die frau.
mit wievielen schmerzen wurden die ersten erlebnisse ihrer
kindheit geboren. das, was wohlwollende eltern und verwandte in
den tagesplan ihres kleinen lebens zu schreiben wußten, war
nicht viel mehr als eine gefängnisordnung oder ein
verbotsschild am spielplatz. noble freiheit mit minimalbewegung.
die schule tat ein übriges, um ihre vorstellungen von der
welt soweit einzuschließen, daß es ihr eine zeit lang
ganz selbstverständlich schien, als erwachsene immer
glücklich zu leben. regeltage mit zwölf, verstecken,
sünde, beichten und lügen, das fremde verlangen in
heißen laken, spuren der lust in dem ängstlichen
herzen. das schöne leben wunderlicher reiner prinzessinnen
vor augen, schmachtende küsse erlesener königssöhne
im kissen des mädchenheimes, und die hand des gärtners
eines tages flüchtig auf der brust, die sich aufbäumte
und lange nicht mehr zu beruhigen war. es war eine
durchschnittlich glückliche kindheit gewesen. sie hatte
überwiegend positive erinnerungen daran. viel später
erst sagte man ihr, sie habe all die ängste, unsicherheiten,
sperren nur beiseite geschoben, sie müsse mehr an ihren
erinnerungen arbeiten, unbekannten erfahrungen eine
möglichkeit geben, sie müsse sich erst wieder selber
finden. zwischen all den bildern gab es den faden der
unsicherheit, des ruhigen weinens. der vater war ersatz für
alles, der vater hielt sich aus ihrem leben heraus, der vater
hatte nur einmal geschlagen, doch da fürs ganze leben, der
vater war die welt, das harte, das andere, der vater weinte nie,
der vater sprach wenig aber mit erfolg in der familie, der vater
holte seine mutter in das haus, gegen den widerstand seiner frau,
der vater setzte ihren freund direkt aus ihrem bett vor die
tür, der vater ging im urlaub zum ersten mal mit ihr in eine
disco, der vater kannte ohne vorwürfe einen frauenarzt, der
vater war stolz auf seine tochter und ließ sie das
spüren. die mutter war sie selbst, all das, was sie nie
werden wollte, heimatwelt, küchengeruch, eigenhändig
eingedrehte lockenwickler, monatsbinden, slipeinlagen, angst vor
dem verlassensein, nie versteckte und nie gezeigte begeisterung.
die mutter hatte mit ihrem bauch drei menschen in die welt
gesetzt, die mutter hat sich einmal in einen anderen mann verliebt
und jahrelang darunter gelitten, die mutter konnte aus nichts ein
ganzes sonntagsmenü machen, die mutter ließ ihre kinder
bei sich schlafen, wenn ein gewitter die dunklen nächte
zerschlug, wenn sich von den wänden des kinderzimmers dunkle
gestalten lösten, die mutter ging in die sprechstunde zu den
lehrern und fürchtete sich davor, die mutter klagte
täglich über vaters zigaretten und nie über seine
eskapaden. wie anstrengend dieses leben gewesen war, wie
langweilig und aufregend. der erste orgasmus mit neun, die hand
zwischen den beinen, ein mädchenspiel, so spannend wie die
erste zigarette in den büschen des stadtparks, keine
obszönität, kein schmutz, keine angst. später wurde
alles anders, als zum ersten mal ein mann auf ihr lag, sie beide
nicht wußten wie, nur wußten daß. elend war ihr
zumute gewesen, elend und verloren, wie sollte das weitergehen,
die erwachsenen konnten nicht all die nächte ihres lebens so
verbringen. dieses gefühl hielt lange, und je bewußter
sie es zu überwinden suchte, desto heftiger wurde das
dröhnen der eisenbahnen, das kratzen abgebrochener
fingernägel an alten klassentafeln, die kleinen krämpfe
in den unterschenkeln und zwischen ferse und großer zehe.
die angst, sich nicht beherrschen zu können, der körper
arbeitete ohne sie, ihre lust war autonom, und nachher machte die
seele talfahrten in die menschenwelt. lesen half, viele
buchstaben, bücher, die lange nicht aufhörten,
bücher, die bereit waren, sie aufzunehmen zwischen den
seiten, ihr unterkunft zu geben, bis sie irgendwann einschlafen
konnte. so war das mit der liebe am anfang. doch bald hatte sie
gelernt, mit sich und ihrem körper besser zu leben, bald
wußte sie wann ja und wann nein, bald konnte sie dem mann
deutlich zeigen, wie die spielregeln waren. befreiung und not,
essen und trinken, hunger und durst, abenteuer und
unterhaltungsprogramm. die paar tiefschläge waren zwar
schmerzhaft, doch konnte sie sich alleine wieder aufrichten,
alleine und ohne falsche skrupel. gleichgewicht finden zwischen
sich und der welt, zwischen arbeit und freizeit, zwischen freiheit
und fesseln, zwischen liebe und haß. sie wußte,
daß sie immer beides brauchte, daß nie etwas alleine
in ihrem leben stehen konnte, daß sie pole brauchte, die
sich abstießen und anzogen, sie zerrissen und wieder
zusammenfügten. das war ihr leben, die großen
illusionen haben kleineren hoffnungen platz gemacht, die
gewaltigen ängste alltäglichen unsicherheiten. sie
konnte leben mit ihrem leben. einiges schon hinter sich, aber noch
genügend vor sich, um sich am morgen zu freuen, meistens, um
glauben zu können, um genügend energien zu haben sich
wehren zu können. der kampf gegen die welt war nicht mehr
alles, sie hatte sich ihren platz erarbeitet, hatte die
schwächen der einsamen helden kennengelernt, wenn manch einer
neben ihr gelegen hatte und seine nöte auf ihre haut weinte,
verzweifelt, ohne hilfe und ohne glauben. sie hatte mitleid
manchmal, mehr aber nicht.
die männer werden noch an ihrer eigenen macht zerbrechen. sie
werden es nicht durchhalten, nicht ohne sklavenfrauen, ohne die
sicherheit, zu jeder zeit über ihre frauen ohne schranken zu
verfügen. lustspender, lustgeber, wohlwollende kavaliere, sie
haben ihre eigene rolle verloren und werden keine passende neue
finden, sie sind eingeklemmt in ihrer geschichte und ihren
fantasien und haben sich ein paradies erschaffen, ohne an sich
selbst zu denken. sie haben sich überschätzt, glauben es
aber noch nicht, wollen es nicht glauben, können es nicht
glauben. sie tun mir leid. der alte traum der männer ist
ausgeträumt. sie haben sich ihr grab schön
säuberlich und gründlich selber ausgehoben. wollten nach
den sternen greifen, haben zu hohe leitern gebaut, haben uns beim
bau benutzt, verbraucht, gedemütigt, und jetzt stehen sie da
ganz oben, jeder eine leiter für sich, da oben an der letzten
sprosse, merken daß alles viel zu kurz geraten ist, greifen
nach leeren wundergärten, trauen sich nicht mehr zurück,
haben schwindelanfälle, schauen angstvoll zu uns herab und
merken endlich, daß wir frauen es sind, die da ihre leitern
halten, die ihr leben halten. nur mehr die angst ist da, daß
wir einfach weggehen könnten, einfach loslassen und uns um
unsere eigenen träume kümmern. da hängen sie und
weinen oder schreien, aber ihr schicksal bleibt gleich, sie
würden alles geben, alles versprechen, alles ertragen. wir
brauchen nur unten bei den leitern zu stehen, etwas lässig,
etwas abwesend, etwas lieb. das genügt. und zeit brauchen
wir. aber wir haben eine ganze menschheitsgeschichte lang
gewartet, es wird auf ein paar jahrhunderte mehr oder weniger
nicht mehr ankommen.
ihr weg war ihr immer sehr logisch vorgekommen, es war ihr einzig
möglicher weg gewesen. das kleine zwischenspiel einer
zweijährigen ehe betrachtete sie noch immer als heilsam, in
dieser zeit hatte sie mehr gelernt und erlebt als in all den
diskussionsrunden, veranstaltungen, konzerten. aber sie
wußte auch, daß sie ohne diesen ganzen theoretischen
krimskrams nie den mut gehabt hätte, irgendwann einfach nein
zu sagen, sicher und mit wenig emotionen einfach nein. diese ehe
trug sie als ein liebes anhägsel mit sich herum, sie mochte
diese zeit, sie mochte auch noch den mann, aber sie hatte gelernt,
daß es da noch viel zu viel zwischen mann und frau gibt, was
nicht zusammenpaßt. diese armen tage des einfachen
glücks waren ein ruhiger polster in ihrem bauch, sie liebte
die erinnerung an seine festen arme, als sie für sich und
ihre zukunft nichts anderes sahen, als ihre liebe zueinander und
die freude an einem gemeinsamen leben mit kindern, mit freunden,
mit vielen menschen ohne grenzen und zäune.
der großvater nahm sie auf seine knie, hielt sie fest und
träumte von einer gerechten welt, von den eigenen hoffnungen
vergangener tage, von den sorgen um die zukunft dieses kindes, da
er sich selber und den anderen menschen nach all dem langen leben
nicht mehr so recht trauen wollte. und sie verstand zwar damals
nichts von seinen gedanken aber sie verstand so viel von seinen
augen und wußte, daß dieser großvater ihr einzig
möglicher großvater war und sie niemals im stich lassen
und ihr seine liebe in jedem augenblick bereitstellen würde.
seine liebe war ganz anders als jene der mutter, jene gewaltige
liebe, jene liebe aus regeln von nehmen und geben, jene liebe des
entzugs und des überflusses. großvater war einfach da,
bereit in jeder situation, für alles zu haben, ohne
ansprüche, ohne endabrechnung. bei ihm war sie nicht zu
hause, bei ihm war sie auf erholungsurlaub in dem allerfeinsten
märchenschloß. wie schön es war, auf ihm sitzen zu
dürfen, in den kleinen fingern einen zahnstocher mit etwas
watte am vorderen ende umwickelt, und damit aus den mächtigen
ohren das schmalz herauszuholen, sehr vorsichtig, sehr wachsam,
auf die große nase neben ihr achtend, die sich sofort
zusammenzog, sobald sie zu nahe ans trommelfell geriet. der
großvater war teddybär und himmelvater,
märchenriese und abenteurer in einem, er war ein anderes
leben, er war eine bessere welt. als er starb, hatte sie einem
jungen bereits den ersten zungenkuß gewährt,
wußte von der welt und von sich selbst schon viel mehr, als
sie ertragen konnte, und weinte tagelang. nur auf dem friedhof
während der trauerfeier blieb sie tapfer, biß sich ihre
lippen wund und spürte nichts von der hitze der sommersonne.
er wäre wohl traurig gewesen, hätte sie vor den anderen
leuten heftig und hemmunglos um ihn geweint, traurig wär er
gewesen und beschämt. als der sarg in das loch gesenkt wurde,
als einige handvoll trockener erde darauf geworfen waren,
verschwand ihre kindheit mit ihm im grab und sie ahnte, daß
sie nun bald erwachsen werden mußte. zwischen ihr und den
eltern entstand plötzlich ein großes loch, es war als
fehlten die stoßdämpfer, jede begegnung ein aufprall,
jedes gespräch ein streit. der großvater war ihr
märchenbuch gewesen, nun mußte sie sich ihre
geschichten selber schreiben. ihr zuhause war ein hotel geworden,
vater der direktor, mutter die leiterin. es war mit einem mal ein
verfallenes haus, ihr zimmer ein käfig, gerade noch gut genug
zum schlafen und dies nicht immer. neue sehnsüchte
entstanden, neue, bessere welten, abhauen, alleine leben, selbst
entscheiden, was es zum essen geben soll und wohin an den
wochenenden. was willst du einmal werden, willst du studieren,
wofür interessierst du dich denn eigentlich. was waren das
für fragen in diesem alter. leben wollte sie, leben und
erfahren und nicht enden wie diese eltern mit einbauküchen
und sonntagshobbys, sehen wollte sie die kleineren und
großen dinge in der welt und um sich, atmen können,
tief durchatmen, ohne sofort die frage zu hören, ist dir
nicht gut. sie wußte, daß sie noch warten mußte,
ein paar jahre noch mußte sie in diesem schäbigen hotel
einen teueren preis bezahlen, dann aber würde sie ihre alte
haut abwerfen können und wie ein schmetterling mit neuem
leben davonfliegen. sie wußte es und konnte es kaum
erwarten. damals schlief sie mit einigen männern, aus
protest, gegen die spielregeln. es machte ihr noch immer keinen
besonderen spaß, es war noch ein rest von ekel vorhanden,
wenn sie diese fremden säfte nachher aus sich fließen
spürte, aber es war ihr viel wichtiger die grenzen zu
sprengen, dem unbekannten auf die spur zu kommen, da war sex ein
gutes mittel dazu, und das spielen mit blicken und händen und
füßen und zungen war fast so schön wie das
kämmen von großvaters weißen haaren. neue
ängste mußten beherrscht werden, bin ich schön
genug, gefalle ich, paßt der rock zu den schuhen, bin ich
schwanger, neue fragen hatte sie, aber in der schule hatten alle
ähnliche probleme, weshalb sie sich irgendwie geborgen und
beruhigt fühlte. sie veränderte ihr zimmer, nahm alles
von den wänden, all sie glitzernden stars der kindheit, warf
plüschtiere und puppen zum entsetzen der mutter in den
mülleimer, malte den ganzen raum weiß, alles
weiß, wände weiß, decke weiß,
fußboden weiß, bett, schrank und schreibtisch
weiß. vater schrie, er dachte an die kosten für einen
neuen parkettboden, mutter sprach lange auf sie ein und dann
tagelang nicht mehr. ein weißes zimmer, ohne vorhänge,
ohne ablenkungen. sie zerlegte ihr bett, stellte die bretter in
die garage, schlief auf einer dünnen matratze am boden, sie
schleppte mit einer freundin den schrank in den dachboden,
reduzierte ihre kleidung auf ein minimum, alles weg, all der ganze
ballast, an jedem kleidungsstück ein fader familiengeruch, am
ende verschwand auch noch der schreibtisch. die spinnt, sagte der
vater, mutter war zerstört, das hotel drohte
auseinanderzufallen. aber was war das für eine gefahr, mehr
schutt als so, konnte auch ein erdbeben nicht mehr
verursachen.
ich fand keinen faden mehr zurück zu meinen eltern, sie waren
all das, was das gegenteil meiner träume und hoffnungen war.
sie waren still, ich liebte popmusik, sie waren ordentlich, ich
fühlte mich am wohlsten in einem zimmer, das nach schlaf roch
und nach rauch und liebe, die mutter legte dem vater immer saubere
wäsche in das bad, ich war in der disco oft gierig nach den
verschwitzten t-shirts. vater rauchte zigarren, ich gras. ich
haßte die luft in der wohnung, schon allein die vorstellung,
daß mutter während meiner abwesenheit heimlich mein
zimmer lüftete, machte mich rasend. sie lief durch die welt
wie ein heulendes elend, es war eigentlich nicht zum aushalten.
meine zeit raste dahin, ich hatte jeden tag angst, das halbe leben
zu versäumen, fühlte mich voll von energien und ohne
jede angst, nur die familie hing da wie ein hinckelstein an den
füßen. es war alles aufregend, einmal landeten wir zu
fünft in einem doppelbett, spielten, streichelten,
küßten und liebten uns zu tode, es schien keine grenzen
zu geben außerhalb des hotels. die schule war viel zu
blöd und wir viel zu schlau, als daß wir das als eine
last empfunden hätten, wir sahen in den gesichtern der lehrer
die angst oder den haß geschrieben, wir waren einfach zu
viele, wir waren sogar fleißig und prüften uns
nächtelang über alles mögliche aus, wir schliefen
während des unterrichts. dann wurde die mutter krank, ich
fand einen ersten fixen freund, die verhältnisse im hotel
begannen sich zu normalisieren, eine große restauration
wurde in angriff genommen.
wohnen war immer was wichtiges gewesen. ein stück raum regte
ihre fantasie an, sie stellte sich vor, was man alles daraus
machen könnte, freute sich an der tatsache, daß selbst
die abscheulichste architektur nichts vermochte, wenn sie sich
vornahm, einen raum anders zu gestalten, als irgenwelche
konventionen das vorzugeben schienen. sie begann, die leute um
sich nach den einrichtungen ihrer wohnungen zu beurteilen, merkte
bald, daß die meisten ohne jede kraft sich zwischen
irgendwelchen gekauften oder gemieteten mauern fallen
ließen, gefangen von ein paar modezeitschriften, vom
mangelnden geld für den großen luxus. ein paar
langweilige ledergarnituren waren das höchste der
gefühle. stereotürme und ein beliebiges auto der
mittelklasse. dafür wurde viel zeit und arbeit investiert.
das wurde gerechtfertigt und, wenn nötig, auch verteidigt.
seit ihrer scheidung sah sie die klein- und kleinstfamilien in
ihrer umgebung als reste einer hinfälligen welt. ihre
generation unterschied sich im wesentlichen nicht sonderlich von
der vorhergehenden. bewußtsein wurde in der schule
eingepaukt und war damit wertlos. doch fand sie ihre neue existenz
in anderen bereichen, in gruppen, in bewegungen, fand und verlor
sich, aber da gab es noch ziele, da waren noch hoffnungen
vorhanden, da waren auch träume einer besseren welt, die ganz
vernünftig klangen. wohnen war ihre eigentliche triebfeder
geworden. sie wohnte bei freunden, bei freundinnen, alleine, sie
reiste im sommer um die halbe welt, um andere wohnungen zu sehen
und zu erleben. sie wohnte und nahm alles auf was dazu
gehörte, essen und getränke und freundschaften. der
sexualität hatte sie einen riegel vorgeschoben, sicherungen,
weil sie erfahren hatte, daß es sich wohl ganz einfach unter
eine decke steigen ließ, aber wie schwer war es geworden,
danach wieder herauszukriechen. sie bewunderte zwar immer noch die
paar freundinnen, die es mit den männern nicht so ernst
nahmen, doch wußte sie für sich selber, daß sie
sich was vorlügen würde, wenn sie weiterhin das geile
weiblein spielen würde, das einem guten freund einen
nötigen fick niemals abschlagen würde. die männer
reagierten in der regel gar nicht sauer, verunsichert wie sie
waren in ihrer welt, vielleicht waren einige sogar ganz froh,
daß sie bei ihr nun einmal nicht unbedingt ihre
männlichkeit beweisen mußten und eine ruhige nacht
verbringen konnten. wie abenteuerlich andere wohnungen waren.
wieviel leben in all den kleinen kleinigkeiten steckte. der eine
verwendete kein rasierwasser, eine frau hatte stapelweise tampons
gelagert, als ob bald ein weltkrieg losbrechen würde, aus den
kühlschränken lies es sich lesen, wie aus griechischen
orakeln. zu beginn faszinierten sie hauptsächlich
einrichtungsgegenstände, alte sessel, neue betten, bunte
stoffe an den wänden, geschirr. bald hatte sie dafür ein
gutes auge, konnte nach dem ersten blick in das wohnzimmer
ziemlich genau vorhersagen, wie das schlafzimmer aussehen
würde, wußte, daß in wohnungen mit tischdecken
der kaffee fast immer mit zucker getrunken wurde, daß bei
alleinstehenden frauen die hygiene auf dem klo nichts zu
wünschen übrig ließ, und erkannte schon an der
eingangstür, ob man hier klassik oder jazz spielen
würde. sie liebte neue gerüche, jede wohnung roch
anders, hier waren oft die düfte ganzer familien
verschmolzen. wie schade, dachte sie manchmal, daß unsere
nasen so verkümmert sind, und wir freunde und feinde nicht
riechend unterscheiden können. wohnen war mehr als eine
freizeitbeschäftigung, wohnen war ihr kontakt mit der
außenwelt. sie hatte für sich selbst nur eine
unmöblierte einzimmerwohnung, einbauküche, matratze am
boden. sie war eigentlich nie zu hause, zwei dreimal im monat
wäschewaschen und ein bißchen saubermachen, einmal im
jahr die fenster putzen. das war alles. das war ihr ort der ruhe.
wenn sie hier war konnte sie die tür hinter sich
schließen und nur noch die nackten räume sehen.
stundenlang. das war ihre höhle, ihr mutterschoß, der
schaukelstuhl des großvaters. am boden sitzen und in die
leere schauen, bis die wände verschwanden, und sie ohne
mühe über die ganze stadt und in die welt blicken
konnte. sie konnte da sitzen und sah, daß es draußen
regnete, sah die tropfen an der durchsichtigen mauer herabrinnen,
fühlte die wärme der sonnenstrahlen. ihre wohnung war
sie selbst, und niemand war jemals bis hierher gedrungen, kein
telefon, keine adresse, keinen briefkasten.
erst wenn man kein zuhause mehr hat, ist man daheim angelangt.
wenn man überall zu jeder zeit wohnen kann, hat man freiheit,
kann man sich ohne fesseln bewegen. nichts schöneres, als
einen morgenmantel über taunasse frühjahrswiesen
ausbreiten, die verstopften straßen einer metropole entlang
gehen, auspuffgase einatmen, in schwefelquellen nach dem satan
suchen, die katze beim gebären unzähliger nachkommen
betrachten, alle kinder dieser welt gegen die armeen
anführen, messer herstellen, deren griff schärfer ist
als die schneide. ich weiß. doch bin ich immerhin auf den
weg dorthin, der weg ist wichtiger als das ziel, der weg ist
wichtig und wie wir darauf gehen. die richtung ist bedeutungslos.
da sind wir ewig lang, mit fernrohren ausgerüstet, verbissen
unseren zielen nachgelaufen. es hat lange gedauert, bis wir
gemerkt haben, daß wir ihnen nicht näherkommen,
daß sie sich in dem gleichen maße von uns entfernen,
wie wir uns zu ihnen hin bewegen. bleiben wo wir hingespült
werden, bleiben und wohnen. wenn ich dann wieder all das gemetzle
sehe, all die schweinehunde, und wie sie schamlos die welt
ruinieren, dann aber kann ich nicht still sein, es ist
stärker als ich, ich muß schreien, muß mich
wehren, es darf nicht sein, daß wir alles schweigend
einatmen. ob das das ende ist. wenn ich sicherer wäre, wenn
ich sagen könnte, das ist gut und jenes schlechter. aber es
eilt nicht. ich habe wohnen gelernt, bin endlich so alleine hier,
daß ich mir meine einsamkeit aussuchen kann bei anderen
menschen.
sie liebte sich. sie liebte ihren körper, sie liebte ihre
seele. sie liebte ihr wesen mit all den freuden und den schmerzen
einer gewaltigen und gewalttätigen liebe. sie liebte sich und
konnte sich dabei zusehen, konnte sich beobachten und liebte sich
auch noch als beobachterin. sie liebte ihre kleider. sie liebte
ihr fleisch, spürte gerne die hände an ihrem
körper. sie liebte ihre gedanken, ihre subversiven
hoffnungen, ihr mehrgeteiltes selbst. sie liebte alles von sich
und alles in sich. sie war auf dem besten wege, sich zu tode zu
lieben, wußte es und freute sich darüber. die liebe war
etwas für einen menschen alleine. das wußte sie seit
ihrer ehe. die leichten worte kommen uns zu schnell von den
lippen, es geht alles zu einfach, es sind schlecht getarnte
lügen und die menschen glauben sie gerne, weil es kleine
illusionen sind. ich liebe dich. wie leicht geht das. später
dann heißts, du fehlst mir. und das schien ihr schon
ehrlicher zu sein. weil man es allein nicht aushaltet. liebe zu
den anderen als notlösung. was ging sie die sünde an.
was sollte das sein, die sünde. sie hatte keine sünden,
sie liebte sich, wie sie nie jemand anderen hätte lieben
können, sie war ganz bei sich, ganz in sich, ohne scham nackt
vor sich. die eigene nacktheit war ihr eine wohnung geworden. sie
konnte sich endlich selbst in die welt lassen und dabei
bewegungslos warten, daß die welt in sie käme. zweifel
schüttelte sie ab wie frisch gefallene schneeflocken. sogar
das tat ihr wohl, das angenehme bewußtsein, etwas abwerfen
zu können, lasten einfach abzustellen und weiterzugehen, ohne
mühe und ohne sich umzudrehen. es gab keine verluste in ihr.
es gab nur verluste in ihr. ihr monatliches
überflüssiges blut rann dem tod entgegen, dem ende, ihr
körper fiel allmählich in falten, bereit, sich eines
tages zusammenzulegen und fein säuberlich zu staub zu werden,
ihr hirn durchlöcherte langsam die erinnerung. sie sah es und
sah sich selbst und war glücklich über ihr sehen und das
wissen von einem würdigen ende. zwischendurch brachen
gewitter auf sie nieder, und niemand war in sicht, der sie
hätte beschützen können. es waren die katastrofen
der sintflut und der apokalypse, es war der freie fall in die
angst, sie ging dann in ihre wohnung, zog sich aus, zog alles aus,
alle kleider, die haut, die seele, sie war dann nackt und
saß dort am boden und sah durch die wände und
hätte durch sie hindurch springen können, aber ihre
wohnung war eben mehr als ein zimmer. sie saß dort ohne zeit
und ohne raum, und wenn sie sich wieder erhob, schien die sonne
und sie hörte von den vollgestopften straßen herauf den
screi der ersten amseln im frühling. dann nahm sie alle ihre
kleider, warf sie in den mülleimer, zog einen mantel an,
immer denselben, ein paar schuhe, immer dieselben, sonst nichts,
sonst war sie nackt und schuldlos, und ging ins nächste
kaufhaus, kleidete sich völlig neu ein, ganz neu, oft billig,
oft teuer, je nach laune und finanzieller lage, dann zum friseur,
es gab wunderbare farben für die haare, manchmal ließ
sie auch schere oder lockenwickler in sich wüten, und dann
war alles wieder so, wie sie es haben mußte. die eltern
hatten sich an ihre haare nur ungern gewöhnt, sie
wußten nichts von den geschehnissen in der wohnung,
wußtens vielleicht schon, aber konntens nicht so recht
sehen, was sollen denn eltern schon bei ihrem kind sehen. sie
können nur das kind sehen. die eltern waren dazu da, der welt
ihre kinder nicht zu nehmen, was wäre denn eine welt ohne
alte kinder, was sollte denn werden, wenn einmal alle eltern zu
ihren kindern sagen würden, du bist jetzt erwachsen, unser
kind bist du ab heute nicht mehr. die eltern wunderten sich
über ihre haare mehrmals, aber sie waren schon zufrieden,
daß das kind die scheidung irgendwie überstanden hatte,
alles andere war für sie nicht so wichtig, alles andere hatte
in ihrem elterlichen dasein wenig platz. und deshalb war sie gern
zuhause und konnte ihrer mutter einige geheimnisse aus dem
privatleben erzählen und dem vater die geschichten der neuen
welt. nichts war dann mehr übrig von den löchern in der
erde, ihre wohnung hatte alles aufgeschluckt, die welt war wieder
ein wunderbarer kindergarten mit allen gefahren und
unerklärlichen begebenheiten aus alten zeiten geworden. sie
liebte sich, ja sich und nur sich und alles an sich. erst dann
wußte sie, daß sie auch anderen menschen was geben
konnte, erst dann war sie jemand, der nicht bloß sich selbst
zu lieben brauchte, erst dann wurde sie selbstlos und war
fähig zu sprechen und zuzuhören. sie liebte sich um der
anderen willen, sie mußte sich zu ende lieben um zu leben.
es blieb keine zeit zu denken, keine zeit zu programmieren, die
zukunft hing von ihrer liebe ab, von ihrem glück, von ihrem
leid. erst dann würden wohnungen ausgetauscht werden
können ohne fragen, ohne trauer, ohne vorwürfe.
warum hat mich niemand gelehrt mich zu lieben. immer mußte
ich andere lieben, immer mußte ich jemanden oder etwas lieb
haben, alles auf der welt mußte ich ständig lieb haben.
für mich selbst hatte ich keine zeit, an mich selbst hatte
ich im grunde nie gedacht. war ich unglücklich, hatte ich ein
schlechtes gewissen, weil mir die hungernden kinder einfielen, war
ich glücklich hatte ich ein schlechtes gewissen, weil mir die
hungernden kinder einfielen. man hatte mir verboten mich zu
lieben, ich hatte nur gelernt ein schlechtes gewissen zu haben und
andere zu lieben. ich begann die hungernden kinder zu hassen und
dann haßte ich mich noch gleich selber mit, weil niemand die
hungernden kinder hassen konnte. alles alleine mußte ich
machen, alles bis zum ende gehen, um wieder von vorne beginnen zu
können, immer ganz unten, damit es wieder aufwärts geht.
warum so viele anstrengungen, warum all diese kreisläufe.
auch ich wollte einmal im lehnstuhl sitzen und mir am abend das
tv-programm anschauen, auch ich wollte einmal nur zuhause sitzen
mit kindern, mit meinen, mit anderen, auch ich wollte einmal ganz
mutter sein, ganz frau für mann. ich möchte manchmal
meine kinderträume retten, sie sind schon verloren. ich
möchte noch einmal verliebt sein, kichernd vor dem traummann
stehen, ich bin bald ein altes weib, viele säfte bleiben mir
nicht mehr im leib. aber es ist etwas hinzugekommen, ich bin
geworden, ich bin mensch geworden, lebe hier und kann mich in ruhe
fallen lassen auf mich selbst, ich habe mehr gefunden als
verloren, auf dem halben weg zum ende seh ich farben, die es
vorher niemals gab, ich kann meine luft in alle winkel meines
körpers pressen und sinfonien erklingen lassen, ich kann
spielen und halbe herzen mit meinen tönen zusammenflicken,
bin mir und vielen anderen eine einfache bank auf einer
herbstwiese. der himmel ist tiefblau, in der ferne werden alte
landschaften ganz klar und prägen sich mit sicheren linien in
uns ein. der körper gehorcht mir, ich gehorche dem
körper, wir sind nicht mehr getrennt, ich kann nicht mehr
sagen, ob ich hirn oder herz oder kleine zehe bin. ich bin mir
nicht mehr abkömmlich. und freue mich, wenn es mir gelingt
schön zu sein. lieb sein und schön sein. jetzt endlich,
jetzt gilt mein auge nur mir, der spiegel muß nicht mehr
lügen, der spiegel ist mein vertrauter geworden, dem spiegel
zeige ich alles, vor dem spiegel ziehe ich mich aus, ganz dicht
gehe ich zu ihm, ganz nahe sieht er mich, ich sehe ihn und mich,
wir spielen mit dem spiegelbild, er spielt mit mir, er kennt alle
meine tabus, er weiß jede geschichte, weiß von jeder
falte, von allen sehnsüchten, der spiegel ist mir eine
wohnung geworden, manchmal steige ich hinein, verweile einige zeit
in diesem kühlen glas, dreh mich nicht um und kann das
endlose hinter dem spiegel sehen. hinter dem spiegel sind neue
welten in mir entstanden, dort gibt es keine anderen spiegel mehr,
dort leben menschen in wohnungen ohne wände und ohne
böden, dort trifft sich alles, was wir verloren haben, alles
was wir verlernt haben. nur töne und farben gibt es, die mich
einsaugen, und ich gebe mich ihnen hin und kann aufwachen wie nach
einem heißen bad in wundersamsten ölen. keinen krieg
kann man mehr verstehen, keinen haß, aber auch nicht mehr
die krankhaften lieben, die nagenden zweifel des besitzes, die
berauschende trauer nach verlorenen schlachten. ich steige aus dem
spiegel zurück, ich kann mir in die augen schauen, ich kann
sagen, das bist du, und es ist dasselbe, als wenn ich sage, das
bin ich. nach all den kleineren und größeren verlusten
bin ich übriggeblieben, alleine und nackt. ich suche, wenn
ich lust habe. und ich suche aus. die teilung der welt kann ich
anderen überlassen, richtungen zu bestimmen hat keine
bedeutung mehr, ich bin ins meer geflossen und warte auf meinen
hai in ruhe und angst.
sie konnte nichts mehr aus der fassung bringen, sie war geboren,
sie war gestorben, sie hatte getötet, sie hatte geliebt und
abgetrieben. es war so wenig mehr in ihr von dem mädchen, das
ihre eltern erzogen hatten, mit viel mühe und liebe erzogen
hatten, mit großem aufwand, nichts war zu teuer gewesen,
nichts zu kompliziert, nichts. das war nun aus ihr geworden, ein
leidenschaftliches wesen ohne leidenschaft. sie stand jenseits von
zeit und raum, sie konnte um sich blicken und die sekunden der
weltgeschichte sehen, sie konnte tagelang gehen und immer nur ihr
spiegelbild vor sich sehen. allen verfechtern von wahrheiten bot
sie ihr lächeln an. mehr nicht. die energien waren nur auf
sie selbst gerichtet, sie gehorchten niemandem sonst noch, es
hatte eine lange weile gebraucht, bis alles, was von ihr ausging,
was sie ausmachte, wieder dort zusammentraf, zurück zu ihr,
zurück zum leben, das mitten in ihrem körper war. in
ihrer leeren wohnung war sie tagelang am boden gesessen, nackt,
innen und außen nackt, einfach sitzen und warten, den uhren
die zeit zu nehmen, den zimmern ihre räume. es waren keine
unterschiede mehr zwischen ihr und den anderen, nur mehr zwischen
den anderen. sie war außer konkurrenz. während alle
andere mühsam sich am wettlauf zum tod beteiligten, war sie
schon tausendmal die kläglichsten tode gestorben, konnte
einfach sein ohne mühe.
ich glaube an den allmächtigen der mächtigen, ich glaube
an die unbefleckte jungfrau maria und glaube an den heiligen
geist, an die weiße taube, die in die jungfrau hernieder und
hineingekommen ist, ich glaube an die unfehlbarkeit des papstes,
ich schenke den dienern des herrn meinen glauben und meinen leib,
ich glaube an alles, was man mich zu glauben nötigt, ich
glaube an die wunder der welt, der religionen und an die
unzweifelbare wirksamkeit und barmherzigkeit ihrer
würdenträger, ich werde in alle ewigkeit alles glauben,
was von mir zu glauben verlangt wird, ich glaube an die reinheit
der geistigen liebe, ich glaube an den schmutz des körpers,
ja, ich habe gesündigt in gedanken, worten und werken, bin
unrein geworden, unwürdig dein erbarmen zu empfangen, oh
herr, oh frau, ich glaube an die männlichkeit gottes, glaube
an die allmacht seiner samen, die er in unsäglicher güte
über die sündige erde hin verstreut hat, ich glaube an
die bosheit der ungetauften kinder, ich glaube an die besessenheit
durch den teufel, ich glaube an das böse, herr bewahre mich
vor dem satan, der in meinen leib fährt, der mein fleisch in
die hölle zieht, der mich wegbringt von dir, ich glaube, ich
glaube an meine unwürdigkeit, an die moralische
verwerflichkeit meiner exkremente, ich glaube und flehe und leg
mein leben in deine hände und in die hände deiner
diener, ich gehöre dir und ihnen, ich glaube an ihren guten
willen, ich glaube an ihre macht dank deiner unendlichen
güte, ich flehe dich an, laß den teufel nie mehr in
meinen leib fahren, bitte oh gott, laß mich nicht alleine,
schick mir deine priester, deine diener, sie sollen mein fleisch
bändigen, sie sollen den satan aus mir verbannen, schick mir
oh herr deine geweihten kreuze und kerzen, schick mir oh herr die
kraft deiner diener, schick sie mir schnell, sie müssen den
kampf aufnehmen mit dem bösen, sie müssen deine kraft in
mich schütten oh herr, ich glaube an deine liebe zu allen
menschen, ich glaube an die erbsünde, ja ich habe die
leibesfrucht in mir getötet, ich bin deiner strafen nicht
mehr würdig, laß mich deine dornenkrone spüren,
laß mich an deines sohnes statt die leiden der menschheit
ertragen, aber laß mich spüren, daß du noch da
bist, daß du mich nicht verlassen hast, du
verläßt deine jünger nicht, nein herr, ich glaube
an dich, ich spüre deine diener kommen, ich spüre ihre
hände in mir, höre ihr gebete, rieche ihren atem, so
werden sie den satan aus mir vetreiben, ich glaube an eure
hände, ich glaube alles, ja zerfleischt meine gedärme,
reißt alles aus mich heraus, zieht meine sünden durch
den körper, ich bete und flehe zum allmächtigen,
erhöre meine not, laß mich nicht alleine mit deinen
dienern, nein herr, du darfst jetzt nicht von mir, ich spüre
ihre kraft in mir, ich spüre den schmerz in mir, es sind
deine diener nicht herr, nein, es sind die tausend teufel, die in
mir arbeiten, herr hilf mir, oh herr, ich glaube, ja ich glaube an
dich, an deinen sohn, an all deine wunder und gläubigen auf
der erde, ich glaube an gott, den allmächtigen vater,
schöpfers des himmels und der erde, ich glaube an die
jungfrau maria und an die frucht deines leibes jesu, ich habe
gesündigt in gedanken worten und werken, ich habe vater und
mutter nie geehrt, ich habe gesündigt wider das sechste
gebot, ich glaube an den heiligen geist, vater unser, der du bist
im himmel, geheiligt sei dein name, hilf mir in der not,
verstoße diese diener satans aus meinem leib, sie haben den
samen des bösen in mir gelassen, ich trage die frucht der
schande und des untergangs in mir, ich bin abgefallen in die
tiefen des ewigen feuers, herr, reich mir deine hand, hilf mir und
schenk mir deine liebe, diese einzige kraft in aller ewigkeit,
nichts vor dir, nichts nach dir, herr schenk mir die ewige ruhe,
ich werde in die lieder deiner heerscharen einstimmen, ich werde
bis in alle zeiten dich loben und preisen, herr, liebe mich, ich
bete an die heilige jungfrau maria, mutter des erlösers,
heilige maria bitt für mich, schau herab auf deine arme
sünderin und erhöre ihre not, sieh, was sie mit mir
machen, ihre gewalt in den augen, warum, warum ausgerechnet mir,
ich lege mein herz in deinen schoß, heilige jungfrau,
heiliger vater unser, heiliger geist, der du unbefleckt bist,
heiliger jesus, sohn deines vaters, all ihr heiligen, all ihr
allmächtigen, ich glaube an die macht der stärkeren, ich
glaube an die macht der männer, ich glaube an den lauf der
welt, ich glaube an die erbschuld der ungetauften kinder auf der
erde, alles glaube ich und alles kann ich nicht mehr glauben, ich
glaube an himmel und hölle, an gott und teufel, ich glaube
und glaube nicht, von jetzt und bis in alle ewigkeit.
kaum etwas war wichtiger als geld gewesen, geld haben oder nicht
haben, das war ein zweck gewesen, eine ständige konfrontation
mit dem leben, mit den menschen, mit sorgen und freuden, mit angst
und glück. sie wollte nie in ihrem leben arm sein, hatte
alpträume deswegen, sah sich ohne arbeit, ohne wohnung, ohne
freunde irgendwo in einer gasse, in der kälte, frierend,
hungernd. wohlstand war nicht wichtig gewesen, aber die
vorstellung kein geld zu haben war eine belastung, die sie kaum
ertragen konnte. sie hatte nie ernsthafte probleme gehabt, es
waren wohlbehütete zeiten, ein paar mal hatten ihr die eltern
was geschenkt, ein neues auto, die waschmaschine, ein abendkleid
für den großen empfang, keine notsituationen,
höchstens luxusnotsituationen, man braucht doch das, wir sind
schließlich eine moderne gesellschaft, wir brauchen dies und
jenes, die wirtschaft, der strom, die umwelt, der flug in den
urlaub, der urlaub selbst. das mußte sie haben, das brauchte
sie, daran zu denken, daß geld der grund sein könnte,
darauf verzichten zu müssen, war unerträglich. sie war
in den tollsten hotels gewesen und liebte es erzählen zu
können, daß ihr luxus nichts bedeute, daß sie
sich eigentlich in kleinen pensionen viel wohler fühle als in
diesen prunkpalästen. eine zeit lang gab sie fast ihr ganzes
geld für unterwäsche aus, für bhs, slips, strapse,
mieder, unterröcke, strümpfe, sie kaufte dann nur das
allerfeinste, benutzte jeden slip nur einen tag, manchmal nur
einen halben, sie ekelte sich vor ihren spuren in der wäsche,
sie kaufte sich ihre reinheit täglich im nobelsten
wäschegeschäft, sie liebte das gefühl,
verschwenderisch sein zu können, an nichts hängen zu
müssen, es war ein teil freiheit, das angenehm kühle
seidengefühl, seide auf seide. sie hatte es sich zur
gewohnheit gemacht, vor dem großen spiegel zu stehen, in den
reizvollsten kleidern, sich zu betrachten, sich auszuziehen, sich
anzuziehen, sich umzuziehen, sie gefiel sich, lernte sich zu
bewegen und zu berühren, im spiegel hatte sie sich erst
richtig kennengelernt. manches mal ließ sie an ihrer
unterwäsche die preisschilder hängen, rechnete sich aus,
wie viel sie nun wert sei, sah sich als schaufensterpuppe, sie war
die teuerste, sie war die schönste, sie war nur mehr
material, sie war nur noch modestrumpf, sie war viel teueres geld.
es war eine aufregende zeit gewesen, geld und schönheit, geld
und freiheit, geld und erotik, sie hatte alles ausgekostet, hatte
in sekt gebadet, hatte irdische paradiese gesehen. aber die
faszination war von kurzer dauer, die möglichkeiten bald
ausgeschöpft, das berauschende gefühl verlor sich wie
die wellen am sandstrand, die zeit wollte nicht mehr weitergehen,
lange löcher taten sich auf, von außen brach wieder der
alltag ein, störte sie, verstörte sie, jemand wurde
krank, jemand starb, das geld wurde lästig, die geldscheine
zu gewissensbissen. sie mußte einkaufen gehen, kochen,
mußte rechnen, es war, wie wenn die märchen aus der
kinderzeit den schleier des unbekannten verlieren. geld war ein
teil ihres lebens gewesen, ein schöner teil, nun begann es
schmutzig zu werden, die vorstellung, daß so viele
unbekannte hände einen schein bereits berührt hatten,
erzeugte unbehagen, sie wusch sich sorgfältiger die
hände, ließ immer öfter alles geld zu hause, ging
durch die straßen und begann andere dinge zu sehen als
auslagen und teuere restaurants. sie hatte so viel geld wie sie
brauchte, sie brauchte so viel geld wie sie hatte. sie sparte
keine devisen mehr, sie sparte zeit, sie wußte, daß
sie nicht mehr lange zu leben hatte, vierzig, fünfzig jahre,
länger würde es nicht mehr dauern, eine kurze zeit, sie
hatte noch so viel vor. sie war frei geworden, sie war wieder
abhängig, sie war endlich unabhängig. sie hatte keine
träume und alle hoffnungen, saß in ihrer wohnung,
saß oft tagelang, vergaß sich, vergaß das
sitzen, saß da und wartete darauf, daß sie jemand oder
etwas abholen würde, sie wußte, daß sie nur zu
warten brauchte, die dinge bewegen sich von alleine, der mensch
braucht nur zu sitzen und zu warten, es kommt alles ohne unser
zutun, können weder angreifen noch verteidigen, jeder krieg
hinterläßt diesselben spuren bei siegern und besiegten,
mehr als viele tote bleibt nie übrig, sie wollte nicht, sie
konnte nicht, blieb in ihren räumen bewegungslos. die grenzen
ihrer haut begannen sich aufzulösen, ihre poren waren bald
bis zu den rauhen wänden des zimmers gelangt, sie glitt durch
den beton, sie floß nach außen, füllte die welt
aus und spürte gleichzeitig, wie die welt in sie eindrang,
wie die ganze welt in das zimmer drängte, in ihren
körper, alles war in ihrem bauch gelandet und ihr bauch war
das zentrum des universums. sitzen und warten. sie konnte nur im
sitzen warten, konnte nicht stehen, nicht liegen, nur sitzen war
möglich, sitzen war die einzige form der existenz, essen im
sitzen, lieben im sitzen, atmen im sitzen, sie wollt nicht mehr
aufstehen, sie mußte nicht mehr aufstehen, es war alles in
ihrem becken, sitzen, keine muskeln, die sich mehr anstrengen
mußten, nur das gleichgewicht halten, nur ausbalancieren,
daß sie nicht zur seite kippte, doch daran war sie
gewöhnt, sie konnte sitzen, während die ganze stadt in
die irrwitzigsten bewegungen verfiel, während alles schlief
und todmüde war. die zeit hatte aufgehört in ihr zu
sein, sie saß und wartete, wenn nichts käme, würde
der tod erscheinen, der tod war eine sicherheit, sie hatte die
augen geschlossen, war in sich selbst verloren und stand dann auf,
zog sich den alten mantel über, kein blick zurück,
schloß die tür hinter sich nicht ab.