Armin Steigenberger RAW CUT fleck

zweiter teil

1 das licht der trauer

 

da war das licht. am anfang seiner gedanken: eine wolkenbank, die seinen kopf verwirrte. das licht, das an seinen gedanken zerrte. an seinem dreißigsten geburtstag hatte er sich das gesicht verbrannt. das leben war sonnentaumel, gewesen. so vieles lag nun schon hinter ihm. seine mutter hatte kalte hände gehabt. hände, die ihn nicht bewahrt hatten. auch emmys hände hatten fleck niemals bewahrt, vor dem verlust. der sonnenbrand kam in der nacht. die ohren glühten. die gesichtshaut spannte und mehrmals kühlte er mit klarem wasser die knallheiße haut.

von seinem vater war noch das alte röhrenradio da. ein brauner kasten aus geschwungenem kirschholz, die kanten abgerundet. es hatte einen beigen gemusterten stoffbezug vor der beschallung und wuchtige drehknöpfe aus gelblichweißem plastik. es besaß große tasten und eine goldene senderanzeige auf glas. auf dieser konnte fleck schon als kind lesen: Luxembourg und Bruxelles. gern hatte vater abend für abend aus diesem radio der musik gelauscht. am liebsten: klavierkonzerten. flecks vater wollte nie ein neuwertiges gerät anschaffen.

schon als kleinkind, konnte fleck sich erinnern, habe er den schmerz seiner mutter gespürt: er sah franzi als kleines mädchen im rosa kleidchen (ein trauriges kind), das vor den großen turbulenzen der welt schutz suchte, aber ihn nirgends fand.

fleck erinnerte sich an einen nachmittag, als ihn seine mutter zum einkaufen mitgenommen hatte, zum kleinen kaufladen vorne an der straße. sie hatte ein paar lebensmittel zu kaufen und damit einen korb gefüllt. es war ein schöner, runder, voller tag: nur er und seine mutter in der wärmenden sonne. seine schwestern waren nicht da gewesen. er hatte viel zeit mit seiner mutter. eine freundin war sie ihm gewesen. munter sprang fleck den bordstein hinab, und fühlte plötzlich, wie grausam die welt war – zu seiner mutter.

auf dem rückweg hüpfte das wabbelige plastiksäckchen aus dem korb heraus, auf die straße hinab – ein weißer platsch! erst musste fleck laut lachen über dieses laute platschen! als ob die milch noch ein letztes patziges wort von sich gegeben hätte: ein protest der dahinscheidenden.

die milch rann in weißlichem fließen über den sommerheißen asfalt.

fleck hatte laut gelacht, weshalb ihn der blick seiner mutter böse traf: er solle nicht so blöd lachen. fleck verstummte. da sah er tränen in den augen seiner mutter. ein entschuldigendes verstecktes aufblitzen der weltschwere in zwei kleinen tröpfchen. sie blickte weg. ging neben ihm her, nach hause. sprach kein wort. keine silbe. er fühlte, wie schwer ihr alles war. wie traurig sie war.

 

dejamé,

que yo no tengo la culpa de verte caer

si yo no tengo la culpa de ver que …

 

da ging der tag in rück-, vor- und sonnenblenden. licht überspiegelte, plusterte sich wie ein glitzerndes segel über alles hin. lichtkaskaden versengten die augen. lichtkuben schoben sich aus den wolken, ein wahrer blizzard aus schneeweiß tanzenden edelweißblüten toste unentwegt, bis dunkle flecken auf der netzhaut grieselten, bis alles dämmerte, eintrübte, verging – der morgen, der abend, die nacht;

sonnenbekleckste tage in spanien: nur noch hauch einer erinnerung; welkes schattenspiel; die tage begannen, in einer enormen drehung um sich selbst zu kreisen, und drückten fleck in zentrifugaler kraft auf die seite, an die wand;

flecks kopf war ausgehöhlt: ein leeres buch ohne schrift. mondwarm glitzerte die nacht. fleck starrte stundenlang reglos in den spiegel. seine züge verschwammen zu konturen, die sich auflösten. rohes material, verblassend und faltig, gealtertertes gallert.

fleck dachte, bald würde jede nervenbahn gefühllos sein.

die welt hatte eine delle gekommen. sie eierte an der stelle, wo sie eingedrückt war. die welt war an den polen abgeplattet. gib mir einen platz, wo ich stehen kann, und ich werde die welt aus den angeln heben, hatte einst jemand gesagt, wusste fleck: meine welt dreht sich nun in immer engeren kreisen um mein ende.

regen, der aus den halb offenen luken des firmaments herabstürzte wie durch klaffende scharten. regentropfen in seinem kopf: wo, dachte fleck, sind diese regentropfen? ein bild, das ein oben und ein unten hat. wo befindet sich dieses bild? wo ist <oben> und <unten> wirklich? gäbe es ein messgerät, die größe dieses bildes in seinem kopf zu messen? eine apparatur, die das bild aus seinem kopf herauszerren konnte? wo überhaupt war das bild und wo der betrachter? war da in seinem kopf eine kleine leinwand und ein projektor? was war denn nun wirklichkeit?

spöttisch glitzerten seine zähne.

wirklichkeit existiert nur in den köpfen der menschen, aber nicht <in wirklichkeit>; denn – wo sollte sich die wirklichkeit aufhalten?

fleck scheuchte diesen gedanken mit einer handbewegung fort. der boden war voller regen. ein grauer, dreckiger film, der so heftig über alles hinweg strömte, dass er erde und dreck und klumpen ausriss. ein regen brach los, wie er ihn bisher nicht erlebt hatte. der heftige sturzbach überschüttete ihn, überschwemmte ihn förmlich. fleck sprang die paar meter unter das kleine vordach eines kircheneingangs zurück, um nicht der ganzen gewalt des wolkenbruchs ausgesetzt zu sein. ein mann stand mit ihm, ein gottesfürchtiger junger mann, der innehielt und mit ihm den platz unter dem schmalen dach teilen mochte. fleck blickte diesen fremden an, der in ungewohnter nähe neben ihm verweilte, die hände in die anzugtaschen vergraben, herzlich zu ihm her lächelnd, mit einem feinen zwinkern. als wäre dieses herabbrechen ein tragischer moment, oder sogar eine katastrofe, die sie nun gemeinsam durchstehen müssten; eine katastrofe von kurzer dauer. die luft kühlte ab.

der himmel blieb hell, obwohl das wasser mit wucht herabfiel. es spritzte ihnen beiden mit gleichförmigem prasseln die füße nass und rauschte bereits um bordsteinkanten herum. der mann, ein junger spanier, zog eine schachtel heraus, um hier, auf dem treppenabsatz der kirche, eine zigarette zu rauchen. er suchte nach seinem feuer. einen moment lang erwägte fleck, ob denn die gottesfürchtigkeit des jungen mannes nicht doch nur einbildung sei. das dunkle, schöne gesicht des jungen mannes! durch die schüttenden tropfen hindurch sah fleck immer ein wenig das helle klaffen der sonne. sah hinter eintrübenden wasserschwaden das geheime blinzeln des guten.

<fuego>, verstand fleck. und schüttelte den kopf. dass er für den mann kein feuer habe, sei ebenfalls eine gewisse tragik, dachte fleck. unbeholfen gestikulierte fleck. der mann hatte humor und grinste plötzlich mit einem breiten strahlen, das ihn so sehr erwärmte. was war aller regen gegen dieses herrliche strahlen?

der mann redete in sehr schnellem spanisch. ob denn, verstand fleck, der regen oder die kirche ein grund seien, auf eine zigarette zu verzichten? deutete fleck aus den gesten. der mann lachte und schüttelte den kopf. gestikulierte mit der zigarette. feuer habe er nicht.

fleck bedeutete dem dunkelhaarigen mann, dass er <no fuego> habe. na ja, pech. aber auch egal, dass man ab und zu so viel pech habe. verstand fleck. sie lachten beide.

<teatro>, sagte der mann jetzt. fleck verstand nicht, was er damit meinen könnte. der mann gestikulierte, lachte, sprach überdeutlich. fleck verstand nicht. er hatte ein talent für theatralisches, dachte fleck. war denn dieser mann ein schauspieler? der gottesfürchtigkeit nur spielte?

sonne spielte um die stirne des mannes. der regen wurde etwas weniger. der mann hielt eine handfläche ins freie, um die stärke des gusses zu spüren. tropfen perlten auf seiner haut. in der anderen rollte der mann die zigarette. er redete wieder spanisch. fleck verstand allmählich, dass der mann es eigentlich eilig habe, weil seine frau vor dem theater auf ihn wartete. aber sie bemerke ja auch, dass es regnete, sagte er mit breitem grinsen. seine uhr blinkte im hellen licht.

ob fleck denn ein tourist sei? und wie ihm spanien gefiele? engländer? nein. o, aleman! si, señor. wieder ein reizendes lachen. dann ein griff in die hosentasche, gedankenlos, im wunsch, die zigarette zu erleuchten. er hatte kurz vergessen, beim plausch, dass ja kein feuer da war. wieder ein herzliches lachen. dann streckte er prüfend noch einmal die hand nach vorne. jetzt geht es schon, verstand fleck. die sonne lugte indessen unverdrossen durch die verknitterte wolkenwand, die jetzt einen dunklen farbton bekommen hatte. also gehen wir. ich hab’s eilig ... vamonos, amigo! ein stück ging fleck mit. ein paar brocken verstand er, ein paar brocken redete er von seiner reise durch das südliche spanien.

eine schöne zeit noch. si, señor. salud!

oft sah er menschen.

wie man sich wohl fühlte, wenn das auto ausbricht? man den lenker nicht mehr herumreißen kann? kurz tauchte ein bild vor ihm auf: ein amerikanischer wagen, vollkommen verbeult. lackschäden. blut. ein cabrio. zwei tote. einer davon james dean.

ob es wirklich stimmt, dass die götter den lieben, den sie zu früh zu sich nehmen? in aller heldenhaftigkeit? was waren schon helden, dachte er und blickte in einen anflug von rotem licht hinein.

und wer denn diese götter überhaupt seien, rumorte es in fleck.

2 bärentatzen

 

franzi besaß einen seismografen für die zustände der welt. dazu die angst, die wie ein brand an ihr fraß: eine flackernde glut in ihrem inneren, die sie aufzehrte. die immerwährende trauer.

franzi hatte die zerbrechlichkeit der welt gespürt. sie wusste für sich, dass das leben eine rasante reise war, die schnell zuende ging – nicht nur gehen konnte.

jedes rouge war aufgetupft. mit kleinem rosa schminkkissen. wie schnell einen die vergänglichkeit doch einholt.

franzi wollte sich gegen die gewalt der welt spreizen, doch sie war zu schwach.

auch ihr lachen war oft nur aufgetupft, töne blass in die luft aquarelliert, – töne, die schnell abfärbten, schwächer wurden, verblichen ...

himmel, in denen cembalos weben. die weisheit eines kindes. das geräusch eines schläfrigen bären. schon hört franzi seine leichten schritte von fern. die nacht zieht sich ihr gewand über die ohren. honigsüß das gebrumm des bären, petzi, der beschützt. der bär brummt, zart brummt der bär. und lacht. und gar im schlaf noch murmelt er mit glöckchensüßer stimme. nur das süße gesumm des bären. seine einschläfernden worte rieseln herab inmitten von flocken sanft sich senkenden stanniolschnees, begleitet von leisem husten, von holpern, von silvesterböllern, in welches sich fein die sterne als muster legen. petzi schläft mit scheinwerferaugen. auch sterne müssen schlafen. die tatze, die große tatze des bären, kommt näher und wirft einen langen schwarzen schatten. schlaf, petzi! dann tappt bärchens tatze nach franzi. geh, petzi, lass mich doch schlafen. es klopft, es rumpelt, jetzt eine sirrende schlange, die sich mit langem schlangensingen durch alles hindurchheult. sie brennt in den ohren, diese singschlange. petzi, wach auf, komm petzi, alarm.

die mutter holte die kleine, kam mit kerze ins zimmer, und wie grell dieses gelbe licht doch in die augen stach!

‚los schnell, steh’ auf, franzi, komm schon.’

‚ich nehm’ petzi mit’

‚ja, aber beeil’ dich jetzt’

‚schnell in den keller’

dann polternde tritte treppabwärts. lautes mannsbrüllen. entfernt das rumpeln. eine schwere metalltür fiel unsanft ins schloss. das warten. wie oft hatte sie es fleck erzählt. wie sie dort unten gottserbärmlich gefroren hatte. erdrückende stille war dort gewesen, ein warteraum, auf das ungewisse; auf den tod.

die angst, wenn von der decke der putz in kleinen platten auf ihre schürze herabplatzte.

franzi war zu schwach, um gegen das, was aus den himmeln herunter fiel, vor dem die menschen in ihren dunklen verstecken zitterten, ihre kleinen hände aufzuheben; zu schwach, um die trauer und verzweiflung von den augen der menschen zu nehmen und die schweren furchen in ihren gesichtern zu glätten.

ihre hände hatten keine wärme für fleck. trotzdem schirmten sie; dünn und zerbrechlich, ein wenig blass, mit zittriger kraft. nichts mehr würde so sein wie es war, wenn die wände der wohnung niedergefallen sind, dachte franzi.

3 sterben ist doof

 

manche himmel waren schnell und behände, andere ließen sich länger zeit.

im dachgestühl, damals in der stadtwohnung, hingen ganze flächen grauer spinnweben an decke und wand, zentimeterdick lag der staub. mitten im raum ein paar stapel bretter. auf einem dieser bretter sah fleck etwas liegen. es war eine schlafende katze. und wie sauber sie war.

ja, sie schlief. sie war süß eingeschlafen. so schön ruhig, wie sie da lag, alle viere ausgestreckt. als er genau hinsah, bemerkte fleck, dass sie ein wenig abgezehrt war. eine schwarze katze mit geschlossenen augen. noch jung war sie, dachte fleck. fast hätte er sie streicheln mögen.

da gab es einen tag am strand von la maceta. ein kleines schmutziges tier mit räudigem fell war umhergetollt, das nach etwas essbarem suchte. es zerrte an schnurfetzen, biss in plastikfetzen, scharrte mit flinken tatzen im sand. fleck lag gerade in der sonne und spielte schach gegen sich selbst. es gab partien, bei denen er der meinung war, dass selbst der schachmeister hier nicht den besten zug getan hatte: beispielsweise eine opferkombination, aus der es scheinbar kein entrinnen gab. doch fleck wollte sie finden.

er hatte das weißbraune tier schon bemerkt und immer wieder mit einer handbewegung weggescheucht, eigentlich, weil es unangenehm roch. dennoch suchte es seine nähe. fleck mochte keine hunde. zumal keine verwilderten. als fleck lautstark wurde, ging der rüde auf abstand. er roch abscheulich. nach ein paar minuten hatte sich das tier wieder näher herangewagt und legte sich nun in gebührlichem abstand neben fleck, sich das fell leckend. ab und zu blickte es ihn an, indem es den kopf hin und her wog, ein wenig knurrte und sich dabei fortwährend mit dem linken hinterbein am ohr kratzte.

mit einem mal sprang das fellknäuel auf, hüpfte und scharwenzelte hin und her. dann scharrte es mit seinen pfoten wie wild im sand, jaulte seltsam, steckte seine schnauze hinein, bis ein großer krebs herausschnellte, der sich sogleich auf die hinterbeine aufstellte und blitzschnell zum meer hinunter raste. doch der hund schnitt ihm den weg ab. fleck blickte vom schachbrett auf. der krebs kam ganz in seine nähe. und wie dieser balancieren konnte! die winzigen augen des tieres (kleine schielende punkte) fixierten in todesangst den rüden: der sprang kläffend um ihn herum, ließ den krebs nicht zum wasser gelangen, hechelte, hieb mit seiner tatze nach dem schalentier, fürchtete aber dessen scharfen scheren; genoss gleichwohl seine überlegenheit.

der krebs behielt das gleichgewicht, tanzte mit einer fast maschinell anmutenden eleganz auf den spitzen seiner dünnen stachelbeine, die scheren in die luft gereckt, und bewegte die schneiden. wenn der kläffer zu nahe kam, langte er mit der schere zu. wie aufs äußerste angespannte wesen lugten die augen des meerestiers, beharrlich und wachsam, aus der panzerung hervor.

mit frappierender wendigkeit trippelte der krebs im halbkreis, versuchte dabei immer, den rücken zum wasser frei zu haben. ein paar mal versuchte er, in eine seitliche stellung zu gelangen, um nach hinten davonlaufen zu können. der rüde traute sich nicht richtig heran. mehr spielerisch als angriffslustig hieb er mit der tatze immer wieder auf den krebs ein und bellte, wahrte jedoch immer genug abstand. das krustentier ließ den feind partout nicht herankommen.

niemals vorher hatte fleck so einen kampf gesehen. er hatte krebse für träge kriechtiere gehalten. dabei war dieser ein virtuoser tänzer mit blitzschneller reaktion: ein stepper, der den sidestep beherrschte wie kein anderer.

der hund verlor allmählich die lust. sicher war dieser kampf auch für ihn neuartig. und vielleicht spürte er fleck an seiner seite? dabei hielt der zum krebs.

der hund zog sich zurück. eine kurze weile lag der krebs wie tot auf dem nassen sand. dann ließ er sich von einer welle überspülen. als die welle wieder zurückwich, war der krebs verschwunden.

fleck mochte es nicht, wenn jemand um seine freundschaft buhlte. schon gar nicht, wenn es ein hund tat, mit einem dummen imponiergehabe gegenüber einem schwächeren. dagegen die freundschaft zu einem krebs: das wäre etwas neuartiges gewesen.

es gab eine partie des schachmeisters u...

seit jahren grübelte fleck, ob die bewegung des turmes in einer prekären situation wirklich den erfolg gebracht habe, den sich der meister davon versprochen hatte. es war ein guter zug, ein mächtiger und durchdachter zug, aber auch er wandte den untergang nicht ab.

nie hatte fleck eine entspanntere haltung gesehen als bei der katze. es war eine noch sehr junge katze mit glänzendem fell. sie hatte, um davonzugehen, eine ganz bequeme seitenlage gewählt. so würde auch er einmal sterben wollen, dachte fleck.

die sonne hatte lange geschienen, doch nun begann es merklich abzukühlen.

4 sonnenspiele

 

da war der dolch;

und die sonne darin wie ein gelber kobold, der das auge kitzelte; es gab den hellen schimmer im auge der anderen, der ihn reizte. ein gewisses flirren und ein schnelles wegblicken, wenn im grunde der hass schon brannte; ätzender schaum, am rande seines gesichtskreises, da, wo der schreckliche punkt war – wie fleck ihn nannte.

<deine blicke können wände durchschlagen!> hatten ihm schon welche gesagt.

im stahlgrau seiner augen spiegelte sich unüberwindlichkeit. die klarheit des fest entschlossenen; endgültig und ohne hoffnung. formlose schemen. lichtspiele im eis.

es war der dolch in seinen gedanken. er besaß eine scharfe oberkante, eine scharfe unterkante, zwei seitenkanten; nach vorne liefen alle vier kanten in eine feine spitze aus.

in flecks vorstellung gab es eine menge spitzer dinge, die er in gedanken gegen etwas richtete; seine gedanken selbst waren solche spitzen, seine pupillen wurden zur mündung, durch die geschosse austraten. sie zielten genau.

auf der zunge lag ihm der schatten einer taube. und was ihm alles auf der zunge lag! sein fuß hatte etwas gehetztes und doch federleichtes, er huschte, wenn er lief und trotzdem war sein gang fest und bestimmt. sein blick durchdrang, ging den dingen auf den grund und blickte noch hinter die gründe. in ihm gab es einen dolch, länger als ein gewöhnlicher dolch.

sein dolch könne ihnen noch lehren, was eine scharfe klinge sei, dachte fleck.

fleck wandte die augen ab. warf den blick zu boden, um zu schützen. es tat auf dauer weh, nicht sehen zu dürfen, nicht hinblicken zu dürfen, wo er doch so genau sah.

seine blicke verdichteten sich zu einem einzigen spitzen metall, das senkrecht in ihm stakte: eine doppelklinge, zweischneidig, die alles zerschnitt, was sie anblickte. oft schnitt diese klinge geometrische formen aus allem heraus, was ihn umgab. er wollte niemandem weh tun, und richtete: den dolch in der achse seines blicks gegen sich selbst.

in der antike hatte man feinde des regimes in die wüste gefahren; sie leicht bekleidet dort abgestellt. man gab ihnen einen dolch: entweder verdursten oder hand an sich legen. was hätte fleck getan, um die spiegelung der sonne im metall auszuhalten? fleck hätte das spiel der wolken betrachtet und gewartet.

der frühling kam und brachte seine eigenen muster, farben, sonnen. selbst die motoren der autos klangen heller und freudiger.

als kind hatte er aufgeschrien, und konnte doch nicht genau sagen, was er denn da gesehen habe. ein auge? einen runden zwerg? etwas großes hässliches? vor schreck hatte er sich dabei ein ganzes stück fleisch aus der backe gebissen. aber der schmerz bewirkte, dass die angst wegging. diese narbe heilte im mund nur langsam zu, war eine böse scharte, die er lange mit sich herumtrug. sie wirkte riesengroß in seinem mund. fleck traute der sonne nicht. auch hinter ihr war das dunkelste. sie selbst war nur eine illusion des lichtes, eine posse aus gas, die irgendwann verpuffen würde –

als kind, wenn er nicht schlafen konnte, drückte fleck an seinem auge herum, drückte die augäpfel hin und her; er sah lichttupfer unterschiedlichster farbe, die sich aus eindrücken auf der netzhaut bildeten; farbflächen, bewegte formen, geometrien; wenn es dunkel war, sah er daneben bilder, ganze filme, die sich in mehreren schichten übereinander legten. die eindrücke und seine vorstellungen vermischten ineinander. er liebte das. fleck drückte an seinem auge und steigerte so die flut der bilder.

er war noch klein und einmal plötzlich arg erschrocken, als er etwas riesiges großes gesehen hatte: ein blaues böses auge, das aus der dunkelheit herauslurte. im grunde wusste er, dass es etwas furchtbares gab, hinter den dingen. es war nur maskerade, in die sich die dinge einkleideten. was blieb, wenn man ihnen die masken herunterriss? wie viel blieb übrig, wenn man der welt ihre eitlen kostümierungen auszog?

da waren ihm seine sammlungen recht; seine käfer, getrockneten blüten, stillen blätter; überhaupt die stille war ihm das einzig echte. stille ist wahrhaftigkeit, dachte fleck. sie braucht keine zuschauer.

seine dinge hatten ein herz, in denen das leben pulsierte.

bis zu dem punkt, wo das grausen kam: ein helles auge, dahinter noch viel größer ein grün sich hervorschiebendes antlitz, das wie sengendes fosforlicht aus dem dunkelsten herausstierte und ihn gewaltsam betrachtete. größer als alles, was er je gesehen hatte.

5 auf der kippe

 

wer je eine solche treppe hinab gestiegen ist, immer hinab, eine steile endlose treppe, der weiß, was angst ist. noch dazu, wenn es kein zurück gibt. oben: da ist nichts. die nacht vielleicht. eine tür, die, wenn es sie gibt, geschlossen ist. sie ist ohne frage geschlossen. du kannst nicht wieder hinauf.

hinab gehst du also die verschachtelungen (des schattens), in eine kalte schräge; unten: da ist nichts. die nacht vielleicht. ein fühlloses nichts, das dich angrient wie kältester stahl; hoffnungslos. dunkelgrauer und immer gleicher stein.

wenn du wenigstens gut sehen könntest. aber es ist dunkel.

eine treppe, die dir vorspiegelt, es würde bald ein ende im abwärtssteigen geben. denn schließlich verbindet eine treppe ein oben und ein unten miteinander. es ist leichter, hinunter zu gehen als hinauf. dabei ist es ohnehin gleich, in welche richtung du gehst. das hinauf würde dich umbringen. das hinunter ebenso.

bald wünschst du dir, dass doch etwas käme, was dich erlösen würde vom steigen-müssen. es gibt tage, an denen du leicht gehst. es gibt tage, da schaffst du nur ein paar stufen. es ist eine mühsal. dennoch gehst du weiter. es zieht dich hinab.

dabei lauert immer die angst, es könnte dort auf den stufen etwas sitzen und auf dich warten, um dich zu vernichten. doch das steigen vernichtet dich ebenso.

die treppe: das ist eine gekippte wüste, ein brett, das krumm im raum steht, du bist darauf, und kletterst hinab, hinab, hinab ...

es gibt kein geländer. die unendlichkeit ist eine schiefe ebene, wo es nichts gibt.

außer deinem abstieg.

es geht für dich hinunter, über die endlosigkeit einer engstufigen treppe hinab ins immer dunklere; du wirst nie hinauf gelangen. es gibt keinen podest, auf dem du dich ausruhen könntest, keinen halt (was ist halt?). keinen ruhepunkt. irgendwann vergisst du, dass es ein ende gibt; dass es überhaupt eine andere beschäftigung gibt als abwärts zu steigen.

da ist nicht einmal ein lichtschimmer. nirgends helligkeit. deine welt besteht aus treppenstufen. du beginnst zu hören, wie die stufen dich auf schritt und tritt verhöhnen. sie beginnen, dich im duett deiner hallenden absätze auszulachen. es gibt kein wohin. es gibt nur das hinunter. das hinab.

<na, wo soll’s denn heute hingehen?>

talwärts, talwärts, murren deine beine. du magst das echo deiner tritte nicht mehr hören. du wirst müde. für dich gibt es kein zurück, nicht einmal den blick zurück.

und blickst du zurück, wirst du nichts sehen. außer stufen, stufen, stufen. die du schon gegangen bist. dabei willst du gar nicht hinunter. doch du kannst auf den schmalen stufen nicht sitzen, sie sind hart und steinern und kalt.

deine knie krachen beim abstieg in den gelenken. sie schmerzen von tag zu tag mehr. deine wadenmuskeln sind zwei harte blöcke geworden, die du gar nicht mehr spürst. du sitzt auf der harten kante, um ein wenig ruhe zu haben. dann weiter.

weiter.

weiter.

warum? ist die frage, die du unter deinem absatz zertrittst. du willst sie nicht hören. dich interessiert diese frage nicht. du hörst sie mit jedem schritt hallen, du hörst sie bei jedem fußtritt kichern, und dennoch gibt es sie nicht. jeder deiner atemzüge lautet doch im grunde schon – warum?

doch was bedeutet schon eine antwort. selbst die allerbeste antwort ist auch nur eine antwort. gegen die antworten steht das vergessen. irgendwann beginnst du zu ahnen, dass dein abstieg nie enden wird. dass dort unten (wo auch immer das sein sollte) gar nichts auf dich wartet, was auch immer dort warten könnte. (ein stuhl vielleicht? eine plattform? die große liebe? ein glückliches ende ... )

da ist kein glaube.

du gehst tagelang, einen fuß unten, einen fuß oben. hinkst parallel zu den stufen, um dein schicksal ein wenig auszutricksen. läufst auf kinn und ellenbogen. humpelst rückwärts in aberwitzig clownesken figuren, springst seitwärts, nimmst zwei, drei, vier stufen auf einmal, lässt dich fallen, um schmerzen zu spüren, um irgendetwas zu spüren, das beim steigen wachhält. aber bald langweilt es dich.

für stunden gibst du dich dem wunsch hin, dass es da doch noch so etwas wie ein entrinnen gäbe, ein davonkommen, oder wenigstens einen aufschub vor dem abwärtsgehen.

du gehst für stunden vielleicht sogar ein wenig wieder nach oben, doch der weg nach oben ist auf dauer noch trostloser. du legst dich erschöpft nieder. die kanten schneiden dir ins rückgrat. lange hältst du es nicht durch. du wirst doch weiter gehen. hinab ...

am ende fragst du nicht mehr. du weißt gewiss, dass es keine antworten gibt. es ist einerlei. irgendwann hast du dich einmal dafür interessiert, wer dieses irrwitzige bauwerk erschaffen hat; jetzt, viel später, ist es dir egal. du würdest es nicht einmal mehr wissen wollen, selbst wenn es dir jemand sagte. es ist dir alles gleichgültig geworden. alle erklärungen sind in der lichtlosigkeit dahingewelkt. alle deine wünsche ebenso. sie bedeuten nichts.

die endlosigkeit der stufen ermüdet dich; ein albtraum; und vorbei ist die zeit, als du davon träumtest, die treppe in die waagrechte zu kippen, wie ein geripptes wellenmeer, in dem du ewig ruhen könntest

6 leuchtkörper

 

während fleck in der warmen kuhle des bettes bei emmy lag, dachte er daran, wie kalt es sein würde, wenn er sich bald wieder von ihrem körper lösen würde. ihre hand, die sanft in seinen haaren wühlte, war in seiner vorstellung schon zu staub zerfallen.

nie war ihm ein wunder geschehen; kein einziges mal war die welt für ihn aus den nähten geplatzt oder hatte sich in überschäumender freude um ihn herum ergossen. nie war der himmel in buntem farbreigen auseinandergeflogen. es gab nur das graue. und selbst emmys küsse – so sehr er sie geliebt hatte – waren in ihrem wesen grau.

das universum war vielleicht nur eine vorübergehende emulsion, gefiltert durch irgendeinen wahrnehmungsapparat; eine zufällige verkettung von galaxien, ein kurzer überdruck von materie im all – so schnell vergangen, wie alles vorher entstanden ist. aus einer anderen perspektive war das entstehen und vergehen des alls vielleicht nur das das zerplatzen einer seifenblase – und die galaxien irgendein öliger film auf dünner kurzlebiger haut.

fleck atmete schwer, als ihn solche gedanken durchzogen. er schlief schlecht. er hatte seine rechnungen längst gemacht.

er ertappte sich dabei, dass er die kisten, die ihm die frau aus dem laden vorbeigebracht hatte, nicht an kühlen abenden am feuer verschürte, sondern aufhob. ein ganzer stapel davon war bereits im schuppen. auf einem stück papier, von solch einer verpackung heruntergerissen, hatte er in gedanken versunken etwas gezeichnet, wie eine skizze: die strichzeichnung zeigte etwas klobiges, überdimensionales; ähnlich einem Kristall, mit kanten und seitenflächen. ein stumpfer bleistift war ihm mit weicher spitze über das papier gefahren. mit einem mal hatte fleck dabei ein wildes fieber erfasst, doch mit der bleistiftspitze fester aufzudrücken, um das gezeichnete besser herauszuholen.

fleck erinnerte sich an augenblicke, als die sterne richtig bunt waren.

ein dunkler diamant entstand in bleiernem anthrazit; fleck blies den dunklen staub des stiftes zur seite und strich mit der fingerkuppe die konturen weich. es wurde ein vielflächner mit uneinheitlichen seiten. seine finger glänzten silber von bleistaub. er betrachtete eine weile seine hände, dann ging er hinaus.

der schuppen roch seltsam und märchenhaft nach altem obst, vermischt mit dem herben duft des moders. fleck begann dort kisten auseinanderzustellen, um seine sammlungen einzusortieren. er stapelte und sortierte. er hatte sich im kaufladen holzkisten besorgt, die er mit erde und humus ausfüllte und in die er seine selbsgezogenen pflanzen und kräuter liebevoll einsetzte. er begann, sie neu zu nummerieren.

eine schutzhülle müsste es sein, dachte fleck. ein schneckenhaus aus metall. gute schneckenhäuser waren immer aus metall. und rollen müsse es haben, dachte fleck, damit es sich bewegen könne: er würde bequem darin sitzen und imstande sein, jede treppe hinauf- und hinabzufahren, wie er es wolle, indem sich das gefälle im innenraum ausgleichen ließ. all seine habe sollte darin platz haben. hinausblicken würde er durch schmale schlitze.

fleck hatte diese kleinen muster gesehen, kleine sterne, die auseinander fielen wie bunte schneeflocken, in alle farben; strichzeichnungen auf die haut. bunte zartfühlige wesen. wie sehr hatte er sich danach gesehnt. es waren emmys fingerkuppen gewesen, die fleck wie kleine flussläufer über die haut liefen, als er manchmal für augenblicke schon in den schlaf hinüberwechselte.

fleck schliff die dunkle fläche des diamanten in stundenlangem auftragen von blei, gab schattierungen bei; modellierte auf seinem papier eine wundervoll schwarze blume aus metall.

es waren kleine fantome, die ihn erregten: scherzende gespenster, bunte kitzelwesen, winzige eisflockenträume, die schnell kamen, lachten, sprangen und wieder verschwanden. sekundenwesen. sie erstrahlten einen kurzen augenblick (atemberaubend) in der vollkommenen ganzheit der farbmusterspiele in einem kaleidoskop, veränderten sich ruckhaft zu neuer vollkommenheit, glitten in bewegten farbigen linien wie leuchtkörper während einer langzeitbelichtung, formierten sich vage und schmolzen wieder dahin.

fleck entwarf das innere der blume auf mehreren blättern, spitzte zwischendurch immer wieder den bleistift mit einem scharfen messer gut an, schattierte den hintergrund und betrachtete endlich seinen glänzenden Kristall: eine lotusblume war es geworden. schwarz, stählern. am abend zerriss er seine zeichnung, die sich zu einem monströsen vehikel ausgewachsen hatte.

7 fallende blütenblätter

 

es gab so viele nächte, in denen sie sich in ihren betten aneinander schmiegten.

zuerst hatte er es gar nicht bemerkt. es vollzog sich im versteckten. die ernte fiel herab und verdorrte auf dem feld. wie die sommer dahingingen mit ihrem vielfarbigen strahlen. wie sich fallende blütenblätter in sein lachen hineinsenkten! wie sich die momente ausweiten konnten; gleich dem flügelschlag eines weißen vogels, in unendlicher zeitlupe zerdehnt.

er vegetierte neben emmy wie ein außerirdischer; er fühlte sich an ihrer seite wohl, doch in ihm gähnte der abgrund seiner eigenen welt. eine dunkle tür, die in ihm aufging, eine tür nach hinten (ins nichts?), zugig und kalt. fleck war ihr immer öfter vollkommen fremd, ja sie sprach sogar von einer veränderten persönlichkeit, wenn er seine ‚blicke’ bekam. wenn sie wahrnahm, wie er trüb (ins nichts?) starrte und ihm dabei die blonden strähnen ins gesicht hingen.

eine zeitlang sehnte er sich danach, dass wenigstens eine andere frau käme, in die er sich verlieben könne. eine zeitlang spielte er mit, eine zeitlang bemerkte emmy nicht, wie ihn alles ermüdete, da er seinen entschluss längst gefasst hatte.

da war in ihm angst, ihr zu sagen – und dieses sagen war eher ein beibringen, ein herantragen, das ganz sanft geschehen müsste – dass er sie nicht mehr liebte; es wurde ihm, je mehr sich emmy im gemeinsamen alltagsleben wohlfühlte und sich in diesem wohlgefühl völlig einigelte, mehr und mehr zuwider. am widerlichsten fand er ihre plumpe sucht nach wohlfühlen, das mehr ein wohlleben war; ein konsumieren, ein sich-einverleiben von dingen; ein gieriges nach allem und jedem grapschen und es in sich hineinstopfen.

dabei gab es für fleck gar keinen grund, emmy zu verlassen, und dennoch fühlte er die tagtäglichen begegnungen als last; selbst die vertrautheit wurde ihm allmählich zu anstrengend. sich beständig einstellen zu sollen auf emmys wünsche, emmys gewohnheiten und emmys eigenheiten engte ihn ein, war ihm bald unmöglich.

fleck war zu sich zurückgekehrt. er begegnete emmy anders als er ihr früher begegnet war. selbst als sie beide der alltag völlig auffraß. er ging zu sich zurück, in seine eigene welt (in sein hermetisches ein-und-alles), sanft und stück für stück. er brauchte ihr nichts beibringen.

es war die einzige form der heimkehr, die es für ihn gab. seine heimat war er selbst. und fleck verzweifelte daran.

8 familienfeier

 

fleck stieß ins dämmer; und von der angeblich großen party (wie manche das leben nannten) hatte er nichts mitbekommen.

eine verblassende fotografie: über die jahre ihre rottöne verlierend. fleck saß vor den alten aufnahmen aus seinen kindertagen, schaute stumm, ein wenig staunend; fleck fühlte in sich den dämmer der farben. die überlappungen, die wischungen der rottöne; die leichten verwackelungen; nachdunkelungen des empfundenen, das heraufkommen des dusters.

er wollte das dunkle in sich saugen: es war ihm nicht unangenehm. kaltes dunkles meerwasser, wie es kälte abstrahlte und etwas herbes hatte. etwas raues lag in seinem geruch. es barg den tod, dachte fleck, das unüberwindbare.

eingefroren das rotbackige gesicht seines großvaters, mit noch sehr jugendlichen vollen und dunklen haaren, vital, breit grinsend, mit gelblichen zähnen; später war er zerbrechlich geworden, die haare dünn und schlohweiß. und wie eng ihm der altmodische nadelstreifensakko am leib saß: familienfeier. flecks augen flackerten.

das alte sitzmobiliar, die dunkelgrünen sessel; und über allem das licht; das licht, das blauschwarz sein musste. die gesichter seiner beiden schwestern, pausbackig, unwirklich rosa, mit rötlicher und blonder strubbelfrisur. dazwischen ein winziger fabian im alter von vielleicht ein oder zwei jahren; ein mittelpunkt?

fleck fühlte die kraft des meeres, die kraft des einsaugens; die tiefe.

als er vorsichtig das papier umlegte – eine marmorierte seite fein gewirkten transparentpapiers – sah er weitere blitzlichtgrimassen, denen scharlachrote (pupillenlose) knopfaugen in ihren bleichgesichtern prangten: arterielles blut in augenhintergründen.

da war das blau seiner adern unter der rosigen haut: seiner finger, seiner hände: das durchscheinen jenes filigranen gespinns von blutgefäßen, von kapillaren, von äderchen, die er auf der handinnenseite hindurchschimmern sah.

nachts saß er stunden am meer und lauschte dem schwarz. das wenige licht, das in seine tage fiel, begann ihn allmählich beinahe zu stören. jeder trug das meer in sich. das dunkle war unabwendbar.

fleck fühlte den tod aller dinge.

er sah für augenblicke die leicht rotstichigen bilder nicht mehr; sein blick bohrte auf die tischplatte, schrammte über die maserung des holzes, fiel von dort aufs stumpf ausgetretene parkett, lief hinein in die ritzen.

beim umlegen der seite sah er noch ein foto: eine große hand, die einen kleinen leib in eine badewanne hineinlegte: fabian mit nassem dunkelblondem schopf, dicklippig ausdruckslos, staunend. große augen, dickes kinn.

sodann klappte er das album zu, löschte mit zitternden spuckefingern die beiden kerzen, atmete das bienenwachs, stieß ins dämmer.

9 kristall

 

am vormittag stellte er sich das radio seines vaters in den geräteschuppen und begann, dessen hinteren bereich nach blech und metallstücken abzusuchen. alles, was er fand, waren zwei oder drei rostige teile, die an den ecken verbogen waren: altes eisen. und wie schwer es war, dachte fleck. herüber tönten die klänge eines alten requiems.

im hintersten teil des schuppens war er noch nie gewesen. dort wollte er sonst nie hineingehen, weil dort so viel gerümpel herumstand – irgendwelches landwirtschaftsgerät: eggen, sensen, räder, maschinenteile und pflugscharen aus vergangener zeit. man kam gar nicht hinein, so viel war hier aufgetürmt. altes, nach vertrocknetem öl riechendes gerät.

neugierig blickte er durch den eingang. eine katze huschte ihm plötzlich über die unbekleideten füße. er musste aufpassen, hier nicht in irgendetwas hineinzutreten.

von fern die getragenen klänge, gesang; er schaute neugierig herum, was sich dort an plunder auftürmte: gerät aus dem letzten jahrhundert. die bauern einst hatten die felder mit riesigen, breitreifigen traktoren bebaut. da hatte er einmal bilder gesehen. so breit wie walzen waren diese reifen gewesen, erinnerte sich fleck.

aus dem radio klang schwermütig dunkler gesang herüber; fleck ging hinüber, drehte an dem runden senderrädchen, bis er etwas fröhlicheres fand. fleck summte ein wenig mit, stellte am drehknopf volle lautstärke ein.

ein wenig angst hatte er bei diesem stöbern. was war, wenn er nun plötzlich den mut verlor und sich doch wieder zurückziehen würde? er war doch jetzt schon so weit! und wie oft hatte er schon diese aufbruchsstimmung gepürt, und war kurz darauf tief in sich zusammengesunken; hoffnungslos.

fleck ging in den gerätetrakt des schuppens hinein und begann die tür aufzuziehen, die er noch nie geöffnet hatte. sie klemmte im scharnier. er zog und rüttelte an der tür. doch das scharnier war eingerostet. nur nicht die geduld verlieren! er holte werkzeug und schraubte kurzerhand das ganze scharnier ab. er stellte die tür beiseite – und spähte aufgeregt hinein.

darin stand, wie er auch vorher schon undeutlich durch spalte in der wand gesehen hatte, ein ganzes sammelsurium uralter baufahrzeuge, die er eine weile angestrengt betrachtete. dann ging er, so weit es ging, hinein, stieg über verrostete gerätschaften. an der seite lehnten ein paar uralte kutschenräder. sogar ein altes pferdegeschirr hing an der wand: das holz grau von der witterung, das leder auf seiner innenseite aufgebrochen. die zügel hingen lose herab. am boden lag ein altes hufeisen. das brächte ihnen glück, dachte fleck.

die luft roch seltsam; es war ein geruch nach rost, vermischt mit moder; spinnenweben spannten sich in den innenflächen der eisenprofile.

je weiter er nach hinten gelangte, desto dunkler wurde es. am boden lag stroh. im hintersten bereich sah er plötzlich eine walze; in der art der alten traktorenreifen. fleck freute sich, kletterte über anhänger, gusseiserne stangen, achsen und felgen in den hintersten bereich.

dort stand ein monstrum, über und über von decken und matten bedeckt.

so etwas hatte er ja noch nie gesehen! fleck war entzückt. das war nun wirklich eine überraschung. gleich morgen würde er beginnen, das große gefährt, das es womöglich war, freizulegen.

es war eine alte maschine! er würde sie aufrüsten, umrüsten und aus ihr sein fahrendes schneckenhaus machen. verkleiden würde er sie. ein dunkel blitzender Kristall würde es werden; eine rollende lotosblume; wie er sie gezeichnet hatte.

fleck war mit einem mal feuer und flamme. hinüberrollen zur Großen Stadt wollte er. und wenn es sein musste, über das meer.

10 kalter kopf

 

am nächsten morgen erwachte fleck mit bleiernen gliedern. seine gedanken dagegen sausten in sternen, kometen, spiralen, blitzen -

ein wenig später, er saß auf der wiese, schien die sonne auf seinen nackten oberkörper. da waren so viele dinge: an einem sommertag in der warmen glut der sonne auf der kleinen wiese liegen, unten am strand, sanfte meeresbrisen auf dem rücken spüren und den eigentümlichen meeresduft seiner bucht einatmen. das war das leben, das fleck so genoss. da waren muscheln, die er auflas, der feine sand, der schon ein paar hundert meter weiter ganz anders beschaffen war, da waren all die geräusche des alten hauses, an die er sich so gewohnt hatte: einzigartige das knarren jeder tür, der duft seiner küche, seines zimmers, des heuschobers, des geräteschuppens. die farbe des hauses wie eine ihm tief vertraute akkordeonmelodie. das sonnenlicht an der bucht hatte seinen ganz eigenen glanz.

fleck empfand keine freude. denn wie hätte er freude fühlen können. aber ein wenig leichter wurde ihm doch. so waren alle schmerzen überwindbar, wenn sie auch deswegen nicht leicht waren.

oft überlegte er, ob die welt am ende aufginge oder ob am ende ein unteilbarer rest übrig bliebe. es gab so viele reste in seinem leben, die er irgendwo aufbewahrte. in jedem winkel saß ein unteilbarer rest und kicherte.

<mühsam!>

nun hieß es abschied nehmen. abschied jedoch lag ihm nicht. abschied war eine schwere sache. fleck konnte nicht ohne weiteres gehen. früher war jeder abschied mit schmerz verbunden. fleck musste sich jetzt sammeln, musste das genüssliche, unbeschwerte leben aufgeben. er hatte geglaubt, keine schmerzen zu spüren, wenn er davon ging: da badete er sich in seinem stolz, wie entschlusskräftig und hart er doch sein konnte. der große schmerz, der ihn monatelang wie eine krankheit plagte, kam viel später.

wasser, dachte er, kühles wasser würde ihn abhärten. da man ihm vor monaten schon das wasser abgedreht hatte, ging er auf den hof hinaus und pumpte am hebel des alten ziehbrunnens. nach einigen pumpbewegungen, bei denen der hebel ein schrilles quieken von sich gab, kam ein dicker schwall kühlen wassers, das er sich über den kopf laufen ließ. eiskalt, aber angenehm.

<mühsam!> schrie fleck aus unterster brust, immerzu, <mühsam!>

sein geschrei hallte über den hof. dann hielt er ein paar mal den kopf unter den frischen schwall, bis seine haare eine einzige dunkle masse wurden, ganze minuten, bis ihm die kälte des wassers schon weh tat. und dennoch erfrischte. erst, als seine nerven schon taub vor kälte waren, gab sich fleck zufrieden. sein kopf war so kalt, dass er sich eine zeitlang überlegte, ob er überhaupt noch einen kopf hatte.

<mühsam!>

das wort brach sich an den hausecken und sprang in kurzem widerhall umher. so klang flecks klagen noch erbärmlicher. sein sehnlichster wunsch war, wieder auf die beine zu kommen. er wusste, was er vorhatte, doch es war ihm noch nie so schwer gefallen, sich aufzuraffen. er stand da, über und über triefend. mit nassem hemd schleppte er sich hinüber zum schuppen. das wasser rann in bächen von ihm hinunter. da gab es so viel angst, so viele zweifel. da gab es so vieles, was noch würde schief gehen können. im grunde war es unerträglich. im grunde wollte er nicht einen finger rühren, um sein zuhause aufzulösen. es fiel ihm im traum nicht ein, wegen irgendwelcher gesetze oder erbrechte sein heim zu verlassen. sie sollten kommen und ihn wegtragen: hier war sein zuhause. auch er war ein erbe seines vaters.

er brauche doch nichts, glaubte fleck, oder wenigstens brauche er nichts anderes! vielleicht war es richtig, dass er noch vieles vor sich hatte, aber es müsse erst einen triftigen grund geben: um wegzugehen. fast wollte er zum trotz bleiben, wenn ihn da nicht die roten winde davongezogen hätten –

<mühsam!>, schrie er.

fleck ging zurück und setzte sich auf den hof in die warme sonne. herrlich, so ein tag! neben dem brunnen saß er einige stunden und starrte in den himmel. es war schon später nachmittag geworden. morgen wollte er beginnen. immer war es der nächste tag, an dem er beginnen wollte, der nächste tag, an dem alles besser werden sollte. immerzu erwartete er für den nächsten morgen die erlösung.

der glanz der morgensonne. und die angst, die ihn erfasste, wenn es so weit war.

hier war doch alles so schön. hier war die sonne mandarinenfarben wie auf einem urlaubsposter. und etwas anderes zählte ja nicht, dachte fleck.

11 katzenauge

 

die stimme war ihm vom <mühsam>-schreien völlig heiser geworden. die sonne tat ihm gut. die sonne war das einzige, was ihn wärmte. so genoss er ihr mildes licht. er legte sich wieder auf den stein und tat nichts. er hörte auf seine atemzüge, wie sie langsam ein- und ausgingen. da hätte noch ein zweites geräusch sein können.

unter dem dämmer nagte die restwelt an ihm: das kleine bisschen an welt, das ihm da noch blieb.

ein tag war kurz, nur ein paar atemzüge lang. fleck konnte eine stunde im seichten wasser stehen ohne sich zu bewegen. er hielt den wind aus. die hitze, die mücken, das schmerzen seiner sehnen.

fleck lag in der sonne, gelähmt. mücken saßen ihm auf der haut. er regte sich nicht. er verbiss sich das kratzen. er mochte seinen körper nicht regen. schweiß perlte auf seiner stirn. er lag hingestreckt zu füßen des ziehbrunnens. heute endlich wollte er es wagen: die alte maschine im schuppen freilegen, um sich daraus sein gefährt zu bauen

– sein himmelsvehikel.

es war schon nachmittag. hatte er überhaupt kraft in den armen? würde er auch nur eine einzige schraube drehen können? eine roststelle entfernen? er fühlte sich unsäglich müde. es war schon spät. sein leben war schon über mittag hinaus.

das faszinierende an dem holzkasten war eine kleine anzeige: ein rundes loch, das aussah wie ein glasauge. darin waren zwei mintgrüne balken, die sich – je besser der empfang war – umso näher kamen. stießen sie beinahe zusammen, war es der empfang am besten.

dem grünen auge hatte er immer zugesehen, als kleiner junge, wie es sich zusammenkniff oder auseinanderzog. sogar im dunklen sah er es glimmen; es war leuchtstoff, derselbe wie auf den zeigern der uhren.

fleck lag am boden neben dem ziehbrunnen. seit stunden hatte sich nicht mehr geregt. was hätte ihn antreiben sollen? in seinem kopf sah er das auge einer katze. katzen sahen im dunkeln, wusste fleck. ein wenig kühl schon war es. als eine stechmücke ihm aufsaß, schlug er mit der flachen hand zu; umsonst. schon begann es zu jucken und zu schwellen.

fleck lag bäuchlings auf dem pflaster. es gab keinen grund aufzustehen; keinen grund für irgendetwas; deshalb war kein hochkommen mehr. fleck dachte: es ist einerlei, wann ich beginne; ob ich beginne, mit irgendetwas. wenn ich heute tot wäre, würde es keinen unterschied machen. es bedeutet nichts –

12 häutung

 

licht wurde allmählich zu bläulichem film, die nacht kam dröge. fleck lag am boden.

kein hunger, kein durst, kein gefühl. sein kopf hämmerte. es war schön, das blau, dachte fleck. es war ein angenehmes blau; eines, das wärme hatte und doch hell war: hellblau. es gab auch stechendes oder grelles hellblau. das mochte er nicht. kein türkis! dieses licht aber, den bläulichen ton des sonnenuntergangs am himmel, der sich auch in den noch nicht ganz verdunsteten wassergerinnseln am boden abzeichnete, mochte fleck. seeblau. luftblau. lichtblau:

ein falter setzte sich auf seinen arm. fleck zuckte nicht weg. er beobachtete das braune tier, das sanft die fühler bewegte. noch unruhig zappelnd, noch gewappnet, bis es sich nach und nach niederließ. ein anderes kreiselte tumb mit schwerfälligem propellerbrausen dicht über sein ohr hinweg. das zirpen einer grille setzte ein. der falter saß auf seinem arm. der andere ließ sich dicht vor seinem gesicht am boden nieder. fleck vernahm, wie die dämmerung aus ihrem versteck kroch. sie floss wie schwarzer dicker kleister aus einer truhe, die sich langsam öffnete:

hervor quoll basaltene nacht wie ein elixier, quirlig: die dunkle luft bevölkerte sich und ein weiterer nachtjäger landete auf flecks haut. fleck sah den falter an. maserungen noppten wie silberwellen über zwei hellbraune flügel, flossen aus in eine weich gezackte goldspur; ein mitternachtsrequiem, dachte fleck. grabgesang für einen längst vergessenen gott:

aus dem kabinett des nächtlichen zufalls kamen sie hervor, saßen neben fleck, dunkel gerautete, deren bestäubtes kleid sanft und fein gezeichnet in arabesken mustern schillerte, tätowiert in den tarnungen der finsternis, vom licht nur in blitzen beleckt. seltsame mosaike zieren die schattenseite der sonne: selbst das dunkelste schmückt sich noch für die liebe, dachte fleck. zwielichtige schönheit dunkler male; braungescheckt in flecken nachtaktiver kaltblüter; metamorfes getier. frühgeburten der erdgeschichte. ein vogelruf in zersplitterndem hall; flageolette:

dunkelblau sank das letzte licht langsam herab.

fleck lag danieder, bei sich. verfinsterung breitete sich aus. insekten erhoben sich von der erde. begannen zu kreisen, in der dunkelheit ihr opfer zu beobachten. die nacht strömte wie pech auf den sternenlosen himmel.

faunisches girrte.

da entdeckte fleck doch einen stern am himmel, einen einzigen kleinen funkelnden punkt: sofern er ihn sah, flackerte und blinkte er, doch dann hatte er ihn wieder verloren.

die luft kühlte ab, wurde herb und feucht; die nacht drang nun so nahe zu ihm. nachtgetier kreiste. grillen zirpten, wenn sich die lider der schlafenden fest aufeinander drückten. nachts, wenn die welt in trümmern aus träumen lag und die kissen schüttelte, hatten sich emmy und fleck lange in ihrem gemeinsamen bett zusammengekuschelt.

damals erzählten sie sich kurze gutenachtgeschichten, wobei ihre hände und fingerkuppen fein über ihre haut glitten und beide sich vorstellten, alles in der welt sei lila.

oder grün. (oder braun?) aber die farbe braun mochten sie nicht besonders. auch rot nicht. rot war ihnen zu scharf, zu feurig. nur lila sollte sie sein, ihre welt: die bäume, die häuser, die straßen, die autos, die vögel, das meer, der wald, selbst das glas. und sogar die augen der menschen waren lila, ihre pupillen: und konnten sie dann noch sehen, wie lila alles war? sie lachten: lila, alles lila, in einer stiefmütterchenfarbenen welt. selbst das chlorofyll war lila.

<und das wasser?>

<und das licht?>

ihre kussmünder ...

sie lagen unter ihrer lila sommerdecke ganz nackt zusammen, die sie dünn bedeckte, sprachen über all die bunten gegenstände in der welt und scherzten und alberten, was denn alles davon lila sei. teils überrascht, teils erheitert, fiel ihnen immer ein neuer gegenstand ein, der auch noch lila war. und wie eigenartig er in ihrer vorstellung dann aussah! selbst der bart des hausmeisters war lila. er hatte lila zähne und trank lila bier. sie lachten. lila – sogar das müllfahrzeug und dessen runde bürste. selbst das feuer loderte lila.

ein wenig aber machte es sie beide auch traurig, weil ja alles gleich wäre, wenn wirklich alles lila wäre: es gäbe keine unterschiede und womöglich keine sichtbaren grenzen mehr zwischen den gegenständen, obwohl es sicherlich unterschiedliche helligkeiten gäbe: das dunkle blieb dunkel und das helle blieb hell. sie sprachen, eng angeschmiegt, dass die welt in tiefes lila getaucht werde, durch die violette glut der sonne, die in die violette see hinunterging. und das paradies und gott waren lila. selbst die sterne leuchteten lila aus der lila nacht hervor, und flackerten, ein wenig heller als die nacht;

aber lila.

der mond leuchtete ganz violett am violetten himmel, glänzte seinen bleichen violetten glanz hinaus in die weiten des violetten weltalls

sie liebten sich: und ihre küsse und zungen wären lila. ihre augenblicke, ihre ideen, ihre liebe füreinander, ihre brustwarzen, ihre scham, sein glied, das heiße feuer, das lachen, der gipfel der lust: lila. die töne, klänge, musik. der atem, das sprechen, die worte. das flüstern: lila. ihre gerüche, geschmäcker, berührungen. ihre träume verfärbten sich lila, wie das all, die nacht, der tod.

die ewigkeit war mit einem schlag aus blau und rot gemischt. das ewige leben (oder der ewige tod?), die zeit, das nichts und das gegenteil des nichts: lila. die zeitlosigkeit, das licht, die schallwellen, die sonnenstrahlen, die weltkugel, das meer, die luft. alles war lila, selbst die atome, die moleküle, selbst der zwischenraum der moleküle, der leere raum, die materie, die energie! sie staunten.

das herzpochen. das graswachsen. das grillenzirpen: lila. sie lachten und hatten sich lieb; lila lieb. ihr lachen klang veilchenfarben. doch als sie feststellten, dass alles nur ein kleiner spaß war, erhoben sie sich von ihrem heißen lager und trockneten sich die schweißnassen körper ab, aus denen lila schweiß- und lachperlen gekullert waren.

sie zogen sich an und gingen hinunter zum kleinen see, um nackt im see zu baden, um einzutauchen und zu versinken im tiefen violett des sees ... doch ein wenig angst hatten sie, denn dort im see, dort wohnte ein dunkler großer fisch, der sie verschlingen konnte (der war schwarz).

das ende war lila, und das ende vom ende. ihre lippen spielten aneinander. sie gaben sich einen dunklen kuss, bevor sie zusammen ins wasser eintauchten. dann plätscherte das wasser. sie glitten hinein. milchig violett spiegelte die wasseroberfläche den sternenschein, der in den augen der fische violett glänzte. und lila und leer war alles, die menschen von kopf bis fuß, die gesichter, augen, haare, münder

in sternhäutungen

davongetrieben. es schwand ihm alles davon. nacht drang in seinen kopf. millionen käfer und mücken kamen und übersäten den liegenden, bis flecks körper blauschwarz schillerte, kamen über ihn und hockten auf ihm wie auf einem erdbeerkuchen: surrten, griebelten, krabbelten, kitzelten auf seiner haut.

da wachte er auf, und merkte, dass es regnete. kleine hagelkörner stachen seine haut. pieksten kurz wie feine nadeln. fleck lag da und konnte sich nicht regen. es war mitternacht geworden. es fror ihn. doch er konnte nicht aufstehen. er lag, bis die haut vor kälte taub war.

in seiner brust: herzleere. schatten schoben sich in sein herz und eine unzahl von nachtfaltern bedeckte sein gesicht, seinen mund, seine zunge, mit der er die dunklen lockungen der nacht liebkoste. das flackern des einen sternes erschien ihm wie das possenstück eines tänzelnden punktes, der nicht bestimmbar sein wollte und sich für augenblicke neckisch verbarg. fleck glaubte für momente sogar, am himmel verhaltenes gelächter zu hören.

13 tintenflecken

 

als das schummrige licht des sonnenaufgangs in seine fast geschlossenen augen drang, stand er auf. fleck fühlte sich steif wie ein brett. er musste einige male entsetzlich niesen, ging ins haus und kochte sich einen heißen tee. zu essen hatte er nichts mehr außer einem braungefaulten apfel. die braune stelle schnitt er heraus, den rest verschlang er gierig: das einzige, was ihm half. als er seine augen schloss, wurde es komplett weiß um ihn.

da hinein tauchte fleck: ins weiße. einen moment hatte er das bedürfnis, die stirn mit wucht auf die kante des tisches zu hauen. der aufzuckende schmerz würde ihn dann vielleicht ein wenig zur besinnung bringen; oder ihm so etwas wie besinnlichkeit zurückgeben. ein schlimmer husten riss ihm im hals und schüttelte ihn ein paar mal kräftig durch.

sein kopf brummte vollkommen leer und ausglöscht. nichts war mehr darin; seine gedanken schneeweiß. träge puderzuckergedanken, süß und klebrig; er hätte vielleicht zwei silben pro stunde zu sprechen vermocht. und im schuppen wartete der bau eines vehikels. fleck hockte mit der schwere eines steines. er konnte sich nicht einmal regen. apathisch starrte er ins leere. so saß er geraume zeit.

auf einmal sprang er auf, durchsuchte das vertigo, den alten sekretär seines vaters, wühlte in all seinen schubladen, von etwas gepackt, klapperte mit alten schachteln, warf hefte, werkzeug, besteck durch die gegend, leerte kleine kisten aus, stülpte gefäße um, bis er ihn fand: seinen alten füllfederhalter. schwarz war er, mit perlmuttenem muster – wenn man genau hinsah. er besaß eine schöne feder, golden und verziert. das gold war trüb und stumpf geworden.

eine dreiviertel stunde lang reparierte fleck seinen füller. er war innen von alter tinte verklebt. erst wusch er ihn unter dem wasser seines brunnens aus. immer wieder kamen neue blaue wallungen heraus, die ihm über die finger rannen. immer wieder tupfte er die feder an einem weißen stück stoff aus.

<wer etwas werden will, muss hand anlegen. womöglich an sich selbst ...>, monologisierte fleck vor sich hin. sonst sprach er nie ein wort und erschrak plötzlich über den klang seiner stimme, die er lange nicht mehr gehört hatte. dieser klang in seinem kopf. der klang seiner stimme in diesem dumpfen raum befremdete ihn.

<oft genug hatten menschen erst nach ihrem tod so richtig erfolg>. wieder hustete er, mit langem röcheln. die nacht steckte in seinem hals.

die feder wurde nach und nach sauber. getrocknete tintenkruste ließ sich entfernen. fleck hielt die schreibspitze des füllers immer wieder unter den pumpenstrahl. dann bohrte er mit seinem stoff ins innere des federhalters und saugte die letzte bläuliche farbe heraus. seine finger und hände waren über und über befleckt von tiefdunklen flecken blaus.

tinte hielt ewig

lange hatte fleck nicht mehr geschrieben. das tintenglas war fest verschlossen. die chinatinte im inneren war aber nicht getrocknet, da sie sich im glas bewegte. er glaubte nicht daran, dass er imstande sei, auch nur einen vernünftigen buchstaben auf das papier zu bringen. er war schon kaum fähig, den stift zu halten. früher sei das so leicht gewesen, dachte fleck. doch konnte er das tintenglas nicht öffnen. der deckel war festgetrocknet. während er an ihm drehte, sprang ein dunkler blauer ring ab. fleck drehte mit aller gewalt, biss mit den zähnen auf die rillen des deckels und wollte schon aufgeben, als er plötzlich ein dumpfes knacken im mund spürte: der verschluss gab nach.

fleck zog tinte in den füller. seine hand verkrampfte sich. er spürte selbst, wie sich sein atem staute und beim ringen nach worten anders bewegte. er suchte einen bogen papier. die weiße des blattes machte ihm angst. es war so weiß! angesichts dessen, was er alles darauf schreiben wollte. es war ihm in seiner eigenen vorstellung nahezu unmöglich, das, was er dachte, nun in buchstaben zu fassen. schreiben wollte er, jedoch würde er es erst probieren müssen. dann, nach langem herumklecksen, als er etliche weiße bögen papiers (die er beim füller gefunden hatte) schon vertropft hatte, verspannte sich seine hand immer mehr, tat an den fingerknöcheln weh, wo er den stift hielt. mit einem hässlichen schrei warf er den füller fort.

sein zorn bebte

fleck holte den füller nach einer weile wieder. die tintenfeder war mit einem büschel staub bedeckt, aber nicht verbogen. er atmete auf.

wieder und wieder kritzelte er über das papier. nach schier endloser zeit rannen ihm endlich – wenn auch unendlich langsam und schnörkelig – halbwegs ansehnliche buchstaben aufs papier.

 

„liebe dunkelnamen, an die ich mich nicht erinnern kann.

meine lieben schwestern!

 

die worte liegen mir so schwer auf der zunge, dass ich bald an ihnen ersticke. ihr wisst es: ich bin herzlos. glaubt nicht, dass mir dadurch etwas leichter würde. im grunde verabscheue ich alles. das einzige, was mir nicht an der seele kratzt, ist der wind am meer, wenn er mir in den ohren braust.

euch hier zu haben“

 

— schrieb er, die hand schmerzte bereits sehr, doch fleck kam in schwung –

 

„wäre eine wohltat im vergleich zu dem, was ich jetzt erlebe. so sehr lebt ihr doch in mir!

ich war schon tot, bevor ich je lebte. mir war schlecht von so viel leben. ich erkannte mich nicht mehr, als alles so leicht ging! es war sagenhaft schön und gleichzeitig würgte ich an der glattheit der dinge. der mundgeruch des lebens erzeugte mir brechreiz. der hunger nach leben ekelte mich an. ich lief ihm davon.

ich hatte nur die wahl zwischen zwei übeln: entweder im erfühlten aufleuchtend mich selbst zu verzehren oder mir die hälfte von meinem fühlen wegzuhacken.

daneben die gier der welt. ich ertrage sie nicht und schon gar nicht mit leichtigkeit! sie ist der größte würgegriff. so weit entkomme ich der gier gar nicht, dass sie mich nicht noch mit ihrem schlechten atem erreicht.

wenn es irgendwie geht, trennt euch vom leben. werft es weg, solange ihr noch mut habt. wenn ihr erst gelitten habt, ist es zu spät. zerschneidet die nabelschnur zu zeit und welt. zertrennt euren sinnfaden. auch wenn das leben euch jetzt leicht erscheint, ist es noch ein graus. zerreißt die gänseblumenkette, die euch an dieses sinnlose dasein knüpft. zerstreut euren kopf in alle winde! am ende werdet ihr ja doch tot sein.

nur in der gewissheit, dass ihr euer leben bald fortwerfen werdet, wie einen strauß blumen, der schon ein wenig welk ist, kann das dasein erträglich werden. dann lässt sich die tumbe sonnenglut aushalten, die euch tag um tag mehr verbrennt.

ich bin mein herz los. die gewissheit des baldigen todes ist angenehmer, als den geist immer mehr zu einem brennglas zu schärfen. ihr verbrennt nur selbst dabei, je genauer ihr alles seht. es bleibt euch nur gleichgültigkeit, die den schmerz ein wenig lindert. seht nur, wie mich schon jetzt die gleichgültigkeit an allem beschwert. nur mit mühe kann ich jetzt noch meine hand heben. mein geist hat mich verbrannt. dabei mochte ich so vieles nicht fühlen: nicht den hass, nicht den abscheu, nicht den ekel, auch nicht die güte, das mitleid, die liebe.

mit entsetzen sehe ich, wie die wellen stück für stück meine lebenskraft davonspülen. wie sie auch euer lächeln mit sich fort nehmen. jede welle, die sich ans ufer entrollt, bedeutet: einen augenblick früher sterben.

wenn ihr zurückkämt, könnte vielleicht alles noch einmal anders werden. doch ihr seid dahin! ich würde euch empfangen und versorgen, wenn ihr mich nur annehmen würdet. dann würde ich mich an eure herzen schmiegen. jedoch kommt dieser brief nicht mehr zur rechten zeit, deshalb muss ich schweigen.

 

lebt wohl ihr lieben.

f.“

 

gedankenverloren sah er zu, wie die blauen tintenbuchstaben im leicht schaukelnden wasser langsam verflossen, während das blatt sich voller wasser sog. keine regung war auf flecks gesicht zu sehen, als der papierbogen einsank.

eine weile glaubte er, um sich lauter kleine wesen zu spüren, bettler, die an ihm zupfen und zerrten. doch was wollten sie nur? ein wenig schabernack; scherz; es waren kleine bunte lustige gesellen: die hand wollten sie ihm reichen. er glaubte, sie in der luft lachen, scherzen, singen zu hören. ein paar von ihnen hatten melancholische stimmen, ein paar meinte er sogar klagen, jammern oder schreien zu hören.

buchstaben starrten stumm zu ihm empor wie ein sich-aufbäumen, ein sich-sträuben, ein verzweifeltes sich-weigern –

blau zerfaserte im schaumigen nass. fleck schaute starr ins wasser, kein wind erfasste seine gesichtszüge. das papier weichte auf, sank ein und wurde wieder heraufgespült, trieb im sanft schaukelnden wasser dahin. kein falter hob seine mundwinkel. kein ahornblatt erhellte seinen blick.

noch einmal umschwirrte es ihn: eine art seltsames windiges gefleuch, umkreiste, zerrte, riss an ihm und saß auf seiner haut. fleck wurde unbehaglich. er ahnte, was da um ihn herumschwirrte und glaubte sogar stimmen zu hören. eine gewisse anzügliche wärme lag in diesem vielstimmigen gewisper. er wollte es abschütteln, sehnte sich nach ruhe, nach wahrhaftigkeit

und stille.

<sieh uns an>, hieß das‚ <sprich mit uns. beachte uns doch, nur ein wenig...>

es kitzelte, wie fantomschmerzen, von denen er einmal gehört hatte.

alles, was er sich abgetrennt hatte, fasste noch einmal mit zudringlichkeit nach ihm. ein wenig schmerz kitzelte, ein wenig trauer nagte, ein wenig zorn fauchte unterirdisch, ein wenig liebe riss ihn hin, ein wenig abschied (zwergdrache) winkte ihm mit winziger lockender hand und zupfte an seinen kleidern.

im grunde war er froh, dass sie alle tot waren. er zog sich seine jacke zu und ging den weg hinunter zum meer. er ging am rand des sich schuppenden wassers. er fühlte sich so leicht. das einzige, was er um sich hatte, war der wind. seine jacke knatterte in den böen und schloss bis zum kinn. so blieb er eine geschlagene stunde stehen, bis es vorbei war. die kälte war das einzige, was ihn zur besinnung brachte – was das <geschmeiß> vertrieb.

davontreiben solle es ihn! auflösen wolle er sich. wie tintenbuchstaben.

14 gartenstühle

 

dabei hatte fleck seinen vater doch so sehr geliebt.

einmal (als er schon sehr litt) hatte dieser zu ihm über rachmaninov gesprochen. der vater liebte klavierkonzerte sehr. und obwohl er gerne in aller frühe aufstand (allein wegen des lichtes, wie er stets betonte), war er dennoch einmal bis tief in die nacht aufgeblieben.

rachmaninov war vaters große liebe. und vor allem die klavierkonzerte.

<sie sind so bunt, so durchwachsen, so voller drama und leidenschaft!> sagte er und seine augen leuchteten.

eng saßen sie zusammen auf der veranda, in ihren gartenstühlen, damals, im sommer, und da nahm sich der vater zeit; zeit für rachmaninov.

<das ist große musik!> schwärmte er. <größer als beethoven, was leidenschaft betrifft, und unserer zeit näher. da höre ich das gegenwärtige herausklingen. diese musik, fabian, ist wie feuer und wasser. weißt du, fabian, das leben, du wirst es noch merken>, er strich sich nachdenklich durch den dunklen oberlippenbart, <ist feuer und wasser.>

fleck schwieg.

<da sind diese feinheiten ...>, seine klobigen hände formten etwas diffuses aber kleines, das sie gar nicht recht zu fassen vermochten.

<fabian, da gibt es keine worte.>

keine worte.

<und dann wieder –>

die hand des vaters wurde eine haarige faust, die mit voller wucht kantig durch die luft hieb. für viele dinge gab es keine worte.

<markig und geradeheraus. so ist es. seine musik ist da sonnendurchtränkt und weich, wo das leben sonnendurchtränkt und weich ist.>

sonnendurchtränkt ... er schwieg eine zeit.

<und es ist da trostlos und düster, fabian, wo das leben trostlos und düster ist.>

vaters stimme wurde eigenartig heiser.

<das leben ist nicht schön, glaub’ es mir. und diese musik ist noch ein bezaubernd angenehmes lied auf alles unschöne – gefiltert durch die russische seele.>

‚die russische seele’ ...

<weißt du, es ist mir nichts fremd in dieser musik.>

nichts fremd.

<sie ist ruhe und frieden und gleichzeitig stürmisches, südländisches feuer! hitze! glut! geysir! ja, es brandet und flammt. dann wird sie wieder lieblich und zart und sanftmütig, klar und mild wie ein oktobertag. und sie ist nie flach, dafür in jeder sekunde aufregend und neu. diese musik verjüngt sich selbst in jeder sekunde.>

vater redete nun wieder mit seiner vollen, schönen stimme, redete und redete, redete über musik, über klaviervirtuosen, über seine eigene musikalität und was ihn sonst mit der musik verband.

<da ist so viel freude neben aller melancholie. da ist vor allem die sehnsucht, weißt du, fabian? die sehnsucht –>

<er blickt zurück>, unterbrach ihn fleck trocken. <papa! ... rachmaninov war ein träumer, er lebte damals schon in einer welt von vorgestern ...>

heiser begehrte etwas unerbittliches, aber unzerbrochenes in flecks stimme auf.

<fabian, hör mir zu, es ist die große melodie, und wo bei den modernen gibt es sie noch?>

<ich kann diejenigen nicht leiden, die das vergangene lieben, weil sie das neue nicht mögen.> sagte fleck bestimmt.

der vater blickte zu boden. deshalb hasste fleck ihn, weil er ihn in einem solchen moment nicht anblickte, sondern die augen niederschlug. <schau mich an!> hätte fleck schreien wollen, <wenn du dir etwas wert bist.>

vater redete weiter. doch fleck hörte ihn nicht mehr. es kam ein gerede, das halb entschuldigend, halb beschwichtigend im tonfall auf harmlosere dinge abglitt, ungefährliches terrain: auf liebesthemen, capricen, vokalisen. elegische melodien von grieg. puccinis crisantem. und wie schön das doch sei. monets blumen in musik gemalt. fleck hätte speien mögen! und ravels pavane sei doch nun wirklich modern. und borodin. wo wir wieder bei den russen wären. jetzt lächelte vater wieder und blickte ihn an. was für eine rede; was für eine bedingungslose kapitulation; vor ihm, seinem sohn, – dachte fleck.

er ist so weich, bohrte es in fleck, er ist so ein sonnenzerbrannter hitzkopf ohne courage, er kann den blick nicht halten, seine klavierkonzerte haben ihn aufgeweicht.

flecks mutter saß ebenfalls dabei, hatte aber die ganze zeit über geschwiegen. jetzt erst nahm fleck sie wahr. sie stocherte in ihrem eis. ihr einziges interesse galt ihren eisbechern und ihrem bunten kugeligen inhalt. so eine schmach, dachte fleck, von ihm!, der sein ganzes leben nicht zu dozieren aufhörte, was wirkliche größe sei! um so vollkommen daneben zu liegen. sich einzunisten in einen bequemen bürgerlichen bildungskanon, der ihnen beiden wie auf die haut geschneidert war, in einen (nach außen dichten) kokon aus halbkünstlertum und ein paar klischees von größe und großartigkeit, bohrte es in fleck.

das waren sie also! sein vater: ein feigling, der nie etwas besonderes aus seinem leben gemacht hatte. seine mutter: eine gebrochene frau, die sich hinter ihrer krankheit verschanzt hatte und sich schon längst aufgegeben hatte, dachte fleck. beide hatten sie sich selber aufgegeben. und nie, nie! würde er sich so gehen lassen! und so zu ochs und esel werden.

15 symbiose

 

jetzt packte ihn fast die wut, dass er so ein zögerer war. was hatte er schon zeit vertrödelt, um sich jetzt weiterhin in seiner schwäche zu baden! es leuchtete wieder. ein glänzen erfasste seine wangen. den dolch hineintreiben. der welt zwischen die augen –

und plötzlich wurde es ihm weit; plötzlich sah er in reichweite die maschine fertig dastehen: ein blitzender basalt seiner fantasie; ein genuss würde es sein, den motor stampfen, die zylinder fauchen, den auspuff röhren zu hören.

seine finger begannen sich zu regen. er badete seine hände in dunklem öl. und ob er kraft in den armen hatte ... fleck hatte ein breites kreuz und war gewiss kein schwächling. er war ein kraftbündel, wenn es darauf ankam. und dieses kraftpaket explodierte mit wucht im schuppen. fleck turnte flugs hinauf auf den alten schlepper. sein haarschopf flog wie ein pinsel durch den schuppen, bis er die haare auf dem hinterkopf zu einem hellen knäuel zusammenband.

dunkel, groß und abgedeckt stand ein ungetüm vor fleck. davonfahren würde er, in der blitzenden kabine des himmelsgefährts. ob es kufen haben würde? von einem rotor angetrieben ein sausender wilder Kristall, der durch die lüfte glitt. ob er eins mit ihm werden könne? wie sengendes metall durch den himmel schneiden ... eine symbiose eingehen mit einer maschine. verschmelzen mit einem metallenen kokon, zur blume werden ... und dann:

am himmel andocken.

es war ihm, als müsse er seinen körper erst wie einen metallkorpus abschleifen und von allen dunklen stellen befreien. glänzend müsse sein körper werden. er führte die feile über beine, waden, hüften, schenkel und glied. er schabte das dunkle, eingefärbte ab. weiße funken stoben umher. es blieben schleifspuren, schräg übers metall laufende maserungen.

noch vor sonnenaufgang zog fleck in einem kraftakt das ganze landwirtschaftsgerät auf den hof hinaus, schwere werkzeuge und maschinen, die er zentimeter um zentimeter hinaus bugsierte. der schweiß rann ihm literweise von der stirn. seine knie knackten garstig. an einem eisen hatte er sich den handrücken aufgerissen. das brannte äußerst schmerzhaft, aber er hielt durch. fleck schob, drückte und stemmte mit leibeskraft. fleck plackte sich und rackerte. flecks kreuz barst beinahe unter der beanspruchung. fleck fühlte es nicht.

dahinter kam endlich der alte dampfschlepper, dieses monströse ungetüm, das er nur als rostige silhouette wahrgenommen hatte, zum vorschein. eine dunkle metallene kontur schälte sich hervor und ragte roh zur decke. fleck sog muffigen geruch in die nase.

genau hatte er das gerät noch nicht untersucht. er leckte immer wieder über seine schmutzige handrückseite. dunkelrotes blut drückte am rand des schnittes heraus, verfloss sich in fältchen und poren.

breite walzenräder lugten hervor. der schlepper war teilweise mit decken und matten abgedeckt, aber man konnte seine größe erahnen! fleck begann, das alte wrack, das hier seit jahrzehnten, wenn nicht sogar schon seit bald hundert jahren in dieser düsteren kammer stand, zu befreien. er stand im dunst seines eigenen schweißes, den armrücken nass, weil er sich damit immer wieder über die stirn schmierte.

fleck kletterte hinauf und zog an den matten. ein hässlicher, modriger gestank kroch darunter hervor. spinnen krabbelten aufgeschreckt herum. fleck warf die matten hinunter auf den steinboden der baracke.

er wich den dicken staubschichten aus, die schon seit ewigkeiten auf den matten lagen und in dichten grauen büscheln herabfielen.

fast fühlte sich fleck wie ein archäologe oder ein entdecker, der ein urtümliches fossil aus der vorzeit ans licht holt. niemand hatte es gewagt, diese alte maschine aus ihrem jahrhundertschlaf zu holen, aus jener zeitlosen ruhe, in der sie seit ewigkeiten schlummerte.

er befühlte kalte rohre mit den händen, sah roten uralten anstrich, dort, wo er den körper des gefährts freigelegt hatte: kühles metall war darunter. roststellen wucherten.

fleck hatte berge an decken und matten abgearbeitet und an vielen stellen kam das vehikel schon zum vorschein. es nahm formen an. nach und nach entmummte sich unter der hülle ein großes, unförmiges fahrzeug, ähnlich einem riesigen traktor, – schrottreifes betagtes gerät. neben schrauben, wellen, naben, speichen, achsen, felgen und traktorenrädern.

doch ein feiner kupferfarbener glanz umgab es. fleck wusste nicht, ob es der rost oder ein alter anstrich war. unter einer dünnen schicht holzstaub waren buchstaben zu lesen, die er mit seinen fingern nachfuhr. Artesian... stand da. er hielt kurz inne, denn die schrift war geschwungen und schön, von einer art schönheit, die heute etwas nostalgisches hatte.

fleck arbeitete wie besessen den ganzen tag und die halbe nacht. als die sonne bereits wieder durch die staubigen dachfenster hereinlugte, hatte er den alten schlepper ganz freigelegt. er arbeitete weiter bis zur erschöpfung.

da stand das wuchtige gefährt vor ihm; verfallen, die gelenke eingerostet. in der mitte war erhöht ein führerhaus mit blinden scheiben, über und über mit dreck verkrustet. davor ein riesiger schlot. fleck ruckelte an ihm. das alte eisen ächzte.

es roch so alt: der rost, der moder, das alte motorenöl. verrottetes totes metall. dass es nur nicht auseinanderfiel, wenn er hinaufstieg ins führerhaus!

dieses gefährt zum fahren zu bringen schien fleck plötzlich ähnlich unsinnig wie am skelett eines toten vogels wiederbelebungsversuche anzustellen.

einen moment überlegte sich fleck, ob er das richtige tat, ob er nicht viel lieber das gerät wieder einpacken solle: es verhüllen, abdecken, ihm seine ruhe zurückgeben. es begraben unter einer vielzahl von decken.

er hatte jedoch die große hoffnung, die maschine zum fahren zu bringen! er würde all seine energie hineinstecken, und wenn er monate, vielleicht sogar jahre daran arbeiten würde!

mit einem scheppern sprang das alte dieselaggregat an. getriebe gaspedal flugs hinauf und den schraubenschlüssel angesetzt. drehzahlen düsen zahnrad. fleck schraubte in windeseile den motor auseinander. sein herz war ein windkanal. wuchtete die haube herunter und mitten hinein ins alte eisen. der motor sollte eine düse werden, eine turbine mit verdichtendem schub; er legte die alte leitung für den sprit zum anlasser, die den tank anfuhr.

fleck wollte die kabine zum cockpit umwandeln. er hämmerte bohrte klopfte schweißte lag rücklings auf dem boden, metallspäne sausten dicht an seiner dunklen brille vorbei, von unten schmerzte eisig der nachtfrost. er bockte die lichtmaschine auf, montierte schmierte ölte fettete und verlor sich zwischendurch in anfällen der mutlosigkeit. rauchte mit fettverschmierten fingern selbstgedrehte zigaretten, saß herum und sinnierte. dann langte er erneut mit den fingern hinein in das schwarze öl und setzte seine zange an. schraubte am chassis, hämmerte klopfte bohrte wühlte in zylindern nockenwellen gebläsen verdichtern antriebswellen naben ritzeln schubstangen ölte bockte bohrte schraubte und schließlich stand etwas fertig da. ein großer öliger brocken aus metallenen gerätschaften, über schläuche verbunden: herzstück. für das treibstoffgemisch aus dem vergaser. fleck verbrachte tage an seiner maschine. eine autobatterie überbrückte, die zündung mit spannung zu versorgen.

spannung! fleck zog mit hartem biss auf die unterlippe am anlasser, ein hartes klicken, kein tuckern, kein metallisches schnauben, nichts – der kolben regte sich keinen millimeter.

fleck brach förmlich zusammen, fiel hin vor seine metallene herzmaschine und lag stunden einfach da, die wange in sägespänen. hauchte und sog die luft ein, hustete, atmete staub, blieb am boden.

die schubkraft einer lokomotive (ein fauchen), kesseligen dumpfen klang, das anspringen eines röhrenden riesenmotors hatte er erwartet. das brausen eines raketengetriebes. durch den schuppen hätte es donnern sollen. markantes anblasen eines drachenatems. hochspannung! anfauchendes aufheulendes durchdringendes turbinengetöse; wind; bewegung;

nur kaltes schweigen kam aus seinem wundergetriebe. er hatte versagt. ein nichts. ein verkabeltes nichts stand vor ihm. unnütz! zwei wochen mit den abgearbeiteten händen gegraben im herzstück, herzklappen und herzventile durchgeblasen, adern angeschlossen, blutgefäße und kapillaren hinmontiert; es hat nichts geholfen.

er fuhr sich durch die haare, mit händen, die bis zum ellenbogen hinauf vom öl verschmiert waren. er lag und träumte von seiner maschine. bedecken sollte sie ihn, von kopf bis fuß mit schilden, platten, panzerungen, wie im innersten einer schildkröte, verborgen vor den augen der menschen da draußen. das innere organ eines metallischen Kristalls, der mit leichtigkeit in die welt hinaus fuhr. er würde sogar über dem erdboden schweben, zart und geräuschlos. eine arche, dort hinein fleck seine sammlungen stapeln wollte, nach außen hermetisch und dicht.

er lauschte dem kraftfeld in seinem inneren.

16 untersicht

 

blätterhände, die sich ausstreckten. atem kroch über den boden. fingerknöchel, dunkel. kuppen kreisten auf der erde. ein auge lugte schräg, durch schatten. eisiger wind blies dicht über den estrich. spinnen flitzten, insekten schwirrten, kleingetier nahte fast unbemerkt. mäuse tollten, sogar vögel hopsten, erst zögerlich, dann sich immer näher heranwagend, auf nahrungssuche bis dicht vor sein gesicht.

nach stunden fasste sich fleck erneut ein herz. er müsse doch nun endlich weitermachen, dürfe sich nicht entmutigen lassen. wie entsetzlich er sich fühlte, als er sich nach stunden hochriss und allmählich auf die beine kam. steif waren die gelenke, der frost nagte an den muskeln; kaum, dass er sich regen konnte. dann ging er erst einmal nach hinten in den hof und streunte durch seine pflanzungen, besah seine ziergärtchen. dort blühten anemonen, begonyen, clematis. dort wuchsen seine kräuter; dill, estragon, fenchel. die kräuter waren alle wunderbar gepflegt. die blumen waren eine pracht. hatten sonne und wasser.

doch auf einmal wurde ihm schwindlig, wie er schattenhaft durch das tor die große maschine dastehen sah, dieses wuchtige ungetüm, das etwas so zartes bergen sollte. sein kopf drehte sich. fleck fühlte ein hämmern darin. nach stunden ging er wieder in den schuppen hinein. er wollte endlich vom fleck kommen.

es kostete ihn so viel kraft! eine senkrechte eisenleiter führte hinauf zum führerhäuschen. dort oben, in augenhöhe, führte ein trittbrett ins innere des vehikels. die restliche leiter war weggebrochen. fleck senkte den blick. beklemmung erfasste ihn in dem augenblick, als er sich mit einem schwung in das führerhaus setzen wollte.

dabei waren seine vorbereitungen schon so weit gediehen. wieder vergingen einige tage. fleck hatte sich alle möglichen gefäße und kisten besorgt, und als gälte es, eine rettungskapsel zu bestücken, hatte er auf einer silberfolie (die seine eltern früher beim campen benutzt hatten) alles lebenswichtige aufgehäuft. da waren zunächst seine decken und matten, mit denen er das innere des Kristalls auskleiden mochte. ein weiches tierfell, auf dem er vor der steuerapparatur zu sitzen wünschte. und natürlich vaters röhrenradio. ein fernglas, um in die ferne sehen zu können. kleidung brauchte er nicht viel. er brauchte proviant: schinken, wasser, brot. er kaufte sich ein großes kontingent zwieback, dazu ein paar abgepackte pakete vollkornbrot, kommissbrot, pumpernickel. fleck schnitt äpfel, birnen, pflaumen, aprikosen klein und trocknete sie unter dem dach seines schuppens. er fing eine menge fisch, den er einpökelte. er kochte große mengen tee, die er in große plastikkanister abfüllte. seine botanische sammlung verteilte fleck auf unzählige kleine schachteln und kistchen, die er abdeckte. so vergingen fast zwei wochen, in denen er sehr eifrig arbeitete, immer getrieben vom wunsch, bald aufzubrechen.

er hatte größere paletten gesammelt, auf denen er seine selbstgebastelten gerätschaften und kunstwerke lagerte, die er sich in all den jahren gebaut hatte. dennoch war er sich klar darüber, dass er sie fast alle zurücklassen musste. es gab merkwürdigerweise nichts, von dem er sich überhaupt nicht trennen konnte. einige dieser dinge warf er abends mit einer gleichgültigkeit, die etwas achtloses hatte, einfach ins meer.

die wände des cockpits würde er mit hellen matten bespannen, an die er seine schönsten blätter anbringen würde. er würde diesen kokon dann nie mehr verlassen wollen, in dem er von nun an sicher und unberührt dahinrollen konnte.

abheben wollte er zuletzt.

17 der schlund

 

eine endlose schwere: das meer zwischen der Großen Stadt und fleck. es blähte sich in der dunkelheit zu einem ungetüm (von dem er die umrisse nur erahnte), verfloss sich seitlich weit in glitzernde wucherungen und ausbuchtungen, waberte schier grenzenlos, floss und leckte über ufer hinüber. fleck stand da und spähte hinaus wie auf ein großes geheimnis. das meer war immer da und dehnte sich aus, als großes wesen fluktuierend, dem organismus einer riesenamöbe gleich, zungte, leckte, biss, grapschte und schwappte mit seinen vieltausenden tentakeln an land, grieselte sich in feinen schaum aus, zog sich wieder zurück und stieß von neuem hervor; lag bei mondschein in endloser ruhe, eine glänzende nachtschwarze platte, fahl erleuchtet; taumelnd tanzten die kuppen seiner gischten; tranig zerfloss das rauschen in tiefes gleichförmiges glucksen der nacht; dunkel und bitter roch es; tiefschwarz schuppte welle über welle. mit gleichförmigem brausen rollte das dunkel heran, überspülte flecks schuhe und schwappte ihm bis zu den schenkeln. das meer schluckte unter blauer sonne blaues licht, blaue nacht: es saugte an ihm

fleck sah in den nächten häufig zu den sternen hinauf. sternbilder kannte er nicht. namen waren ihm gleichgültig, als bedeutungslose koordinaten eines benennungssystems. dass niemand wusste, was sterne wirklich sind: das beeindruckte ihn. er war beeindruckt von der ferne des lichtes, von der größe und tiefe des raumes, als bewiese (verkörpere) dieser raum das unermessliche unwissen der menschen, das alle menschen verbindet: dass alle menschen (ausgestattet mit winzigen gedankenapparaten) bisher zu den sternen hinaufgeblickt haben und hinaufblicken werden, ohne wirklich zu erkennen, was sie dort oben sehen. dieses verbundensein im nichtwissen war fleck ein tiefer trost.

wenn du mit einem boot unterwegs wärst – und wenn die see dir noch so schnittige wellen bereitstellte und wenn der wind dir mit starken stößen kraft gäbe, dir den rücken stärkte und dein boot beschleunigte – du spürtest doch unter dir das unendliche meer. den brodelnden abgrund. den geöffneten schlund. du fühltest doch unter dir die schwankende see!

das beben deiner welt –

das meer wird dich so oder so aufsaugen, irgendwann in sich aufnehmen, am ende deiner zeit verschlucken, so oder so. es wird dich so oder so in seinen schmatzenden schlund wegschlotzen, selbst wenn du mit himmelsflügeln darüber hinschwebtest, ohne das nass auch nur mit einer einzigen faser zu berühren. schon die eisige salzluft wird dir widrig entgegen schlagen. und selbst wenn du auf einem vom wasser gelösten kokon dahinschwebtest (und du wirst eine gute zeit darüber hinwegschweben), wirst du nach einer zeit wieder auf den wogen aufsetzen müssen, hoch oben auf den rollenden rippen der see, die dich kippend wippend umherschaukelten, nach lust und laune umher wiegen,

-wehen,

-werfen,

wenn sie dich einer möwe gleich auf wellenkuppen, ohne anker wankend und schwankend, mit den glitschigen pranken der see umgreifen (umarmen, umpacken) dann wirst du mit einem mal das gleichgewicht verlieren und hastig nach halt tastend ins leere fassen, in gewaltige erbarmungslose bracken, feindliche starke wassermasse ohne festen grund. du wirst, nachdem dein gefährt dahin gegangen ist (und es wird so oder so dahingehen!) eine weile im kreis rudern, herumplätschern, -plantschen; du wirst auf hilfe wartend und flehend verzweifelt im wasser zappeln, sehr bald kraft verlieren, wirst, um irgendein lebenszeichen zu sehen, wie verrückt den kopf herumwerfen, nach rettungsboot, -flugzeug, -kapsel ... und vielleicht wirst du wirklich weit entfernt ein boot erspähen; aber nach und nach werden deine kräfte schwinden; die kälte, der sog, das wasser wird dich immer weiter umfassen – bis du endlich hinabsinkst: vollgesogen, fortgesaugt, versackt. du wirst müde und schwer immer tiefer sinken, die lungen werden dir irgendwann vor druck bersten.

fleck stand eine schweißperle auf der stirn

er sah die welt, wie sie ins kippen kommt, bis zuletzt nichts mehr lotrecht steht: ein einziger taumel des schwankenden, schlingernden, unsicheren, unvorhersehbaren, unwägbaren. weltbilder schaukeln. alles schwankt, wird bodenlos oder doppelbödig; fleck verliert für momente jeden halt, jeden boden, es zieht ihn hinab, stufenweise; zeit rast hin. die welt steht auf wässrigen füßen. ohne oben, ohne unten. alles droht, von einem moment auf den anderen umzustürzen, umzufallen, jede welle wird von einer neuen welle überdeckt, überleckt, die alles schluckt, was vorher war; und welle um welle wird jede wahrheit von einer neuen wahrheit überlagert– den wellen ist alles eins und einerlei; war gott am ende selbst ein opfer der wellen?

die sonne leckte ihn auf wie einen wassertropfen.

fleck, gasförmiger hauch, schwebte in den himmel

18 schwarzweißbild

 

fleck fühlte sich durch und durch unbeweglich: bleierne schwere, die sich mit zentnerlast auf ihn legte. er war vor müdigkeit vor seiner maschine eingeschlafen und hatte wieder eine nacht auf dem boden seines schuppens verbracht. es bohrte die gewissheit in seinen gedanken, ganz von vorne beginnen zu müssen.

doch er lag noch keine zwei minuten wach, als ihm schlagartig klar wurde, woran es lag. ein glücksgefühl fuhr ihm durch und durch. die alte autobatterie! er hatte die batterie ja nicht aufgeladen! sie stand seit jahren herum, und beim herumstehen hatte sie auf dauer einfach einen spannungsverlust erlitten. was für ein dummer anfängerfehler! dachte fleck.

mit seinem handwagen karrte er seine alte autobatterie bis zum ende der ortschaft, wo eine kleine tankstelle war. als er seinen geldbeutel herauszog, fiel ein altes schwarzweißfoto von seinem vater heraus. fleck schob es schnell wieder ein. ein flackern lief über sein gesicht.

diesmal nahm er sich unendlich viel zeit, klemmte die kabel alle erneut an, überprüfte die anschlüsse, nackelte am kupfer, um wirklich jeden kontakt zu überprüfen. er tauschte die sicherungen im schaltkasten gegen neue aus, prüfte an der ringfarbe die richtigkeit ihrer amperezahl. er drehte an allen gewinden, die locker in ihren geöltern lagern ruhten, reinigte die übersetzung des getriebes mit einer geduld, die ihm selbst fremd war. fleck wischte mit einem lappen an allen eingedickten kontaktstellen vorbei und wienerte jedes ritzel, zog das tuch durch alle zwischenräume, bis das edelstahl unter dem schwarzen öl hervorblitzte.

die kompression der turbine würde einen gewaltigen schub erzeugen, also müsse er sofort nach dem anlassen auskuppeln.

fleck packte eine packung argonit aus, um die ventile zu enteisen, ließ den keilriemen sirren, prüfte den schub, entließ die verschmutzte abluft aus dem motorkessel, drehte die hubkolben auf 3/8 des hubraums, bohrte mit dünnem stahlbohrer die rückwand der sfärentrommel auf, verband die gratpumpe zunächst mit dem zellkrümmer, um so mehr schub zu bekommen, öffnete alle abzugsventile zum gas, verlegte eine leitung zum steuerknüppel, kombinierte die totpunktlage der achswelle zu den turbinenstangen und hob den lichtkanal überzwerch heraus, fasste die zündungsnut über kreiskolben zum kompressor und schweißte unter sprühenden sternen ein wellenförmiges außenruder an das riesige heck. nachdem er die treibstoffleitungen an den tank montiert hatte, wurde der blaufarbene druckkessel für die interne spannungsversorgung des strahlenkörpers zum opalkrümmer verschweißt und halbleitende kupferkabel verlegt. zögerlich ruckelnd lief die marmorwinde an.

dann legte fleck den zündschlüssel um.

ein tosen ein atem ein wellenmeer ein stampfen ein ohrenbetäubendes aufwiehern ruckhaft ineinander greifender zahnräder mit weißem gekeuch des dampfes schoss ätzung in himmel; in wildem zentrifugalem schnauben im aufstand ihrer kraft begannen die eingerosteten lager zu keuchen und zu ächzen; begann das herzstück mit seinem keilriemen zu holpern und auf dem bock zu hüpfen, begann endlich rau und heiser loszuknattern: ohrenbetäubendes rumpeln in überschalldüsen zitterte durch jede einzelne pore der glasfibernute, hob sich ein bronzenes gemisch in chemischer emulsion empor, schoss über und über, sprudelte, übersäte, befleckte mit goldspritzern den boden. sternenbasalt zierte die erde. fleck war außer sich und jubelte! auch wenn das motorgeheul nach kurzer zeit wieder abstarb.

fleck sprang im taumel wild singend durch seinen schuppen. das alte radio seines vaters spielte chopins sylfiden


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