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die frau.



mit wievielen schmerzen wurden die ersten erlebnisse ihrer kindheit geboren. das, was wohlwollende eltern und verwandte in den tagesplan ihres kleinen lebens zu schreiben wußten, war nicht viel mehr als eine gefängnisordnung oder ein verbotsschild am spielplatz. noble freiheit mit minimalbewegung. die schule tat ein übriges, um ihre vorstellungen von der welt soweit einzuschließen, daß es ihr eine zeit lang ganz selbstverständlich schien, als erwachsene immer glücklich zu leben. regeltage mit zwölf, verstecken, sünde, beichten und lügen, das fremde verlangen in heißen laken, spuren der lust in dem ängstlichen herzen. das schöne leben wunderlicher reiner prinzessinnen vor augen, schmachtende küsse erlesener königssöhne im kissen des mädchenheimes, und die hand des gärtners eines tages flüchtig auf der brust, die sich aufbäumte und lange nicht mehr zu beruhigen war. es war eine durchschnittlich glückliche kindheit gewesen. sie hatte überwiegend positive erinnerungen daran. viel später erst sagte man ihr, sie habe all die ängste, unsicherheiten, sperren nur beiseite geschoben, sie müsse mehr an ihren erinnerungen arbeiten, unbekannten erfahrungen eine möglichkeit geben, sie müsse sich erst wieder selber finden. zwischen all den bildern gab es den faden der unsicherheit, des ruhigen weinens. der vater war ersatz für alles, der vater hielt sich aus ihrem leben heraus, der vater hatte nur einmal geschlagen, doch da fürs ganze leben, der vater war die welt, das harte, das andere, der vater weinte nie, der vater sprach wenig aber mit erfolg in der familie, der vater holte seine mutter in das haus, gegen den widerstand seiner frau, der vater setzte ihren freund direkt aus ihrem bett vor die tür, der vater ging im urlaub zum ersten mal mit ihr in eine disco, der vater kannte ohne vorwürfe einen frauenarzt, der vater war stolz auf seine tochter und ließ sie das spüren. die mutter war sie selbst, all das, was sie nie werden wollte, heimatwelt, küchengeruch, eigenhändig eingedrehte lockenwickler, monatsbinden, slipeinlagen, angst vor dem verlassensein, nie versteckte und nie gezeigte begeisterung. die mutter hatte mit ihrem bauch drei menschen in die welt gesetzt, die mutter hat sich einmal in einen anderen mann verliebt und jahrelang darunter gelitten, die mutter konnte aus nichts ein ganzes sonntagsmenü machen, die mutter ließ ihre kinder bei sich schlafen, wenn ein gewitter die dunklen nächte zerschlug, wenn sich von den wänden des kinderzimmers dunkle gestalten lösten, die mutter ging in die sprechstunde zu den lehrern und fürchtete sich davor, die mutter klagte täglich über vaters zigaretten und nie über seine eskapaden. wie anstrengend dieses leben gewesen war, wie langweilig und aufregend. der erste orgasmus mit neun, die hand zwischen den beinen, ein mädchenspiel, so spannend wie die erste zigarette in den büschen des stadtparks, keine obszönität, kein schmutz, keine angst. später wurde alles anders, als zum ersten mal ein mann auf ihr lag, sie beide nicht wußten wie, nur wußten daß. elend war ihr zumute gewesen, elend und verloren, wie sollte das weitergehen, die erwachsenen konnten nicht all die nächte ihres lebens so verbringen. dieses gefühl hielt lange, und je bewußter sie es zu überwinden suchte, desto heftiger wurde das dröhnen der eisenbahnen, das kratzen abgebrochener fingernägel an alten klassentafeln, die kleinen krämpfe in den unterschenkeln und zwischen ferse und großer zehe. die angst, sich nicht beherrschen zu können, der körper arbeitete ohne sie, ihre lust war autonom, und nachher machte die seele talfahrten in die menschenwelt. lesen half, viele buchstaben, bücher, die lange nicht aufhörten, bücher, die bereit waren, sie aufzunehmen zwischen den seiten, ihr unterkunft zu geben, bis sie irgendwann einschlafen konnte. so war das mit der liebe am anfang. doch bald hatte sie gelernt, mit sich und ihrem körper besser zu leben, bald wußte sie wann ja und wann nein, bald konnte sie dem mann deutlich zeigen, wie die spielregeln waren. befreiung und not, essen und trinken, hunger und durst, abenteuer und unterhaltungsprogramm. die paar tiefschläge waren zwar schmerzhaft, doch konnte sie sich alleine wieder aufrichten, alleine und ohne falsche skrupel. gleichgewicht finden zwischen sich und der welt, zwischen arbeit und freizeit, zwischen freiheit und fesseln, zwischen liebe und haß. sie wußte, daß sie immer beides brauchte, daß nie etwas alleine in ihrem leben stehen konnte, daß sie pole brauchte, die sich abstießen und anzogen, sie zerrissen und wieder zusammenfügten. das war ihr leben, die großen illusionen haben kleineren hoffnungen platz gemacht, die gewaltigen ängste alltäglichen unsicherheiten. sie konnte leben mit ihrem leben. einiges schon hinter sich, aber noch genügend vor sich, um sich am morgen zu freuen, meistens, um glauben zu können, um genügend energien zu haben sich wehren zu können. der kampf gegen die welt war nicht mehr alles, sie hatte sich ihren platz erarbeitet, hatte die schwächen der einsamen helden kennengelernt, wenn manch einer neben ihr gelegen hatte und seine nöte auf ihre haut weinte, verzweifelt, ohne hilfe und ohne glauben. sie hatte mitleid manchmal, mehr aber nicht.

die männer werden noch an ihrer eigenen macht zerbrechen. sie werden es nicht durchhalten, nicht ohne sklavenfrauen, ohne die sicherheit, zu jeder zeit über ihre frauen ohne schranken zu verfügen. lustspender, lustgeber, wohlwollende kavaliere, sie haben ihre eigene rolle verloren und werden keine passende neue finden, sie sind eingeklemmt in ihrer geschichte und ihren fantasien und haben sich ein paradies erschaffen, ohne an sich selbst zu denken. sie haben sich überschätzt, glauben es aber noch nicht, wollen es nicht glauben, können es nicht glauben. sie tun mir leid. der alte traum der männer ist ausgeträumt. sie haben sich ihr grab schön säuberlich und gründlich selber ausgehoben. wollten nach den sternen greifen, haben zu hohe leitern gebaut, haben uns beim bau benutzt, verbraucht, gedemütigt, und jetzt stehen sie da ganz oben, jeder eine leiter für sich, da oben an der letzten sprosse, merken daß alles viel zu kurz geraten ist, greifen nach leeren wundergärten, trauen sich nicht mehr zurück, haben schwindelanfälle, schauen angstvoll zu uns herab und merken endlich, daß wir frauen es sind, die da ihre leitern halten, die ihr leben halten. nur mehr die angst ist da, daß wir einfach weggehen könnten, einfach loslassen und uns um unsere eigenen träume kümmern. da hängen sie und weinen oder schreien, aber ihr schicksal bleibt gleich, sie würden alles geben, alles versprechen, alles ertragen. wir brauchen nur unten bei den leitern zu stehen, etwas lässig, etwas abwesend, etwas lieb. das genügt. und zeit brauchen wir. aber wir haben eine ganze menschheitsgeschichte lang gewartet, es wird auf ein paar jahrhunderte mehr oder weniger nicht mehr ankommen.

ihr weg war ihr immer sehr logisch vorgekommen, es war ihr einzig möglicher weg gewesen. das kleine zwischenspiel einer zweijährigen ehe betrachtete sie noch immer als heilsam, in dieser zeit hatte sie mehr gelernt und erlebt als in all den diskussionsrunden, veranstaltungen, konzerten. aber sie wußte auch, daß sie ohne diesen ganzen theoretischen krimskrams nie den mut gehabt hätte, irgendwann einfach nein zu sagen, sicher und mit wenig emotionen einfach nein. diese ehe trug sie als ein liebes anhägsel mit sich herum, sie mochte diese zeit, sie mochte auch noch den mann, aber sie hatte gelernt, daß es da noch viel zu viel zwischen mann und frau gibt, was nicht zusammenpaßt. diese armen tage des einfachen glücks waren ein ruhiger polster in ihrem bauch, sie liebte die erinnerung an seine festen arme, als sie für sich und ihre zukunft nichts anderes sahen, als ihre liebe zueinander und die freude an einem gemeinsamen leben mit kindern, mit freunden, mit vielen menschen ohne grenzen und zäune.

der großvater nahm sie auf seine knie, hielt sie fest und träumte von einer gerechten welt, von den eigenen hoffnungen vergangener tage, von den sorgen um die zukunft dieses kindes, da er sich selber und den anderen menschen nach all dem langen leben nicht mehr so recht trauen wollte. und sie verstand zwar damals nichts von seinen gedanken aber sie verstand so viel von seinen augen und wußte, daß dieser großvater ihr einzig möglicher großvater war und sie niemals im stich lassen und ihr seine liebe in jedem augenblick bereitstellen würde. seine liebe war ganz anders als jene der mutter, jene gewaltige liebe, jene liebe aus regeln von nehmen und geben, jene liebe des entzugs und des überflusses. großvater war einfach da, bereit in jeder situation, für alles zu haben, ohne ansprüche, ohne endabrechnung. bei ihm war sie nicht zu hause, bei ihm war sie auf erholungsurlaub in dem allerfeinsten märchenschloß. wie schön es war, auf ihm sitzen zu dürfen, in den kleinen fingern einen zahnstocher mit etwas watte am vorderen ende umwickelt, und damit aus den mächtigen ohren das schmalz herauszuholen, sehr vorsichtig, sehr wachsam, auf die große nase neben ihr achtend, die sich sofort zusammenzog, sobald sie zu nahe ans trommelfell geriet. der großvater war teddybär und himmelvater, märchenriese und abenteurer in einem, er war ein anderes leben, er war eine bessere welt. als er starb, hatte sie einem jungen bereits den ersten zungenkuß gewährt, wußte von der welt und von sich selbst schon viel mehr, als sie ertragen konnte, und weinte tagelang. nur auf dem friedhof während der trauerfeier blieb sie tapfer, biß sich ihre lippen wund und spürte nichts von der hitze der sommersonne. er wäre wohl traurig gewesen, hätte sie vor den anderen leuten heftig und hemmunglos um ihn geweint, traurig wär er gewesen und beschämt. als der sarg in das loch gesenkt wurde, als einige handvoll trockener erde darauf geworfen waren, verschwand ihre kindheit mit ihm im grab und sie ahnte, daß sie nun bald erwachsen werden mußte. zwischen ihr und den eltern entstand plötzlich ein großes loch, es war als fehlten die stoßdämpfer, jede begegnung ein aufprall, jedes gespräch ein streit. der großvater war ihr märchenbuch gewesen, nun mußte sie sich ihre geschichten selber schreiben. ihr zuhause war ein hotel geworden, vater der direktor, mutter die leiterin. es war mit einem mal ein verfallenes haus, ihr zimmer ein käfig, gerade noch gut genug zum schlafen und dies nicht immer. neue sehnsüchte entstanden, neue, bessere welten, abhauen, alleine leben, selbst entscheiden, was es zum essen geben soll und wohin an den wochenenden. was willst du einmal werden, willst du studieren, wofür interessierst du dich denn eigentlich. was waren das für fragen in diesem alter. leben wollte sie, leben und erfahren und nicht enden wie diese eltern mit einbauküchen und sonntagshobbys, sehen wollte sie die kleineren und großen dinge in der welt und um sich, atmen können, tief durchatmen, ohne sofort die frage zu hören, ist dir nicht gut. sie wußte, daß sie noch warten mußte, ein paar jahre noch mußte sie in diesem schäbigen hotel einen teueren preis bezahlen, dann aber würde sie ihre alte haut abwerfen können und wie ein schmetterling mit neuem leben davonfliegen. sie wußte es und konnte es kaum erwarten. damals schlief sie mit einigen männern, aus protest, gegen die spielregeln. es machte ihr noch immer keinen besonderen spaß, es war noch ein rest von ekel vorhanden, wenn sie diese fremden säfte nachher aus sich fließen spürte, aber es war ihr viel wichtiger die grenzen zu sprengen, dem unbekannten auf die spur zu kommen, da war sex ein gutes mittel dazu, und das spielen mit blicken und händen und füßen und zungen war fast so schön wie das kämmen von großvaters weißen haaren. neue ängste mußten beherrscht werden, bin ich schön genug, gefalle ich, paßt der rock zu den schuhen, bin ich schwanger, neue fragen hatte sie, aber in der schule hatten alle ähnliche probleme, weshalb sie sich irgendwie geborgen und beruhigt fühlte. sie veränderte ihr zimmer, nahm alles von den wänden, all sie glitzernden stars der kindheit, warf plüschtiere und puppen zum entsetzen der mutter in den mülleimer, malte den ganzen raum weiß, alles weiß, wände weiß, decke weiß, fußboden weiß, bett, schrank und schreibtisch weiß. vater schrie, er dachte an die kosten für einen neuen parkettboden, mutter sprach lange auf sie ein und dann tagelang nicht mehr. ein weißes zimmer, ohne vorhänge, ohne ablenkungen. sie zerlegte ihr bett, stellte die bretter in die garage, schlief auf einer dünnen matratze am boden, sie schleppte mit einer freundin den schrank in den dachboden, reduzierte ihre kleidung auf ein minimum, alles weg, all der ganze ballast, an jedem kleidungsstück ein fader familiengeruch, am ende verschwand auch noch der schreibtisch. die spinnt, sagte der vater, mutter war zerstört, das hotel drohte auseinanderzufallen. aber was war das für eine gefahr, mehr schutt als so, konnte auch ein erdbeben nicht mehr verursachen.

ich fand keinen faden mehr zurück zu meinen eltern, sie waren all das, was das gegenteil meiner träume und hoffnungen war. sie waren still, ich liebte popmusik, sie waren ordentlich, ich fühlte mich am wohlsten in einem zimmer, das nach schlaf roch und nach rauch und liebe, die mutter legte dem vater immer saubere wäsche in das bad, ich war in der disco oft gierig nach den verschwitzten t-shirts. vater rauchte zigarren, ich gras. ich haßte die luft in der wohnung, schon allein die vorstellung, daß mutter während meiner abwesenheit heimlich mein zimmer lüftete, machte mich rasend. sie lief durch die welt wie ein heulendes elend, es war eigentlich nicht zum aushalten. meine zeit raste dahin, ich hatte jeden tag angst, das halbe leben zu versäumen, fühlte mich voll von energien und ohne jede angst, nur die familie hing da wie ein hinckelstein an den füßen. es war alles aufregend, einmal landeten wir zu fünft in einem doppelbett, spielten, streichelten, küßten und liebten uns zu tode, es schien keine grenzen zu geben außerhalb des hotels. die schule war viel zu blöd und wir viel zu schlau, als daß wir das als eine last empfunden hätten, wir sahen in den gesichtern der lehrer die angst oder den haß geschrieben, wir waren einfach zu viele, wir waren sogar fleißig und prüften uns nächtelang über alles mögliche aus, wir schliefen während des unterrichts. dann wurde die mutter krank, ich fand einen ersten fixen freund, die verhältnisse im hotel begannen sich zu normalisieren, eine große restauration wurde in angriff genommen.

wohnen war immer was wichtiges gewesen. ein stück raum regte ihre fantasie an, sie stellte sich vor, was man alles daraus machen könnte, freute sich an der tatsache, daß selbst die abscheulichste architektur nichts vermochte, wenn sie sich vornahm, einen raum anders zu gestalten, als irgenwelche konventionen das vorzugeben schienen. sie begann, die leute um sich nach den einrichtungen ihrer wohnungen zu beurteilen, merkte bald, daß die meisten ohne jede kraft sich zwischen irgendwelchen gekauften oder gemieteten mauern fallen ließen, gefangen von ein paar modezeitschriften, vom mangelnden geld für den großen luxus. ein paar langweilige ledergarnituren waren das höchste der gefühle. stereotürme und ein beliebiges auto der mittelklasse. dafür wurde viel zeit und arbeit investiert. das wurde gerechtfertigt und, wenn nötig, auch verteidigt. seit ihrer scheidung sah sie die klein- und kleinstfamilien in ihrer umgebung als reste einer hinfälligen welt. ihre generation unterschied sich im wesentlichen nicht sonderlich von der vorhergehenden. bewußtsein wurde in der schule eingepaukt und war damit wertlos. doch fand sie ihre neue existenz in anderen bereichen, in gruppen, in bewegungen, fand und verlor sich, aber da gab es noch ziele, da waren noch hoffnungen vorhanden, da waren auch träume einer besseren welt, die ganz vernünftig klangen. wohnen war ihre eigentliche triebfeder geworden. sie wohnte bei freunden, bei freundinnen, alleine, sie reiste im sommer um die halbe welt, um andere wohnungen zu sehen und zu erleben. sie wohnte und nahm alles auf was dazu gehörte, essen und getränke und freundschaften. der sexualität hatte sie einen riegel vorgeschoben, sicherungen, weil sie erfahren hatte, daß es sich wohl ganz einfach unter eine decke steigen ließ, aber wie schwer war es geworden, danach wieder herauszukriechen. sie bewunderte zwar immer noch die paar freundinnen, die es mit den männern nicht so ernst nahmen, doch wußte sie für sich selber, daß sie sich was vorlügen würde, wenn sie weiterhin das geile weiblein spielen würde, das einem guten freund einen nötigen fick niemals abschlagen würde. die männer reagierten in der regel gar nicht sauer, verunsichert wie sie waren in ihrer welt, vielleicht waren einige sogar ganz froh, daß sie bei ihr nun einmal nicht unbedingt ihre männlichkeit beweisen mußten und eine ruhige nacht verbringen konnten. wie abenteuerlich andere wohnungen waren. wieviel leben in all den kleinen kleinigkeiten steckte. der eine verwendete kein rasierwasser, eine frau hatte stapelweise tampons gelagert, als ob bald ein weltkrieg losbrechen würde, aus den kühlschränken lies es sich lesen, wie aus griechischen orakeln. zu beginn faszinierten sie hauptsächlich einrichtungsgegenstände, alte sessel, neue betten, bunte stoffe an den wänden, geschirr. bald hatte sie dafür ein gutes auge, konnte nach dem ersten blick in das wohnzimmer ziemlich genau vorhersagen, wie das schlafzimmer aussehen würde, wußte, daß in wohnungen mit tischdecken der kaffee fast immer mit zucker getrunken wurde, daß bei alleinstehenden frauen die hygiene auf dem klo nichts zu wünschen übrig ließ, und erkannte schon an der eingangstür, ob man hier klassik oder jazz spielen würde. sie liebte neue gerüche, jede wohnung roch anders, hier waren oft die düfte ganzer familien verschmolzen. wie schade, dachte sie manchmal, daß unsere nasen so verkümmert sind, und wir freunde und feinde nicht riechend unterscheiden können. wohnen war mehr als eine freizeitbeschäftigung, wohnen war ihr kontakt mit der außenwelt. sie hatte für sich selbst nur eine unmöblierte einzimmerwohnung, einbauküche, matratze am boden. sie war eigentlich nie zu hause, zwei dreimal im monat wäschewaschen und ein bißchen saubermachen, einmal im jahr die fenster putzen. das war alles. das war ihr ort der ruhe. wenn sie hier war konnte sie die tür hinter sich schließen und nur noch die nackten räume sehen. stundenlang. das war ihre höhle, ihr mutterschoß, der schaukelstuhl des großvaters. am boden sitzen und in die leere schauen, bis die wände verschwanden, und sie ohne mühe über die ganze stadt und in die welt blicken konnte. sie konnte da sitzen und sah, daß es draußen regnete, sah die tropfen an der durchsichtigen mauer herabrinnen, fühlte die wärme der sonnenstrahlen. ihre wohnung war sie selbst, und niemand war jemals bis hierher gedrungen, kein telefon, keine adresse, keinen briefkasten.

erst wenn man kein zuhause mehr hat, ist man daheim angelangt. wenn man überall zu jeder zeit wohnen kann, hat man freiheit, kann man sich ohne fesseln bewegen. nichts schöneres, als einen morgenmantel über taunasse frühjahrswiesen ausbreiten, die verstopften straßen einer metropole entlang gehen, auspuffgase einatmen, in schwefelquellen nach dem satan suchen, die katze beim gebären unzähliger nachkommen betrachten, alle kinder dieser welt gegen die armeen anführen, messer herstellen, deren griff schärfer ist als die schneide. ich weiß. doch bin ich immerhin auf den weg dorthin, der weg ist wichtiger als das ziel, der weg ist wichtig und wie wir darauf gehen. die richtung ist bedeutungslos. da sind wir ewig lang, mit fernrohren ausgerüstet, verbissen unseren zielen nachgelaufen. es hat lange gedauert, bis wir gemerkt haben, daß wir ihnen nicht näherkommen, daß sie sich in dem gleichen maße von uns entfernen, wie wir uns zu ihnen hin bewegen. bleiben wo wir hingespült werden, bleiben und wohnen. wenn ich dann wieder all das gemetzle sehe, all die schweinehunde, und wie sie schamlos die welt ruinieren, dann aber kann ich nicht still sein, es ist stärker als ich, ich muß schreien, muß mich wehren, es darf nicht sein, daß wir alles schweigend einatmen. ob das das ende ist. wenn ich sicherer wäre, wenn ich sagen könnte, das ist gut und jenes schlechter. aber es eilt nicht. ich habe wohnen gelernt, bin endlich so alleine hier, daß ich mir meine einsamkeit aussuchen kann bei anderen menschen.

sie liebte sich. sie liebte ihren körper, sie liebte ihre seele. sie liebte ihr wesen mit all den freuden und den schmerzen einer gewaltigen und gewalttätigen liebe. sie liebte sich und konnte sich dabei zusehen, konnte sich beobachten und liebte sich auch noch als beobachterin. sie liebte ihre kleider. sie liebte ihr fleisch, spürte gerne die hände an ihrem körper. sie liebte ihre gedanken, ihre subversiven hoffnungen, ihr mehrgeteiltes selbst. sie liebte alles von sich und alles in sich. sie war auf dem besten wege, sich zu tode zu lieben, wußte es und freute sich darüber. die liebe war etwas für einen menschen alleine. das wußte sie seit ihrer ehe. die leichten worte kommen uns zu schnell von den lippen, es geht alles zu einfach, es sind schlecht getarnte lügen und die menschen glauben sie gerne, weil es kleine illusionen sind. ich liebe dich. wie leicht geht das. später dann heißts, du fehlst mir. und das schien ihr schon ehrlicher zu sein. weil man es allein nicht aushaltet. liebe zu den anderen als notlösung. was ging sie die sünde an. was sollte das sein, die sünde. sie hatte keine sünden, sie liebte sich, wie sie nie jemand anderen hätte lieben können, sie war ganz bei sich, ganz in sich, ohne scham nackt vor sich. die eigene nacktheit war ihr eine wohnung geworden. sie konnte sich endlich selbst in die welt lassen und dabei bewegungslos warten, daß die welt in sie käme. zweifel schüttelte sie ab wie frisch gefallene schneeflocken. sogar das tat ihr wohl, das angenehme bewußtsein, etwas abwerfen zu können, lasten einfach abzustellen und weiterzugehen, ohne mühe und ohne sich umzudrehen. es gab keine verluste in ihr. es gab nur verluste in ihr. ihr monatliches überflüssiges blut rann dem tod entgegen, dem ende, ihr körper fiel allmählich in falten, bereit, sich eines tages zusammenzulegen und fein säuberlich zu staub zu werden, ihr hirn durchlöcherte langsam die erinnerung. sie sah es und sah sich selbst und war glücklich über ihr sehen und das wissen von einem würdigen ende. zwischendurch brachen gewitter auf sie nieder, und niemand war in sicht, der sie hätte beschützen können. es waren die katastrofen der sintflut und der apokalypse, es war der freie fall in die angst, sie ging dann in ihre wohnung, zog sich aus, zog alles aus, alle kleider, die haut, die seele, sie war dann nackt und saß dort am boden und sah durch die wände und hätte durch sie hindurch springen können, aber ihre wohnung war eben mehr als ein zimmer. sie saß dort ohne zeit und ohne raum, und wenn sie sich wieder erhob, schien die sonne und sie hörte von den vollgestopften straßen herauf den screi der ersten amseln im frühling. dann nahm sie alle ihre kleider, warf sie in den mülleimer, zog einen mantel an, immer denselben, ein paar schuhe, immer dieselben, sonst nichts, sonst war sie nackt und schuldlos, und ging ins nächste kaufhaus, kleidete sich völlig neu ein, ganz neu, oft billig, oft teuer, je nach laune und finanzieller lage, dann zum friseur, es gab wunderbare farben für die haare, manchmal ließ sie auch schere oder lockenwickler in sich wüten, und dann war alles wieder so, wie sie es haben mußte. die eltern hatten sich an ihre haare nur ungern gewöhnt, sie wußten nichts von den geschehnissen in der wohnung, wußtens vielleicht schon, aber konntens nicht so recht sehen, was sollen denn eltern schon bei ihrem kind sehen. sie können nur das kind sehen. die eltern waren dazu da, der welt ihre kinder nicht zu nehmen, was wäre denn eine welt ohne alte kinder, was sollte denn werden, wenn einmal alle eltern zu ihren kindern sagen würden, du bist jetzt erwachsen, unser kind bist du ab heute nicht mehr. die eltern wunderten sich über ihre haare mehrmals, aber sie waren schon zufrieden, daß das kind die scheidung irgendwie überstanden hatte, alles andere war für sie nicht so wichtig, alles andere hatte in ihrem elterlichen dasein wenig platz. und deshalb war sie gern zuhause und konnte ihrer mutter einige geheimnisse aus dem privatleben erzählen und dem vater die geschichten der neuen welt. nichts war dann mehr übrig von den löchern in der erde, ihre wohnung hatte alles aufgeschluckt, die welt war wieder ein wunderbarer kindergarten mit allen gefahren und unerklärlichen begebenheiten aus alten zeiten geworden. sie liebte sich, ja sich und nur sich und alles an sich. erst dann wußte sie, daß sie auch anderen menschen was geben konnte, erst dann war sie jemand, der nicht bloß sich selbst zu lieben brauchte, erst dann wurde sie selbstlos und war fähig zu sprechen und zuzuhören. sie liebte sich um der anderen willen, sie mußte sich zu ende lieben um zu leben. es blieb keine zeit zu denken, keine zeit zu programmieren, die zukunft hing von ihrer liebe ab, von ihrem glück, von ihrem leid. erst dann würden wohnungen ausgetauscht werden können ohne fragen, ohne trauer, ohne vorwürfe.

warum hat mich niemand gelehrt mich zu lieben. immer mußte ich andere lieben, immer mußte ich jemanden oder etwas lieb haben, alles auf der welt mußte ich ständig lieb haben. für mich selbst hatte ich keine zeit, an mich selbst hatte ich im grunde nie gedacht. war ich unglücklich, hatte ich ein schlechtes gewissen, weil mir die hungernden kinder einfielen, war ich glücklich hatte ich ein schlechtes gewissen, weil mir die hungernden kinder einfielen. man hatte mir verboten mich zu lieben, ich hatte nur gelernt ein schlechtes gewissen zu haben und andere zu lieben. ich begann die hungernden kinder zu hassen und dann haßte ich mich noch gleich selber mit, weil niemand die hungernden kinder hassen konnte. alles alleine mußte ich machen, alles bis zum ende gehen, um wieder von vorne beginnen zu können, immer ganz unten, damit es wieder aufwärts geht. warum so viele anstrengungen, warum all diese kreisläufe. auch ich wollte einmal im lehnstuhl sitzen und mir am abend das tv-programm anschauen, auch ich wollte einmal nur zuhause sitzen mit kindern, mit meinen, mit anderen, auch ich wollte einmal ganz mutter sein, ganz frau für mann. ich möchte manchmal meine kinderträume retten, sie sind schon verloren. ich möchte noch einmal verliebt sein, kichernd vor dem traummann stehen, ich bin bald ein altes weib, viele säfte bleiben mir nicht mehr im leib. aber es ist etwas hinzugekommen, ich bin geworden, ich bin mensch geworden, lebe hier und kann mich in ruhe fallen lassen auf mich selbst, ich habe mehr gefunden als verloren, auf dem halben weg zum ende seh ich farben, die es vorher niemals gab, ich kann meine luft in alle winkel meines körpers pressen und sinfonien erklingen lassen, ich kann spielen und halbe herzen mit meinen tönen zusammenflicken, bin mir und vielen anderen eine einfache bank auf einer herbstwiese. der himmel ist tiefblau, in der ferne werden alte landschaften ganz klar und prägen sich mit sicheren linien in uns ein. der körper gehorcht mir, ich gehorche dem körper, wir sind nicht mehr getrennt, ich kann nicht mehr sagen, ob ich hirn oder herz oder kleine zehe bin. ich bin mir nicht mehr abkömmlich. und freue mich, wenn es mir gelingt schön zu sein. lieb sein und schön sein. jetzt endlich, jetzt gilt mein auge nur mir, der spiegel muß nicht mehr lügen, der spiegel ist mein vertrauter geworden, dem spiegel zeige ich alles, vor dem spiegel ziehe ich mich aus, ganz dicht gehe ich zu ihm, ganz nahe sieht er mich, ich sehe ihn und mich, wir spielen mit dem spiegelbild, er spielt mit mir, er kennt alle meine tabus, er weiß jede geschichte, weiß von jeder falte, von allen sehnsüchten, der spiegel ist mir eine wohnung geworden, manchmal steige ich hinein, verweile einige zeit in diesem kühlen glas, dreh mich nicht um und kann das endlose hinter dem spiegel sehen. hinter dem spiegel sind neue welten in mir entstanden, dort gibt es keine anderen spiegel mehr, dort leben menschen in wohnungen ohne wände und ohne böden, dort trifft sich alles, was wir verloren haben, alles was wir verlernt haben. nur töne und farben gibt es, die mich einsaugen, und ich gebe mich ihnen hin und kann aufwachen wie nach einem heißen bad in wundersamsten ölen. keinen krieg kann man mehr verstehen, keinen haß, aber auch nicht mehr die krankhaften lieben, die nagenden zweifel des besitzes, die berauschende trauer nach verlorenen schlachten. ich steige aus dem spiegel zurück, ich kann mir in die augen schauen, ich kann sagen, das bist du, und es ist dasselbe, als wenn ich sage, das bin ich. nach all den kleineren und größeren verlusten bin ich übriggeblieben, alleine und nackt. ich suche, wenn ich lust habe. und ich suche aus. die teilung der welt kann ich anderen überlassen, richtungen zu bestimmen hat keine bedeutung mehr, ich bin ins meer geflossen und warte auf meinen hai in ruhe und angst.

sie konnte nichts mehr aus der fassung bringen, sie war geboren, sie war gestorben, sie hatte getötet, sie hatte geliebt und abgetrieben. es war so wenig mehr in ihr von dem mädchen, das ihre eltern erzogen hatten, mit viel mühe und liebe erzogen hatten, mit großem aufwand, nichts war zu teuer gewesen, nichts zu kompliziert, nichts. das war nun aus ihr geworden, ein leidenschaftliches wesen ohne leidenschaft. sie stand jenseits von zeit und raum, sie konnte um sich blicken und die sekunden der weltgeschichte sehen, sie konnte tagelang gehen und immer nur ihr spiegelbild vor sich sehen. allen verfechtern von wahrheiten bot sie ihr lächeln an. mehr nicht. die energien waren nur auf sie selbst gerichtet, sie gehorchten niemandem sonst noch, es hatte eine lange weile gebraucht, bis alles, was von ihr ausging, was sie ausmachte, wieder dort zusammentraf, zurück zu ihr, zurück zum leben, das mitten in ihrem körper war. in ihrer leeren wohnung war sie tagelang am boden gesessen, nackt, innen und außen nackt, einfach sitzen und warten, den uhren die zeit zu nehmen, den zimmern ihre räume. es waren keine unterschiede mehr zwischen ihr und den anderen, nur mehr zwischen den anderen. sie war außer konkurrenz. während alle andere mühsam sich am wettlauf zum tod beteiligten, war sie schon tausendmal die kläglichsten tode gestorben, konnte einfach sein ohne mühe.

ich glaube an den allmächtigen der mächtigen, ich glaube an die unbefleckte jungfrau maria und glaube an den heiligen geist, an die weiße taube, die in die jungfrau hernieder und hineingekommen ist, ich glaube an die unfehlbarkeit des papstes, ich schenke den dienern des herrn meinen glauben und meinen leib, ich glaube an alles, was man mich zu glauben nötigt, ich glaube an die wunder der welt, der religionen und an die unzweifelbare wirksamkeit und barmherzigkeit ihrer würdenträger, ich werde in alle ewigkeit alles glauben, was von mir zu glauben verlangt wird, ich glaube an die reinheit der geistigen liebe, ich glaube an den schmutz des körpers, ja, ich habe gesündigt in gedanken, worten und werken, bin unrein geworden, unwürdig dein erbarmen zu empfangen, oh herr, oh frau, ich glaube an die männlichkeit gottes, glaube an die allmacht seiner samen, die er in unsäglicher güte über die sündige erde hin verstreut hat, ich glaube an die bosheit der ungetauften kinder, ich glaube an die besessenheit durch den teufel, ich glaube an das böse, herr bewahre mich vor dem satan, der in meinen leib fährt, der mein fleisch in die hölle zieht, der mich wegbringt von dir, ich glaube, ich glaube an meine unwürdigkeit, an die moralische verwerflichkeit meiner exkremente, ich glaube und flehe und leg mein leben in deine hände und in die hände deiner diener, ich gehöre dir und ihnen, ich glaube an ihren guten willen, ich glaube an ihre macht dank deiner unendlichen güte, ich flehe dich an, laß den teufel nie mehr in meinen leib fahren, bitte oh gott, laß mich nicht alleine, schick mir deine priester, deine diener, sie sollen mein fleisch bändigen, sie sollen den satan aus mir verbannen, schick mir oh herr deine geweihten kreuze und kerzen, schick mir oh herr die kraft deiner diener, schick sie mir schnell, sie müssen den kampf aufnehmen mit dem bösen, sie müssen deine kraft in mich schütten oh herr, ich glaube an deine liebe zu allen menschen, ich glaube an die erbsünde, ja ich habe die leibesfrucht in mir getötet, ich bin deiner strafen nicht mehr würdig, laß mich deine dornenkrone spüren, laß mich an deines sohnes statt die leiden der menschheit ertragen, aber laß mich spüren, daß du noch da bist, daß du mich nicht verlassen hast, du verläßt deine jünger nicht, nein herr, ich glaube an dich, ich spüre deine diener kommen, ich spüre ihre hände in mir, höre ihr gebete, rieche ihren atem, so werden sie den satan aus mir vetreiben, ich glaube an eure hände, ich glaube alles, ja zerfleischt meine gedärme, reißt alles aus mich heraus, zieht meine sünden durch den körper, ich bete und flehe zum allmächtigen, erhöre meine not, laß mich nicht alleine mit deinen dienern, nein herr, du darfst jetzt nicht von mir, ich spüre ihre kraft in mir, ich spüre den schmerz in mir, es sind deine diener nicht herr, nein, es sind die tausend teufel, die in mir arbeiten, herr hilf mir, oh herr, ich glaube, ja ich glaube an dich, an deinen sohn, an all deine wunder und gläubigen auf der erde, ich glaube an gott, den allmächtigen vater, schöpfers des himmels und der erde, ich glaube an die jungfrau maria und an die frucht deines leibes jesu, ich habe gesündigt in gedanken worten und werken, ich habe vater und mutter nie geehrt, ich habe gesündigt wider das sechste gebot, ich glaube an den heiligen geist, vater unser, der du bist im himmel, geheiligt sei dein name, hilf mir in der not, verstoße diese diener satans aus meinem leib, sie haben den samen des bösen in mir gelassen, ich trage die frucht der schande und des untergangs in mir, ich bin abgefallen in die tiefen des ewigen feuers, herr, reich mir deine hand, hilf mir und schenk mir deine liebe, diese einzige kraft in aller ewigkeit, nichts vor dir, nichts nach dir, herr schenk mir die ewige ruhe, ich werde in die lieder deiner heerscharen einstimmen, ich werde bis in alle zeiten dich loben und preisen, herr, liebe mich, ich bete an die heilige jungfrau maria, mutter des erlösers, heilige maria bitt für mich, schau herab auf deine arme sünderin und erhöre ihre not, sieh, was sie mit mir machen, ihre gewalt in den augen, warum, warum ausgerechnet mir, ich lege mein herz in deinen schoß, heilige jungfrau, heiliger vater unser, heiliger geist, der du unbefleckt bist, heiliger jesus, sohn deines vaters, all ihr heiligen, all ihr allmächtigen, ich glaube an die macht der stärkeren, ich glaube an die macht der männer, ich glaube an den lauf der welt, ich glaube an die erbschuld der ungetauften kinder auf der erde, alles glaube ich und alles kann ich nicht mehr glauben, ich glaube an himmel und hölle, an gott und teufel, ich glaube und glaube nicht, von jetzt und bis in alle ewigkeit.

kaum etwas war wichtiger als geld gewesen, geld haben oder nicht haben, das war ein zweck gewesen, eine ständige konfrontation mit dem leben, mit den menschen, mit sorgen und freuden, mit angst und glück. sie wollte nie in ihrem leben arm sein, hatte alpträume deswegen, sah sich ohne arbeit, ohne wohnung, ohne freunde irgendwo in einer gasse, in der kälte, frierend, hungernd. wohlstand war nicht wichtig gewesen, aber die vorstellung kein geld zu haben war eine belastung, die sie kaum ertragen konnte. sie hatte nie ernsthafte probleme gehabt, es waren wohlbehütete zeiten, ein paar mal hatten ihr die eltern was geschenkt, ein neues auto, die waschmaschine, ein abendkleid für den großen empfang, keine notsituationen, höchstens luxusnotsituationen, man braucht doch das, wir sind schließlich eine moderne gesellschaft, wir brauchen dies und jenes, die wirtschaft, der strom, die umwelt, der flug in den urlaub, der urlaub selbst. das mußte sie haben, das brauchte sie, daran zu denken, daß geld der grund sein könnte, darauf verzichten zu müssen, war unerträglich. sie war in den tollsten hotels gewesen und liebte es erzählen zu können, daß ihr luxus nichts bedeute, daß sie sich eigentlich in kleinen pensionen viel wohler fühle als in diesen prunkpalästen. eine zeit lang gab sie fast ihr ganzes geld für unterwäsche aus, für bhs, slips, strapse, mieder, unterröcke, strümpfe, sie kaufte dann nur das allerfeinste, benutzte jeden slip nur einen tag, manchmal nur einen halben, sie ekelte sich vor ihren spuren in der wäsche, sie kaufte sich ihre reinheit täglich im nobelsten wäschegeschäft, sie liebte das gefühl, verschwenderisch sein zu können, an nichts hängen zu müssen, es war ein teil freiheit, das angenehm kühle seidengefühl, seide auf seide. sie hatte es sich zur gewohnheit gemacht, vor dem großen spiegel zu stehen, in den reizvollsten kleidern, sich zu betrachten, sich auszuziehen, sich anzuziehen, sich umzuziehen, sie gefiel sich, lernte sich zu bewegen und zu berühren, im spiegel hatte sie sich erst richtig kennengelernt. manches mal ließ sie an ihrer unterwäsche die preisschilder hängen, rechnete sich aus, wie viel sie nun wert sei, sah sich als schaufensterpuppe, sie war die teuerste, sie war die schönste, sie war nur mehr material, sie war nur noch modestrumpf, sie war viel teueres geld. es war eine aufregende zeit gewesen, geld und schönheit, geld und freiheit, geld und erotik, sie hatte alles ausgekostet, hatte in sekt gebadet, hatte irdische paradiese gesehen. aber die faszination war von kurzer dauer, die möglichkeiten bald ausgeschöpft, das berauschende gefühl verlor sich wie die wellen am sandstrand, die zeit wollte nicht mehr weitergehen, lange löcher taten sich auf, von außen brach wieder der alltag ein, störte sie, verstörte sie, jemand wurde krank, jemand starb, das geld wurde lästig, die geldscheine zu gewissensbissen. sie mußte einkaufen gehen, kochen, mußte rechnen, es war, wie wenn die märchen aus der kinderzeit den schleier des unbekannten verlieren. geld war ein teil ihres lebens gewesen, ein schöner teil, nun begann es schmutzig zu werden, die vorstellung, daß so viele unbekannte hände einen schein bereits berührt hatten, erzeugte unbehagen, sie wusch sich sorgfältiger die hände, ließ immer öfter alles geld zu hause, ging durch die straßen und begann andere dinge zu sehen als auslagen und teuere restaurants. sie hatte so viel geld wie sie brauchte, sie brauchte so viel geld wie sie hatte. sie sparte keine devisen mehr, sie sparte zeit, sie wußte, daß sie nicht mehr lange zu leben hatte, vierzig, fünfzig jahre, länger würde es nicht mehr dauern, eine kurze zeit, sie hatte noch so viel vor. sie war frei geworden, sie war wieder abhängig, sie war endlich unabhängig. sie hatte keine träume und alle hoffnungen, saß in ihrer wohnung, saß oft tagelang, vergaß sich, vergaß das sitzen, saß da und wartete darauf, daß sie jemand oder etwas abholen würde, sie wußte, daß sie nur zu warten brauchte, die dinge bewegen sich von alleine, der mensch braucht nur zu sitzen und zu warten, es kommt alles ohne unser zutun, können weder angreifen noch verteidigen, jeder krieg hinterläßt diesselben spuren bei siegern und besiegten, mehr als viele tote bleibt nie übrig, sie wollte nicht, sie konnte nicht, blieb in ihren räumen bewegungslos. die grenzen ihrer haut begannen sich aufzulösen, ihre poren waren bald bis zu den rauhen wänden des zimmers gelangt, sie glitt durch den beton, sie floß nach außen, füllte die welt aus und spürte gleichzeitig, wie die welt in sie eindrang, wie die ganze welt in das zimmer drängte, in ihren körper, alles war in ihrem bauch gelandet und ihr bauch war das zentrum des universums. sitzen und warten. sie konnte nur im sitzen warten, konnte nicht stehen, nicht liegen, nur sitzen war möglich, sitzen war die einzige form der existenz, essen im sitzen, lieben im sitzen, atmen im sitzen, sie wollt nicht mehr aufstehen, sie mußte nicht mehr aufstehen, es war alles in ihrem becken, sitzen, keine muskeln, die sich mehr anstrengen mußten, nur das gleichgewicht halten, nur ausbalancieren, daß sie nicht zur seite kippte, doch daran war sie gewöhnt, sie konnte sitzen, während die ganze stadt in die irrwitzigsten bewegungen verfiel, während alles schlief und todmüde war. die zeit hatte aufgehört in ihr zu sein, sie saß und wartete, wenn nichts käme, würde der tod erscheinen, der tod war eine sicherheit, sie hatte die augen geschlossen, war in sich selbst verloren und stand dann auf, zog sich den alten mantel über, kein blick zurück, schloß die tür hinter sich nicht ab.