Armin Steigenberger RAW CUT fleck

vierter teil

1 königsweg

 

von ferne der wellenhafte saum eines liedes, dessen bestickte spitzen ihn am ohr kitzelten; geigentöne; feines helles singen

wohin der weg ging?

fleck hatte sich doch nun schon so oft ausgewechselt, sich hernach als jemand neues gefühlt und sich dabei immer und immer dieselben fragen gestellt. sein leben war ein einziger berg von fragen, die sich nie abtrugen; fleck steckte in diesem berg und war <partiell glücklich> – wie er es einmal genannt und damit einen irren kompromiss ausgesprochen hatte: immer nur für augenblicke wirklich glücklich zu sein; nie unendlich; fleck verbrannte seine fragen und verblies die ascheschnipsel. strich sich rußschwarze antworten ins gesicht

auf den pflasterstein malte fleck mit ruß sein leben: ein kleines quadrat mit neun kästchen, von denen acht völlig ausgelöscht waren; acht mal asche; sonst nichts

sonst nichts! da machte fleck sich nichts vor. sein streben ging dahin, noch das restliche neuntel auszulöschen. doch wie verbrennt man ein blatt papier ganz und gar, ohne sich am ende die finger mitzuverbrennen?

sonst nichts! und wenn er doch wenigstens ein solches blatt im wind wäre, eins mit buchstaben drauf, die von irgendwem gelesen, verstanden, erhört werden könnten; wenn irgendwo eine richtung wäre

sonst nichts! die welt, die für alles und jedes eine sogenannte <begründung> einforderte, eine begründung, die fleck anekelte. wer wusste schon um die hintergründe der dinge, die man hierzu heraufzubeschwören hätte? wie weit konnte irgendwer wirklich hinter die dinge und ihre <gründe> blicken? ohne ein allumgreifendes nichts klaffen zu spüren

fleck steckte die zunge im hals, ein blaugefrorener block; zum stein erstarrt

in seine augen taumelte der erste schein des morgenrots; Aurora: schob sich als glimmender schein vor das sternengeleucht und vertrieb das götzenhafte gegondel des mondes. fleck rieb sich die klammen hände und starrte über die brüstung hinab

jedes herz war eine ballade

es gab keine profezeiungen. es gab nur atem; und zwischen den einzelnen atemzügen klafften krater der leere

2 feuerfarben

 

manchmal war es ihm schwierig zu entscheiden, ob er noch da sei oder ob schon der herbst über ihn hinweggegangen sei und ihn mit sich davongerissen habe – der herbst mit seinen melodischen farbfeuern; der schreiende schmerz zeigte ihm, dass er noch lebte. bäume, beflaggt mit rubinfarbenen wimpeln, erstrahlten ihm im rötesten gewand; kündeten gelbe von schiffsmasten herabflatternde wesen den leisen aber opulenten untergang eines wracks in saugenden winden. die winde hatten sich gestritten. fleck sank rötlicher schimmer ins haar.

die trübe glut des abends hatte ihm ohnehin längst die augen versengt. fleck, bartstoppelig, mit geröteten hautpartien, saß auf seinem platz in einer felsenbank, nestelte mit langen ungepflegten fingernägeln an seinen handinnenflächen. er war abgezehrt und dennoch trunken; sein auge ruhte starr auf dem glitzer des meeres, das faulige bracken heranschob; der schaum bei seinen schuhen besaß eine verdorbene bläue, die pestig aus dem wasser heraufglotzte. er roch die verderbnis nicht:

die see hatte ihm heute nicht einmal einen dahingesiechte<h2>soffenen atem hofierten. die sich zu ihm setzten: deren gedanken für fleck wie träge fischerkähne waren, während seine ideen wie schnellboote vorbeizogen. er kotzte ab und zu mit umbeugsamer stimme gedanken heraus, was besagte gesellschaft völlig verunsicherte.

es wurde ihm heiß, die flammen loderten ihm bis zu den ohrläppchen. dabei hatte er das gefühl, seine nasenspitze würde feuer fangen. es gab nichts, um den brand zu löschen. er fühlte es nahen, wie in seiner kindheit: den herbstlodernden baum, der aus der erde wuchs und zuletzt seine entflammten blätter über alles warf; alles bedeckte.

asche blieb zurück. das feuer kam ruhig heran, fuhr langsam über alles hinweg, kehrte alles ein.

fleck fuhr sich hin und wieder mit seinen klobigen und seltsam steifen händen durch seine wirren strähnen.

<als ich noch lebte>, sagte er zu den leuten dort auf der backsteinbank im park, <war der feuerrote schmerz in mich gedrungen. aber jetzt muss ich tot sein, oder nicht von dieser welt. und so viele dinge sind tot. und ich bin der einzige, der nach seinem tod noch denkt.>

sie lachten ihn aus. da fiel ihm seine liebe ein.

<ich liebe dich!> hatte sie gesagt, damals.

<ja. schade!> hatte er ihr geantwortet.

alles in gold verwandelt. ihre augen hätten ihn treffen sollen wie zwei mordlüsterne dolche. doch flecks augen waren ruhig und tief geschlossen. er war bei sich. sein trüber geist blickte durch wässrig blinde augen in die welt, ein auge schon vollkommen stumpf, mit dem anderen nie etwas reizenderes erblickt als schalheit; leere; verdüsterung.

ja. schade! dass du dieses wrack zu lieben suchst. und schade! dass es dir niemals ewig sein konnte: nur eine kurze sekunde, bevor der lodernde brand alles fraß; bevor die kraft des feuers, die tosende glut, alles aufleckte –

schon früh, wenn er zu seinem aussichtsplatz oben an der empore herauf kam, rührte ihn der herbst an; überschatteten ihn nebelschlieren wie dünnflüssiger kleister; flockten dünne wolken; klebte plötzlich ein gedanke lose am nächsten; schüttelte fleck der kalte wind und fraß sich in seine klammen knie; zwickten ihn koboldhaft die wirbelsäule hinunter hopsende kicherschmerzen, die wie allesfressende lachsonnen an seinem rücken bissen und nagten.

fleck saß wie toll über der stadt und schaute hinunter auf silhouetten. neben ihm saß allerhand volk, kokettierende kerle, junge rauchende gören, parfumschwangere damen, gemüsefrauen mit kerbigen gesichtern, betrunkene taxifahrer. und alle legten sie ihre arme um fleck.

gelegentlich steckte er ihnen kurz einen ellenbogen unters auge, damit sie verschwanden.

damit sie verschwanden, dachte fleck. denn sie mussten ihren eigenen gestank nicht ertragen. damit er in ruhe vom kirchplatz hinunterschauen könne auf die besonnten ziegeldächer und deren mönche und nonnen. und hinauf: was da für wolken seien.

damit er gott genießen könne. man zog die kleinen kinder von seinem schoß.

jedes hausdach war ein süßer bissen röte.

früher habe er mehr kraft besessen, meinte fleck zu wissen. da sei er ein gedrilltes tau im wind gewesen. heute wehte sein körper wie das zerrissene segel einer gestrandeten jolle: höhnisch quiekte ihm das frühe kichern des todes in den knochen. metallisch kroch ihm der frost mit spitzem gemecker über die haut hin. längst abgestumpfte angst zuckte ihm wie ein altes geisterspiel durch die gefäße. er fühlte noch etwas anderes. doch das verbiss er sich zu benennen: er fühlte ein ruckeln in seinem hals, wenn seine gedanken daran streiften. schauer überrieselten ihn, von den haarspitzen bis hinunter in die zehen.

seine gelenke waren morsch und greis, die beine müde, der rücken krampfte sich unter der anstrengung zusammen; es gab keine hoffnung mehr, keine fröhliche melodie, die aus irgendeinem hauseingang zu ihm drang und ihn für momente belebte; es gab überhaupt nichts mehr

da war so viel kraft, die sich selbst verzehrte, sich in gräßlicher langeweile in sinnlosen bewegungen verfraß. aus seinen händen klaffte rotes fleisch. fleck fühlte verlassenheit. und je mehr er für einige zum possenreißer wurde, desto öfter bleckte er ihnen seine scheckigen zähne und ließ unversehens irre schreie hören.

erfrischend finster war manche nacht; dann waren sie alle verschwunden.

3 die unendlichkeit der doppelsonnen

 

inmitten zweier sonnen träumte er ein gott zu sein. gelbe sonne, rote sonne. er sah niemanden mehr. sein blick hatte sich verdunkelt; seine iris eingetrübt in ein traniges graubeige, von schieferigem glas überzogen, aus der die pupille als dunkle mündung herauszielte und eigenartig starr auf den gegenständen haften blieb. dürr war er geworden, zusammengezurrt zu einem hänfling. er saß stundenlang und wiegte seine gedanken wie ein kind ein paar kuscheltiere. seine haare waren zu silberblondem strohfeuer aus wirren verfilzten strähnen geworden; sein gesicht, schattig verlebt, glänzte bleich im kerzenlicht.

das kleine ecklokal war ganz nach der art spanischer weinspelunken. tagsüber unterhielten sich ältere herren bei kaffee, branntwein und zigaretten lautstark, hatten dabei den fernseher laufen und diskutierten hitzig über sportliche ereignisse.

schon vormittags duftete es nach kaffee und gebäck. hin und wieder, meistens um die mittagszeit, kam eine familie mit ein oder zwei kindern ins lokal, um zu eis oder süßspeisen kalte getränke und espresso zu trinken. abends wurde die kneipe zur räucherhöhle. männer trafen sich zum trinken, kartenspielen und debattieren. im eingangsbereich standen vergnügungsautomaten. junge männer mit sonnigen gesichtern spielten dart. sie lachten laut und prosteten sich mit aneinander klirrenden bierflaschen zu. es wurde um geld gestritten. ein ums andere mal tauchte auch die polizei auf, schlägereien waren jedoch selten.

der kneipenschall brach sich an den wänden mit dunkelgrünen stofftapeten und großen goldenen bilderrahmen: billige reproduktionen großer kunstwerke, längst vergilbt. die wände waren über die jahre in der schlechten luft speckig geworden. ein uralter Wurlitzer stand in einer nische, der offenbar seit jahren keine musik mehr ertönen ließ und vollkommen mit staub und nikotin bedeckt war.

in der mitte des großen raumes befand sich ein billardtisch, dessen fusseliger filz als ablagefläche für alles mögliche diente: rechnungen, brettspiele, tabletts; manchmal wurde sogar geschirr dort abgestellt oder ein bündel aus jacken, mänteln und schals achtlos darauf geworfen.

in dieser kneipe gab es im hinteren raum eine dunkle ecke, wo nur wenige blicke hinfielen; da dort nie gelüftet wurde, roch es im verbindungsgang immer eigentümlich nach abgestandener essensluft, vermischt mit einem durch die traufe des zapftresens erzeugten biermief, der nach hinten zog.

dort saß er. es war der ort, an dem er meist schon am frühen nachmittag platz nahm. ein irrer sei er, ein verschwiegener kerl, sagten welche von dem, der mit nach vorne geneigtem oberkörper herumschlich wie ein buckliger und schwielige hände hatte. wieder andere hielten ihn für eine ausgeburt des bösen: ein glückloser, schräger typ, der immer ein fremder geblieben war über all die jahre – hatte er doch noch nie viel geredet: er wäre seit eh und je ein wortkarger mürrischer mensch gewesen, sagten manche, und nun nach den jahren vollends verstummt. nun wäre es sinnlos geworden, ihn noch kennenlernen zu wollen. selbst zum kartenspielen schien er zu einfältig.

eine art hautkrätze plagte ihn und so zupfte er ständig die haut seiner hände ab. winzige hautkrumen lagen überall dort, wo er saß. er hatte in seinen händen große stellen, an denen das nackte fleisch durchschien. da es ihn andauernd juckte, rieb er immer wieder mit den knöcheln der anderen hand wie wild darauf herum.

gerade nach der mittagszeit saßen oft leute in seiner nähe, die blicke und kleine worte herüber warfen: anzügliche gesten und pfiffe, dazu derbes männervokabular, um ihn vielleicht doch ein wenig aufzuheitern. er hörte es nicht, blickte versteinert, gab niemals antwort.

er konnte wütend werden bis zur weißglut. in anhaltendem jammervollem schreien fuhren schmerz, wut und schrecken aus ihm.

um zu vermeiden, dass er einen seiner schreikrämpfe bekam, gaben ihm die bedienungen des El Hierro großzügig zu trinken aus: zimmerwarmen tafelwein, den roten, oder etwas gekühlt, den weißen, den er gleichermaßen schätzte.

er liebte das spiel, zwei kleine gleichmäßig wackelnde punkte zu betrachten. sie ließen sich nur zur deckung bringen, wenn er zwei kerzen aufstellte. er hatte vor sich ein glas weißwein und ein glas rotwein stehen. er erleuchtete beinahe ritualhaft stets neue kerzen, so dass sich vor ihm immer zwei punkte bildeten, auf die er tranceartig stunde um stunde hinstarrte. manchmal murmelte er unverständlich etwas von zwei sonnen. zwei kleine lichtpunkte, rot und gelb, fielen auf die maserung des tisches.

so wurde ihm behaglich. er nippte nur ganz langsam und genussvoll an seinen gläsern, um so selten wie möglich von seinen beiden sonnen lassen zu müssen. es war ihm mühsam, mit seinen großen händen, die stets zitterten, nach den gläsern zu greifen und sie so exakt wieder zu platzieren, dass er beide punkte zur deckung bringen konnte. seine finger waren oft bis zu den handknöcheln von weißem wachs verklebt. er liebte den schorf des wachses auf seiner haut und tauchte die finger mit absicht hinein. dabei grinste er, besonders, wenn ein geheimer zuschauer meinte, er müsse schmerz fühlen, wenn das heiße wachs ihm auf der haut erstarrte.

so saß er den ganzen abend und zupfte an seinen schwieligen händen, stocherte im wachs der kerzen und ließ deren lichtkegel tanzen; starrte, sinnierte, ging in seinem kopf spazieren. manchmal begannen seine lippen leise zu beben, unter den schnellen winden seiner gedanken. seine mundwinkel flatterten behände.

niemand wusste, wo er war.

wenn ihn die bedienungen nicht zu später stunde zur tür begleiteten, ihn bald ermunternd, sich beizeiten zu erheben, ihn bald sanft am arm zupfend, war er nur schwer dazu zu bewegen, am späten abend nach hause zu gehen. wurde er zu brüsk aufgefordert, aufzustehen, schrie er zornig los wie ein kind, das nicht zu bett gehen wollte, aber dennoch todmüde war. er begann dann theatralisch mit seinen armen zu rudern, als wolle er zuschlagen, aber ließ sich doch meist schon nach kurzer zeit vom festen zuspruch des personals beruhigen.

das feuer stakte ihm wie die spitze eines schürhakens im kopf. züngelnd wie quirlige fischchen und sternsprengsel tänzelte der brand. hinter dem orangen gefährt war ein mann gelaufen, mit einem großen besen. er ließ nichts zurück. zurück blieb schwärze.

an regnerischen tagen, wenn es im El Hierro wirklich voll wurde, fragten gaststättenbesucher, ob bei ihm noch ein platz frei sei. er blickte dann langsam auf, mit zwei augen, die sich nach oben verdreht hatten, zwei aus der achse gekippte monde, vom meer gewässert; er begann, mit einer hand unruhig zu werden, als versuche er, diese personen wie lästige fliegen wegzuwedeln, oder begann, mit wackelndem kopf und zitternder unterlippe unbehaglich zu knurren. der mund stand ihm dabei halb offen.

sonntags nistete er sich in seiner felsenbank ein oder starrte stundenweise zum dachfenster hinaus. die blätter waren längst vergangen. er verlor sich in erinnerungen, verflog sich bei seinem hinträumen in vergangene einstellungen wie in alte schwarzweißfilme: vergangenes, das er nicht erlebt hatte; oder sich nicht sicher war; er dachte an seine mutter mit wehevollem erinnern, dachte an seinen vater; beschwor bilder aus schönen kindertagen. wahllos durchzogen ihn fantasien, szenerien, schichteten sich traumhafte begebenheiten übereinander, durchstreiften ihn beliebige dramaturgien von hell und dunkel, verlor er sich im schattengebäude seiner träume, stolperte stufen hinab und weiter hinab, schliff sich blauer travertin;

seine zunge verdichtete sich. seine zunge verkeilte sich. seine zunge wurde ein berg. seine zunge schüttete schnee. seine zunge war das azur der nacht;

fleck tauschte hüte aus, kokettierte bei frauen, hatte geliebte, die er küsste; er liebte und wiederholte jeden kuss und jede liebe in seinen gedanken immer wieder von neuem; ließ sich sein herz entfernen und sogleich wieder einsetzen, verschenkte sein herz, verhökerte es, ließ es sich stehlen und stahl es heimlich selbst, erstand es wieder, kaufte es im supermarkt, trug es bewusst als zweitherz, ließ es sich mit dem dolch einer allzuverliebten im zorn aus der brust herausnehmen, opferte es an basaltenen bänken und warf es hernach achtlos ins meer;

fleck trieb leise auf den stoßhaften wellen seines kopfes dahin. ließ sich von dessen gedankenflüssen hin und her wiegen. spielte in seinem kopf toter mann. war im strudel seiner fantasien längst weit abgetrieben und schon im nächsten moment wieder an den klaren gestaden der wirklichkeit angelangt. er habe sein herz nie hergegeben, dachte fleck. und verweigerte sich brüsk den personen, die in seinem kopf auftauchten

es seien ja alles bloß figuren, statisten: beliebig verstümmelte flache charaktere, wie er vermeinte. fleck tauschte sie aus, stattete als dramaturg im geist seine beliebig komponierten szenarien immer neu aus, erschuf neue erinnerungs-stücke, in denen sich bald alles veränderte und ließ bald seine fantasien dahinströmen, wurde leise durchströmt, dämmerte, fühlte endlich nichts mehr

fleck liebte das spiel, alle gedanken für augenblicke aus seinem kopf zu verbannen: augenblicke, die sich wie ewigkeiten dehnten

gedanken waren ihm nichts wert. er wollte sein denken auslöschen

kerzen waren ihm wie ein lebenslicht. ab und zu summte er eine melodie. dann meinten manche, die ihn im dunklen beobachteten, ein lächeln husche über seine lippen. fleck starrte teilnahmslos auf die tischplatte. sobald sich das gleichgewicht beider punkte verschob, wurde er unruhig. er hatte mühe, die flammen, die aus seinem körper brechen wollten, unter der kleidung zu bergen

es gelang ihm für minuten nichts mehr zu denken

oft fühlte er sich in den gespenstischen räumlichkeiten seines kopfes gefangen; nacht darin. allein fleck wandelte dort, allein fleck konnte dort eine sohle aufsetzen. fleck verirrte sich in verlassenen herrenlosen räumen. fleck war gefangen in seinem gehirn, verlor sich in dessen schlaufen und windungen wie in riesigen gemächern, verlief sich in endlos leeren hallen und widerhallenden sälen: dort war nichts außer spiegelblanken wänden, decken und fußböden, ein wenig nacht; scharfe raumkanten; angst; leere. fleck verirrte sich in ihren labyrinthischen schluchten. fleck verging sich in der einöde ihrer dunklen leerräume, toten winkel, tristen schläuche. würfel darin; kuben, verdrehte säulen, flache treppen, daneben steile. und dunkel die nacht: ein leerer, verlassener korpus

manchmal zuckte fleck zusammen, wenn im nebenzimmer eine horde jugendlicher hell auflachte oder ein paar mädchen kreischten. wie verstört schrak er hoch und warf einen zornigen blick gegen die alte tapete, bis sein kopf allmählich wieder nach vorne rückte und er zurückkehrte zu einem reglosen hinstarren auf seine klobigen wachsverkrusteten hände.

züngelnde flammen, wie kleine fischlein auf seinem körper aufsetzende flackernde spitzen, tänzelten, erhellten mit hell aufzuckenden gluten das düsterschwarze zyklopengebäude.

fleck war in diesem ungetüm unterwegs, erdrückt zu einem glühenden frosch, der brennend und sich verzehrend auf dem harten steinboden seiner selbst umherhopste; fleck fühlte den schmerz seines verbrennens nicht, freute sich sogar am licht, das er verstrahlte; es erwärmte ihn wie ihn früher die schnellen violinläufe in rachmaninovs konzerten erwärmt hatten.

fleck war unempfindlich gegen das beben seiner lippen.

zeit verging, die fleck auf sein konterfei im wandspiegel hinstarrte. dann nahm fleck die schere und schnitt sich mit raschen schnitten das gesilberte stroh vom kopf. er hasste sein gesicht. dieser raue hautschorf, dieses von tausenden pusteln und narben zerfressene antlitz, in dem nur noch selten das brausende feuer der jugend lohte. fleck hasste den stumpfen teint seiner haut, die matte blässe seiner augen, die abgebrochenen kuppen seiner schneidezähne: und wenn er sich vor dem spiegel mühte zu lächeln, hatte dies stets etwas weinerliches. fleck wandte sich ab. er hasste sogar den sonnigen schein des messingrahmens, der den spiegel umgab.

seine haarspitzen ragten in die luft, kurze stacheln, die er unterschiedlich lang schnitt. stoppeln und ganze büschel fielen zu boden, fielen in seinen kragen, fielen auf seine kleidung, bis er sich schließlich – soweit er dies mit der schere bewerkstelligen konnte – den schädel kahl geschoren hatte.

selten hatte sich fleck so eins mit allem gefühlt; er war erleichtert, als der ballast zur erde fiel.

der kreis auf seiner stirn sei mit den jahren eine wundervolle narbe geworden, dachte fleck. diesen runden kreis, einen feuerring, durch den ein löwe zu springen vermochte, liebte er an seinem gesicht.

fleck fühlte weder warm noch kalt. fleck spürte keine gefallenen härchen auf der haut, kein jucken, keinen schmerz. fleck blutete nicht. fleck nahm aus einer kleinen schachtel kleine goldene reißnägel, die er sich um den kopf herum zu einem kranz in die haut eindrückte. fleck wollte außer sich sein; fleck wollte von sich loskommen; fleck wollte mit kleinen fühlern die welt erfühlen, wollte nach draußen horchen, wenn er durch dunkle menschenleere räume schritt.

einzig die langen schatten seiner gestalt tänzelten über die schrägen wände. manchmal glaubte er, dort als hüne mit langen wallenden gewändern aufzuragen; glaubte heldisch durch ewige hallen zu wandeln, bevor ihn eine plötzliche raumflucht oder eine rapide steigung unvermittelt wieder zum flammenden kriechtier erdrückte.

fleck war in sich. fleck wollte außer sich sein. wollte mit den nagelspitzen in seiner stirn nach draußen horchen und fühlen: bohrende sonnen, die alle mit einem einzigen goldstrahl ins zentrum seines gehirns wiesen. tentakel und fühler für die welt –

kurz zuckten klänge eines liedes in seinem kopf auf, nur fetzen; bruchstücke spanischer silben tanzten über rhythmen, die bald wieder von der lautlosigkeit geschluckt wurden. einen moment lang fühlte er eine unerhörte freude, ins paradies zu gelangen, in englische gärten und himmel. fleck versank tief, sank kilometerweit in blauschwarzen schlick. dort war es warm. er fühlte sich wohl, ein wenig träge, es zog ihn hinein, er sackte hinunter in dieses wasser, immer weiter, es gab keinen halt, keine trittleiter, keinen griff, nichts mehr

 

[musik]

 

die dunkelheit: das tiefe nass, das alles schluckt. die see. das meer trinkt sich selbst, schluckt sich in völliger dunkelheit selber fort. er dachte so vieles, das augenblicklich zerfiel.

4 laubmeere

 

das bett seiner gedanken war mit reif bedeckt. flecks kopf lag in völligem dunkel. am morgen trat er hinaus vor die eingangstüre und spürte die kälte des herbstwindes auf den wangen. die kälte lag mit bizarrer präzision auf allem und jedem. schieferig schuppten sich kühle reifige formen. matt hob sich weiß samtener film.

vor jahren hatte er direkt vor dem hauseingang des gehöftes eine kleine allee mit ahornbäumen angelegt: sie stand mit ihren jungen bäumen friedlich da. sein atem verhuschte sich in weißen dampf. fleck betrachtete.

schnee war bedeckt mit laub: ganz gelb, ganz rot, über und über. fleck war überrascht von der menge des laubes. ein aufschrei der farben. er spürte den schmerz. das leben der blätter war in der kälte dahingewelkt. sie sahen aus wie im fieberfrost der nacht verbrannt.

fleck kniete sich hin. er liebte die farben des laubes, dahingeblüht. er hob sich ein paar blätter auf. sie waren feucht. fleck strich sie glatt. besonders die kleinen blätter betrachtete er. auf einem blatt leckte der brand, in der mitte noch beinahe grün, fraß das feuer gelb von innen heraus und züngelte sich rot in den fünf spitzen gleichmäßig aus.

reif wucherte kristallin.

er erinnerte sich an gitarren, die die farbe sunburst trugen.

was ein blatt aussagt. jenseits dessen, was menschen fühlen. was stille aussagt. jenseits dessen, was menschen zur sprache bringen. dachte fleck. und wie viele blätterberge und blätterwälle die menschen schon errichtet haben, die wieder eingefallen waren. und was sinn sei, im moment des zusammenstürzens.

zusammengestürzt.

das nass: entfacht. die wellen: himmelhohe schleuderberge, die alles niederreißen werden, alles niedergerissen haben. die milde ruhe in ihm. daneben die gewalt, die alles niederreißt, die sogar die sonne vom himmel reißt wie eine gläserne gemme: die wut in ihm.

nie würde ruhe sein. dort oben auf der kaimauer wühlte es einige male in seinem innersten. erschüttert stieß er das beinah willenlos klingende johlen eines tiers aus, fühlte er es. in ihm würde keine ruhe sein. nie würde sein herz abebben und leiser schlagen. auch wenn er sein herz noch so weit weg von sich entfernt vergrub und verbannen wollte, von sich stieß und wieder fand, so sehr spürte er doch, wie es sich nun zusammenpresste. fleck fühlte sein herz, fühlte sein zweitherz, fühlte unzählige fantomherzen – dort, wo nicht einmal nerven waren, plagte es ihn umso mehr.

menschen waren zusammengelaufen, die hinaufzeigten und nervös herumredeten, sich gegenseitig das wort abschnitten, um den da oben auf der mauer hören zu können.

fleck krümmte sich vor schmerzen, stand einige augenblicke steif, horchte in sich hinein, dann gewann er für momente seine ruhe zurück. viele augen blickten von unten herauf. er nahm es wahr wie das glitzern des meeres. er hatte lange nicht gesprochen und nun bebte sein kopf, dass ihm der scheitel fast zu glühen anfing und sich aus seiner kopfhaut wie ein konus nach oben hob, pochend unter seinem rasenden blut –

seine brust wurde weit wie das meer, sein atem rauschte, einem schweren sturm gleich. fleck fühlte unbändige kraft. fleck füllte seine lungen, breitete die arme aus, schloss die augen. die menge unter ihm wurde augenblicklich still.

dunkler klavierklang; eine unsagbare ruhe; ein nachtlied; durchklang ihn

flecks augen schlossen weich. voller vertrauen einatmend fühlte er seinen brustkorb sich wölben wie einen harnisch aus gold. es war ihm warm. er vibrierte.

worte: sie ruhten als azurnes wärmendes kissen in seiner brust; sie würden tiefblauer hauch werden, wenn er sie ausspräche; die welt würde er erretten mit seinen worten; wenige hätten es ihm gleich getan; er fühlte sich von herrlichkeit durchdrungen

ein schrei –

unter ihm waren sechzig, siebzig menschen zusammengelaufen, die nun zu ihm aufsahen – dem stadtbekannten, der nie sprach; zu ihm, diesem verschrobenen eckigen seltsamen kerl, der sonst meist mit den nichtsnutzen auf parkbänken herumlungerte, in kneipen lümmelte, schlechte weine trank, auf die schachbrettmuster der großen plätze hinstarrte; zu ihm, der sich mit gelegenheitsarbeitern und kunststudenten kleine zimmer teilte, nachts aus eckkneipen nach hause begleitet wurde, einen üblen mundgeruch mit sich herumtrug

ein raunen durchstreifte die neugierigen:

<schaut doch! er will springen! jetzt steht er schon ganz am rand!>

ein weiterer ohrenbetäubender schrei hallte über den platz; kein schrei eines menschen; fleck erhob seine behaarten arme wie ein messias. minutenlang schloss er die augen

eine göttin sei sie gewesen, eine frau ganz aus lapislazuli, blau marmoriert, ihre haut glatt und warm wie blauester kiesel, rund und hübsch. winzige weiße fäden maserten das blau. er habe sie über und über geküsst, war in ihr blau eingetaucht, hatte seine goldene warme brust an ihre gedrückt, ihre lippen wie diademe zwischen den seinen gefühlt; ihre brustwarzen seien dabei wie glänzende sterne auf seiner haut zersprungen, die hitze in ihm aufgestiegen, – er war zu einem glühenden, taumelnden kristall erstarrt; ihm war ein zerglühen von formen und farben im kopf getobt, ein zerspringen von farbtupfern bis hin zur heißesten glut

seine lippen schlossen sich. fleck schwieg

die welt – was war die welt? – lässt sich nur in sinnlosen anekdoten wiedergeben; oder in spröde formeln hineinpressen, die sich niemals <wahrheit> taufen lassen. dieser gedanke drängte sich ihm auf, durchbrannte ihn jetzt geradezu. fleck stand mit geöffnetem mund –

er hob abwehrend die hände nahe vor sein immer röter werdendes gesicht: wahrheit war verhängnisvoll. wahrheit war eine anmaßung: da, wo wahrheit ist, können die menschen nicht hin. jede anekdote war ein geräuschvolles nichts

 

das war

das war der wald

das war der wald der alles ins nichts stößt

nachts war nichts

nachts nichts

nachts

 

wer weiß, wo die eigene stimme ist? da war nur wald; sein blick in den wald

fleck ließ die arme langsam sinken, öffnete die augen und schwieg

je länger fleck hinsah, desto mehr verwischte die welt, wurde zu konturlosem nichts. sie zerfiel in scherben, sprang in große gläserne brocken auseinander wie ein geborstener bildschirm

5 glut

 

fleck war unterwegs auf der startbahn eines flughafens, lief frontal mit dem gesicht gegen den bug eines flugzeugs. stieß die stirn gegen die nase eines flugzeugs. war er nun ein gott geworden? fleck zerschellte

fleck fühlte etwas in sich pulsen, als besäße er wieder ein herz, fühlte, wie sich die adern leise hoben und senkten. eine hülle war fleck geworden: warme elefantenartige haut, runzelig, sich teigartig um seine abgestorbene seele herumlegend; absterbende materie, grau, vergänglich. sie war noch etwas warm, diese hülle, dampfte die letzten reste vulgären lebens aus. haare wuchsen darauf. haare wuchsen auf seinen armen

ein sternengespei sei die seele, dachte fleck, absprühend von einem kadaver der illusion: die <welt>

fleck sah dem widerlichen zucken seiner adern zu. malte sich aus, wieviele schläge ihn vom letzten schlag dieser entbehrlichen maschine in seinem inneren trennten. zum glück wurden es immer weniger statt mehr. jede sekunde ein schlag weniger, bis zum allerletzten, der endlich frieden bedeutete. jeder moment ein moment weniger, den er durchleiden musste, mit dem schwächlichen gepöchel eines herzens, keines herzens

er hatte die eigene stimme längst verloren

da kamen sie, von hinten. irgendjemand hatte vom handy aus die polizei angerufen. sie kamen, um ihn abzuführen, ihn zu ‚kassieren’ – den irren, filzmähnigen, früh vergreisten mittdreißiger. fleck wehrte sich kaum, ließ nicht einmal mehr einen richtigen schrei los. ein krankenwagen hielt und ein paar weißzeugler sprangen heraus, nahmen ihn links und rechts und brachten ihn in ihren wagen. die sirene blieb stumm. das blaulicht schleuderte grelle lichtschwünge gegen die wände; fleck blickte fasziniert hinein in dieses helle licht

ein grinsen blieb wie eingefroren auf seinem gesicht stehen

das jahr blickte kalt. frost lag auf den schafweiden. schwer stand eine wolkenbank, schafdung erstarrte, neben kuhfladen barst braunes gras. raben hockten, bohrten ihre schnäbel in gefrorenes erdreich, hackten eiswiesen nach resten von larven, verstecktem leben oder hingeworfenem abfall von menschlicher nahrung: kartoffelreste, mandarinenschalen, kaffeesätze. schwarz tanzten raben, stanzten ihre schnäbel ins kerosin der grasnarbe, hopsten über braunen blättermatsch. geruch nach geforener erde

hangauf nach norden hin sah fleck mit eingekniffenen augen schneefelder: hinter der einfriedung, nahe den laubbäumen, die als schwarze baumskelette in den himmel ragten, schien grieseliger pulverschnee gefallen zu sein, dachte fleck, die art wie er verwehte

in triefendes dunkel. hinein mit geborstenen lungen in den feuchten waldboden. dahin über äste, rosa scherben, augen. die harten zweige im weichen moosigen untergrund knacken hören. nadeln, von sturmwinden zerweht. nirgends mehr leuchtkörper, tanzende käfer. kaputte blumen purzeln umher, blütenblätter, blätterfetzen und sonstiges gewöll aus der vergangenheit

fleck fand das zucken seiner pulsader entsetzlich. ein nach leben dürstendes dümmliches tanzen seines blutes innerhalb eines gefäßes. zu dumm eigentlich, um diesem getanze nicht den garaus zu machen! die lebenslinie zu kappen. wenn nicht jetzt ... wann dann?! dieses alberne geblähe nach leben. dieses durchzucktwerden von einem lebensreflex, dem er doch längst entsagt hatte. wie einen plastikschlauch das leben abschneiden

das müde pumpern seiner adern, seiner kapillaren. als ob ihm irgendetwas daran gelegen wäre. er würde sowieso sterben: mehr oder weniger unspektakulär. den abgang machen, auf einem metallenen krankenhausbett, in irgendein eck geschoben, unter einer groben filzdecke mit dunkelblauem aufdruck der initialen eines örtlichen hospitals, eingehüllt in eine zu dünne schaumstoffzudecke mit knittrigem bezug, die wärme spenden sollte; benebelt von schlechten medikamenten; vertäubt von neonlicht und krankenluft; von ärzten visitiert, die übernächtig in sein gesicht hineinglotzen und mit schlechtem atem kurze werte hinsprechen; von anästhesisten spritzen gesetzt, infusionen und katheter gelegt bekommen; inmitten hüstelnder, röchelnder, schreiender, winselnder, delirierender kranker, über nacht gestorbener würde fleck die tränen in den augen von angehörigen nur durch schleier wahrnehmen

fleck erkannte niemanden mehr. und vielleicht hätte er sich sowieso längst aufgeben sollen. heldentum züngelte als fauchendes licht: ein letzter rest lebensmut flammte kurz auf: der antrieb einer rakete: die turbine blies ihm das all ins gesicht

fleck irrte. stieß sich die knie wund. fleck suchte. fleck fand nichts. fand nachts nichts außer liebe. fand keine liebe. keine wahrheit. am boden der brei seines lebens. die tränen. der tod. der ruin. die asche. die leichen. es vergilbte die zeit am boden. der urin. der geruch des urins von wasser weggewaschen. die sauberkeit. die desinfektion. rötliche splitter seines kopfes. seines gehirnes. seines blutes. seiner augen. seiner zunge. seiner nase

hinter den verdorrten büschen der einfriedung sprang für augenblicke die sonne hervor, gleißte zwischen dunstigen wolkenschlieren als bohrendes glutauge, das alles mit seinem licht rötend versengte, dann schnell und glatt hinab ins dunkle strich, mit einem ziel dahin ging –

kein kleeblatt verwelkt ohne abschied! sondern mit liebe, mit sinn

<was auch immer das wäre, herr fleck!>

im todeszischen der turbine sein herz in stücken

mit einem fauchen sprang das gebläse an. ein gewaltiges wummern dröhnte über das brache land. fleck sprang auf die kanzel hinauf, turnte flugs zum triebwerk und umarmte das gebläse des todes

das brausen der roten winde: fleck spürte sein leben als einen lächerlichen spinnenfaden, gespannt von unendlichkeit zu unendlichkeit

verblüht –

die blütenblätter, die sich wie ein violettes laubmeer über den boden legen

fleck steckte den kopf ins ohrenbetäubende windbrausen hinein; ein rotspritzender splitterregen ... sein kopf presste sich immer weiter hinein in die turbine. seine nase gerät zwischen rotorblätter sein gesicht wurde im stahlwind zerhackt

seine adern: geplatzt. sein blut: bettete sein erfühltes. und hier, im tod, fand er es

<sie werden schon wissen, was sie meinen, herr fleck>, sagte eine heitere stimme aus dem nebel

fleck fühlte weder warm noch kalt. fleck war unempfindlich gegen dieses beben seiner lippen. fleck fühlte das knirschen seiner zähne nicht; fleck überkam nach und nach eine gewisse überzeugung, die welt sei in ordnung

<das haben sie gesagt, herr fleck!> ...

als ob je irgendeine welt <in ordnung> gewesen sei; seine oberlippe hob sich leicht und schürzte sich, zitterte wie der kamm einer schweren welle, als breche jeden moment ein sturm an

 

si yo no tengo la culpa de verte caer.

 

er starb. starb schnell. starb langsam. starb vor sich hin. brannte. verzehrte sich. verglühte. flammen sengten seine kurzen haarspitzen in kurzen nach horn riechenden glühpunkten. fleck schrie, als verbrenne seine haut, seine hirnschale

fleck, der mit seinem weinglas in die u-bahn einstieg. als ob je eine welt <in ordnung> war. guten morgen. der tag bleckte seine schärfsten zähne. der tag leckte am firmament. der tag drehte sich wie eine waschmaschinentrommel. schwer, kalkig, müd. guten morgen. fleck stieg in die u-bahn ein. das war sie: die Große Stadt

das war sie, die grundsuppe des lebens. sie waberte als unterirdische plazenta durch seegrüne kanäle. wand sich dunkel und fischig. bohrte durch alle herzen mit dunkelster wucht. fleck war in vielen städten in die u-bahn eingestiegen. sie hatte ihn in vielen städten angebleckt. die u-bahn hatte keine blicke. sie würdigte ihn keines blickes. sie war überall sich selber gleich. sie war das unterste, das kleinste gemeinsame vielfache. eigenartig, diese gerüche. die schüchternen, verschämten, beinahe fischigen blicke. sie war der geruchskanal, der unter den städtischen bädern hindurchfloss: ein schillernder fluss, der nichts abwusch. er salbte nicht einmal –

als er seine hand ausstreckte, wichen die unzähligen silbrigen wesen zurück. der schwarm bekam dort eine weiche wölbung nach innen, wo fleck hinlangte; fleck zeichnete formen und spuren und buchstaben in den aus vielen winzigen leibern bestehenden körper

fleck hatte sich ein kleines revolverbärtchen wachsen lassen. zurück und wieder zurück im leben. in irgendwelchen zeitungen blättern, sich verschanzen hinter der druckerschwärze des nicht-auffallens. ein hund hatte ihm tags zuvor das bein zerfetzt. blut (gedunkelt) klebte am klaffenden hosenbein. eine notoperation, und flugs wieder hinaus ins leben. keine schmerzen.

fleck zog sich zurück, zurück in sich selbst, hinter seelenloses graffito, trieb weit und weit. fleck trieb davon in traumgeflacker und blöde dumpfe töne, visionierte sterne und sternsprengsel. die welt blieb sich gleich; blieb leer. fleck schipperte in u-bahnhöfen, schlief auf modrigen matratzen, tagaus, tagein

ich bin eine ballade

fleck kotzte sein azur aus. wenn er das richtige auditorium gehabt hätte, mit den richtigen ohren für jene funkenstiebende wahrheit, die ihn zeitlebens stück für stück verbrannte, hätte er von fliedernen zinnen herab gepredigt. für einen augenblick hatte er gesehen, dass sich die tür geöffnet hat. dann schloss sie hermetisch mit kaltem zischen. good bye blackberry way

 

---------im all gibt es kein oben und unten---------


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