Heide E. Zott RAW CUT Mein Vater war ein Nazi ... na und?
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Heide E. Zott

Mein Vater war ein Nazi ... na und?

 

Wir schreiben das Jahr 2012 und heuer wären meine beiden Eltern 100 Jahre alt geworden. Das will ich zum Anlass nehmen, der Nachkommenschaft von Johanna Zott geb. Dittrich und Johann Zott ein bisserl aus der Vergangenheit zu erzählen, vor allem über meinen heissgeliebten Vater, damit er nicht vergessen wird.

 

Der Großvater

Foto Johann Matthias Maria Theresia Zott

Johann Matthias Maria Theresia Zott wurde am 25. März 1912 in Wien geboren. Seine Mutter Maria Zott, geb. Schwarz, kam aus Oberösterreich  nach Wien als Köchin und später hatte sie ein Gasthaus in Ternitz, Niederösterreich. Anschliessend eine Filiale der Anker Bäckerei in Wien 9. Nach Abschluss seiner Schulausbildung lernte mein Vater dann Kellner, in zwei Gasthöfen in Wien und unter anderem auch in einem Café  „Unter den Linden“  in Berlin. Von dort kam er mit dem nationalen Gedankengut nach Österreich zurück und wurde wie so viele Millionen andere junge Menschen in Österreich und Deutschland auch ein Nazi, na und, möchte ich dazu nur sagen. Und wie nicht jede Schlange giftig ist und nicht jeder Hund gleich beisst, so war auch nicht jeder Nazi gleich ein Judenmörder! Die Wenigen der Eliteschichte rund um die Waffen SS und die Vertrauten des Führers, da waren schon etliche die davon wussten, aber die Mehrheit und die Masse der jungen Männer, die hatten von all dem keine Ahnung. Die haben nur ihre Köpfe hin halten müssen als sie in einen Krieg zogen, den sie nicht wollten.

Wenn man sich die Welt am heutigen Tage anschaut, dann passieren fürchterliche Dinge überall, in Afrika, Darfur ist da zu nennen, Ruanda mit den Kindersoldaten, die Tootsies, und die Völkermorde die ein Bischof Mugave auf dem Gewissen hat, kein Ende zu sehen! Dann sitzt er beim Papst und wird von Prince Charles noch abgeküsst, der Mugave nämlich, pfui Teufel! In Syrien, der Assad bringt sein eigenes Volk um, wie auch im Irak der Saddam es tat,  in Nordkorea, Afghanistan nicht zu vergessen, nur überall  dort gibts nicht die Propagandamaschinen der Juden, die immer alles wieder aufkochen und aufkochen, damit auch das nicht vergessen wird. Selber geben sie auch keine Ruhe und bekämpfen ständig die Palästinenser. Aber helfen tuts nichts, denn man hat nicht daraus gelernt, es geschehen weiterhin Völkermorde in unermesslichen Grössen, mit noch grösserer Brutalität als im zweiten Weltkrieg... die Geschichte wiederholt sich immer und immer wieder. Aber uns Österreichern und Deutschen redet man immer das schlechte Gewissen, das wir nun als dritte Generation auch noch haben müssen, ein.  Jetzt will ich auch einmal jammern, denn wir, wir Kriegskinder, wir haben auch viel verloren an Familienleben und Lebensgefühl durch diesen Krieg.

Als der Baumeister aus Braunau am Inn in Österreich und Deutschland wie ein Rattenfänger von Hammeln unterwegs war und ihm hunderttausende junge Menschen folgten, da war von einem Krieg noch nichts zu sehen. Da kam er mit den Ideen von Arbeit und Wohnung für die Menschen, die nach dem ersten Weltkrieg in einer schweren Depression steckten. Weltweit gabs Hunger und keine Arbeit. Irgendwo hat er dann die Pläne für die Autobahn ausgegraben und begann mit deren Bau, hat Sozialwohnbauten hingestellt, junge Männer in Arbeitslager gesteckt und die Familien bekamen dafür Geld und Essen. Das war es, was ihn zum „Führer“ machte dem ganz Deutschland und Österreich jubelnd zurief. Man wählte ihn sogar zum  Reichskanzler des Dritten Reiches, mit überwältigender Mehrheit, weil die Menschen so von seinen Ideen begeistert waren und hinter ihm standen. Die Weimarer Republik ging dem Ende zu.  Das sollte doch auch niemand verleugnen, auch wir in der Dritten Generation nach den Nazis nicht. Ein ganzes Volk wollte Änderungen und ein neues, besseres Leben, darum hat man ihn gewählt! Sein Grössenwahnsinn, sein Extremismus, die deutsche Rasse „rein“ zu halten, das alles kam später, der Krieg auch und da mussten dann alle einrücken, Nazi oder nicht. Von wegen die deutsche Rasse „rein“ halten, hat er sich denn selber nie in den Spiegel geschaut. Er war doch auch kein Hühne, nicht blond und blauäugig, so wie er sich den echten Deutschen vorgestellt hat, er war eher ein kleiner, mickriger Typ mit dunklem Haar und dunklen Augen, eher ein Judentyp als ein reinrassiger Deutscher und der Himmler hat auch nicht besser ausgeschaut, wo, bitte woher kam denn dann dieser sein Wahn von dem echten arischen Kultmenschen, der die Welt bevölkern sollte. Aber erst waren da die Versprechungen von Arbeit und Freiheit und Geld und Familien, das hat die jungen Menschen fasziniert.

Sie waren eine Generation von Getäuschten, eine Generation von Unschuldigen, die zu Anfang nicht ahnen konnten, was alles auf sie zukommen würde. Getäuscht, enttäuscht, betrogen,  später dannn verachtet und verdammt, belogen und bestohlen, was hatten sie denn von ihrer Jugend wirklich, ausser Krieg und Tod, Hunger und Angst? Die wenigen hohen Offiziere da ganz oben in der Waffen SS, die vom Tun und Wollen des Führers wussten, die konnte man an einer Hand abzählen, die Millionen anderen, das kleine Fussvolk, dem war eine Zukunft vorgegaukelt worden, wie sie schöner nicht sein hätte können und was kam... der grausamste Krieg des Jahrhunderts.  Aber vorerst gab es gute Jahre mit Arbeit und Wohnung und Essen für alle. Die weltweite Depression ging dem Ende zu, es gab wieder Hoffnung auf eine sichere, schönere Zukunft, auf ein bisserl Glück und Wohlstand und Zufriedenheit.  Die Kinder konnten wieder Kinder sein und auf Jugendlager in den Ferien fahren, die Eltern konnten die täglichen Sorgen um Brot und einem Dach über dem Kopf vergessen. Es wurde geheiratet, Familien wurden gegründet und in den Fabriken, die er aufbaute, wie Vöst oder Stickstoff z.B. in Oberösterreich gabs Arbeit ohne Ende. Das war es, was ihn in den Anfangsjahren so beliebt machte, aber darüber, darüber liest und redet man heute schon gar nicht. Der Geschichtsunterricht in den Schulen malt nur das Bild des Massenmörders und Judenvernichters, der er ja wirklich war und somit auch tausende und abertausende freiwillige und nicht so freiwillige Soldaten mit in den Abgrund und Tod zog.

So, davon wusste ich aber damals alles nichts und muss gestehen weiss auch heute noch nicht viel, weil darüber zu Hause nicht geredet wurde. Auch später, als der Papa dann wieder da war, hat er nie auch nur ein Erlebnis aus dem Krieg erzählt. Vielleicht der Mutter oder Großmutter, aber wir Kinder, wir wussten bis zu seinem all zu frühen Tode leider nicht, was er wirklich erlebt, erlitten und durchgemacht hat. Das Thema war Tabu, dafür hat er aber nächtelang gelitten an Albträumen und seine Nerventabletten gebraucht, an die kann ich mich gut erinnern, ohne die gab es Tage, da gabs viele Tränen und viel Leid in seinen Auge. Und wenn das Lied „Heimat Deine Sterne“ im Radio erklang, dann verlor er schon oft jegliche Haltung und weinte öffentliche, bittere Tränen... warum wohl? Um die verlorene Jugend, die verlorenen Kameraden, die verlorene Zeit mit seiner geliebten Familie, die verlorene Heimat, wer spricht darüber?

Ich bin also ein Kriegskind, geboren Ende 1943 in Wien, in Mitten des zweiten Weltkrieges, in Mitten von grauenhaften Bombenangriffen auf Wien, von Vertreibungen und Zerstörung ohnes Gleichen. Durch eine schwere Kriegsverletzung, die ein Feind im Krieg ihm irgendwo in einem französischen Schützengraben zugefügt hat, Durchschuss des rechten Beines, totale Nervenzerstörung und somit Lähmung des Beines, war mein Vater bei meiner Geburt und der meiner Zwillingsschwester Traude, zu Hause. Dann musste er bald wieder in den Krieg. Gott sei Dank nicht mehr an die vorderste Front, sondern Heimatdienst irgendwo in Österreich in einem Militärlager im Büro. Meine Mutter war nun mit uns drei Kindern, ich hatte einen älteren Bruder, und der Schwiegermutter allein in der Wohnung in Wien und musste uns nachts in den Bombenkeller schleppen, musste sich um Essensmarken anstellen. Meine Zwillingsschwester Traude holte sich dabei eine Lungenentzüdung die man leider nicht ordentlich behandeln konnte, weil halt Medikamente auch knapp waren und verstarb daran im Alter von drei Monaten, am 14.3.1944.

Im Jahre 1945 wurde die Familie dann mit dem letzten Schiff auf der Donau aus Wien evakuiert, weil es hiess die Russen kommen und schiessen alles nieder. Meine Mutter, hochschwanger mit meiner jüngeren Schwester, den zwei Kindern, meine Großmutter, eine Tante mit ihren drei Kindern, sie alle verliessen Wien mit dem was sie auf dem Körper hatten und ein paar Decken, in denen die Kleinkinder gewickelt waren. So „gut“ ging es den Familien der Nazis damals! Hinter Regensburg, in der Nähe eines Ortes Schrobenhausen in Bayern wurden wir an Land gesetzt. Dort kam meine jüngere Schwester dann zur Welt und wir verblieben bis zu Kriegsende bei einem Bauern, der uns Flüchtlinge aus Österreich aufgenommen hatte. Nach Kriegsende ging es dann per Zug zurück nach Österreich aber nicht mehr bis nach Wien, denn von unserer Wohnung in der Kollinggasse war nichts mehr übrig, Russen hatten sich dort einquartiert und was von den Bomben verschont geblieben ist wurde durch Vandalismus zerstört, und so verblieben wir in Oberösterreich, in Lambach, einem kleinen, sauberen Ort zwischen Salzburg und Linz. Mein Vater kam in Kriegsgefangenschaft, weil er ja ein Nazi war, wenn auch nur ein klitzekleiner und harmloser Soldat 08/15, aber Gerechtigkeit und Strafe muss sein. So kam es, dass ich ihn in den ersten Jahren meines Lebens nie sah, nicht kennenlernte, nur immer von ihm hörte, auch das sehr wenig, denn es kamen kaum Nachrichten durch aus den Gefangenenlagern, Post ganz selten an die Mutter... da fangen dann endlich meine eigenen, wirklichen Erinnerungen an.

Ende 1945 oder anfangs 1946... da sehe ich diese Stiege, diese wahnsinnig steile, schmale Stiege, die fast wie eine Leiter aus dem kalten, mit dunklen Steinen ausgelegten Gang in den 1. Stock hinauf geht. Dort unter dem Dach in einem alten Gasthof in Lambach, dort hat man die Flüchtlingsfamilie aus Bayern, die nicht mehr nach Wien zurück konnte, von der Gemeinde Lambach aus einquartiert. Wir blieben bis April 1948 in diesem grossen Dachzimmer. Dort bewohnten wir alle ein grosses Zimmer mit nur einer kleinen Dachluke durch die wenig Licht kam, nicht isoliert war es immer kalt, auch an das kann ich mich noch erinnern, es war mir immer kalt, ich hatte immer Hunger, aber jammern gab es nicht, auch für die ganz Kleinen nicht. Wir waren glücklich und froh und dankbar, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Drei Erwachsene und sechs Kinder waren wir in diesen einem Raum. Meine Mutter mit uns Dreien, meine Großmutter sowie die Schwester meines Vaters mit ihren drei Kindern. Wir alle hausten also dort unterm Dach des Gasthofes und versuchten uns irgendwie warm zu halten. Wenn ich fest die Augen schliesse, dann sehe ich sogar jetzt, wo ich fast 70 bin, dieses Zimmer noch vor mir. Über die, wie schon beschrieben, steile, steile Treppe gelang man hinauf in einen kleinen Vorraum, rechts war die Eingangstüre zu unserem Zimmer, geradeaus ging eine Türe auf eine Art Balkon, einen sehr schmalen, der rund um den Innenhof des Hauses lief und auf der linken Seite vom Balkon aus zu öffnen war die Türe in noch so ein grosses Zimmer in dem die Familie eines Zahnarztes aus der Tschechei lebte, die von der Gemeinde auch dort einquartiert wurde. Die kleine Dachluke ging nach Süden, sodass gegen mittags sogar ab und zu die Sonnenstrahlen durchkamen. Ein grosser, schwerer, gusseisener Holzofen, auf dem auch gekocht wurde stand gleich neben der Eingangstüre, dann kam die grosse, aus Massivholz gebaute Eckbank mit dem riesigen, quadratischen Tisch. Dort spielte sich unser Leben ab, in dieser warmen Ecke. Die Bank war so gestellt, dass sie quasi auch als Raumteiler diente, eine Seite lief die Wand entlang, die andere schaute in den Raum hinein und dahinter stand das Bett meiner Großmutter. Meine Mutter und wir Kinder hatten unsere Betten entlang der Wand neben der Eingangstüre. Mit einer Decke wurde eine Art Zimmertrennung gebaut und dahinter lebte meine Tante mit ihren Kindern. Sodass jeder doch etwas an Privatleben hatte, was aber ohnehin kaum möglich war. Vor allem wir Kinder, wir wollten immer zusammen bleiben, denn in der Gruppe fühlten wir uns sicherer und beschützen uns auch gegenseitig. Die Frauen waren auf ständiger Arbeitssuche und mit  Essensbeschaffung beschäftigt.  Das war nicht einfach, denn die Menschen in Lambach waren zwar ohne Bombenangriffe durch den Krieg gekommen, aber es gab viele Witwen mit kleinen Kindern, die selbst nicht wussten wie überleben. Dann hörte man wieder, der eine oder andere Vater war endlich aus der Gefangenschaft entlassen worden. Wir Kinder stürmten alle zu dem Haus, zu der Wohnung der Familie und bestaunten mit grossen Augen, diesen Mann, der da ausgehungert und oftmals krank vor der Haustüre sass und mit seinen Kindern redete. Sie hatten ihren Vater wieder... wo blieb aber unser Vater, nachts weinte ich viel in die Kopfpolster, denn auch ich hätte schon so gerne mit meinem Vater über viele Dinge geredet, aber noch gab es keine Anzeichen einer baldigen Heimkehr.

Von Zeit zu Zeit fuhren meine Großmutter und Tante dann mit dem Zug nach Wien. Sie wollten erkunden wie es der restlichen Familie und Verwandtschaft ergangen war und ob es Neuigkeiten von meinem Onkel gab, es hiess er sollte bald entlassen werden. Er wollte aber keinesfalls nach Lambach siedeln, sodass die beiden Frauen emsig darum bemüht waren, für die Familie eine kleine Wohnung in Wien ausfindig zu machen. Es gelang dann auch und bald verliess uns meine Tante mit ihren drei Kindern und wir hatten etwas mehr Platz in unserem Dachzimmer. Wann immer sie von Wien zurückkam, meine Großmutter,  hatte sie etwas Geld oder einige Wertgegenstände bei sich und wir konnten uns bessere Dinge zum Essen kaufen. Auch gab es ab und zu einmal ein kleines Spielzeug und für die Frauen ein neues Kleid oder einen neuen Mantel. Großmutter hatte in ihrer unendlichen Voraussicht und Schlauheit viele ihrer Wertgegenstände und Schmuckstücke noch vor Abtransport mit dem Schiff unter einem Baum im Garten ihres ehemaligen Gasthauses in Niederösterreich vergraben. Jetzt konnte sie hingehen und diese Dinge ausgraben, aber immer nur so viel, wie wir unbedingt brauchten, der Rest blieb liegen, weil man nie weiss was noch kommen wird, sagte sie immer. So war sie es eigentlich, die die Familie durch die härteste Zeit der Nachkriegsjahre gebracht hatte, denn vom Wirtschaftswunder war noch lange nichts zu sehen. Am Schwarzmarkt waren Silberbesteck oder Schmuckstücke sehr gefragt und brachten viel ein! Und Gewissensbisse in dem Sinne, dass man vielleicht doch nichts schwarz handeln sollte, die gabs nicht, das Überleben der grossen Familie hatte Vorrang!

An einem Samstag abend rief die Wirtin von unten aus der Küche zu uns herauf, einer von uns sollte doch kommen, sie hätte etwas zu essen für uns.

Die Mutter war in der Arbeit, die Großmutter lag krank im Bett, sodass ich kleiner Stoppel mich aufmachte um die Gaben abzuholen. Diese Treppe, diese elendige Treppe, die ich hasst wie nichts, hinauf da konnte man ja noch einigermassen steigen, obwohl die Antrittsbretter sehr schmal waren, sehr steil, sodass man schon sehr aufpassen musste, wohin man tratt. Leicht konnte man da auf den Kleidersaum oder den Mantel treten und fiel wieder einige Treppen hinunter, Hosen für uns Mädchen, die gab es damals noch lange nicht! Hinunter, das bewerkstelligte ich am besten im „Rückwärtsgang“ wie man eben auch eine Leiter mit dem Popo voran am besten wieder hinuntersteigt. Wenn man ganz übermütig war, dann rutschte man mit besagtem Popo die Treppe hinunter, aber nur im Winter, wenn man dickere Sachen an hatte, denn sie war aus Holz, diese verflixte Treppe und da konnte man sich so manchen langen Span ins Sitzfleisch stossen. Also schlich ich mich die Treppe hinunter, klopfte höflich an der Küchentüre, durch die es so wahnsinnig gut nach Essen roch und gleich wurde mir aufgemacht und ein riesiger Topf mit Beuschel (gekochter Lunge) und Semmelknödel in die Hand gedrückt. „Schnell“, sagt sie die Wirtin, „trags rauf, damit es nicht kalt wird“. Also nehme ich den schweren Topf fest in meine beiden kleinen Hände und mache mich auf den Rückweg. Er war fast halb so gross wie ich, der Topf mit dem herrlich duftenden Essen und ich stieg vorsichtig wie auf rohen Eiern von einer Treppe auf die andere. Immer darauf achtend, dass ich nur ja nirgends mit dem Essgeschirr anstiess oder gar etwas verschüttete. Dann stolperte ich, autsch, ich rutschte zwei, drei Stiegen wieder nach unten, das Gewicht des Topfes riss mich fast um, aber ich hielt fest, so fest wie wenn es um mein eigenes Leben ginge. Nur ja nichts verschütten, nichts verkommen lassen, wir waren ja alle immer so hungrig, wehe, wenn ich jetzt das gute, geschenkte Essen auch noch verderben würde. Zwei offene, blutende Knie vom derben Rutsch auf der Stiege, die „heiligen“ Strümpfe zerrissen, aber jammern half nichts.  Und mit viel Ach und Krach kam ich dann doch gut oben an, stellte den Topf auf den Ofen und die Großmutter machte uns allen gleich einen ordentlichen Teller fertig. Ja, da war ich ein bisserl über drei Jahre alt wahrscheinlich, aber bis heute sehe ich mich noch in einem dunkelbraun kariertem Kleidchen, dicke Strickstrümpfe und einer riesengrossen weissen Masche im Haar diese Treppe hinaufklettern, den Topf mit Beuschl wie ein Heiligtum vor mir hertragend. Ich brachte Essen nach Hause, das war meine grosse Begeisterung damals, ich hatte geholfen, dass wir für kurze Zeit nicht mehr hungrig waren, ich war ja soooooo stolz auf mich.

Diese riesig grossen Maschen im Haar, auf die meine Mutter so viel Wert legte, oder aber auch am Oberkopf eine Rolle, wie eine ungefüllte Schaumrolle aus den wenigen Haaren die ich hatte, wie hab ich das gehasst. Und dann wohnte ja nebenan dieser Herr Doktor, wie wir ihn höflich immer grüssen mussten, und der machte sich vor allem über die Rolle lustig. Wenn er mich am Gang oder Balkon sah, dann hielt er seinen Zeige- und Mittelfinger wie eine Schere und sagte immer, schnipp, ich schneide dir die Locke ab... Auch das hasste ich und fürchtete ich zu gleicher Zeit, bis ich eines Nachts dann selber zur Schere griff und mir diese verflixte Locke, die da nachts mit einem Lockenwickler befestigt war, razebuz abschnitt und in den, neben dem Bett stehenden Topf warf. Der Schock meiner Mutter war übergross, als sie morgens in den Topf sah und nicht gleich wusste, welches „Würstchen“ da drinnen lag, bis ich dann meinen verschlafenen Kopf aus den Polstern hob und sie das Unglück betrachten konnte. Kind, mein Gott, was hast du denn mit deinen Haaren gemacht, schau doch nur wie du aussiehst! Sie war total aus der Fassung. Ich will mir von dem alten Doktor die Haare nicht schneiden lassen, habe ich geantwortet, so hab ich sie eben selber abgeschnitten. Nun gabs natürlich Wochen und Monate, wo ich mit einer etwas eigenwilligen Frisur herumlaufen musste. Mehr einem Bubenhaarschnitt gleich, aber das war mir egal, eitel, eitel war ich nie in meinem Leben, das hat scheints damals schon angefangen!

Wir wurden doch sehr streng erzogen, immer mussten wir Hochdeutsch reden und wurden dafür natürlich von den Nachbarskindern ordentlich gehänselt und ausgelacht, aber ab und zu, da fanden wir dann doch die ortsüblichen Ausdrücke und liessen sie mit Genuss auf unserer Zunge zergehen. Mein Bruder brachte von seinen Ausflügen mit den Dorfbuben immer wieder herrlich deftige Flüche mit nach Hause, die ich aufsog wie ein Schwamm.

Eines Tages, da wurde im Innenhof des Gasthauses „eine Sau abgestochen“ haben wir gehört und uns darüber unterhalten, wie das wohl gehen soll. Meine kleine Schwester, die war nun wirklich noch viel zu klein um mit uns zu kommen und musste bei der Großmutter bleiben, aber Norbert und ich, wir schlichen uns auf den Rundumbalkon und konnten durch die Sprossen in den Innenhof schauen, wo schon eine Holzwanne mit kochend heissem Wasser auf das Opfer wartete. Viel Quiecken gabs erst noch, dann Stille und dann lag die Sau, welch ein herrliches Wort das für uns war! im Trog und wurde von ihren Borsten befreit. Die Großmutter eilte nun doch nach unten um bei der Arbeit zu helfen, denn als gelernte Wirtin, da wusste sie, wie man so ein Tier fachgerecht zerlegte und vielleicht blieb ja für uns auch ein Stückerl Fleisch über.

Besagter Holztrog, in dem an diesem Tag die Sau landete, der hatte viele verschiedene Einsatzmöglichkeiten. Erstens wurde dort die Wäsche eingeweicht, über Nacht, bevor man sie dann auf einer hölzenen Waschrumpel (Waschbrett) bearbeiten konnte. Das heisse Wasser dafür wurde in einem alten Holzofen mit eingebauten Wasserkessel aufgekocht und mit Eimern in den Trog geschöpft. Ausgegossen wurde alles Wasser in Mitten des Hofes durch einen Kanaldeckel, aus dem auch oft die Ratten heraufkamen und durch die Stallungen liefen, manchesmal sogar bis zu uns unters Dach. Dann wurden wir Kinder einmal in der Woche in diesen Trog gesetzt und gründlich abgebürstet, denn öfter als einmal wöchentlich baden, das wäre der reinste Luxus gewesen, den wir uns damals – Gott sei Dank – nicht leisteten. Tägliche „Katzenwäsche“ und Zähneputzen standen natürlich am Programm, dafür sorgte die Mutter, die beruflich gelernte Kindergärtnerin war schon. „Sauberkeit muss sein“, sagt auch die Großmutter immer. „Du kannst dumm oder arm sein, aber sauber musst Du sein“, das war ihr Leitsatz für uns. Ja und heute lag eben dieses herrlich rosarote Sau in diesem Trog und sollte zu Essen für hungrige Mägen verarbeitet werden. Wir hatten schon wochenlang nichts Ordentliches am Teller gehabt, ausser Haferflocken oder selbstgemachte Nudeln oder Kartoffeln mit Kohl und Kraut. Das letzte Sonntagsessen vor einiger Zeit waren Wienerschnitzel, man stelle sich vor! aber aus einem alten Kuheuter geschnitten und gebacken. Vorher lag dieses Euter in kaltem Wasser um ihm den süsslichen Milchgeschmack zu nehmen, dann kochte die Oma es vor und schliesslich wurde es paniert wie man eben Wienerschnitzel paniert. Das war ein Leckerbissen für uns alle. Von der frischgeschlachteten Sau gab es dann ein paar Stücke vom fetten Bauch und eine kleine Milchkanne voll Blut, aus dem die Großmutter eine Art „Blunzengröstel“ mit Kartoffeln und Zwiebeln und dem gestockten Blut in einer tiefen Pfanne briet, das uns allen herrlich schmeckte.

Monate und Jahre vergingen, vom Vater war immer noch nichts Genaues zu hören, ob und wann er nun endlich nach Hause kommen kann. Wir waren schon recht kleinlaut, denn die anderen Väter waren fast alle zurück, ausser denen natürlich, die den Krieg nicht überlebt hatten und so wurden wir von den älteren Kindern gehänselt, was für ein fürchterlicher Nazi denn unser Vater gewesen sein musste, wenn er so lange in Gefangenschaft war. Aber ich glaube einfach, dass man ihn irgendwo vergessen hatte und es war bereits 1951, als er dann eines Tages endlich vor der Türe stand.

 Meine Mutter hätte so gerne eine Anstellung im dörflichen Kindergarten bekommen, aber das war nicht möglich, weil ja der Vater ein Nazi war und man auch von ihr nicht genau wusste, was sie vielleicht den ihr anvertrauten Kindern erzählt hätte. Stolz hatte sie seinerzeit eine Medaillie als „Gute deutsche Mutter“ erhalten, weil sie mitten im Krieg insgesamt vier Kindern das Leben geschenkt hat, aber im Nachhinein, war diese Medaillie eben kein Schmuckstück sondern eine grosse Belastung für ihr kommendes Leben. So fand sie dann doch eine Arbeit im neu eröffneten Kino in Lambach. Sie konnte nachmittags hin gehen  um die Karten an einem kleinen Schalter zu  verkaufen. Durch ein kleines Fenster mit einem sogenannten „Guckloch“ konnte sie die Karten hinausreichen und das Geld entgegen nehmen. Filme aus Amerika, damals sicherlich noch in Schwarz/Weiss waren der grosse Hit. Besonders zum Wochenende gingen die Ehepaare gut gekleidet ins Kino um sich von den täglichen Alltagssorgen abzulenken. Eine gute halbe Stunde vor Beginn der Filmvorführung wurde die Kasse geschlossen und meine Mutter stellte sich an die Eingangstüre des Saales um sich die Karten zeigen zu lassen und die Menschen in die jeweiligen Reihen zu verweisen. Selbstverständlich musste sie bis zu Ende der Vorführungen bleiben und so konnte sie sich jeden Film gratis anschauen und wenn sie „kinderfreundlich“ waren, dann erzählte sie uns davon. Morgens ging dann meine Großmutter in das Kino um zu Putzen, jede Arbeit musste angenommen werden, jeder Groschen Geld den man verdienen konnte war wichtig. Also war die Großmutter abends unsere Betreuungsperson, wenn die Mutter zur Arbeit war und tagsüber dann gab es „Schichtwechsel“ und wir wurden von der Mutter betreut. Von irgendwo her kam plötzlich eine alte Nähmaschine und meine Mutter hatte einen unerschöpflichen Vorrat an alten Militärdecken, aus denen sie nun auf dieser Maschine die herrlichsten Sachen nähte. Nicht nur Wichtiges, wie Mäntel für uns alle, nein, vor Weihnachten entstanden Teddybären, Elefanten oder Hunde aus diesem Material. Wir halfen beim Stopfen der Körper und Gliedmassen, Holzwolle wurde dafür verwendet, die wir von einem Nachbarn geschenkt bekamen. Dann nähte sie Glasknöpfe als Augen ein und stickte mit alter Wolle noch Mund und Nase und dann wurde gehofft, dass man sie gut als Geschenke für die reicheren Kinder verkaufen konnte. Und das Geschäft ging gut! Selbst nachts nach dem Kinodienst sahen wir sie am riesigen Tisch sitzen und ihre Tiere besticken. Das brachte Geld in die Kasse und so konnten auch wir gelegentlich neue Kleidungsstücke oder vor allem Strümpfe bekommen. Ich war ein entsetzliches Kind, wenn es darum ging Strümpfe zu zerreisen, Hauben und Fäustlinge zu verlieren, mein Gott, den Berg an verlorenen Dingen würde ich gerne auf einem Haufen sehen.

Eines Sonntag mittags sassen wir alle wieder um den riesigen Esstisch und warteten ungeduldig auf unsere Suppe, als einige Mäuse hinter dem Vorhang liefen. Auch das kann ich noch genau vor meinen Augen sehen. Die eine Wand entlang der Eckbank war mit einem zuckerlrosa Vorhangstoff bespannt, weil sich dahinter eine grobe, unschöne Holzwand befand, und hinter diesem Vorhangstoff, da liefen die Mäuse wahnsinnig gerne auf und ab. Meine Großmutter hat nun einfach mit ihrer Hand fest auf den Vorhang geschlagen, ein kleiner Quiekton, dann war Stille und kurz darauf fanden wir am Fussboden unter der Bank die Maus tot liegen. Von da an bewaffneten wir Kinder uns natürlich mit den verschiedensten Mordinstrumenten, wie Kochlöffel, oder Holzfleischhammer, Holzscheite, und laürten den Mäusen auf, die da hinter unserem herrlichen Vorhang auf und ab liefen, das konnte natürlich nicht erlaubt werden! Etliche dieser kleinen Nager fielen unserer Mordlust zum Opfer, aber genauso oft klatschten wir einfach mit dem riesigen Holzkochlöffel auf den Vorhang, weil dann die dahinterliegende Holzwand so einen herrlich tiefen, unheimlich gruseligen Ton von sich gab, manchesmal sogar mit Echo, das zwei- dreimal durch den Raum hallte.

Und dann mussten wir ausziehen aus diesem Zimmer unterm Dach. Der Wirt wollte sein ganzes Haus umbauen, sich Fremdenzimmer einrichten, es ging ihm also recht gut in seinem Geschäft. Von der Gemeinde bekamen wir ein kleines, schon recht baufälliges Häuschen zugewiesen, das Haus der Lughofer Theresia in der Salzburgerstrasse 15, vom 1. April 1948 bis 1. Februar 1951 lebten wir dort. Mit kleinem Vorgarten und einigen Steinstufen hinauf zur Eingangstüre, aber das Beste, das aller Beste war der grosse, verwilderte Garten hinter dem Haus! Das wurde unser Kinderparadies für die nächsten Jahre. Frau Lughofer wohnte in den ersten Monaten noch im Haus, sie hatte zwei Zimmer im Erdgeschoss auf der linken Seite, wenn man ins Haus kam. Sie war das was man eine unglaubliche Sammlerin nannte, Berge von Unrat und allen möglichen Dingen türmten sich in diesen Zimmern und die Mäuse flitzten nur so zwischen den Säcken und Schachteln hin und her. Als sie dann verstarb oder ins Altersheim kam, da bekamen wir diese Zimmer noch dazu. Das vordere Zimmer war noch ganz in Ordnung, das hintere, da durften wir Kinder nie hinein gehen, denn vom ersten Stock war die Decke halb eingefallen und hing herunter, also bestand eigentlich Einsturzgefahr auf dieser Seite des Hauses. Aber es gab ja so wenige Wohnmöglichkeiten für die vielen Flüchtlingsfamilien, dass wir froh und dankbar waren, diesen Platz bekommen zu haben.  Wir wohnten vor allem auf der rechten Seite im Erdgeschoss und hatten zwei Zimmer im Obergeschoss. Ein drittes war nicht betretbar, denn wie erwähnt fiel dort die Decke, die nur aus Stroh und Mörtel bestand, schon halb ins Erdgeschoss hinunter. Irgendwie haben es meine Mutter und Großmutter wieder geschafft, Hilfe für die Übersiedlung zu bekommen, denn mein Vater war immer noch nicht zu Hause. Auf einen alten Pferdewagen wurde der schwere, schwere gusseiserne Holzofen verladen, die Eckbank und der grosse Tisch kamen mit, die Kinderbetten und auch die beiden anderen Betten in denen meine Mutter und meine Großmutter schliefen wurden samt Matratzen und Bettzeug auf den Wagen verladen.Dies alles war Mobilar, das uns zum Teil die Gemeinde Lambach aber auch der freundliche Wirt zur Verfügung stellte und dann sogar schenkte. Was fehlte waren ein paar Sesseln oder auch Schränke, wo wir unsere wenigen Kleidungen aufhängen hätte können. So musste halt eine Schnur gespannt werden und darauf hingen dann die einzelnen Stücke. Aus alten Brettern zimmerte die Großmutter ein Regal für das Geschirr und die wenigen Lebensmittel die wir lagern konnten. Viel Vorrat war ja ohnehin nie da, weil das Geld halt nur für wenige Tage reichte und man dann wieder neu einkaufen gehen musste.

Aus alten Bettüchern, die wir vom Roten Kreuz bekamen hat die Mutter dann auf ihrer Nähmaschine Vorhänge für die kleinen Fenster genäht und sogar ein Tischtuch wurde von der Großmutter bestickt, das aber nur sonntags auf den grossen Holztisch kam.

 Wenn ich so daran denke, dann fällt mir auf, dass meine Großmutter in all diesen Jahren nie ein eigenes Zimmer hatte, ihr Bett stand immer irgendwo in einer Ecke, meistens in der Küche und manchesmal, wenn wir krank waren, dann durften wir tagsüber darin schlafen und ruhen, bis wir wieder ganz gesund waren. Und ein riesiger Häfen mit fast gar gekochtem Reis, der wurde dann in ein grosses Handtuch gewickelt und unter die Tuchent in Omas Bett gestellt, damit der Reis darin fertigdünsten konnte. Nie habe ich zarteren, körnigeren, flockigeren Reis gegessen, als den, den Oma unter ihrer Tuchent fertig gekocht hat! Sie hat sich immer bescheiden im Hintergrund gehalten, wenn sie auch das Herz und der Kopf der ganzen Familie war, denn meine Mutter litt sehr unter dem Alleinsein und der Mehrfachbelastung mit Arbeit und Kindern. So wurde die Oma zu unserem Mittelpunkt für alle unsere Freuden und Sorgen, vor allem wenn wir ein schlechtes Gewissen hatten, weil wir irgendwo einen Streich gespielt haben und uns eventuell Strafe drohen könnte, da gingen wir zuerst zur Oma um zu beichten, bevor wir uns vor die Mutter stellten um ihr zu erzählen, was vorgefallen war.

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