen verstehen, eine
sekretärin war praktisch, für alles zu gebrauchen. die
kinder schickte er wie geplant auf eine reise, sie waren nur mehr
eine leblose erinnerung an eine tote. eine beerdigung im engsten
familienkreis, die urne wurde in eine graue wand gestellt, eine
marmortafel davor, wie ein vorhängeschloß, ein paar
blumen, die bei dem schlechten wetter bald zusammenfallen
würden, eine ansprache übers leben, weil man scheinbar
so den tod leichter ertragen kann, es war vorbei. in dieser nacht
ging er seit langem wieder in die gaststätte, er hatte
vergessen, wie er in den letzten tagen die nächte verbracht
hatte, es war ihm egal, er wollte nur wieder heim kommen, wieder
den kreislauf finden, sich übergeben können, kotzen
wollte er, vielleicht was trinken, ausfließen, leben. es war
schon dunkel, ein unangenehmer kalter regen fiel, windböen
sausten durch die gassen. er öffnete, ließ sich fallen,
das waren bekannte gestalten. er lag da am eingang, niemand
kümmerte sich um ihn, ein neuer gast stolperte über
seinen körper, fluchte irgendwas unverständliches,
versetzte dem haufen am boden einen tritt. das war das, was ihn
noch immer am besten mit seinem leben auskommen ließ, alles
vertraut, nichts bekannt, keine rücksichten, jeder gegen
alles und zusammen eine ganze welt. er stand wieder auf, vor zu
seinem stuhl, da saß ein schwarzer riese, der gast nahm ein
messer, schnitt das dunkle fleisch schön säuberlich
entzwei, warf die muskelfetzen in eine ecke, wischte nachher den
hocker ab, bestellte ein bier, sein erstes kühles bier seit
langem.