Heide E. Zott RAW CUT Mein Vater war ein Nazi ... na und?
Gangan Verlag: Raw Cut: Heide E. Zott: Mein Vater war ein Nazi – na und? | Grossvater | Grossmutter | Vater | Ich | 4/5

Mein Vater

Foto Hansl Zott

Hansl Zott, geboren am 25. März 1912, Johann Mathias Maria Theresia, geboren in Wien, und er war ein Nazi, na und?

Und er war nicht nur ein guter, ein braver Sohn, er war auch ein treuer, fürsorglicher Ehemann und vor allem ein Vater, wie man ihn sich nur wünschen kann. Alles, aber auch wirklich alles was in seiner Macht stand, das hat er für seine drei Kinder gemacht und zu Anfang, da waren die Zeiten schwer für ihn, so frisch aus der Gefangenschaft, ohne Arbeit, mit einem behinderten Bein und den fürchterlichen Erinnerungen an den Krieg noch frisch im Gedächtnis. Zurück in eine total von Frauen dominierte Gesellschaft, da musste auch er erst wieder seinen Weg finden und sich in die Familie, die da so zusammen geschweisst vor ihm stand, einfügen und die richtigen Worte finden um uns alle nicht zu verschrecken. Und er hatte uns auch nicht viel zu erzählen, von den grauenvollen Taten dort draussen auf den Schlachtfeldern, von denen wurde nie auch nur ein Sterbenswort gesprochen, wie auch, wir hätten das alle sowieso nicht verstanden, damit wollte er uns auch nicht belasten. Diese Erinnerungen quälten ihn Nacht für Nacht mit Albträumen, die man dann mit der Einnahme von Nervenberuhigungs- und herzstärkenden Medikamenten behandeln musste.

So war er sehr schweigsam in der ersten Zeit, sicherlich hat er mit meiner Mutter oder der Oma über einige Begebenheiten gesprochen aber auch von diesen erfuhren wir Kinder nichts. Wir waren nur überaus froh und glücklich, dass wir zu den wenigen Kindern gehörten, deren Vater wieder vom Krieg nach Hause gekommen war. Wir waren eine komplette, eine wirkliche, eine richtige Familie!

Wie gesagt konnte er seinen erlernten Beruf als Kellner nicht mehr ausüben, weil durch das verletzte Bein seine Beweglichkeit stark behindert war. Ausserdem bestand keine Möglichkeit für die Großmutter ihr altes Gasthaus in Ternitz wieder zu bekommen, all unser Besitz in Wien war seinerzeit beschlagnahmt worden, weil der Vater ja ein Nazi war. Erst nach vielen, vielen Jahren, nach Abschluss des österreichischen Staatsvertrages, da bekam die Oma ein paar ihrer alten Möbeln aus der Wiener Wohnung wieder zurück. Also machte sich mein Vater auf die Suche nach Arbeit, denn die grosse Familie musste ernährt werden und da er nun wieder das Familienoberhaupt war, sein wollte und musste, da war es seine Aufgabe für unser aller leibliches Wohl zu sorgen. Meine Mutter hatte ihre Arbeit in der Fabrik in Stadl Paura allerdings nie aufgegeben, die wollte ihre eigene Pension erarbeiten und ausserdem kostete die Ausbildung von uns Kindern viel Geld, sodass es gut war zwei Verdiener im Haus zu haben. Die Oma ging in den Ruhestand, auf ihrer Personalkarte stand dann auch, Pensionistin und Haushaltshilfe, und sie bekam eine winzig kleine Rente vom Staat und war wenigstens krankenversichert. Wir Kinder waren bei meinem Vater mitversichert und die Mutter hatte ihre eigene Versicherung über die Anstellung in Stadl Paura. So waren wir für das Schlimmste ausgerüstet und abgesichert, was eine grosse Beruhigung für die Eltern war. Gab es doch den einen oder anderen Unfall mit uns Kindern, so z.B. brach sich mein Bruder einen Arm, als wir alle wieder einmal am Strohmeir Bauernhof beim Heu einbringen halfen, er hoch oben auf dem Heuwagen, das frischgeladene Heu festtreten musste, da rutschte er ab, viel von hoch oben auf den harten Boden und hatte Elle und  Speiche des linken Armes gebrochen. Was tun fragten wir uns damals?

Die Bauersleute, die hatten noch unendlich viele Arbeit, von denen war keine Hilfe zu erwarten, der Hof lag allein und abgelegen fern vom Ort,  also band ich mit meiner Schürze, Gott sei Dank hatten wir ja immer Schürzen zu tragen, den Arm meines Bruders in eine Schlinge und dann gingen wir im glühenden Sonnenschein die ca. 4 km vom Hof bis nach Lambach und zum Gemeindearzt, der meinen Bruder dann gleich ins Krankenhaus zum Durchleuchten und Eingipsen schickte. Keine Rettung, kein Auto, keine Hilfe, wir halfen uns eben auch immer selber, so wie es damals der „Brauch“ war in der „guten alten Zeit“.

Gott lob war es die linke Hand und er konnte trotzdem die Schule besuchen, aber die grossen Augen der Oma, der Mutter und zum Wochenende dann des Vaters, als wir endlich am späten Abend mit einem frischeingegipsten Arm vor ihnen standen, das war schon eine Leistung. Es wäre uns auch nicht eingefallen vorher bei ihnen vorbeizugehen und zu jammern oder um Hilfe zu bitten, der Bruder hat nicht aufgepasst, da mussten wir selber schauen, wie wir mit der Situation fertig wurden, und wir wurden es ja und so wurden auch wir zu unabhängigen, starken, willensstarken Menschen im Laufe der Jahre. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, das war unser Leitspruch, ob wir nun mit einem kaputten Knie im Strassengraben lagen, weil unser „Abschleppdienst“ nicht funktionierte, sprich, mich der Bruder auf einem Trettroller hinter seinem Fahrrad hergezogen hat, etwas zu schnell, und ich die Kurve nicht richtig bekam und voll in den Strassengraben flog, das tat weh! Die Strassen waren ja noch nicht asphaltiert, einfache Schotterstrassen liefen durch den Sand und erst in späteren Jahren gabs dann den Belag. Aber es fuhren so gut wie keine Autos, daher war die Strasse unser beliebtester Spielplatz für alle Nachbarskinder. Hier trafen wir uns zu Roller- oder Radrennen, hier wurde Völkerball gespielt, bis die Sonne unterging. Wurde es dann abends, dann ging bei uns im ersten Stock das Küchenfenster auf und dann erklang durch den ganzen Sand meines Vaters laute, kräftige Stimme... Heide, Lore, Norbert... und wir flitzten nur so nach Hause, denn wir wussten es ist Zeit fürs Abendessen, der Vater ist da und da heisst es folgen, noch mehr folgen als sonst. Die Nachbarskinder haben ob dieses Rufes oft mehr gezittert als wir, denn wir kannten ja den Vater, der war zwar laut mit seiner Stimme, rau die äussere Schale, aber innen, da war er eine „Batzwache Birn“, wie die Bauern alle sagten. Also einer mit einer weichen Seele und einer rauen Schale, ja das war er unser Vater!

Natürlich schnappten wir im Laufe der Jahre so einige Erinnerungen aus der Jugendzeit meines Vaters auf, wie er aufgewachsen war in Wien und Niederösterreich. Er hatte eine ältere Schwester, die Tante Mimi, aber sein Vater war schon früh verstorben und so war er mit seiner Mutter und Schwester allein. Eine Lehre als Kellner machte er in zwei verschiedenen Gasthäusern in Wien, weil auch sein Vater den Beruf als Kellner hatte und die Oma bald das Gasthaus in Terniz übernehmen wollte. Ein Lehrjahr anfangs der 1930 Jahre brachte ihn nach Berlin, in das Cafe „Unter den Linden“ und von dort hat er dann als junger Mann das nationale Gedankengut mit nach Österreich genommen. Er war tätig in der Jugendführung, war wie Millionen andere Deutsche und Österreicher glücklich über Arbeit, lernte die Mutter kennen und sie konnten heiraten, eine Familie gründen. Alles, alles war eitel Sonnenschein. Der Mann aus Braunau, der hatte dies möglich gemacht, denn weltweit war ja die schwere Depression noch nicht ganz vorüber. Aber nach sieben fetten Jahren, da folgen dann die mageren, das steht schon in der Bibel, und so kam es dann auch zum Krieg und sie alle mussten an die Waffen und einrücken. Jung, alt, verheiratet, ledig, Nazi oder nicht Nazi, es gab keinen Unterschied mehr, der Hitler brauchte Soldaten, weil er in seinem Grössenwahn ganz Europa bekämpfen und besiegen wollte.

„Hast Du dort oben vergessen auf mich, dass mein Herz sich auch nach Liebe sehnt, Du hast im Himmel viel Engel bei Dir, schick doch einen davon auch zu mir“... das war auch so ein Lied, das nie ohne Tränen gehört werden konnte.

Das Wolgalied, wer kennt denn heute den Text noch  des Soldatenliedes aus der Zeit der Weimarer Republik, 1919–1932, hier ist er :

Allein! wieder allein!
Einsam wie immer.
Vorüber rauscht die Jugendzeit
In langer, banger Einsamkeit.
Mein Herz ist schwer und trüb mein Sinn,
Ich sitz im gold’nen Käfig drin

Es steht ein Soldat am Wolgastrand,
Hält Wache für sein Vaterland.
In dunkler Nacht allein und fern,
Es leuchtet ihm kein Mond, kein Stern.
Regungslos die Steppe schweigt,
Eine Träne ihm ins Auge steigt:
Und er fühlts, wie’s im Herzen frisst und nagt,
Wenn ein Mensch verlassen ist, und er klagt,
Und er fragt:
Hast du dort oben vergessen auf mich?
Es sehnt doch mein Herz auch nach Liebe sich.
Du hast im Himmel viel Engel bei Dir!
Schick doch einen davon auch zu mir

Später, viel später, als er dann schon bei der Theatergruppe war und man dieses Lied gesungen hat, da sassen im Publikum kaum Männer, die keine Tränen in den Augen hatten und die wirklich ganz tief durchatmen mussten und schwer zu schlucken hatten. Ja, so ein Lied, das ist den armen Soldaten da draussen im Krieg schon sehr unter die Haut gegangen, wenn sie das Glück hatten irgendwo in einem kleinen Kurzwellenempfänger die Melodie aufzuschnappen. Aber auch die kräftige, wunderbare Stimme meines Vaters, die kippte oftmals um, als er dieses Lied vor Publikum zu singen hatte. Auch in ihm riefen die Worte Erinnerungen wach, jahrelang, über die er nie und mit niemanden gesprochen hatte.

 Auch „Heimat Deine Sterne, sie leuchten mir auch in fremder Nacht“... schwer war es für ihn, wahnsinnig schwer, diese fürchterlichen Erinnerungen zu vergessen, die ihn oftmals mit diesen Liedern dann verbanden.

Bruce Low war der berühmte Sänger dieses Liedes, das bei Kameradentreffen aber auch in der Lambacher Männergesangsrunde oftmals zum Vortrag kam. Mein Vater mit seiner herrlichen Barton Stimme hat es hinausgeschmettert obwohl ihm die Tränen nur so über die Wangen geronnen sind. Später hat es dann Freddy Quinn in sein Programm genommen, aber die Stimmung, die Tränen, das Leid das damit verbunden war, das hat sich auch in den 60ger und 70ger Jahre nicht geändert.

Heimat deine Sterne, sie strahlen mir auch am fernen Ort.
Was sie sagen, deute ich ja so gerne,
als der Liebe zärtliches Losungswort.
Schöne Abendstunden, der Himmel ist wie ein Diamant.
Tausend Sterne stehen in weiter Runde, |
von der Liebsten freundlich mir zugesandt.

Berge und Buchten vom Nordlicht umglänzt,
Golfe des Südens von Reben begrenzt.
Ost und West hab ich durchmessen,
doch die Heimat nicht vergessen.
Hörst du mein Lied in der Ferne.
Heimat.

Heimat deine Sterne, sie strahlen mir auch an fernen Ort.
Was sie sagen, deute ich ja so gerne,
als der Liebe zärtliches Losungswort.
Schöne Abendstunden, der Himmel ist wie ein Diamant.
Tausend Sterne stehen in weiter Runde,
von der Liebsten freundlich mir zugesandt.
In der Ferne träum’ ich vom Heimatland.

Da hat er dann einige Male erzählt, wie sich die Kameraden an der Front in Biarizze, Frankreich, von den Felsen ins Meer gestürzt haben, weil sie vor Angst und Heimweh nicht mehr weiter wussten. Das war vor seiner Verletzung, nach dem Durchschuss des Beines musste er dann nicht mehr an die Front, da hatte er dann sozusagen „Heimateinsatz“ und hat für Nachschub und die Versorgung der Truppen von Österreich aus gearbeitet. Auch Familien von Soldaten hat er mit Zügen in ein sicheres Ausland befördert, sowie Kinder nach Schweden oder Norwegen, wenn keine Familien mehr da waren. Er war ein guter, ein braver und treuer Diener für sein Vaterland, aber sicherlich keiner, der Judenkinder in Lager verfrachtet hätte, die hätte er wahrscheinlich alle lieber irgendwo versteckt, so wie ich ihn kennen lernen durfte.

Wie gesagt, von meinem Vater erfuhr ich davon leider oder auch Gott sei Dank, nicht viel, denn was man uns dann in der Schule lehrte, und was vor allem bis heute in den Schulen gelehrt wird, das ist meiner bescheidenen Meinung nach schon ein recht verzerrtes Bild und man macht Millionen von anständigen, biederen, guten, braven Männern zu Mördern und Schlachtern, nur weil sie einer Partei beigetreten waren, die Hilfe für ihr Leben und eine Zukunft versprach. Den Krieg und all diese Grausamkeiten, die dann passierten, das hatten sie sich alle nicht gewünscht, davon wussten die meisten, die allermeisten überhaupt nichts. Sie mussten nur ihren Kopf im Kampf gegen den Feind hinhalten, der ja eigentlich kein Feind war, der attackiert wurde um einen Wahnsinnigen seinen „Kampf“ zu erfüllen. Und wer sich weigerte in den Krieg zu gehen, der wurde gleich standrechtlich erschossen, also das war auch keine Lösung.

Schwer verletzt wurde er im Krieg, irgendwo in einem dreckigen, sumpfigen Schützengraben in Frankreich, da hat eine Kugel sein Bein durchschlagen und bis an sein Lebensende litt er an dieser Verletzung, letztlich starb er daran auch in viel zu jungen Jahren. Er war also nicht nur im Krieg, er war auch zu Ende des Krieges viele Jahre in Kriegsgefangenschaft, kehrte erst 1951 wieder zu seiner  Familie zurück. 1956 dann endlich wurde ihm auch wieder die österreichische Staatsbürgerschaft erteilt. Das hat ihm weh getan, so lange keine Osterreicher sein zu dürfen, wo er doch seine Heimat über alles liebte.

Für seine Arbeit als Versicherungsvertreter brauchte er dann bald ein Fahrzeug und so kann ich mich noch gut erinnern, dass das erste eigene Fortbewegungsmittel eine Fahrrad mit einem kleinen Sax-Motor dran war, das man in einer Fabrik in Gunskirchen bei Wels hergestellt hat. Mit diesem kleinen „Schnauferl“ fuhr er zwischen Lambach, Wels, Schwanenstadt ja bis Gmunden um sich Kundschaften für seine Versicherung zu suchen. Unermüdlich war er tag- täglich bei jedem Wind und Wetter unterwegs. Und er war gut in dem was er machte, sein grosser Charm und eine Redegewandtheit, die man nicht so schnell wieder finden kann, waren dabei natürlich äussert nützliche. An den Wochenenden haben wir dann an diese kleine schnaufende und hustende Gefährt einen kleinen Leiterwagen aus Holz angebunden und sind „fechten“ gefahren. Die grosse Familie hatte immer noch zu wenig an Haushaltsgegenständen. So fuhren der Vater und ich oft an Samstagen von einem Haus oder Geschäft in Lambach zum anderen und baten darum, ob man uns eventuell ein paar übrige Teller oder Tassen, eine Decke oder einen grossen Häfen geben konnte, die selber nicht gebraucht wurden. Ich hab mich eigentlich nie dafür geschämt. Ich wusste, dass wir eine arme Flüchtlingsfamilie waren, ich wusste, dass der Verdienst der Eltern nicht immer ausreichte um alles zu kaufen, was wir so dringend brauchten, überflüssige Dinge schon gar nicht, also machte ich mich gerne mit dem Vater auf und brachte dann auch stolz mit ihm unsere „Reichtümer“ mit nach Hause. Manchesmal kam jemand vom Roten Kreuz vorbei und fragte, was uns denn so fehlte und dann bekamen wir von diesen Helfern warme Wintersachen oder Schuhe.

In der Volksschule gab es damals noch die sogenannte „Ausspeisung“, ein jedes schulpflichtige Kind bekam ein warmes Getränk und ein Butterbrot in der grossen Pause, sodass wir nicht zu hungrig von der Schule nach Hause kamen. Wir lebten in Lambach in dem von den Amerikanern besetzten Teil Österreichs und die waren sehr grosszügig mit ihren Unterstützungen. Auch wir schlechten „Nazikinder“ bekamen von ihnen Schokolade, Orangen oder eine Banane. Gut kann ich mich noch erinnern, als ein grosser Trupp von Amerikanischen Panzern durch Lambach fuhr, durch die Salzburger Strasse in der wir im „Alten Häusl“ wohnten, wir am Strassenrand standen und den Soldaten zuwinkten, denn schliesslich hatten sie uns von dem Teufel Hitler befreit und wir waren dankbar. Da stieg dann so mancher Soldat aus seinem Fahrzeug und da hab ich auch den ersten schwarzen Menschen in meinem jungen Leben gesehen und er hat mir eine Banane in die Hand gedrückt und ein paar Kaugummis. Dass ich diese Frucht schälen musste, das hat er mir auch noch gezeigt, denn ich hatte ja keine Ahnung was ich damit machen sollte. Ja, es war schon ein gutes Gefühl, wieder frei auf den Strassen herumlaufen zu können.

Nach dem motorisierten Fahrrad, als er viele Versicherungen abgeschlossen hatte, da konnte er sich dann ein richtiges Motorrad leisten, eines mit einem Beiwagen dran, sodass meine Mutter oder wir Kinder auch mitfahren konnten. Da machten die Eltern dann auch den ersten Urlaub, mein Gott war meine Mutter aufgeregt und glücklich darüber. Der Vater wollte mit ihr eine Fahrt über den berühmten Grossglockner machen. Diese Bergstrasse war neugebaut und besonders beliebt für Ausflugsfahrten. Mit seiner Beiwagenmaschine brachen sie also im herrlichsten Sommerwetter auf, die Mutter im Dirndlkleid mit einem Mantel drüber, der Vater in einem Anzug und seinen geliebten Stiefeln, ohne die er schwer gehen konnte, weil ja das eine Bein gelähmt war. Drei Tage sollte die Reise dauern, naja, eine zweite Hochzeitsreise wurde gemunkelt, denn es gab ja gar keine erste, weil der Krieg gleich dazwischen kam. Wir Kinder blieben bei der Oma zu Hause und freuten uns für die Beiden, dass sie endlich wieder gemeinsam etwas unternehmen konnten.

Eines Tages kam der Vater abends mit blutverschmiertem Gesicht von der Arbeit nach Hause. Entsetzen brach aus, um Gottes Willen was war geschehen. Die Mutter, die Oma, beide kreidebleich im Gesicht und keines Wortes fähig. Der Vater aber stand da mit seinem zerkratzten, blutenden Gesicht, lachte über beide Ohren und zog vorne aus seiner Lederjacke eine arg zersauste Henne heraus. Er wäre auf dem Heimweg gewesen, da ist ihm diese Henne in das Vorderrad seines Motorades gelaufen und liegen geblieben. Da niemand in dere Nähe war und der Hunger immer noch gross, da hat er sie schnell aufgehoben und vorne in die Jacke gesteckt. Nach einiger Zeit sei das Viech allerdings wieder munter geworden, es war anscheinend nur betäubt gewesen und hätte ihm mit den Krallen ordentlich das Gesicht zerkratzt. So musste er nochmals stehen bleiben, die Henne herausholen und ihr den Hals umdrehen. Aber nun sei er ja zu Hause und alles sei gut gegangen und vielleicht kann die Oma ja ein herrliches Backhenderl aus seinem „Unfallsopfer“ machen! Und wie köstlich uns das dann geschmeckt hat!

Dann kam der Tag, als der Vater in den Männergesangsverein der Marktgemeinde Lambach eintrat und einmal in der Woche zu einer sogenannten „Liedertafel“ aufbrach. Meistens trafen sich die Männer an einem Mittwoch abend und es wurde immer lange, lange gesungen, und die ersten alkoholischen Getränke kamen auch auf den Tisch. Bier oder Wein, aber auch selbstgebrannter Schnaps wurde von den Bauern mitgebracht. Diese lustige Runde brachte meinem Vater viel Freude und endlich wieder etwas Leichtigkeit in sein Leben. Kurz darauf wurde auch eine Schauspielgruppe gegründet und mein Vater übernahm darin viele verschiedene Rollen, da zeigte sich sein Talent sich in andere Personen zu verwandeln, da verbrachte er viele Stunden mit dem Erlernen der einzelnen Rollen und verkleidete sich in die verschiedensten Charaktäre. Das tat seiner Seele gut. Im Gasthaus Teufelmair gab es eine richtige Theaterbühne mit Vorhängen und so, einen riesigen Saal für die Besucher, dort wurden die einzelnen Theaterstücke dann aufgeführt. Der Saal konnte im Fasching geräumt werden und dann fanden die ersten Tanzveranstaltungen und Bälle darin Platz. Wenn Theater gespielt wurde, dann war die Mutter vor der Bühne in einer kleinen Kabine als „Souffleuse“ tätig und hat fleissig eingesagt, wenn einmal ein Schauspieler seinen Text vergessen hatte. Den Menschen dann bei den Vorführungen auch noch Freude zu machen, sie lachen zu sehen und den Applaus zu hören, da konnte er für Stunden vergessen, wie es in der Vergangenheit war. „Wie’s da drin ausschaut, geht niemand was an“, das war aus der berühmten Operette“Land des Lächelns“ von Franz Lehar, in der er mitwirkte und das wurde ihm bis zum Tode zum Leitspruch. Die vergnügten, die glücklichen Stunden ja Tage, die nahm er voll Genuss mit, die Nächte voll Angst und schweissgebadet, von Albträumen gequält, die Schmerzen im Bein, das alles war „drinnen und geht niemand was an!“ Die Rolle des chinesichen Prinzen Sou-Chong in dieser berühmten Operette, die hat mein Vater viele, viele Male gespielt. Im Gasthof Greifeneder gab es auch eine kleine Theaterbühne und einen Saal für Tanzveranstaltungen, aber beim Teufelmair, da hatten mehr Menschen Platz und dort wurden auch mehr Theaterstücke aufgeführt. Später dann wurden dort die Adventsingen des Chores abgehalten, oder von der Union Lambach, bei der wir alle drei Kinder in der Turnerriege waren, Wettkämpfe und Turnvorführungen abgehalten. Wir „Hansl-Zotten“ haben schon gerne überall ein wenige „mitgemischt“ und waren fleissig in der Gemeinde tätig.

Ja, „immer nur lächeln und immer vergnügt, immer zufrieden, wie, s immer sich fügt. Lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, doch wie’s da drin aussieht, geht niemand etwas an.“ Das war sein Leben nach dem Krieg, das war sein Leben, das ihm nach diesen bitteren, schweren Jahre von seiner Jugend geblieben ist. Vor allem der Schmerz und die Traür um die verlorenen Kameraden, der Kampf um ein neues, gutes Leben für seine Familie aufzubaün, jetzt, wo er an Leib und Seele verletzt nach Hause gekommen war, das war sicherlich nicht einfach, das konnten wir im Einzelnen gar nicht erahnen, wohl hin und wieder spüren, dass es heute dem Papa nicht so wirklich gut geht, dass man Rücksicht auf ihn nehmen muss und leise sein. Aber dann kam seine Frohnatur doch wieder hervor und wahrscheinlich schon auch uns allen zu liebe, da versuchte er diese schwarzen Gedanken zu vertreiben und uns ein guter, ein liebevoller und verständnisvoller Vater zu sein... wie gesagt, wie’s da drin aussieht, geht niemand was an... So oft gehört und vorgelebt, dass es auch mir dann in meinen späteren Jahren, die auch Leid und Schmerz  brachten zum Leitsatz wurde. Der Vater war immer mein grosses Vorbild und ich übernahm viele seiner Sprüche und Aussagen, bis heute habe ich sie noch nicht vergessen und wende sie an, wenn es gerade passt und hilfreich ist!

Vorerst erstreckte sich sein Arbeitsbereich auf den Bezirk Wels und Wels Land, die Zentrale der Versicherung war allerdings in Linz, aber auf der nördlichen Seite der Donau waren noch die Russen, da konnte mein Vater ohne seine Papiere nicht hinreisen, da mussten selbst die Linzer, wenn sie nach Urfahr, also über die Donaubrücke, die Nibelungenbrücke gehen wollten, um Familie am anderen Donauufer zu besuchen, einen speziellen Ausweis haben um in den russischen Teil von Oberösterreich zu kommen. Mein Vater war bis 1956 ein sogenannter „Staatenloser“, seine Papiere als National Deutschen hatte man ihm in der Kriegsgefangenschaft abgenommen, dann kam ja Gott sei Dank im Mai 1955 der Österreichische Staatsvertrag, wir Österreicher waren dann endlich FREI von den Besatzungsmächten, alle „Vier im Jeep“, die damals ein tägliches Bild waren, mussten aussteigen und nach Hause gehen. Das war ein wunderbares Gefühl und ich weiss noch, wie wir in der Schule gesungen und gefeiert haben. Der erste Bundespräsident Dr. Karl Renner, sein Bild hing dann bald in allen Schulklassen und diese neue Regierung machte es dann auch möglich, dass mein Vater wieder das wurde, was er im Herzen ja immer war ein echter, treuer Österreicher, der seine Heimat verteidigt hat in Schlachten in fernen Ländern. Wohlgemerkt seine Heimat vor allem, nicht so sehr den Führer, der sie in diese Schlachten geschickt hatte.

Mit seinen neuen Papieren konnte er nun auch ins Mühlviertel fahren und dort seinen Geschäften nachgehen. Diese Arbeitseinsätze hatte er besonders gerne, denn er liebte das hügelige Land, die freundlichen Menschen, die tiefverwurzelt in ihrer Heimat sind. Aber auch Wels und Umgebung, hinein bis Gmunden oder Scharnstein, die Berge um Traunstein und Feürkogel, diese Gegend besuchten wir oft gemeinsam mit ihm. Als junger Mann, noch in Niederösterreich, da war er ein begeisterter Bergsteiger und kletterte durch viele Wände in Rax und Schneeberg, das war nun mit dem gelähmten Fuss leider nicht mehr möglich, aber kleine Wanderungen von den Seilbahnstationen aus über die Grate und Matten, zu denen konnte er sich ja noch aufraffen und die schaffte er mit Hilfe eines orthopädischen Schuhes und dem Wanderstock dann auch recht gut. So kamen wir dann in die Berge und besonders mich liessen sie nicht mehr los. Diese Freiheit, die man auf dem Gipfel eines Berges erlebt, einatmet und in sich aufsaugen kann, die gibts herunten im Tal nicht annähernd, diese Liebe hat er mir gezeigt und hat mich immer unterstützt, wenn ich zu meinen kleinen Abenteürn in die Berge aufbrechen wollte. Auch Reisen, so gut es eben ging in den ersten Jahren nach Kriegsende, war ein grosses Hobby von meinem Vater. Seine Autos wurden mit zunehmender Arbeit und besseren Verdienst ja auch immer etwas grösser. Der Anfang war ein kleiner Fiat Dopolino, in dem fuhren wir zum 1.Mai, dem Geburtstag meiner Mutter, meistens von Lambach aus in die Wachau. Meine Eltern und meine Geschwister, ein bisserl eng war es schon, aber wir Kinder hatten eine riesen Freude durch diese blühenden Obstalleen zu fahren, die Dampfschiffe auf der Donau zu bewundern und wenns besonders heiss und schön war, dann durften wir uns auf der rückwärtigen Bank aufstellen, streckten unsere Kopfe durch die Dachluke und der Fahrtwind blies uns bei 50 km in der Stunde ins Gesicht! Welch ein Erlebnis!

Dann gab es grössere Fahrten nach Wien zu den Grosseltern von der Seite meiner Mutter sowie zur Familie der Schwester meines Vaters, aber da konnten wir nicht immer alle auf einmal fahren, denn da fuhr oft die Großmutter mit und blieb dann für einige Wochen in Wien. Auf dem Rückweg wurden dann die Dittrich Grosseltern mit nach Lambach genommen, sodass immer jemand hier war, der auf uns Kinder aufgepasst hat und sich um uns gekümmert hat. Wir hatten eine sehr behütete, wohlgeordnete und streng erzogene Kindheit und Jugend, schon ganz anders als heute, aber es tat uns gut, so mit festen Händen geleitet und geführt zu werden. Dabei ist uns nichts abgegangen, wir hatten da unten vor allem im Sand dann auch den grössten Spass und die grösste Freiheit die man sich nur wünschen konnte. Es gab die Au, das „Eichlbergl“ die Sandgrube, den Platz rund ums Sägewerk mit dem kleinen Bach, wir konnten ohne Gefahr in den Wald rennen oder uns neben der Bäckerei, am Krötzlteich, zum Schwimmen und im Winter zum Eislaufen treffen. So lange die Eltern wussten, wo wir waren und wir zur richtigen Zeit nach Hause kamen, so lange durften wir uns doch recht frei und ausgelassen bewegen... haben das natürlich auch getan und wurden von unseren Wiener Cousins und Cousinen dafür sehr beneidet. Die kamen aber auch in den Sommerferien oft zu Besuch und ich kann mir heute gar nicht mehr vorstellen, wie wir alle in dieser kleinen Dreizimmerwohnung Platz fanden. Die Tanten und der Onkel, die Kinder, irgendwie ging das alles, man war gut im Improvisieren und wenn zu viele Erwachsene anwesend waren, dann schliefen wir Kinder einfach auf Decken und Matten am Dachboden oder wir bauten mit Decken eine Art Zelt im „Gangl“ zwischen den Häusern und schliefen im Freien unter den Sternen. Das „Gangl“ war keine wirkliche Strasse, ein Wiesenweg, der zwischen den beiden Häuserreihen durchging. Auf der Seite unseres Hauses, da standen noch zwei weitere Einfamilienhäuser, auf der anderen  Seite des „Gangls“ wohnte unsere Volksschullehrerin, Frau Reiter, mit ihren Eltern und der Tochter in einem grossen, schönen Haus und die hatten einen riesigen Garten, der die ganze Länge des Weges einnahm. Da mein Vater in der Nachbarschaft das einzige Auto besass, so konnte er es ungestört immer vor der Haustüre im „Gangl“ parken, dort war es nicht im Wege und auch nicht in Gefahr von einem anderen Fahrzeug angekratzt oder beschädigt zu werden. Und wir konnten unsere Deckenburgen und Indianerforts tagelang in diesem „Gangl“ stehen lassen. Das Schlafen im Freien war immer besonders spannend, denn oftmals kamen die Katzen zu Besuch und wir erschraken schon fürchterlich, wenn sich so ein Tier auf unsere Beine setzte und wir davon wach wurden.

Von seinen Fahrten ins Mühlviertel brachte der Vater oft auch Essbares mit, wenn er einem Bauern eine Versicherung verkaufen konnte, dann gab es manchesmal ein Stück Speck oder etliche Eier, die er als Bonus noch obendrauf bekam. War er in Wels und Umgebung, da ging er oftmals in Wels zu dem sogenannten „Pepi-Hacker“, einem Pferdefleischhaür und brachte von dort Würste und Leberkäse oder Faschiertes vom Pferd mit nach Hause. Wir assen dieses Pferdefleisch sehr gerne, es war mager und wenn es auch manchesmal ein wenig zäh war, die Großmutter konnte es immer herrlich zubereiten und wir schlemmten richtig in den doch wesentlich billigeren Köstlichkeiten. Aus dem Faschierten wurden Fleischlaibchen oder die Fülle für Kohlrouladen, auch einen Faschiertenbraten gabs hin und wieder, Fleisch wurde vor allem als Gulasch verarbeitet, an ganze Bratenstücke kann ich mich nicht erinnern, wahrscheinlich weil es doch ziemlich zäh und grobfaserig gewesen ist.  Heute würde man sich schütteln, wenn man an ein reizendes Fohlen denkt, das da in der Knackwurst steckt, aber wir waren im Wachsen, wir tobten viel im Freien, wir waren einfach immer hungrig und an ein süsses Fohlen dachten wir bestimmt nicht, wenn der knusprige Leberkäse auf dem Kartoffelpüree lag! Mein Gemüsegarten brachte auch gute Erträge, sodass wir sogar Bohnen und Erbsen in den damals gerade in Mode gekommenen „Rex Gläsern“ einkochen konnten. Obst und Gemüse wurde so herrlich für den Winter haltbar gemacht und da half der Vater natürlich mit, wenn er von seinen Touren Zwetschken oder Kirschen mit nach Hause brachte. Sein Lieblingsessen war jedoch ein einfaches Blunzengröstel, mit knusprigen Kartoffeln und Saürkraut dazu. Davon schwärmte er immer und das sollte auch seine letzte Speise werden. Aber dahin ist noch eine Weile.

Es war halt schon eine Zeit, in der wir nur von der Hand in den Mund lebte, wie man so sagt. Ersparnisse konnten keine angelegt werden, auch Lebensmittelvorräte gab es kaum. Vielleicht einmal ein paar Kilo Mehl oder Zucker mehr und einen Sack Kartoffeln im Keller, der den halben Winter hielt, aber sonst gingen wir fast täglich einkaufen und immer nur gerade so viel wie wir wirklich brauchten. Wir hatten einen kleinen Greisslerladen im Sand und wenn wir in den Markt gingen, da kamen wir gleich nach den Schienen der Westbahnstrecke an einer Trafik und ein Stückchen weiter beim Bäcker und beim Fleischhaür vorbei. Alles lag so nahe zusammen, dass wir immer zu Fuss unterwegs waren. Welch ein Segen waren diese kleinen Geschäfte, in denen man alles, fast alles bekam. Keine riesigen Einkaufsburgen, die immer am Stadtrand gebaut wurden und wo man ein Auto brauchte um hinzukommen.

Im Sommer und Herbst waren wir viel im Wald um unseren Speisezettel zu verbessern und Abwechslung hineinzubringen. Ich liebte es alle Art von Beeren zu pflücken, wie Himbeeren, Heidelbeeren, Brombeeren, in dieser Reihenfolge wurden sie auch reif und ich brachte viele, viele Milchkannen voll davon nach Hause. Die wurden dann zu Marmelade verarbeitet oder als Säfte eingeweckt. Dann kamen die Schwammerl, „ich selber Schwammerl“, sagte ich gerne und bin stundenlang durch die Stauden und Dickungen gekrochen um herrliche Steinpilze oder Maronenröhrlinge zu finden. Parasole wuchsen in grossen Mengen in den Wäldern rund um Lambach und diese wie ein Wiener Schnitzel ausgebacken, es gab nichts Besseres für uns. Als mein Vater dann an Diabetes erkrankte, da ernährte er sich viel von Pilzen, denn diese hatten keine „Broteinheiten“, auf die er besonders achten musste, davon konnte er sich so richtig satt essen. Bevor es gute Pillen dagegen gab musste er sich selbst immer eine Spritze pro Tag verabreichen, das war nicht schön für uns zuzusehen, aber es ging eben nicht anders. Diabetes lag in der Familie kurz nach meinem Vater erkrankte auch seine Schwester Mimi daran und später dann die Großmutter. Vielleicht war es aber auch das oftmals eintönige, stärkehaltige Essen, das wir nach dem Krieg zu uns nahmen oder das viele fette Fleisch das es gab, aber wo sonst hätten wir die nötigen Kalorien herbekommen.

Und trotz all dieser Beschwernisse und dem schlechten Gesundheitszustand war er uns ein Vater, wie man ihn sich nicht besser wünschen kann. Er fand Verständnis für viele unserer Wünsche und Unternehmungen. So zum Beispiel, als wir alle Schifahren wollten, aber kein Geld da war, da ging er ins Sägewerk gegenüber, liess sich ein paar Bretteln zuschneiden, die hat er dann im alten Waschkessel gekocht und die Spitzen aufgebogen, eine Rille in die Mitte der Lauffläche geschnitzt und mit Lederriemen eine Bindung gebastelt. Der damals ach so berühmte „Bradllack“ kam auf die Lauffläche, damit wir noch schneller fahren konnten. Sepp Bradl, der erste Mensch, der über 100 m auf einer Schischanze sprang hat dem Lack den Namen gegeben, knallrot war er, dieser Lack und hat aus uns wirklich gute Schiläufer gemacht. Aber wir waren ja drei Kinder und es gab eben nur ein paar dieser Schier. Also durfte mein Bruder zuerst damit fahren, dann kam ich dran und dann meine jüngere Schwester. Irgendwie konnten wir die Schibindung so um die Fersen wickeln, dass wir alle hineinpassten. Zum Eislaufen bekamen wir auch nur ein paar Schlittschuhe, die wurden unter unsere Haferlschuhe geschraubt, verstellbar je nach Grösse natürlich, und los ging es damit. Auch wieder der Bruder zu erst und wenn der müde war, dann durften erst wir Mädchen, das habe ich damals schon als ziemlich ungerecht empfunden. Immer die Buben zuerst, der hat natürlich so lange ausgehalten, dass wir Mädchen dann nur wenig Zeit hatten zum Fahren, denn dann wurde es bald dunkel und wir mussten nach Hause, das berühmt-berüchtigte „Heide, Lore, Norbert“ schallte durch den Sand, dann hiess es die Beine in die Hand nehmen und rennen! Aber an so manchen Sonntagen, wenn besonders viel Schnee auf den Strassen lag, dann fuhr der Vater mit uns los, entweder noch mit dem Motorrad, später dann mit dem Auto. Es ging auf einen der geräumten Güterwege, die zwischen den einzelnen Bauernhöfen lagen, er band hinten am Auto ein langes Seil an  und wir durften mit ihm „Skijöring“ machen, wie die Norweger. So zog er uns mit flottem Tempo auf den Strassen durch die Landschaft, das war eine Gaudi! Je schneller je besser, wir konnten davon nicht genug bekommen, es war herrlich. Der Schnee spritzte uns ins Gesicht, die Arme brachen uns fast ab vom Festhalten des Seiles, aber aufgeben, das gab es damals nicht, die Nachbarkinder platzten fast vor Neid, denn die hatten keinen solchen Supervater wie wir! Ätsch! Und die Fundamente, die er uns baute für unsere riesigen Baumburgen in der Au, das war einfach Meisterklasse und unübertroffen, auch so manches Floss nagelte er uns zusammen, das wir dann mit grosser Mühe in den Krötzelteich stiessen und damit den ganzen Sommer herumfuhren. Ein Floss lag auch in Bürg, in Niederösterreich im Sommerquartier meiner Tante Mimi mit Familie und wir verbrachten grossartige Schlammschlachten und Seeräuberattacken in diesem kleinen Krötenteich. Wer hats gebaut? Der Vater natürlich und wahrscheinlich wäre er am liebsten mit uns darauf herumgefahren, wenn er sich nicht wie ein wirklicher Erwachsener hätte benehmen müssen. Darum ging er meistens mit meinem Onkel Franz dann ins Wirtshaus, zum Seelhofer, hat dort Karten gespielt und sich ein Bierchen vergönnt. Während also die Männer, die richtigen Männer im Wirtshaus sassen ging meine Mutter und die Großmutter mit uns viel in den Wäldern rund um Bürg zum Schwammerl suchen, dort wuchsen zur damaligen Zeit unendlich viele Herrenpilze und Eierschwammerl aber auch Parasole, die wir in Körben nach Hause trugen. Pilzsorten die man trocknen konnte wurden fein aufgeschnitten, auf Papier aufgelegt und auf allen Schränken und Kommoden lagen dann die Pilze zum Trocken und wurden im Winter dann in Suppen und Sossen verarbeitet. Die Kirschbäume der Familie Mies, das waren die Bauern, denen das kleine Auszugshäuschen in Bürg gehörte, hingen voll mit reifen Früchten und wir durften ernten was wir konnten. Da gabs dann oft tagelang Durchfall, weil wir einfach zu viele Kirschen in uns hineingestopft haben und dazu natürlich Wasser tranken, weils eben sehr heiss war, diese Tage waren denn etwas weniger lustig aber doch unvergesslich.

Im Herbst dann, wenn die Schule wieder anfing, dann wurde auch oft ein neues Theaterstück eingelernt. Während mein Vater oft die Regie führte oder eine tragende Rolle spielte, war meine Mutter damit beschäftigt die Kostüme zu entwerfen und zu nähen aber auch die Kulissen wurden von ihr entworfen, unter Anleitung meines Vater gebaut und wir alle bekleckten sie dann mit Farben, uns selbst natürlich am allermeisten. Auch hat meine Mutter als Maskenbildnerin eine wichtige Aufgabe in diesem kleinen Kulturverrein und konnte wunderbar die Menschen schminken und ihnen ein total anderes Aussehen verleihen. Ich half bald mit die Grundierungen aufzutragen und hab natürlich schon so mit 8 bis 9 Jahren an mir selber herumprobiert, welche Hautfarbe mir besonders gut steht, ganz zum Ärger meiner Mutter. Wir waren eine wirklich fest zusammen geschweisste Einheit, die Familie vom Hansl Zott und das blieb auch bis wir dann alle wegheirateten. Da gab es zum Beispiel die mehr gehasst als geliebten Sonntagsnachmittage. Der Vater war ja während der Woche öfter nicht zu Hause, schlief oft einige Nächte in entfernt gelegenen Dörfern im Mühlviertel und wenn er dann am Freitag abend nach Hause kam, dann wollte er unbedingt seine Familie zusammen haben. Also gabs kein Ausgehen, auch nicht für meinen Bruder, der ja einige Jahre älter war als wir. Wir mussten allen rund um den Tisch in der Küche sitzen und dem Vater von unserer Woche erzählen, was es in der Schule Neues gab, die Noten, und was wir sonst angestellt haben. Am Samstag durften wir dann wieder los mit unseren Freunden, aber nie zu weit ausschwenken, denn zu den gemeinsamen Mahlzeiten, da mussten wir wieder zurück sein. Samstag abends dann wurde es Brauch, dass die Eltern gemeinsam einen Kinobesuch machten und anschliessend für ein Glaserl Wein und etwas tanzen ins Gasthaus gingen. Das war die Entschädigung für die Mutter, die ja auch jeden Tag in die Arbeit musste und dafür, dass der Vater nicht immer zu Hause war. Als wir dann Teenager wurden, da durften wir dann schon ab und zu einmal zum Tanzen mitgehen oder in einen jugendfreien Film, aber in den ersten Jahren im Sand, da war das nur für die Eltern gestattet. Dann kam der Sonntag, da wir keine wirklich katholische oder sonst gläubige Familie waren durften wir am Sonntag richtig gut ausschlafen und mussten nicht in die Kirche rennen. Ich will nicht sagen, dass wir nicht gläubig waren, das stimmt natürlich nicht ganz, im Gegenteil, wir alle glaubten an einen Gott, an ein höheres Wesen, das unser aller Schicksal lenkte und seine Hände schützend über uns hielt. Aber mit den Dingen, die die katholische Kirche( die Pfaffen hat es immer geheissen) vorgibt und zelebriert, das ewige Glöckerlläuten oder Weihrauchschwenken, das Tiara auf und ab, davon hielten wir nun alle nichts. Aber den lieben Herrgott, den fanden wir alle in der Natür draussen vor allem... dann geht er leise auf seine Weise der liebe Herrgott durch den Wald... Das waren unsere Gebete, die wir auch in der Schule und trotz Religionsunterreicht nicht viel veränderten. Natürlich wurden wir alle getauft, gingen zur ersten heiligen Kommunion und später dann zur Firmung. Aber eben nur, weil man das musste und es sich so gehörte in einem kleinen Dorf, wo jeder jeden kennt und man nicht wie ein kaputter Daumen heraus stechen will. Es gab ein gemeinsames Mittagessen, dann legte sich der Vater zu einem kleinen Mittagsschläfchen nieder, wir Kinder mussten uns in dieser Zeit mit Lesen oder Stricken oder sonstigen „leisen“ Hobbies beschäftigen und nach dem Mittagsschlaf kam die Kaffeejause und dann ging es jeden Sonntag, den der liebe Gott werden liess, auf den Sportplatz. Eine Woche war Fussball angesagt, in der nächsten Woche gabs dann Handball. Weil er halt immer sehr am Sport interessiert war in seiner Jugend, jetzt aber nichts mehr selber machen konnte, so wollte mein Vater wenigstens diesen Spielen allen zuschauen und weil er so viel auswärts war, da wollte er unbedingt, dass seine ganze Familie zusammen mit ihm auf den Sportplatz ging. Wie wir das mit der Zeit einfach hassten, mein Gott, was hat uns damals so ein Fussballspiel denn interessiert, die Mutter und wir Mädchen, wir langweilten uns ohne Ende. Interessanter wurde es dann später, so als Teenager, als uns die Buben dann zu gefallen begannen, da konnte man dann schon mit dem einen oder anderen Spieler ein bisserl flirten aber die Jahre davor, das war manchesmal eine richtige Qual. Während die Schulfreunde ins Schwimmbad gingen oder Radtouren unternahmen mussten wir so in Reih und Glied hinter den Eltern her gehen und dann stundenlang einem langweiligen Spiel zu schauen. Auf dem Nachhauseweg blieb der Vater dann meist noch mit einigen anderen Vätern und Bekannten an der berühmten Stelle auf der Salzburgerstrasse stehen, genau gegenüber vom grossartigen Stift Lambach, da gab es eine kleine „Insel“ mit Stiegen und einer kleinen Aussichtsterrasse, wo die Männer dann standen, ihre Zigaretten rauchten und die vorbeifahrenden Autos, die eh nicht viele waren, bestaunten und bewunderten. Das war so ein Brauch, der sich entwickelt hat im Laufe der Jahre, als die Autos auf den Strassen immer mehr wurden und man schon manchesmal sogar einen Mercedes oder sonst eine ausgefalle Automarke bewundern konnte. An dieser Strassenkreuzung kamen drei Strassen zusammen, die durchgehende Hauptstrasse durch Lambach, die Salzburger Strasse, dann kam von hinten die Leitenstrasse an und steil vom Ufer der Traun herauf und über die Traunbrücker aus dem Salzkammergut kam die Gmundnerstrasse. Da wurde dann natürlich auch genau beobachtet, wie sich die Autofahrer in diese Kreuzung einordneten und ob sie es schafften, den steilen Berg von der Traun herauf zu kommen, dann mussten sie auf der Kuppe oben stehen bleiben, weil die anderen die Vorfahrt hatten und sich wieder in den Verkehr einreihen, so mancher Spott war da zu hören, wenn einer der Lenker das Auto abwürgte, weil er nicht ordentlich am Berg anfahren konnte! Ja, es waren recht harmlose und billige Vergnügungen die sich die vom Krieg heimgekehrten Männer anfangs der 1950ger Jahre leistete. Fussball und Handball schauen und vor allem von all den herrlichen Autos träumen, die da an einem Sonntagabend durch Lambach fuhren. Auch sonst waren die Menschen eher bescheiden in diesen Zeiten. Es wurde alles selber hergestellt und gebastelt, was eben nur ging. Ich erinnere mich noch gut, dass gerade vor Weihnachten der Vater fast jeden Abend den er zu Hause verbrachte, dann irgendwann verschwand und erst wieder in der Wohnung erschien, wenn wir schon alle im Bett waren. In der alten, kalten Holzhütte gleich hinter dem Haus, da hat er sich eine kleine Werkstatt eingerichtet. Er bastelte für sein Leben gern, besonders mit Holz und seiner Laubsäge, da konnte er die schönsten Stücke herstellen. War es eine Schatulle für die Mutter mit schön verziertem Deckel, oder einmal zu Weihnachten, da bekamen wir Mädchen Puppenbetten mit herrlichsten Schnitzarbeiten, eine ganze Zimmereinrichtung aus feinem, dünnen Holz gebastelt, die Kastentüren mit Filigranarbeit ausgestattet und mit einem dunkelroten Stoff hinterlegt, schauten wirklich edel aus. Auch die Kopfteile der Puppenbetten waren mit dieser Filigranarbeit verziert und wir hüteten diese Möbel wie unsere Augenäpfel. Sie stehen heute noch bei einer meiner Tochter im Kinderzimmer. Stundenlange ist er damals beim Küchentisch gesessen und hat die Muster für die Sägearbeit entworfen, fein säuberlich auf Papier gezeichnet, dann mittels Pausspapier auf die Holztüren übertragen und später dann eben gesägt, bis alles so war, wie er es sich vorgestellt hatte. Auch gemalt hat mein Vater gerne, besonders an dunklen Winterabenden, da sass er dann auch alleine am riesigen Küchentisch und malte seine Aquarelle und Temperafarbenbilder. Landschaften meistens oder Blumengebinde in reichlich verzierten Vasen. Schöne Dinge, die man sich jeden Tag gerne anschaute, die das Auge erfreuten und die Seele beruhigten. Und es schien auch seiner Seele sehr gut zu tun, wenn er so still da sass, leise Musik im Radio spielen hatte, dann versank er ganz in diese Landschaft, die er da malte, aus seiner Phantasie oder manchesmal auch eine dörfliche Idylle, die er selber wo gesehen hat. Vorlagen sah ich nie und wenn wir ganz besonders brav gewesen sind, dann durften wir uns auch zu ihm setzen und bekamen ein Blatt Papier und einen Pinsel und durften unsere Kunst selber ausprobieren. Mit der Laubsägearbeit hatte mein Bruder keine solche Geduld, aber hin und wieder, da versuchte er sich schon daran und „säbelte“ ein kleines Geschenk für die Oma oder die Mutter unter Anleitung meines Vaters. Lesen wurde in unserer Familie auch ganz gross geschrieben, nicht nur beim Vater, der las viele Geschichtsbücher, Reiseerzählungen und wenn er schnell einmal abschalten wollte, dann holte er sich seine Romanhefte hervor. Krimis von Sherlock Holmes oder auch Wild West Geschichten, da gabs ganze Stapel von diesen Heften, die einmal wöchentlich in der Trafik zu kaufen waren. Die Oma hat sie dann auch gelesen, vor allem die Wild West Geschichten, die hatten es ihr angetan. Meine Mutter blieb lieber bei ihren Groschenromanen über Liebe, Schmerz und Heimatglocken. Nach einiger Zeit hat dann das Buchgeschäft Dirr auf dem Hauptplatz in Lambach eine Art Leihbibliothek eingerichtet, wo man sich für wenige Groschen Bücher und Romanhefte ausleihen konnte, so musste man sie nicht selber kaufen, von da an wurde noch mehr gelesen in unserem Haushalt. Lasen Oma und Mutter gerne abends im Bett, so blieb mein Vater immer am Küchentisch sitzen, wenn er las. Er hatte seinen, nur für ihn bestimmten Platz am Kopfende des Tisches, mit Blick auf die Eingangstüre der Wohnung. Dort sass nur er, auch dann, wenn er die halbe Woche nicht zu Hause war, niemand setzte sich auf Papas Platz, wenn er nicht da war. Also sass er dann beim Tisch bis tief in die Nacht hinein und las seine Bücher und Romane, das half ihm auch beim Entspannen. An diesem Platz lernte er auch seine Theaterollen. Als dann der erste schwarz/weiss Fernseher ins Haus kam, da wurden vor allem die Nachrichten geschaut und manchesmal gab es einen interessanten Film, den sich der Vater gerne im Wohnzimmer beqüm in seinem Sessel sitzend anschaute. Und dann kamen die Sportübertragungen, das war dann die grosse Sensation. Vor allem die Eishockeyspiele oder auch die Schirennen, davon konnten sowohl mein Vater als auch meine Großmutter nicht genug bekommen, es gab keinen Spieler oder Rennläufer, den sie nicht bei Namen kannte und es wurden immer fest die Daumen für eine bestimmte Mannschaft oder einen bestimmten Rennfahrer, wie dem Toni Sailer, Anderl Molterer oder später dann den Karl Schranz gedrückt. Allen Sport, den der Vater mit seiner Verletzung nicht mehr selber machen konnte, der musste angeschaut werden, das brachte das Blut zum Wallen und half der Durchblutung in dem kaputten Bein, so kam es mir jedenfalls damals vor.

Das waren die grossen Gegensätze im Leben meines Vaters, auf der einen Seite, die stillen, beschaulichen Stunden in denen er malte oder schnitzte oder mit der Laubsäge arbeitete und dann die aufgeregten, die hitzigen, wenn es um den Sieg einer bestimmten Mannschaft ging oder wenn der Toni Sailer wieder einmal ein Rennen gewann. Beides tat ihm unendlich gut und lenkte von seinen eigenen Problemen und  Sorgen ab. Und wir, wir Kinder hatten auch unseren Spass daran, wenn der Vater vor dem Fernseher sass und auf einen ausländischen Schifahrer schimpfte, weil der einfach um ein paar Zehntelsekunden schneller war als der Österreicher!

Mein Bruder hatte die Volksschule beendet und auch die Hauptschule in Lambach, dann wurde beschlossen, dass er zu einer Tante nach Wien ziehen sollte um dort auf eine Höhere Technische Lehranstalt zu gehen um seinen Ingenieur in Elektrotechnik zu machen. So wurde die Familie um ein Mitglied kleiner. Die Tante Poldi, eine ältere Schwester meiner Mutter, hatte nun ihre Hände voll zu tun um meinen Bruder und ihren eigenen Sohn, den Gerhard, unter Kontrolle zu halten, denn die beiden waren wirklich nicht so einfach zu bändigen. Der Mann der Tante Poldi war vom Krieg nicht nach Hause gekommen, er war einfach verschollen, jahrelang wartete sie und suchte nach ihm durch all die Vereine die entstanden um verschollene Soldaten in aller Herrenländer ausfindig zu machen. Ich glaube erst anfangs 1970 hat sie eingesehen, dass er doch nicht wieder kommen würde und hat ihn für tod erklären lassen. Ihre Tochter Fritzi hat sich über eine unglückliche Liebesaffäre das Leben genommen und so stand auch meine Tante sehr alleine da mit ihrem Sohn, der etwas jünger war als mein Bruder, aber die Hilfe, vor allem die finanzielle die sie von meinem Vater für die Aufnahme meines Bruders bekam, die hat ihr viel geholfen. Auch verbrachten die Beiden dann viele Sommer mit uns in Lambach, damit sie aus der Grosstadt Wien in der heissen Zeit herauskamen.

Ich wiederum wurde gerade in den grossen Ferien nach Wien zu den Dittrich Grosseltern, also den Eltern meiner Mutter geschickt, die am Elterleinplatz eine Wohnung unter dem Dach eines riesigen Eckhauses hatten. Ich muss so ein unkompliziertes, ja sogar braves Kind gewesen sein, dass sich die Grosseltern darum rissen mich zu bekommen, wenns auch nur für ein paar Wochen war. Der Opa fuhr mit mir in den Wienerwald um mir Beeren und Pilze zu erklären oder wir fuhren in seinen Schrebergarten, den er irgendwo bei Grinzing hatte und ich half im Garten mit. Als ich dann aber älter wurde und nicht mehr ganz so handzahm war, da blieb ich lieber in Lambach, dort war das Wort Freiheit für uns wirklich gross geschrieben und die Grosseltern kamen zu Besuch zu uns aufs Land.

Und eines Tages, da stand ein Fahrrad vor der Türe. Woher der Vater es bekommen hatte, das fanden wir nicht heraus. Ein herrlich neues Damenfahrrad, das eigentlich meiner Mutter gehören sollte, damit sie damit nach Stadl Paura zur Arbeit fahren konnte und nicht immer zu Fuss den weiten Weg machen musste, wenn der Vater auswärts tätig war und sie nicht fahren konnte. Aber die Mutter wollte einfach nicht radfahren lernen, auf gar keinen Fall würde sie sich auf diesen Drahtesel setzen, genauso, wie sie nie das Autofahren lernen wollte. Das hat dem Vater natürlich dann schon weh getan, als sie sich so weigerte mit dem Radfahren, aber wir Kinder waren darum um so begeisterter und nahmen es sofort in unseren Besitz. Auch schwimmen wollte die Mutter nie lernen, da hat sie sich genauso gewehrt dagegen wie beim Radfahren, also das Sportliche, das haben wir sicherlich nicht von den Genen unserer Mutter geerbt. Und es war ein Damenfahrrad, endlich hatten wir Mädchen einen Vorteil und mussten nicht auf einem uralten Herrenrad auf der Strasse herumkurven. Was wir schon machten, aber sehr ungern, denn unsere Röcke blieben gerne in der Kette hängen, dann gabs Ärger wegen der ruinierten Kleidung. Aber Hosen durften wir Mädchen ja damals noch nicht tragen, das war sehr verpönt. Wer was auf sich hielt, der trug ein Kleidchen oder Rock und Bluse, Hosen kamen dann erst Ende der 50er Jahre in Mode und wurden besonders von mir mit Begeisterung aufgenommen. Mit diesem Fahrrad unternahmen wir natürlich die tollsten Rennen und auch Abschleppfahrten, die aber nicht immer gut ausgingen. Einmal zog mich mein Bruder auf einem Trettroller hinter dem Fahrrad her, ich nahm die Kurve in der Strasse nicht ganz richtig und landete im groben Schotter am Strassenrand, die Knie blutig, der Rock zerrissen, die Hände aufgeschürft, ein Bild des Elends und des Jammers. Aber Zähne zusammen beissen, hinunter zum Bach, alles so gut wie es nur ging abgewaschen und dann doch nach Hause um ein paar Pflaster auf die Schürfwunden zu kleben. Von Tetanusspritzen und dergleichen haben wir damals noch nichts gehört. Die Oma hat die Wunden nochmals ganz fest mit einer Jodtinktur, mein Gott hat das gebrannt und weh getan, ausgewaschen und damit wars das auch schon. Einmal noch bin ich in diesen Strassengraben gezogen worden, von der Ziege unserer Nachbar, die ich jeden Nachmittag an einem Strick „spazieren“ führte, damit sie am Strassenrand frische Pflanzen knabbern konnte. Ist auch immer gut gegangen, bis auf den einen Nachmittag, da kam ein knatternder Traktor vorbei, da hat sich das Tier so erschreckt und ist bockend losgerannt, hat mich von meinen Beinen gerissen und hinter sich nachgezerrt, da floss auch viel Blut und die Narbe am Knie sieht man heute noch. Da gab es dann wieder etwas zu beichten, als der Vater am Freitag nach Hause kam, aber das gab es ja fast ohnehin jede Woche, denn wie schon erwähnt, so richtig ruhig und zahm waren wir drei ja nie und dann noch die vielen Nachbarskinder dazu, da fiel schon irgend jemanden immer was Dummes ein und alle taten natürlich mit!

Ich war seinerzeit lieber mit meinem Bruder und seinen Klassenkameraden unterwegs als mit den Mädchen der Nachbarschaft. Mit den Buben gabs immer mehr Aufregendes und Spannendes zu erleben, aber auch so manche gefährliche Situation zu überstehen, die wir wirklich nur sehr, sehr ungern dann dem Vater am Freitag gebeichtet haben. Zum Beispiel als wir uns Höhlen in der Sandgrube gruben. Die Sandgrube war ein steiler Hang gleich neben den Schienen der Westbahnstrecke und vor dem „Eichlbergerl“ einem kleinen Wäldchen in dem herrliche Eichen standen und wo sich wunderbar Cowboy und Indianer spielen liess. Ich war meistens eine Indianersquaw und wurde von meinen Häuptlingen zum Essen suchen und für andere untergeordneten Arbeiten eingeteilt. Wurscht war es mir und viel Spass hatte ich, so als halb Wilde durch die Bäume zu schleichen, Eicheln als Schussmunition gegen die aufständischen Cowboys zu sammenln, zwischen durch schnell nach Hause rennen um Getränke und Butterbrote zu holen. In besagter Sandgrube aber, da hätte eines Tages fast mein Leben geendet. Wir hatten schon etliche Meter in den Sand hineingegraben, kleine Höhlen ausgehoben und Verbindungsgänge angelegt, als so ein Verbindungsgang dann einbrach und mich unter einer ziemlich grossen Sandmasse begrub. Ganz aus der Ferne hörte ich meinen Bruder schreien, voll Angst, und die Freunde auffordern, schnell, schnell zu graben, denn die Heide steckt da drinnen, die erstickt uns noch, die müssen wir gleich heraus holen. Und schon spürte ich noch mehr Sand auf mich einbrechen, als alle etwas kopflos herumturnten auf dem steilen Hang und ja nicht genau wussten, wo ich eigentlich stecken geblieben bin. Fest hielt ich mir beide Hände vor den Mund um etwas besser atmen zu können, aber Angst bekam ich dann natürlich schon, und welche! Aber irgendwie haben sie mich dann doch herausgeholt, meine Häuptlinge, mir den Sand aus den Augen gewischt, ich habe gespuckt und gespuckt damit er aus dem Hals kommt. Dann bin ich langsam nach Hause zur Oma natürlich zuerst, die hat die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, mich umziehen lassen, die Haare ausgebürstet, Sand war überall. Na ja und wenn wir nicht jeden Freitag die wöchentliche Beichte beim Vater ablegen hätten müssen, dann hätte ausser der Oma niemand von meinem Unfall erfahren. Aber so war es halt, für seine Dummheiten mussten wir jede Woche gerade stehen, Strafen, die gab es sowieso nie, war schon Strafe genug, dass man erzählen musste, was man angestellt hatte.

Dann haben mich eines Tages meine Häuptlinge eine tote Schlange häuten lassen. Wir fanden am Strassenrand eine totgefahrene Ringelnatter und mein Bruder, der Oberhäuptling, wollte sich aus der Schlangenhaut ein Uhrenarmband basteln. Also musste die Squaw diese Schlange häuten und die Haut feinsäuberlich mit Stecknadeln auf ein Brettchen zum Trocknen aufspannen. Das war allerdings schon recht grauslich. Als ich zum Schneiden anfing, da fanden wir heraus, dass es sich um ein Weibchen handelte und der ganze Unterleib voll mit Schlangeneiern war, naja, das war dann noch grauslicher, aber irgendwie hab ich ihr doch die Haut abgezogen, sie schön aufgespannt und auf dem Dachboden versteckt, damit die Haut dort trocknen konnte.Gott sei Dank kam der Oberhäuptling nicht auf die Idee, die vielen Eier vielleicht auch noch künstlich ausbrüten zu wollen. Bei der Beichte am Freitag, da wurde mir dann erst so richtig bewusst wie grauslich das ganze Unternehmen eigentlich war, da hab ich mich dann übergeben und wurde grün und gelb um die Nase. Dann wollte natürlich der Vater das Prachtstück für die Armbanduhr sehen. Mein Bruder ging auf den Dachboden um das Brettchen in die Wohnung zu holen, aber, von einer schön aufgespannten Schlangenhaut keine Rede mehr, durch die Trockenheit und weil wir sie ja  nichts irgendwie präpariert haben, ist die Haut in einzelne Schuppen zerfallen und nichts wurde es mit einem Schlangentotem für den Oberhäuptling. Verständlich, dass es mir bis heute besonders graust, wenn ich irgendwo in der Au oder im Wald eine Schlange über den Weg schleichen sehe.

Ja und dann wurde auch ich etwas älter und gescheiter und mein Bruder und seine Kameraden mussten sich eine andere Squaw suchen, denn immer nur deren Dreckarbeit machen, das freute mich dann auch bald nicht mehr. Sehr gerne hätten wir alle ein Haustier gehabt, aber in der kleinen Wohnung in der wir alle lebten, da war es einfach nicht möglich auch noch einen Hund z.B. zu halten. Als wir noch im „Alten Häusl“ wohnten, da brachte der Vater eines Tages ein Hundebaby von einem Bauernhof mit, wo es zu viel Nachwuchs gab. Freudigst stürzten wir uns alle darauf und mussten dann hören, dass dies der Hund meines Bruders sein sollte. Er wäre für die Versorgung verantwortlich und für den Auslauf, na ja, schon wieder zuerst die Buben, wo bleiben wir? Diese Fragen habe ich mir ja oft gestellt. Aber wir liebten unsere Mischlingshündin wahrscheinlich mehr als dies mein Bruder tat, denn wir waren es, die sie fütterten, wir waren es, die mit ihr spazieren gingen, das waren wahrscheinlich auch minderwertige Arbeiten für einen Oberhäuptling, er lernte ihr nur verschiedene Kommandos wie „sitz“ und „platz“ und so. Sie wurde ein recht grosser Hund, eine Mischung aus Schäferhund und was weiss man noch, und entwickelte wirkliche Kräfte, weil es mir nicht zu dumm war ständig zum Fleischhaür zu gehen und um Hundefutter zu betteln, den von Essensreste konnte sie bei uns nicht leben, die gab es fast nicht, wir waren ja selber immer hungrig. Dann kamen, wie es damals so üblich war zwei bis dreimal im Jahr eine Gruppe Zigeuner ins Dorf. Die haben auch gebettelt um Wäsche und Essen für ihre vielen Kinder, haben aber auch kleine Arbeiten übernommen, vor allem haben sie Messer und Scheren geschliffen oder kaputte Regenschirme repariert. Und als die Oma dann ihre Messer wieder schön scharf zurück bekam, da war der Hund plötzlich verschwunden, man munkelte in der Familie, die Erwachsenen natürlich nur, dass einer der Zigeuner sie in den Gulaschtopf geworfen hat. Wir waren tagelang untröstlich, streiften durchs Dorf und riefen ihren Namen, aber ohne Erfolg. Und dann sind wir ohnehin bald übersiedelt und wie gesagt dort gab es keinen Platz für ein Tier. Aber Gott sei Dank hat unsere Hausfrau, die Frau Schmitzberger, ein Herz für Tiere und anstelle eines Holzschuppen hatte sie einen kleine Stall ans Erdgeschoss anbaün lassen. Dort gab es dann Hühner, Hasen und Ziegen. Das war eine Freude und wir adoptierten alle Tiere natürlich sofort. Besonders im Frühling, wenn die kleinen Kitzlein auf die Welt kamen und lustig im Hof herumsprangen, das war reizend anzusehen und wir waren fast nicht ins Haus zu bringen, weil wir dem Schauspiel so begeistert zusehen wollten. Landete so ein entzückendes Kitzerl aber dann rund um Ostern in der grossen Bratenrein, da war uns allen der Appetit vergangen, so erging es uns auch mit den Kaninchen, die wir bestens fütterten und dann, na ja, dann machte die Oma lieber ein Ragou daraus, denn sonst hätten wir die auch nicht gegessen. Hühner fanden wir nicht so niedlich, da war es uns schon mehr wurscht, wenn man einem den Hals umdrehte und die dann knusprig als Backhendl am Sonntag serviert wurde. Natürlich brachte der Vater von seinen Überlandsfahrten öfter auch geschlachtete Hasen und Hennen mit, wenn ein Bauer Erbarmen für die grosse Familie fand, schlecht haben wir nicht gelebt, wenn auch einfach aber doch immer ausreichend waren wir gefüttert worden. Alle übrig gebliebenen Semmeln vom Bäcker, die gab es damals zum Wochenende auch noch frei, die habe ich heimgeholt und die Oma hat daraus Würfel geschnitten für Knödelbrot oder sie durch eine handbetriebene Maschine gerieben um Semmelbrösel für die Schnitzel zu haben. Ein besonders Lieblingsgericht war eine herrliche Schwammerlsosse mit riesigen Semmelknödeln, da haben wir uns „eingraben“ können drinnen. Und gekostet hats fast nichts, ein paar Eier für die Knödel, das wars.

Wie berichtet war nun mein Bruder in Wien auf der Schule und als ich mit der Volksschule fertig war, da brachte ich wieder nur lauter Einser nach Hause und meine Klassenlehrerin, die Frau Reiter, die rief meinen Vater zu sich in die Schule und machte ihm den Vorschlag, mich doch nach Wels ans Bundesgymnasium zu schicken. Alle Zeugnisse in der Volksschule waren Einser, sie hätte schon lange kein so begabtes Kind in ihren Klassen gehabt und es wäre eine Schande, mir diese Chance nicht zu geben. Da natürlich das Geld in unserer Familie immer eher knapp war, war das schon eine grosse Überlegung wert und wurde auch mit der Mutter und Oma lange besprochen, aber letztlich sprach der Vater dann das Machtwort und ich konnte nach Wels aufs Gymnasium. Das war eine Ehre, das war eine Freude, aber auch eine Verantwortung, denn nun hiess es wirklich lernen. War mir bisher alles wie von selber von der Hand gegangen, so durfte ich nun nicht nachlassen und musste gute Noten nach Hause bringen. Morgens mit einem Arbeiterzug von Lambach nach Wels und am frühen Nachmittag dann wieder mit dem Zug zurück. Für uns „Bahnschüler“ war damals das Zugfahren frei, aber es musste Schulgeld bezahlt werden und auch einige Bücher, vor allem einen Atlas, mussten wir selber kaufen, die anderen Unterlagen gab es gratis aus der Schulbibliothek. Ja, da fing schon mein Nomadenleben an, täglich ein Blick auf eine billige Armbanduhr, damit man nur ja den Zug nicht versäumt, denn zu Hause wartet die Familie auf ein pünktliches Erscheinen. Omas Leben wurde dadurch nicht einfacher. Jeder hatte einen eigenen Fahrplan. Meine Schwester kam dann nach Stadl Paura in eine katholisch private Hauptschule, die ging meistens zu Fuss die Kilometer hin und her, oder konnten vom Marktplatz einen Autobus benützen. Meine Mutter hatte in der Spinnerei in Stadl Paura auch Schichtbetrieb, morgens 6 bis 14 Uhr eine Woche, dann 14 Uhr bis 10 Uhr nachts die andere Woche. Der Vater war viel auf Tour und so musste die Großmutter den ganzen Tag über in der Küche stehen und schauen, dass immer was Warmes auf den Tisch kam, wenn wir so zu verschiedenen Stunden nach Hause kamen. Nur abends, da waren wir meistens alle gemeinsam am Tisch, ausser die Wochen wo die Mutter Nachtschicht hatte. Wie gesagt, besonders katholisch waren wir nicht, aber eine vorzügliche Ausbildung, ja das Beste von Besten, das wollten unsere Eltern uns allen vergönnen, darum ging meine Schwester dann auch in diese katholische Privatschule und nicht in die Gemeindeschule. Mir gefiel das Bahnfahren meistens recht gut, ausser im tiefen Winter, wenn es in den alten Waggons noch fürchterlich kalt war und ich in stockdunkler Nacht, so um 6 Uhr los musste. Aber bald fanden sich Gruppen von Schülern, die gemeinsam fuhren, die Aufgaben auch noch schnell im Zug erledigten und meine liebste und beste Freundin, die Gerda aus Gunskirchen, die lernte ich auch auf dem Gymnasium und im Zug kennen. Bis heute hälte diese Freundschaft, das ist wunderbar.

Die Gesundheit meines Vaters wurde nicht besser, er bekam immer mehr Probleme mit der Durchblutung des gelähmten Beines, sein Zucker konnte nur durch tägliche Spritzen unter Kontrolle gehalten werden. Natürlich half es nicht, dass er rauchte, aber sein Zigaretterl, auf das konnte er halt nicht verzichten, leider. Wir anderen alle, wir waren recht robust, kaum einmal war einer von uns wirklich ernsthaft krank. Meine Schwester, die brachte einmal Diphterie von der Schule nach Hause und die Masern. Da mussten wir zwei anderen Kinder auch von der Schule bleiben, Quarantäne, aber das war ja nur lustig und super, denn wir waren nicht krank, wir hatten schulfrei wegen ihr. Aber irgendwann wurde auch sie wieder ganz gesund und dann hiess es wieder lernen, mehr noch als vorher. Es gab ab und zu auch Seuchen, die die ganze Schule lahm legte, wie zum Beispiel einmal die „Mundfäule“ auch Maul- und Klaünseuche genannt, da wurden alle Klassenräume geschlossen, aber wir blieben gesund und hatten nur den Vorteil der schulfreien Tagen, oder einmal ein langes Wochenende, weil wir alle unter Kopfläusen litten. Da mussten nicht nur wir entlaust und desinfiziert werden, da mussten auch alle Klassenräume und der Turnsaal und die ganze Schule desinfiziert werden. Das waren halt so die Wehwehchen in den Nachkriegsjahren wo es in vielen Familien mit der Hygiene und Sauberkeit nicht so ganz genau herging und oftmals auch wegen der schlechten Wohnverhältnissen nicht möglich war. Aber mit den Jahren wurde auch das immer besser aber heute gibts leider wieder Läuse und Wanzen, aber die kommen von wo anders her.

Eislaufen auf dem Krötzlteich war immer ein grosses Wintersporterlebnis für uns. Oftmals war das Eis noch gar nicht so dick und vertrauenswürdig, als wir uns schon darauf wagten und so passierte es, dass ich an meinem 13. Geburtstag, am 28.12.1956 ins Eis einbrach, mitten draussen auf dem Teich und gleich bis zum Hals unterging. Da waren alle geschockt und standen verzweifelt rund um mich, versuchten mich mit langen Stangen heraus zu ziehen, aber das ging nicht so einfach, dann wurde  einmal laut um Hilfe geschrieen und in der angrenzenden Bäckerei hörte der Bäckerlehrling unsere Rufe und kam mit einer Leiter, die er aufs Eis legte und an der ich mich dann auf sicheren Boden ziehen konnte, angerannt. Dann nahm er mich auf sein Fahrrad hinten drauf, so wie ich war mit Schlittschuhen und allem und fuhr mich schnell nach Hause. Durch den Fahrtwind sind in der Kälte meine Schlittschuhe und die Hosenbeine stocksteif gefroren und mein Vater sah keine andere Möglichkeit, als sie einfach mit einer riesigen Schere herunter zu schneiden. Gott sei Dank war er an diesem Samstag zu Hause und nahm sofort die „Rettungsaktion“ in die Hand. Ich weinte um meine schöne Schnürlsamthose, die so warm und weich war, um meine fast neuen Schlittschuhe, aber ohne jeglichen Pardon wurde da hineingeschnitten und alles von meinem Leib gerissen. Mittlerweilen war ich natürlich schon ganz blau vor Kälte und begann ordentlich zu zittern und bibbern. Ab, sofort ins warme Bett, einen Becher mit heisser Milch und viel Cognac, das hat er mir eingeflösst und ich hab von dieser Aktion nicht einmal einen Schnupfen davon getragen. Ja, er hat wirklich immer gewusst, was gerade notwendig war und wie schnell er immer gehandelt hat, wenn einer von uns einen Unfall hatte, da konnten wir uns tausendprozentig auf ihn verlassen.

Als ich dann in der sechsten Klasse Gymnasium war, da gab es in Österreich eine grosse Grippeepedemie und mich erwischte es so schlimm, dass ich wochenlang nicht in die Schule gehen konnte. Nie war ich wirklich krank gewesen, immer die „runde, gesunde“ in der Familie, aber diesmal, da übertraf ich sie alle, wie mich das geärgert hat. Zur Grippe kam dann noch eine Lungenentzündung und nachdem ich fast vier Monate kränkelnd zu Hause im Bett lag, da wurde mir klar, dass der Traum einer Matura im Gymnasium von Wels  ausgeträumt war. Ich hätte die sechste Klasse wiederholen müssen und hätte dann nach der Matura auch noch keinen Beruf gehabt. Da sich die Gesundheit meines Vaters immer mehr verschlechterte und es zu befürchten war, dass er seine Sehkraft durch den vielen Zucker vielleicht verlieren könnte, hiess die Parole nun, alle so schnell wie möglich in einen Beruf und selber was verdienen. So stieg ich in Wels aus und besuchte dann für zwei Jahre in Vöcklabruck die Handelsschule und bekam gleich nach Abschluss der Schule eine gute Anstellung in einem kaufmännisch/technischen Büro in Linz. Also war ich einmal versorgt, brachte mein eigenes Geld nach Hause und kurz darauf ging auch meine Schwester schon zur Arbeit, machte eine kaufmännische Lehre und somit fielen doch grosse Geldsorgen von den Schultern meiner Eltern. Mein Bruder maturierte in Wien, bekam ebenfalls eine Anstellung als Elektroingenieur in Linz und hat dann bald darauf geheiratet und seine eigene Familie gegründet. Dann ging es für einige Zeit dem Vater wieder besser, ein neues Medikament half ihm bei der Durchblutung der Beine und auch durch strenge Diät hatte er die Diabetes gut in Griff. Da wurmte mich natürlich schon die Tatsache, dass ich relativ kurz vorm Ende meine Matura nicht gemacht habe und ich suchte nach Wege diese nachzuholen. Meine Firma in Linz hatte eine Filiale in Innsbruck, dort konnte ich eine Anstellung bekommen und dort gab es auch eine Handelsakademie in Abendkursen. Also hab ich vor allem meinen Vater sehr bearbeitet, mir doch diese Möglichkeit zu geben und mich für zwei Jahre nach Innsbruck gehen zu lassen. Schweren, wirklich schweren Herzens hat er dem zugestimmt, weil wir beide doch sehr an einander hingen. Igendwie hatte er mich besonders ins Herz geschlossen und umgekehrt natürlich auch. Die Mutter, für die war natürlich mein Bruder, der Erstgeborene, der Namensträger, der Beste und Grösste, meine kleine Schwester immer das arme kleine Kriegskind, ich war halt immer nur die in der Mitte, nichts Besonderes, so eine, die in Mutters Augen einfach mitrannte, nie wirklich aus dem Rahmen fiel, sich immer die Schelte der anderen einkassierte, denn die waren nie an etwas schuld, immer wurde ich die Schlimme und Schuldtragende. Das hat schon oft sehr weh getan, aber ich hatte ja den Vater, meinen Vater und wenn er mich dann ganz fest an sich drückte, dann konnte ich die ganzen Reibereien und Ungerechtigkeiten schnell vergessen. Also auf nach Innsbruck. Der Vater hat mich mit seinem Auto übersiedelt und mir bei der Suche nach einem möblierten Zimmer geholfen. Und dann stand er in der Türe und musste wieder nach Lambach zurück fahren, ein weiter Weg... uns war beiden zum Heulen, aber nachgeben wollte ich doch nicht. Also hab ich mich in Arbeit und Schule gestürzt und machte das Beste daraus. Zu den heiligen Feiertagen bin ich dann natürlich immer nach Hause gefahren, meistens per Autostopp, das war damals grosse Mode und wirklich nicht annähernd  so gefährlich wie heute und hat vor allem viel Geld erspart. Als ich die Schule abgeschlossen hatte, dann ging es schnell wieder zurück ins Büro der gleichen Firma nach Linz um mein Geld näher zu Hause zu verdienen, obwohl es mir von der Landschaft her natürlich in den Tiroler Bergen herrlich gefallen hätte. Aber ich wollte wieder näher zu Hause und bei der Familie sein, vor allem beim Vater. Der lernte mir dann auch gleich einmal das Autofahren, aber nur auf den einsamen Güterwegen rund um Lambach und nahm mich ab und zu in die Gesangsrunde mit oder zu einem Sängertreffen „In der Klaus“, einem Landgasthaus ausserhalb von Lambach in Richtung Edt, da konnte er dann doch ein Bierchen mehr trinken und ich fuhr ihn dann nach Hause. Das waren so unsere geheimen, unerlaubten Ausflüge, die uns noch mehr zusammen schweissten, als wir eh schon waren. Er sei mir kein gutes Vorbild meinte die Mutter manchesmal, aber da grinsten wir beide nur bis über beide Ohren und sagten, ja, ja, wir machen das schon, alles halb so wild. Ich bin eine recht gute Autofahrerin geworden, obwohl ich meinen Führerschein dann erst anfangs 1970 machte, als ich hochschwanger mit meinem vierten Kind war, aber diese nächtlichen, heimlichen Übungsfahrten mit Vaters alten Mercedes 180 D, die haben sehr geholfen. Alkohol am Lenkrad, das war natürlich damals auch noch nicht so ein heisses Thema wie heute, Promille wurden nie gezählt, wenn dann vielleicht gerochen. Ausserdem waren abends so wenige Fahrzeuge unterwegs, dass man die Strassen wirklich für sich alleine hatte. Da er durch seine Diäbetes natürlich den Alkohol nicht oder fast gar nicht vertrug, so hatte mein geliebter Vater oft schon nach einem Glas Bier oder Wein, ein kleines „Schwipserl“ auf, was ihm nervlich und seelisch wahnsinnig gut tat. Da wurde er dann viel lockerer und lustig und vergass wiedereinmal für eine Weile seine harte, brutale Vergangenheit. Auch waren die Dorfgendarmen damals noch von ganz anderer Qualität als sie heute sind. Keine Pistolen schwingenden oder Taser ziehenden „Brutalinskis“, man hat das Gefühl die haben ständig selber die Hosen voll, sondern sie konnten sehr wohl unterscheiden, was in einem Menschen vorging, in dem Moment, wo er sich in eine gesetzeswidrige Handlung begab. So kam es des öfteren vor, wenn mein Vater mit seinem Schwipserl die Liedertafel verliess, dass der Gendarm neben ihm stand, ihm half sein Auto aufzusperren und einzusteigen, dann klopfte er ihm meistens auf die Schulter und sagte: „Gell Hansl fahrst eh langsam!“ Wo gäbe es sowas heute noch. Mein Vater ist auch immer heil und gut nach Hause gekommen und hat auch nie nur einen Randstein mitgenommen oder angekratzt! Trotz all der Härten die das Leben damals für alle mit sich brachte, war es auch einfacher und gemütlicher, weil der Stress nicht da war. Dieses Wort kannte man noch nicht und stand nur igendwo in einem Wörterbuch. Klar denke ich heute, wie viel Stress mein Vater oft hatte, wenn er montags nach Linz zur Mitarbeiterversammlung musste, dann wieder zurück nach Lambach, die Mutter und die Oma über seinen Dienstplan für die nächsten Tage einweihte, seinen Koffer packte und auf ins Mühlviertel oder Innviertel, drei, vier Tage nur aus dem Koffer lebte, am Freitag abends wieder zu Hause, endlich, dann konnte das Wochenende beginnen, aber vorher waren die Arbeitstage endlos lange, denn meistens konnte er die potentiellen Kunden am besten in den späten Nachmittags- und Abendstunden erreichen, ausser die Bauernfamilien, da konnte er auch gegen mittag anklopfen, aber andere Berufstätige, die waren eben nur abends zu Hause und dann liess er seinen ganzen Charm spielen und legte ihnen alle notwenidgen Unterlagen vor, die er auch zum Teil noch für sie ausfüllen musste. Spät fiel er dann in irgendein fremdes Bett und wie er uns erzählte, kamen dann oft die Albträume noch schlimmer, wenn er kurz aufwachte und sich orientieren musste, wo er eigentlich diese Nacht verbrachte. Klar war das Stress, wie man ihn heute nennen würde, aber damals war es einfach lebensnotwendige Überwindung, Anstrengung und gehörte genauso wie atmen und essen und schlafen zum Alltag.

Zu den Feiertagen wie Weihnachten, Ostern oder Pfingsten, da hatte er ein paar Tage länger frei und zwei Wochen Urlaub im Jahr, das stand ihm zu. Diese Urlaube verbrachte er oft auf Reisen mit uns allen. Wir durchfuhren ganz Österreich und Deutschland, es gab so viele Ecken, die er aus seiner Kriegszeit kannte, die er damals für schön fand, bevor sie zerbombt wurden, und die er uns zeigen wollte. Vor allem der Norden Deutschlands, bis Hamburg und dann nach Helgoland, oder Mitteldeutschland mit seiner romantischen Strasse, das war alles herrlicher Geographie Unterricht für uns. In Österreich war es vor allem Niederösterreich, seine alte Heimat und das Burgenland, das es ihm angetan hat. Die Rax, der Schneeberg, wie oft sind wir mit der Seilbahn oder der Zahnradbahn da hinaufgefahren und haben oben Wanderungen gemacht, die er mit seinem kaputten Fuss gerade noch mitmachen konnte. Am Zicksee im Burgenland lebten Verwandte meiner Mutter, dort waren wir des Öfteren auf einem kleinen Bauernhof zu Besuch, haben im See gebadet und natürlich auch fast einmal den Neusiedlersee durchwandert. Das sind Erinnerungen, die mir heute mit fast 70 noch so wie gestern vor den Augen stehen. Er hat sich so um seine Familie bemüht, dabei wäre es besser gewesen, er hätte diese zwei kostbaren Wochen Urlaubs irgendwo mit der Mutter allein auf Kur oder Erholung verbracht, um sich wirklich richtig zu erholen. Aber er hat uns immer gesagt, wenn wir alle um ihn waren und mit ihm redeten und uns unterhielten, das sei die schönste Erholung die er sich nur wünschen kann. Na ja, wir waren davon natürlich begeistert, uns konnte nicht Besseres passieren, als den Vater für einige Tage für uns alleine zu haben! Als die Zeiten wirklich besser wurden, im Sommer die ganze Wiener Verwandtschaft zu Besuch war, da organisierte er auch so manches grosses Familientreffen und Familienessen. Da wurde die grosse Scheune des Milchbaürn ausgeräumt, Tische und Bänke von der Feuerwehr ausgeliehen, an die 30 Hühner beim Krötzl bestellt und gekauft, alle gewürzt und im grossen Brotbackofen des Bauerns gebraten, ein Fass Bier bestellt und angezapft, da sassen wir dann gemütlich für viele Stunden zusammen und es wurde geschmaust und gesungen, später dann auch getanzt und es war einfach ein herrlich schöner, unvergesslicher Abend. Der Vater hats wieder einmal geschafft, alle seine Lieben zusammen zu bringen, sie um sich zu scharen und alle glücklich strahlen zu sehen. Er war eben ein ganz besonderer Familienmensch. Vielleicht weil er selber seinen Vater sehr früh verloren hatte, er war gerade einmal 15 Jahre alt und frisch aus der Schule als er Halbwaise wurde und weil vielleicht Familienleben in diesem Sinne bei ihm nicht so stark gelebt wurde, wollte er nun, da er es konnte, ganz besonders gut machen. Dazu kam damals ja noch der erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 in dem sein Vater einrücken musste und auch nicht bei der Familie sein konnte. So hatte er alles in allem eigentlich nur um die neun Jahre mit dem Vater, das ist ja so gut wie gar nichts, da konnte er ja ein wirkliches Familienleben kaum geniessen. Es war auch nicht anders möglich, die Großmutter mit 38 Witwe, eine Tochter unversorgt mit 17 Jahren und dann der Sohn mit seinen frechen 15!, wie hätte die Großmutter, die nochdazu ein grosses Gasthaus leitete um die Familie zu versorgen, wie hätte sie da viel Familienleben einbringen können. Sie waren wohl eine kleine, gut versorgte und fest aneinander gebundene Einheit, aber wieviele Streicheleinheiten, wie viel Zeit für gemeinsame Unternehmungen da blieben, das wissen wir heute alle nicht mehr. Auch habe ihn der Gedanke an seine liebe Familie zu Hause aus vielen, vielen schweren Situationen im Krieg geholfen, die Einsamkeit dort in einem dunklen Schützengraben in der Fremde, die ertrug er leichter, wenn er an uns alle dachte und sich ausmalte, was er alles mit uns unternehmen würde, wenn er, ja wenn er diesen grauenhaften Krieg überlebte und wieder mit und bei uns sein konnte. Wie oft habe ich mir Gedanken gemacht über seine schwere Verletzung. Wer hat ihn denn mit dem zerschossenen Bein aus dem Schützengraben gezogen, wer ins Lazarett gebracht, wer hat womöglich sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt um meinen Vater zu retten? Ja, da wäre ein treuer Kamerad gewesen, einer den er dann im Laufe der letzten Kriegsjahre aus den Augen verloren hätte. Das war wohl alles, was wir aus ihm heraus bekamen. Dass er jahrelang gesucht hat nach diesem Kameraden, das haben wir schon mitbekommen, aber es war ein Tabuthema, denn wenn ein Nazi einen anderen Nazi sucht, aus welchen menschlichen Gründen auch immer, das wirft ein schlechtes Licht auf beide und so ist es traurig, sehr, sehr traurig, dass man nicht offen einen Aufruf übers Rote Kreuz machen konnte oder später dann über den Volkssender und das Radio. Alles musste immer heimlich und hinter vorgehaltener Hand geschehen. Mein Gott, diese Männer haben jahrelang Seite an Seite gekämpft, ihr Leben für ihr Vaterland gegeben und dann waren sie Staatsfeinde Nummer Eins und konnten darüber nicht einmal offen reden oder weinen oder sich gegenseitig suchen? Und in diesem Zusammenhang stellte ich mir dann oft die Frage, die ich auch nie laut aussprechen konnte, hat mein Vater auch auf Menschen schiessen müssen, wenn ja, wie viele hat er erschossen? Es war Krieg es wurde in allen Ecken und Enden gekämpft und geschossen, es hiess da ja meistens, ich oder der andere, wer schiesst schneller? Aber wie gesagt, darüber wurde schon gar nicht gesprochen, das war Tabu wie nur irgendwas und davon wussten auch die Großmutter und Mutter nichts. Sicherlich aber gibts da Punkte im Leben meines Vaters, die er gerne vergessen hätte, die ihm aber nachts in den Albträumen verfolgten.

In späteren Jahren, so anfang 1960, da gab es dann schon hin und wieder Kameradschaftstreffen. Meistens irgendwo in Mitteldeutschland und mein Vater nahm uns immer mit, wenn er dorthin fuhr. Nördlingen, Rothenburg ob der Tauber, Bad Winsheim, und viele mehr. Stolz standen sie in Reih und Glied, die Musikkapellen spielten herrliche Marschmusik und nach dem offiziellen Teil, da gab es Tränen ohne Ende. Nie habe ich in meinem späteren Leben soviele weinende Männer gesehen, wenn sie sich umarmt hatten, auf die Schultern geklopft, weil sie sich vielleicht seit dem Krieg zum ersten mal wiedersahen. Dann stolz die Familienfotos herumrreichten. Ja, das ist meine liebe Frau und unsere drei Kinder, ja, ich hab die Firma meines Vaters übernehmen können. Wir leben wieder in gesicherten Verhältnissen, wir müssen keine Angst mehr um unsere Existenz haben, und wieder gingen die Augen über, diesmal aber vor Freude und Glück und auch Dankbarkeit an das Schicksal, das sie alle an diesem Ort wieder zusammen brachten. Es war immer eine bewegende, ja sehr bewegende Begegnung dieser harten Männer, die letztlich vielleicht doch nicht ganz so hart waren nach dem erlebten Grauen der Kriegstage!

Aber es gab natürlich auch unglaublich lustige und heitere Treffen, vor allem wenn der Vater uns mitnahm zu den grossen Sängertreffen in Österreich. Alle grösseren Chöre aus Österreich, Deutschland und dem benachbarten Ausland kamen alle paar Jahre einmal zu einem grossen Treffen und gemeinsamen Singen zusammen. Am besten erinnere ich mich noch an das in Wien. Wo hunderte und aber hunderte Sangesfreudige aufmarschierten, sich vor dem Wiener Rathaus trafen und mit ihrer Musik, ihrem Gesang die ganze Innenstadt erfüllten. Die herrlichen Volkstrachten die getragen wurden, die verschiedenen Heimatchöre die ihre Volkslieder vortrugen und irgendwo, da ganz Mitten drinnen auch der Vater, der stolz die österreichische Bundeshymne mitsang, die Staatsflagge wehte vom Rathausturm, die Glocken am St. Stefan läuteten, es war Friede im Land, Friede zwischen den Menschen und die Musik und der Gesang brachte sie alle wieder zusammen, alle die einmal Feinde waren und sich gegenseitig beschossen. Jetzt standen sie sich als Freunde der Musik gegenüber und vergessen war der scheussliche Krieg, wenigstens für Stunden und Tage!

Ja und langsam wurden auch wir erwachsen, streckten unsere Fühler aus und wollten eine eigene Familie gründen. Mein Bruder war der Erste, eh klar, er war auch der Älteste, aber das heisst ja nichts, manchesmal heiraten die Buben ja später als die Mädchen, aber bei uns eben nicht. Leider war meine Mutter nicht so richtig zufrieden mit seiner Wahl, was wir alle recht schade fanden, denn die zukünftige neue Tochter der Familie, die war schon ganz in Ordnung in unseren Augen, auch in denen des Vaters, aber na ja, die Mutter war nicht immer so ganz einfach zu nehmen. Machte aber nichts. Mein Vater hat dem Bruder eine Bestätigung zur Grossjährigkeit unterschrieben und so konnten die beiden heiraten, was ein rauschendes Fest wurde.

Dann kam ich selber an die Reihe, und so wie meine Mutter die Schwiegertochter nicht so recht akzeptierte, so war mein Vater mit der Wahl, die ich getroffen hatte, auch nicht ganz zufrieden, eigentlich gar nicht zufrieden. Aber was lässt man sich denn mit 19, 20 schon sagen, da weiss man halt sowieso alles besser und wenn die Liebe blind macht, dann um so mehr. Immer hat er mich gewarnt, dass mir „der Fuchsige mein Leben einmal zur Hölle machen könnte“. Na ja, hab ichs geglaubt? Aber schon überhaupt nicht und letztlich habe auch ich meine Grossjährigkeitsbescheinigung unterschrieben bekommen und den Bertl geheiratet, obwohl er nicht meines Vaters Zustimmung gefunden hatte. Die Hochzeit wurde gefeiert und sogar in der Kirche, obwohl mein Vater ja gar kein Gläubiger war, aber mein Zukünftiger dafür um so mehr, also wurde nicht nur am Standesamt, nein auch in der Stiftskirche von Wilhering mit allem Prunk geheiratet. Schön wars! Es kamen die Kinder der Reihe nach, vier insgesamt. Die beiden ersten hat mein Vater ja noch erlebt und gesehen. Jeden Montag fuhr er von Linz, wo er seine Mitarbeiterversammlung immer noch hatte, nach Wilhering um mich und die Kinder zu besuchen. Das waren schöne Stunden, auf die ich mich jede  Woche sehr gefreut habe. Während des Jahres hat man sich halt dann nur zu den Feiertagen oder Geburtstagen gesehen und besucht. Da wir selber damals noch kein Auto hatten und die Fahrt mit dem Zug und Autobus mit zwei Kleinkindern nicht so einfach war, da war der Besuch des Vaters in meiner neuen Heimat schon immer ein ganz besondere Freude. Der Zustand seines verletzten Beines wurde aber rapide schlechter, die Durchblutung funktionierte ganz schlecht, nächtelang wanderte er herum, machte sich Kneippbäder mit heissem und kaltem Wasser und eines Tages dann hiess es, es solle nach Wien an die Universitätsklinik um sich neue Adern einsetzen zu lassen. Das war ein Faustschlag in die Magengrube. Wir alle hatten keinerlei Erfahrung mit solchen schweren Operationen, dazu seine Diabetes, es war alles ein grosses Fragezeichen. Die Ärzte jedoch waren voll Hoffnung und Zuversicht und redeten uns allen immer gut zu, ihn zu überzeugen, dass dies der beste Weg wäre. Na ja, so wie er momentan lebte, so konnte es ja auch nicht weitergehen, das sahen wir schon ein, aber so eine grosse Sache? Heute denke ich mir, dass er sowas wie ein Versuchskaninchen gewesen war, als er sich dann endlich dazu entschloss und sich im November 1966 in die Universitätsklinik nach Wien zu gehen. Meine Mutter unterbrach ihre Arbeit und zog zu ihrer Schwester nach Wien, um an seiner Seite zu sein. Auch meine Großmutter fuhr von Lambach nach Wien zu ihrer Tochter um in seiner Nähe zu sein. Und dann folgten einige schwere Operationen, die nicht alle so gut verliefen, wie sich die Herren Doktoren dies vorgestellt hatten. Aber zäh wie der Vater einmal war, gab er die Hoffnung nicht auf, er wollte wieder heraus aus diesen Krankenzimmer, er wollte wieder nach Hause, nach Lambach, in den Wald und zu uns. Ich war damals schwanger mit meinem dritten Kind und konnte ihn leider nicht so oft besuchen, wie ich eigentlich wollte, denn es war nicht einfach eine Betreuung für die beiden anderen Kleinen zu bekommen, dann die lange Zugfahrt nach Wien und so sah ich ihn dann im Jänner 1967 zum letzten Mal. Es drohte ihm eine Amputation des Beines, die er jedoch absolut ablehnte, „niemand trägt mich im Wäschekorb spazieren“, hat er gesagt. Aber die Wunden heilten nicht, durch den Zucker schlossen sie sich nicht und gingen dann letztlich in Sepsis über. Seine letzte Mahlzeit am 26. Februar 1967 war, wie er es sich immer gewünscht hat, ein Blunzengröstel mit Saürkraut, sein Lieblingsessen, seit ich mich erinnern konnte. Und das wars dann auch. Wenige Stunden später schloss er für immer seine Augen, ich hatte meinen Vater verloren! Er war keine 55 Jahre alt geworden. Der Schmerz war überwältigend in diesen Tagen und am schlimmsten war noch, dass ich mich nicht wirklich von ihm verabschieden konnte, ihm nicht wirklich mehr sagen konnte wie sehr ich ihn geliebt habe und wie viel er mir bedeutete. Ich hatte es nicht geahnt, bei meinem letzten Besuch im Krankenhaus, dass das Ende so schnell kommen würde und wegen der Schwangerschaft hatte ich auch ein ärztliches Verbot zum Begräbnis zu gehen, das tat weh.

H. E. Zott Cover IllustrationJa, wieder ein Nazi weniger hat sich vielleicht so mancher gedacht, aber für mich war der wertvollste Mensch in meinem Leben gegangen. Meine beiden anderen Kinder, seine Enkel wird er nie sehen können, ihnen kann ich jetzt nur erzählen, was für ein liebevoller Großvater er war und was für ein wertvoller, verständnisvoller wunderbarer Mensch. Er, der Hansl Zott, mein Vater, der Nazi, na und... wir dürfen ihn auf keinen Fall vergessen. Dafür sorge ich...

Gangan Verlag: Raw Cut: Heide E. Zott: Mein Vater war ein Nazi – na und? | Grossvater | Grossmutter | Vater | Ich | 4/5