Das kleine Ich
Das hier nun sitzt und diese Geschichte für alle Nachkommen aufschreibt, damit er nicht vergessen wird!
Lieber ein kleines Ich, als ein grosser Niemand, hat mir mein Vater oft gesagt, wenn ich zu jammern begann, dass ich nun leider wirklich nicht gross gewachsen bin, sondern zu den kleinen Menschlein auf dieser Welt gehöre. Und dann war da noch der Spruch,... unten stehen alle an, oben keiner... na ja, sie haben mir schon geholfen, hin und wieder aber manchesmal, da wäre ich doch gerne um etliche cm grösser gewesen. Jetzt im reifen Alter, da ist es mir wirklich egal, wie gross ich eigentlich bin und wenn ich auf all meine Erlebnisse und Errungenschaften, auf mein ganzes bisheriges Leben zurück schaue, dann hätte ein 2m Mensch auch nicht mehr erreichen können! Nicht das Äussere gilt, wie’s drinnen ausschaut ist wichtig, wenn es auch niemanden was angeht, das sind auch so „Sager“ meines Vaters, die mich mein Leben lang begleitet haben. Und nun arbeite ich daran, mit meiner Unzufriedenheit fertig zu werden, die ich habe, wenn ich an die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt denke. Vor allem, an die Ungerechtigkeit, die meinem Vater in seinen jungen Jahren passiert ist, damals, als er als wirklich noch ganz junger Mensch zu den Nazis kam, ihr Gedankengut aufnahm und für gut hiess, sich freute, dass es endlich in Österreich auch wieder genügend Arbeit gab für die Jugend, dass endlich wieder gebaut wurde, dass man eine Wohnung haben konnte, dass Strassen, ja sogar die Autobahn errichtet wurde und die Menschen nicht mehr mit Essensmarken um ein Stück altes Brot anstehen mussten. Das waren die Grundideen, auf denen Hitler seine Macht aufbaute. Wer was anderes behauptet, der hat entweder die Geschichtsbücher nicht wirklich studiert oder sich verhetzen lassen von den „anderen“. Ich habe vor allem in den letzten Jahren versucht, meine „Hausaufgaben“ zu machen, mich zu informieren über den Zustand des damaligen Europas. Habe sogar gegen meine innere Überzeugung angefangen Bücher über den Krieg zu lesen, damit ich besser wusste, was die Menschen damals erlebten und mitmachten.
In meiner Schulzeit, das war so zwischen 1951 und 1962, da gabs im Geschichtsunterricht noch keine Neuzeit zu lernen. Da lernten wir ohne Ende über die alten Griechen und Römer, über Attila den Hunnenkönig, über die Kreuzritter, auch unendlich viele Jahreszahlen wurden uns eingepauckt, aber was da vor zehn oder zwölf Jahren in unserer Heimat geschehen war, das wurde, wenn überhaupt nur so am Rande gestreift. Natürlich hatten wir auch viel über unsere Kaiserin Maria Theresia und ihre Familie zu lernen, auch dass die Ermordung des einen Erzherzogs in Sarajevo der Beginn des ersten Weltkrieges war, für den man immer noch zahlen musste und der letztlich Anstoss für die Machtübernahme von Hitler gewesen ist. Aber vielleicht hatte sich noch niemand die Zeit genommen um diese Geschichte wirklich in Unterrichtsbüchern zu verarbeiten. Man lernte von der Judenverfolgung, eh klar, man hörte von den riesigen Zahlen der vertriebenen und dann ermordeten Juden, aber so überzeugend war das damals noch nicht. Das ist erst mit den Jahren gewachsen. Als man die fürchterlichen Bilder aus den KZ Lagern veröffentlichte, als sich ein Simon Rosenthal für sein Volk stark machte, als ein Film erschien, der „Schindlers Liste“ hiess. Da wurde dann allen wirklich bewusst, was Hitler eigentlich für Verbrechen begangen hatte. Zu Beginn seiner „Karriere“, da wurde er im Jahre 1933 mit überzeugender Mehrheit zum Reichskanzler gewählt. Mit überzeugender Mehrheit, nicht nur mit ein paar kleinen Stimmen mehr, nein, das Volk wollte eine Änderung und nicht nur die Arbeiter, alle, hinauf bis zu den obersten Adeligen, den Ärzten, den Wissenschaftlern, sie alle sahen eine Zukunft in dem kleinen Mann aus Österreich. Nach dem Zerfall der Weimarer Republik, als man mit den riesigen Reparationskosten nach dem ersten Weltkrieg in eine tiefe Depression schlitterte, die Menschen keine Arbeit mehr hatten, Hunger ganz gross in allen Gesichtern geschrieben stand und von Zukunft und Hoffnung nichts übrig geblieben war. Da gab es einige Putschversuche, die jedoch auch nichts brachten. Dann kam der Mann aus Braunau am Inn in Österreich (heute haben wir ihn schlauerweise vom Österreicher zum obersten Deutschen und Feind der Welt gemacht!) und ging wie ein Rattenfänger von Hammeln durch die Lande und verkündete seine Pläne für einen Fortschritt, einen Aufschwung, ein besseres Leben. Wer kann es da den Millionen jungen Menschen, ohne Aussicht auf eine Zukunft, verübeln, wenn sie ihm folgten, wenn sie ihm von den Lippen ablasen, was er mit dem Lande, mit den Menschen machen wollte. Sie waren alle, ja fast alle, begeistert und standen Schlange um sich in seine neue Partei, die NSDAP eintragen zu lassen. Und mitten drinnen stand ein junger Mann aus Niederösterreich, der in Berlin seine Lehre zum Kellner absolviert hatte, der aus Berlin diese nationaldeutsche Idee ins friedliche Niederösterreich brachte und halt ein Nazi geworden ist. Damals, das war so um 1931/1932 da war von einem Krieg noch lange nicht die Rede. Da wurde an einer Zukunft gebaut in der jeder satt wurde, Arbeit hatte, sich eine Familie gründen konnte und sogar ein Dach über seinem Kopf bekam. Fabriken wurden aus dem Boden gestampft, Strassen und Zugsverbindungen gebaut, der Autobahnbau in Angriff genommen. Glückliche Kinder liefen durch die Dörfer und Städte, es gab keine Essensmarken mehr, jeder konnte sich von seinem Lohn das kaufen, was er brauchte aber auch das was er nicht brauchte, sondern nur wollte! Ein Aufschwung hat begonnen. War das wirklich alles so verkehrt? War es nicht endlich an der Zeit, dass sich die ganze Welt aus dieser tiefen Depression und Geldnot befreit und die Menschen wieder ein würdigeres Leben leben konnten. Natürlich hiess es dann, im Nachhinein, er, der Hitler hat das alles nur aufgebaut, die Fabriken, die Autobahnen und Zuglinien, um für seinen grossen Kampf, für seinen Krieg Waffen und Munition zu bekommen, den Nachschub der Truppen zu bewerkstelligen. Vielleicht, vielleicht auch nicht, niemand hat in seinen Kopf hineingesehen, auch wenn viele Historiker das jetzt behaupten. Ganz zu Beginn hat auch ein Hitler noch nicht an einen Krieg gedacht und an eine Massenvernichtung der Juden, davon bin ich, das kleine Ich, fest überzeugt. Der Grössenwahn, die Abartigkeit, die kam erst später. Und die Geschichte wiederholt sich, man sieht es jetzt jeden Tag. Je mehr Macht ein Mensch in seine Hände bekommt, sei es in Ruanda, Syrien, Irak oder Afghanistan, je mehr Macht ein Mensch verspürt, um so brutaler, rücksichtsloser und verrückter wird er in seinen Ideen. Und damals war das gar nicht anders. Hitler zusammen mit seinen Gauleitern, mit Himmler und Konsorten, hat irgendwann den Bogen überspannt und den Krieg aller Kriege angefangen. Er wollte nicht nur das Grossdeutsche Reich regieren, er wollte ganz Europa regieren, er wollte der Liebe Gott für die halbe Welt werden. Wahnsinn im höchsten Grade war das.
Aber mein Vater, der Hansl Zott, der hat zu Beginn davon nichts gewusst und nichts geahnt. Gemeinsam mit seiner Mutter hat er das Gasthaus Schloss Stixenstein in Sieding in Niederösterreich bewirtschaftet, dann war die Familie nach Wien gezogen und er hat in verschiedenen Kaffeehäusern und Gaststätten gearbeitet. Dort hat er dann meine Mutter kennengelernt und im Jahre 1939, am 30. September in Wien haben sie geheiratet. Da war natürlich schon Krieg und die Feier war im engsten Familienkreis und eher bescheiden. Aber sie waren glücklich. Der Vater war schon eingerückt als Soldat irgendwo in einer Kaserne in der Nähe von Wien und die Mutter hatte eine Arbeit in einem städtischen Kindergarten. Sie war ja gelernte Kindergärtnerin, hatte auch einige Zeit im Ausland, in Bulgarien bei einer Ärztefamilie verbracht und liebte ihren Beruf über alles. Bald kam mein Bruder auf die Welt und das Familienglück schien vollkommen zu sein. Man hatte eine wunderbare grosse Wohnung im 9. Wiener Gemeindebezirk, genau gegenüber der Rossauerkaserne, man hatte Arbeit, die Großmutter leitete eine Filiale einer Bäckerei im Erdgeschoss des gleichen Gebäudes, die anderen Grosseltern, die Dittrichs, die lebten im 17. Bezirk am Elterleinplatz, waren alle gesund und zufrieden. Die beiden Schwestern meiner Mutter waren auch verheiratet und lebten in Wien, sodass sich die Familie regelmässig traf, vor allem auch im Sommer im Schrebergarten des Dittrich Opas, Johann Alcantara Dittrich, geboren am 4.2.1874 in Eulenberg, dem damaligen Mähren, am 10.5.1903 hat er dann meine Großmutter Karoline Maria Studeny geheiratet und sie hatten drei Töchter. Das waren die Grosseltern, die mich so gerne jeden Sommer bei sich in Wien aufnahmen und der Großvater war mein Lehrmeister in allen Dingen die Wald und Wiese anbelangten. Vom Schrebergarten über den Wienerwald, bis dann in die Wälder rund um Lambach, machte er seine Spaziergänge mit mir und zeigte mir alles Essbare was der liebe Gott da draussen wachsen liess. Es muss schon ein Bild gewesen sein, er der Mann mit seinen fast 2 m und ich kleinster Stöpsel der Familie, wenn wir so Hand in Hand durch die Landschaft wanderten, er jede Strecke oft zweimal, dreimal machen musste, weil ich „da unten“ wieder was Neues entdeckt hatte, was ihm „da oben“ entgangen ist, und so kam er wieder und bückte sich und wir schauten nach, was ich für einen herrlichen Fund gemacht hatte. 1951 verstarb er dann, kurz zuvor hatte er uns noch einmal in der neuen Wohnung in Lambach, am Sand 22 besucht und ist mit dem Zug dann nach Wien gefahren. Wenn ich fest meine Augen zumache, dann sehe ich ihn noch am Ende des Zuges, auf der Plattform des letzten Waggons stehen, sein schlohweisses Haar im Fahrtwind wehend und winken, winken, winken bis der Zug um die Kurve war und wir uns nicht mehr sehen konnten. Auch dieses Bild hat sich tief in meine kleine Seele damals eingebrannt, vor allem als mir bewusst wurde, dass dies das letzte Mal war, dass mir der liebe Opa zugewunken hat. Aber sein Wissen, das trage ich heute noch in die Welt hinaus und kann mich von Pilzen, Kräutern und wilden Gemüsen recht gut ernähren, wenn es denn sein muss.
Ob er auch ein Nazi war oder nicht, davon wurde nie gesprochen. Seine Kämpfe musste er vor allem im ersten Weltkrieg abdienen, für den zweiten war er wohl schon ein wenig zu alt um noch in die vorderste Front zu kommen, aber sicherlich musste er irgendwo einen Wachtposten oder Sicherheitsdienst ableisten. Es blieb ja keiner verschont, keiner, wirklich keiner, und die, die nicht wollten, die wurden gezwungen oder gar erschossen, wenn sie sich als Kriegsdienstverweigerer bekannten. Viele Männer in der ländlichen Bevölkerung versteckten sich auf den Bauernhöfen und im Wald um nicht einrücken zu müssen. So kam es, dass so mancher Bauer in Niederösterreich aber auch im Mühlviertel z.B. Nicht nur einen österreichischen Verweigerer in der Scheune versteckt hielten, nein, auch Judenfamilien aus der Stadt, denen eine Flucht ins Ausland nicht gelungen war, wurden aufgenommen und solange und so gut wie möglich versteckt, bis man einen Weg fand, sie in die Schweiz oder nach Skandinavien zu bringen.
Auch davon lernten wir in der Schule so gut wie nichts. Das wurde dann später erzählt, von dem einen oder anderen Nachbarn. Meine Eltern und die Großmutter in Lambach, die glaubten aber solche Erzählungen nicht unbedingt. Mein Vater war allerdings kein wirklich sturer Nazi, der alles und jedes abstritt und als Verleumdung hielt, was so später über die Judenvergasungen und KZ- lager ans Tageslicht kam, er nahm den Hiltler nicht mit aller Gewalt in Schutz, er hatte seine Lektion da draussen an der Front schon gelernt und eingesehen, dass sehr, sehr vieles falsch und schrecklich war, wofür er sich eingesetzt hatte, im Namen der Partei und ihres Führers. Das Hände hochreissen zum Schrei „Heil Hilter“, das habe ich bei ihm nie gesehen, auch nirgendwo ein Foto gefunden, wo er mit einer Hakenkreuzfahne zu sehen gewesen wäre. Aber meine Erinnerungen fangen ja auch erst nach Ende des Krieges, so 1946 wirklich an, als wir eben damals nach Lambach zogen, weil man uns ihn Wien die Wohnung zerbombt hatte und auch von der Einrichtung nichts mehr zu retten gewesen wäre. Als wir damals nach der Flucht nach Bayern in Lambach, dem kleinen Ort zwischen Salzburg und Wels „hängen“ geblieben sind, weil man uns ein Quartier zuteilte in dem wir alle Platz fanden und es keine besseren Aussichten für uns gab. Offiziell bezogen wir das grosse Zimmer am Dachboden des Gasthauses Eitzinger in Lambach, Marktplatz 13 am 7. März 1946 und lebten zwei Jahre dort. Frauen und Kinder alleine, die Männer waren alle noch in Kriegsgefangenschaft. Meine Großmutter, meine Mutter mit uns drei Kindern und meine Tante Mimi mit ihren drei Kindern, wir alle teilten uns dieses riesige, kalte, dunkle Zimmer und fingen quasi mit Null an. Was wir am Leib trugen, ein paar Decken und Betttücher, geliehenes Geschirr vom Wirt, die Möbel waren vorhanden, das war der schwere Anfang nach dem Krieg. Ein reines Matriachat, alle Frauen an die Macht und am Ruder der Boote, keine Frauenwegebung wie in den späten 1960er Jahren, sondern einfach der Zwang zum Uberleben, das Leben selbst lag für die Kinder und Jugendlichen in den Händen der Frauen und Mütter, Grossmütter, weil eben die Männer im Krieg geblieben waren, an der Front verstorben, vermisst, in Gefangenschaft genommen und eingesperrt für ihre Ideale, die sie in diesen verheerenden Krieg brachten.
Meine Großmutter, also die Mutter meines Vaters, die war eine besonders starke und tüchtige Frau, die brachte uns alle, wie schon erwähnt, durch die ersten Jahre mit ihrem Fleiss, der weisen Voraussicht alle wertvollen Gegenstände der Familie vor dem Abtransport aus Wien noch schnell zu vergraben und diese dann Zug um Zug aus dem Versteck zu holen und in Geld umzusetzen. Das hat uns wohl sehr, sehr viel geholfen. Nach einem Jahr zog dann meine Tante wieder nach Wien, denn ihr Mann, der Onkel Franz war aus der Gefangenschaft entlassen worden und die Familie baute sich nun ein neues Leben in der Grosstadt auf. Wir aber blieben auf dem Lande und darüber bin ich bis heute noch froh und dankbar. Ich hätte mich wahrscheinlich in einer Grosstadt wie Wien nicht wirklich wohl gefühlt. Auf meinem Geburts= und Taufschein steht zwar Wien als Geburtsort, aber eben nur auf dem Papier, in meinem Herzen bin ich eine Oberösterreicherin und werde das wohl auch bis zum Ende meiner Tage bleiben.
Vom 1. April 1948 bis 1. Februar 1951 wohnten wir dann in Lambach, Salzburgerstrasse Nr. 15, im Haus der Theresia Lughofer, von uns allen liebevoll „das alte Häusl“ genannt, weil es schon ziemlich einbruchsgefährdet und eigentlich abreissbedürftig gewesen ist. Es hatte aber einen grossen Garten hinter dem Haus, einen kleinen Vorgarten mit Blick auf die Salzburgerstrasse und war ein wahres Kinderparadies. Unsere Nachbarn waren auf einer Seite das Gasthaus Schmierl, auf der anderen Seite der Rauchfangkehrermeister mit Familie und ein Zahnarzt mit Familie, der Gero und der Udo wurden die besten Freunde meines Bruders und oft ging es wirklich hoch her im Garten, wenn sie uns beiden Mädchen an einen Marterpfahl banden und versuchten uns mit Lehmkugeln aus den Steinscheudern zu beschiessen. All unsere Spielsachen waren reine ‚Handarbeit“ wir hatten kein Geld um etwas zu kaufen, so wurden eben Steinschleudern und Pfeil und Bogen selber gebastelt, der Reisigbesen war ein Steckenpferd und „fangen“ spielen oder „verstecken“ spielen, da brauchte man keine Geräte dazu. Ein Ball kam dann bald ins Bild und fleissig übten wir Tore schiessen zwischen den Ribiselsträuchern oder aber auch Völkerball, aber dazu waren wir dann doch zu wenige Kinder, das war dann vor allem im Sand der grosse Spass. Die Wildheit der Buben hat natürlich auch zu so manchen Unfall geführt. Einmal kletterte mein Bruder über das grosse Gartentor aus Eisen, das oben mit scharfen Spitzen versehen war. Irgendwie blieb er mit der Hose hängen und als er sich befreien wollte, da hat er sich so eine Spitze in den Hintern gestossen, dass das Blut nur so rann. Au tat das weh! Wir hatten alle Mitleid mit ihm, aber so eine blöde „Unfallstelle“ die fordert natürlich auch zum Spott heraus und als er tagelang nur auf einer Backe sitzen konnte, da musste er sich schon etliche deftige Sprüche anhören, sooooo wohlerzogen waren wir hinter dem Rücken der Mutter dann doch nicht. Die hat natürlich immer darauf gedrängt und geschaut, dass unser Deutsch einwandfrei ein Hochdeutsch war und wir keine schmutzigen Dialektworte benutzten, aber Kinder sind eben Kinder und wir waren da Gott sei Dank auch nicht anders, also gabs schon die eine oder andere Urdialektredewendung, wenn der Bruder, „der Arsch sich ein zweites Arschloch eingestochen hatte“. Was haben wir heimlich gelästert und gelacht darüber, aber wehe, wenn das der Mutter zu Ohren gekommen wäre! Uns aber zergingen solche verbotenen Worte auf der Zunge wie ein herrliches Schokoladenbonbon, das kann man sich heute nicht mehr so richtig vorstellen, wo doch die Ausdrucksweise allgemein viel rauer und deftiger geworden ist und in Film und Fersehen solche „Ansager“ fast zur Normalität gehören. Aber bei uns war das strengstens verboten und wurde mit Strafesitzen in einer dunklen Ecke geähndet, wo man nachdenken musste, was man denn Unanständiges gesagt hat. Viele, viele Jahre später haben mir denn meine eigenen vier Kinder auf ähnliche Art gezeigt, dass sich auch hier die Geschichte immer wieder wiederholt. Auch meine Vier wurden verhältnismässig streng erzogen und durften nur „schön“ sprechen, weil ich meinte, dass ihnen dann das Schreiben und Reden in der Schule leichter fallen würde. Als wir sie jedoch nach einem lustigen Tag beim Schifahren nach einem gewonnenen Schirennen für einige Studen abends alleine in einer urigen Berghütte liessen, wo wir alle ein grosses Zimmer mit Stockbetten bewohnten. Da horchten wir vor dem Weggehen zur Siegerehrung nochmals vom Gang aus an der Türe, öffneten heimlich einen kleinen Spalt um zu sehen, ob sie auch wirklich brav im Bett waren. Ja, das waren sie schon. Alle Vier kugelten in dem einen grossen Stockbett oben, hatten die Beine irgendwie an der Decke verspreizt und dann hörte ich meine Erstgeborene sagen „Ha, so jetzt sind sie weg, jetzt lasst uns alles sagen, was uns mit scheissen einfällt“, denn dieses Wort war in meinem Haushalt auch strengstens verboten! Ja, ja, der Lauscher an der Wand. Aber wir haben still und leise die Türe zugemacht und uns davongeschlichen, sollten sie ihre Freude haben, was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss, oder so ähnlich gehts doch?
Wie schon erwähnt war das „alte Häusl“ auch das Haus, in dem meine Großmutter für kurze Zeit einmal ihr eigenes Zimmer hatte und nicht irgendwo in einer Ecke ihr Bett aufstellen musste. Sie war auch einfach zu bescheiden, Hauptsache es ging uns gut und wir hatten immer etwas zu essen, das war ihr das Wichtigste. Selten nahm sie sich Zeit um mit irgendwelchen Nachbarsfraün zu plaudern oder gar einen Kaffee zu trinken, dafür hatte sie wirklich nie Zeit und dieser Brauch eines nachbarschaftlichen Tratscherls, der kam erst viel später „in Mode“, denn auch die anderen Frauen hatten alle Hände voll zu tun um ihre Kinder und Familien zu versorgen. Es gab also für Jahre nur Frauen, ganz, ganz alte Leute und kleine Kinder, die das Dorfbild belebten. Die Männer und Väter, die kamen erst so langsam nach und nach ins Bild und so mancher hat es wahrscheinlich nicht sehr leicht gehabt, sich wieder einzugliedern in diese feste Gemeinschaft. Unser Vater, der kam erst ganz zu Beginn 1951 vom Krieg zurück, denn für kurze Zeit wohnte er auch noch in der Salzburgerstrasse, im alten Häusl. Von dort aus fuhr er mit seinem Elektrofahrrad zur Arbeit in die nähere Umgebung von Lambach. Seine Dienstreise nach Linz in die Zentrale der Versicherung, die trat er anfangs immer noch mit dem Zug an, erst viele Jahre später, als das erste Auto kam, da fuhr er dann damit. Zum Wochenende ging auch er mit uns in den Wald um Brennholz fürs Kochen und Einheizen zu suchen und bald hatte er einen kleinen hölzernen Handwagen gebaut, den man hinter das Elektrofahrrad hängen konnte und der alte Kinderwagen hatte ausgedient. Nicht ganz natürlich, aber zum Holz holen. Zeitweise war er dann der Kinderwagen für das Hundebaby das der Vater nach Hause brachte, die Astra, die führten wir Mädchen natürlich darin herum und unsere eigenen Puppen, die hatten auch keinen eigenen Wagen, die wurden auch in dieses Monster von Wagen gepackt. Die Astra war sehr anhänglich, besonders die Großmutter hatte sie geliebt und wenn man mit ihr spazieren gegangen ist, so musste man immer schauen, dass die Großmutter auch wirklich zu Hause war. Meiner Schwester erging es einmal nicht so gut, die war unterwegs mit dem Hund auf dem Gehsteig entlang der Salzburgerstrasse, da sah die Astra die Großmutter vom Einkaufen zurückkommen und rannte mit voller Energie los, zerrte meine Schwester an der Leine auf den Knien hinter sich her, denn die Kleine konnte nicht so schnell rennen, auslassen wollte sie die Leine aber auch nicht, weil halt doch das eine oder ander Auto schon auf den Strassen unterwegs war, so gab es viele Tränen und zwei total aufgeschürfte, blutige Knie. Und wie berichtet, eines Tages war der Hund verschwunden, bis heute munkeln wir herum wo er hingekommen war und ob die Zigeuner ihn wirklich in ihren Kochtopf geschmissen hatten. Lange hat mein Vater überlegt, ob er nicht etwa das alte Häusl von der Gemeinde Lambach abkaufen könnte und es renovieren, damit wir ein ständiges Zuhause hätten, aber die Mitteln reichten bei weitem nicht aus. Die Renovierungsarbeiten hätten mehr gekostet als ein neues Haus irgendwo hinzubaün, und so wurde es dann eines Tages abgerissen und ein Kleidergeschäft dort hingebaut. Mir tuts heute noch leid, es war so ein richtig nettes, kleines Knusperhäuschen und die Lage Mitten im Ort an der Hauptstrasse, nur wenige Schritte zu den einzelnen Einkaufsläden, die war auch ideal gewesen und vor allem der grosse, grosse Garten hinter dem Haus, um den tats mir wirklich leid. Meinem Bruder glaube ich auch, vor allem aber wegen der herrlichen Aussicht, die die Herren Buben von unserem Toilettenhäuschen im Hof auf die hell beleuchteten Gasthausfenster hatten. Im ersten Stock beim Schmierl gab es Fremdenzimmer und da sehr viele, vor allem amerikanische Soldaten, in Lambach Station machten, so übernachteten dort oftmals eine ganze Einheit von Amis, wie wir sagten. Erstens konnten die Buben sie vom Klo aus herrlich beobachten, selbst wurden sie nicht gesehen, wenn sie ihre Zigaretten rauchten und bald schon drehten sich die Drei aus Gras und Zeitungsblätter eigene Zigaretten um es den Amis nachzumachen. Schlecht ist ihnen dann geworden, ordentlich schlecht, aber weil sie eh am Klo sassen, da war das nicht so schlimm, da konnten sie sich gleich übergeben! Und dann nahmen die Soldaten natürlich auch Mädchen mit aufs Zimmer und wenn die Nacht schwarz wurde und die hellerleuchteten Zimmerfenster wie Spiegel in der Dunkelheit standen, dann konnten die Herren Buben genussvoll beobachten, wie sich so manches Paärchen küsste und man die Silouetten im Fenster sah. Das war besser als jedes Räuber und Gendarmspiel, besser als jeder Kampf zwischen den einzelnen Bubenbanden, die sich ja in so einem klein Dorf gleich bilden. Ja und manchesmal, da sind wir Mädchen dann auch abends hinaus in den Hof und haben uns hinter den Ribiselstauden versteckt um das Geknutsche da oben im ersten Stock zu beobachten, aber sooooo aufregend haben wir das in unseren jungen Jahren noch nicht gefunden, eher blöd und ekelig, sodass wir diesen Spass gerne den Buben überliessen.
Essen war immer knapp und wurde mit besonderer Sorgfalt zubereitet. Die Großmutter, die ehemalige böhmische Köchin und Wirtin, die konnte aus Nichts auch noch ein schmackhaftes Essen zubereiten und so wurden wir doch immer alle irgendwie satt. Meine grösste Unart war es aber, langsam, so fürchterlich langsam zu essen. Ich weiss nicht, wollte ich es länger geniessen, das gute Essen auf dem Teller, oder war ich mit meinen Gedanken immer irgendwo anders, aber ich war halt immer die Letzte, die fertig wurde und das brachte die Familie manchesmal schon zur Raserei. Ich spielte sicherlich nicht mit meinem Essen, ich hab es halt einfach stundenlang im Mund hin und her geschoben und langsam zerkaut, es dauerte ewig, bis so ein Teller leer war. Das brachte mir halt dann doch eines schönen Sonntagmittags die erste und einzige Ohrfeige meines Lebens ein. Die ganze Familie war schon beim Kompott, das es als Nachtisch gab, da rührte ich immer noch mit dem Löffel in meinem Suppenteller herum und schluckte langsam, ganz langsam eine Nudel nach der anderen hinunter. Zürst drehte meine kleine Schwester durch, die haut mit der Lederhundepeitsche in meinen Suppenteller und schreit mich an, ich soll jetzt endlich aufessen, sie will schon spielen gehen. Nudeln klebten in meinem Gesicht, der Tisch war verschmutzt, die Schwester bekam Schimpfe, weil es ihr doch wirklich nicht zusteht, mir, der Älteren, die Peitsche in den Teller zu haün und ausserdem tut man sowas sowieso nicht. Also freute ich mich innerlich, dass sie nun dran war mit der Schimpferei und rührte weiter in dem bisserl Suppe herum, das ich noch im Teller hatte. Das Gemüse und die Kartoffeln standen für mich am Herdrand, denn sie sollten doch warm gegessen werden. Nun ja, da riss dann aber auch meinem Vater die Geduld. Wahrscheinlich dachte er an die vielen, vielen einsamen Mahlzeiten da draussen im Krieg, an den vielen Hunger, die alle Menschen leiden mussten und ich sass tat und ass nicht, sondern rührte nur die Suppe herum. So schnappte er mich am Kragen weg vom Tisch, ab in die Waschküche und dann bekam ich eben meine Ohrfeige mit den erzürnten Worten, dass das Essen heilig sei und man nicht damit spielen durfte. Bei der zweiten Watschen fiel ich so unglücklich an eine Kante des alten Waschtroges, dass ich mir die Nase anschlug und diese gleich zu bluten begann. Nun war es der Vater, der seine Fassung verlor. Er wollte mir ja nicht weh tun, um Gottes Willen, das viele Blut, meine liebe kleine Heidi, das wollte ich doch nicht, und während mir Rotz und Blut übers Gesicht liefen, da liefen auch ihm die Tränen über die Wagen. Er drückte mich ganz, ganz fest an sich und entschuldigte sich hundertmal bei mir, sowas hätte er nie gewollt und schnell musste die Großmutter mit einem kalten, nassen Lappen kommen um das Blut aus der Nase zum Stillstand zu bringen. Ich glaube an diesem Tag habe ich meine Lektion gelernt, denn von da an war mein Teller immer genau so schnell leer wie die meiner Geschwister und ich kann mich nicht erinnern, dass mich mein Vater je wieder gescholten oder gar geschlagen hat. Na ja, geschadet hat es mir sicherlich nicht, eine g’sunde Watschen wie wir damals sagten, die hat schon was bewirkt und so manchen Buben vor allem vor Schlimmeren bewahrt. Auch in der Schule gab es noch Lehrer, die Watschen austeilten, wenn man nicht ruhig war und sich nicht ordentlich im Unterricht benahm. Andere wieder hatten einen Haselnussstock, den sie den Unfolgsamen über die Hände zogen oder über den Hosenboden. Das war damals ganz normal und niemand wäre auf die Idee gekommen, sich zu beschweren. Ganz im Gegenteil, gab es in der Schule Strafe oder von einem Nachbarn eine Ohrfeige, weil man beim Kirschenstehlen erwischt wurde, dann war es nur schlau, wenn man davon zu Hause kein Sterbenswort erzählte, denn sonst gab es gleich noch eine drüber! Aber wir sind alle ganz normale, gesunde und tüchtige Menschen geworden, ich glaube nicht, dass einer einen wirklichen seelischen Schaden von einer Watschen davon getragen hat, zumindestens nicht in meinem Umfeld und zu meiner Zeit! So mancher heimkehrende Vater hatte vielleicht seine Nerven noch nicht wieder ganz unter Kontrolle, denn wer weiss, was er da draussen alles erlebte hatte und war ein bisserl schnell mit seiner Hand, aber mit der Zeit hat dann eine liebevolle Ehefrau und Mutter ihn wieder ins normale Alltagsleben zurück geholt und die Watschen sind wahrscheinlich weniger geworden im Laufe der Wochen und Monate.
Bevor meine Mutter dann ihre feste Anstellung in der Lambacher Flachsspinnerei bekam, die in Stadl Paura lag und wohin es ca. eine Stunde Weg war, da hat sie ja abends im Kino gearbeitet und tagsüber fleissig für uns und die Nachbarskinder genäht. Zwischendurch ist sie jedoch immer wieder für eine Woche oder so nach Wien zu ihren Eltern und Schwestern gefahren und dort haben die Frauen dann jeden Tag als sogenannte „Trümmerfraün“ die zerbombten Häuser und Kirchen aufgeräumt. 40 000 Frauen sollen allein in der zerbombten Stadt Berlin die Trümmerhaufen, die sich als 10 Millionen Waggons Schutt entpuppten aufgeräumt haben. Wie viele Frauen in Wien und ganz Österreich unterwegs waren, darüber weiss ich leider nicht genau Bescheid, aber es waren sicherlich nicht wenige, denn auch unsere Städte wurden schwer bombadiert, ob Wien, Linz oder Salzburg, es gab kein Pardon und noch heute kann man da und dort an alten Ruinen vorbei gehen, die nicht zerlegt wurden, sondern als Mahnmal stehen geblieben sind. Ziegel um Ziegel wurde aus dem Schutthaufen herausgeholt, feinsäuberlich gereinigt und zu einem Stoss aufgeschlichtet. Daraus wurden dann neue Häuser gebaut oder die Kirchen ausgebessert. Das war eine schwere, eine staubige aber auch eine sehr befriedigende Arbeit, denn so konnte die Stadt schneller wieder zu ihrem alten Glanz zurück gebracht werden. Es gab manchesmal ein wenig Taschengeld, meistens aber arbeiteten diese Frauen nur für ein wenig Essen, das sie von der Stadtverwaltung bekamen. Es war eine selbstverständliche Angelegenheit, dass jede Wienerin versuchte, ihrer Vaterstadt zu helfen, so gut es ging. Und meine Mutter und deren Familie gehörten eben auch zu diesen emsigen Leuten, die bei jedem Wind und Wetter mit ihren primitiven Werkzeugen, meistens kleine Hämmer und Schaufeln, durch die zerbombten Strassen gingen und sich an die Arbeit machten aus den Trümmern noch Brauchbares herauszugraben. In Wien sassen noch alle vier Besatzungsmächte, so war es oft nicht einfach von einem Stadtteil in den anderen zu gelangen. Die berühmten „Vier im Jeep“ fuhren Tag und Nacht ihre Streifzüge durch die Strassen der Stadt und kontrollierten, dass es keine Diebstähle oder Raufereien gab. Was für die Vier einfach war, denn sie hatten ihre Unterkünfte und ihr Essen, ihr Fahrzeug und ein eigentlich recht gutes und beschauliches Leben, wogegen die ausgebombten Stadtbewohner mit dem täglichen Überleben kämpfen mussten. Meine Tante Poldi, eine Schwester meiner Mutter, die hauste mit ihrem beiden Kindern in einem halbzerbombten Haus, unten im Keller, die fror, die hatte nur eine Petroleumlampe, zwei alte Bettgestelle, eines für sie und eines für die Kinder. Sie hatte keinen Anspruch auf irgendwelche Hilfe, weil ihr Mann im Krieg verschollen war und solange er weder ein Gefangener noch ein Toter war, solange hing auch die Familie gesetzlich irgendwie in der Luft. Jahrelang hat meine Tante nach ihrem Mann gesucht, alle Wege eingeschritten, die es gab um nach Verschollenen zu suchen, aber nie auch nur eine Spur gefunden. Erst im Jahre 1970 hat sie ihn dann für tot erklären lassen, als sie keinerlei Hoffnung mehr hatte, dass er doch nach Hause kommen würde. Der Staat hat ihr dann eine Art Kinderbeihilfe bezahlt, sie selber hat Arbeit gefunden und nach drei Jahren in diesem Kellerloch konnte sie sich eine Kleinwohnung im 17. Wiener Gemeindebezirk leisten. Wir hatten sie oft zu uns nach Lambach geholt, damit sie wenigstens im Sommer mit den Kindern eine bessere Zeit hatte, aber auch bei uns war ja Geld immer Mangelware, man half sich in der Familie aber doch immer so gut es ging. Da verzichtete man lieber auf einen neuen Mantel oder neue Schuhe, wenn jemand in der Familie Hilfe brauchte. Mein Großvater, der Dittrich Opa in Wien, der hat uns allen viel geholfen, mit alten Kleidern und Küchengeräten. Er war Verwalter im Dorotheum in Wien geworden und dort lieferten bald viele reichere Leute ihre Sachen ab um zu Bargeld zu kommen oder weil sie eben auch helfen wollten. So sass der Opa sozusagen an der Qülle und hat uns reichlich eingedeckt mit warmen Winterkleidern und was mich besonders beeindruckte, wir hatten immer Schuhe! Wir gehörten zu den wenigen Kindern in Lambach, die im Sommer nicht barfuss laufen mussten, wie unsere Nachbarskinder. Dort gab es nur im Winter und Herbst Schuhe, aber wir, wir drei Zottkinder, wir hatten ein ganzes jahrlang Schuhe, und auch welche, die richtig passten! Natürlich wurden sie weitergereicht, ich musste die von meinem Bruder nehmen und meine wurden an meine Schwester weitergegeben, dann kamen sie zu den kleineren Nachbarskindern. So ein Paar Schuhe war aus gutem, festen Leder genäht, wir hatten einen Schuster, den Herrn Lang, mit seiner Werkstätte am Marktplatz und der richtete kaputte Schuhe auch wieder her. Sie bekamen eine neue Sohle, wurden „gedoppelt“ oder auch nur einen neuen Absatz, mancher feste, hohe Schuh brauchte eine neue Lederkappe über den Zehen, denn beim Fussballspielen, mitunter auch mit Steinen, da stiess sich die Zehenkappe allzu schnell ab, aber es konnte alles gerichtet werden. Und irgendwann dann gab es auch Gummistiefeln. Ich weiss nicht mehr genau wann das war, ich bin aber schon in die Volksschule gegangen, da bekamen wir ein tolles Paar schwarzer Stiefel aus echtem Gummi, angefertigt in Wimpassing, Niederösterreich, ganz in der Nähe der alten Heimat meines Vaters. Dort wurden auch Autoreifen erzeugt aus dem Harz, das man aus den umliegenden Föhrenwäldern gewann. Ich liebte diese Gummistiefel über alles, denn sie erlaubten mir durch allen Dreck und Matsch zu stiefeln, kleine Bäche zu durchwaten, durch nasse Wiesen zu rennen, endlich war ich in meinem Freiheitsdrang nicht mehr so behindert wie mit den heiligen Lederschuhen, auf die man doch immer besser aufpassen musste. Und dann musste man diese abends, wenn man eh schon hundemüde war, auch noch putzen, und zum Glänzen bringen mit Schuhcreme, die vorsichtig und sparsam aufgetragen werden musste, dafür gabs eine kleine spezielle Bürste, dann wurden sie mit einer grossen, feinhaarigen Bürste richtig auf Glanz gebracht, zwischendurch ordentlich darauf spucken, denn dann glänzten sie noch mehr, das alles war bei meinen Gummistiefeln nicht notwendig. Auf dem Heimweg schnell durch den Bach, durch eine grosse Regenpfütze und das Schuhputzen war getan. Heute noch bin ich ein Liebhaber dieser Fussbekleidung und werde oft von meiner lieben Familie ausgelacht und verspottet, ja, ja bist immer noch zu faul zum Schuheputzen, gehst immer noch lieber mit den Gummistiefeln. Ja, das stimmt! Natürlich gab es „feine“ Jahre in der Zwischenzeit, wo ich auf meinen hohen Stöckelschuhen und bestens herausgeputzt im Büro sass, aber sobald die Arbeit aus war, rein in die Stiefeln und mit dem Hund in den Wald oder in die Au, was kann es Schöners geben.
Lambach, im Herzen von Oberösterreich, war damals, als ich dort aufwuchs und in die Schule ging einfach ein idealer Ort um seine Jugend zu verbringen. Wir hatten alles, wirklich alles, was man sich nur wünschen konnte und noch mehr! Eine kleine, überschaubare Gemeinde, wo noch jeder jeden kannte, eine Menge Geschäfte in denen man alles einkaufen konnte, zu Fuss dort hingehen konnte und mitunter auch bestimmte Sachen bestellen konnte. Seien es die Lebensmittelgeschäfte auf dem Marktplatz oder in der Leitenstrasse, selbst im Sand hatten wir eine Greislerei die von der Familie Eckmayr betrieben wurde. Dort machten wir unsere meisten Einkäufe, denn das waren nur wenige Schritte über die Strasse und man bekam alle lebensnotwendigen Dinge. Und selbst an einem Sonntagvormittag, wenn man was vergessen hatte, dann konnte man ans Küchenfenster klopfen und wurde bedient. Unsere ersten verdienten Groschen, die ich entweder durch Holzhaken bei den beiden alten Nachbarsfraün oder durch das Verteilen von zu vielen Schwammerln bekam, die hab ich dort umgesetzt. 50 Groschen oder ein Schilling, das war damals eine Menge Geld und dafür gabs eine Menge Stollwerk Zuckerl zum Schlecken oder um einen Schilling die kleinen Tafeln Milchschokolade im blaün Papier mit weisser Aufschrift der Firma Bensdorf. Sowohl den Anblick als auch den Geschmack dieser Herrlichkeiten, die ja eine grosse Seltenheit für uns waren, die vergisst man nie. Die drei Bäckereien, die Buchhandlung, zwei Fleischhaür die einem jedes Schnitzel noch so zuschnitten wie man es gerne haben wollte, oder die Volks- und Hauptschule, später dann eine Gymnasium für Buben im Stiftskonvikt von Lambach. Zwei grosse Gärtnereien, die vom Stift Lambach und die von der Familie Topf, die uns mit den frischesten Sorten von Gemüse belieferten, und jeden Freitag gab es am grossen Marktplatz von Lambach rund um den herrlichen Flavia-Brunnen einen Gemüse- und Bauernmarkt, wo die Leute ihre frischen Erzeugnisse aus Hof und Garten anbieten konnten. Dort war ich besonders gerne einkaufen, vor allem so gegen Ende des Marktbetriebes, wenn ich so manche herrlichen Birnen oder Karotten fast umsonst bekam, weil die Bauern es einfacher fanden, sie mir zu geben, als sie wieder einzupacken und mit nach Hause zu nehmen. Dort bekam ich dann auch Kübelweise mein Abfallgemüse für die Ziegen und Kaninchen der Hausfrau Schmitzberger oder der Nachbarin Frau Lassl. Ich bin schon immer eine Sammlerin gewesen, nicht nur draussen im Wald und auf den Wiesen, nein, auch wenn sich die Gelegenheit ergab, dass ich irgendwo was billig für die Familie nach Hause tragen konnte, da habe ich zugeschlagen. Ich, das kleine Ich, die im Kindesalter schon half, ihre Familie zu ernähren. Und weil ich vielleicht so klein war und immer hungrig ausgeschaut habe, da waren die Leute nett und lieb und freigiebig zu mir, ausgenützt hab ich das allerdings nie. Ich war halt einfach auch nett und lieb und hab immer schön „bitte“ und „danke“ gesagt, so wie ich es von meinen Eltern und der Großmutter gelernt habe. Später wurde sogar ein Schwimmbad gebaut in der Nähe der Traun, hinter dem Sportplatz, aber der Eintritt war natürlich für uns alle immer viel Geld, sodass wir dieses nicht zu oft besuchen konnten. Wir lernten in der Traun und in der Ager schwimmen, oder vergnügten uns im Sommer am Krötzlteich oder im Schwaigbach, Wasser war einfach Wasser und wenns heiss war, war es uns ziemlich wurscht, wo wir hinein sprangen um uns abzukühlen. Der Krötzlteich hatte natürlich noch den Vorteil, dass in ihm hunderte von dicken Karpfen schwammen, die wir lernten mit umgebogenen Sicherheitsnadeln und ein Stück Käse dran an einer alten Schnur zu fangen. Erlaubt wars nicht, aber spannend und aufregend, weil eben verboten. Einmal wurden wir dabei überrascht, also schnell mit dem Karpfen ab ins Gebüsch und ihn dort liegen lassen bis wir am nächsten Tag wieder kamen, dann konnten wir ihn uns über einem kleinen Lagerfeür braten. Aber weils ein recht heisser Sommer war, da war der Karpfen nicht „blau“ sondern schon leicht grünlich, wir assen ihn trotzdem mit gutem Appetit, nur zwei Tage später, da hatten wir dann alle eine fürchterliche Fischvergiftung. Der herbeigerufe Arzt konnte sich nicht erklären woher unser schweren Magenbeschwerden kamen, bis wir dann endlich mit der Wahrheit herausrückten und wieder einmal beichten mussten, was wir angestellt hatten. Strafe gabs keine, denn wir waren ohnehin schon gestraft genug mit dem Bauchweh und der Übelkeit und das bei herrlichstem Badewetter! Nie wieder unerlaubt Karpfenfischen haben wir uns geschworen (vor allem nicht im Hochsommer!) Die Kinder- und Jugendjahre in der kleinen Wohnung am Sand 22, die waren unvergesslich. Wir waren eine grosse Schar von Kindern dort unten und schlossen uns bald alle eng zusammen, wenn es darum ging, den Kindern aus der Leitenstrasse oder aus dem Markt in kleinen Kämpfen gegenüber zu stehen. Und Rangeleien und Streitereien gab es ja immer zwischen uns. Das ist ganz normal gewesen. Wir „Sandler“ lebten etwas abseits des „grossen Geschehens“ vom Marktleben. Hinter der Westbahnstrecke in einem kleinen Tal unten im Sand. Wir waren irgendwie Kinder zweiter Klasse aber in meinen Augen hatten wir das tausendmal schönere Leben, als die oben im Markt. Unsere Strasse, es gab nur eine Durchzugsstrasse in dem Viertel, die war den ganzen Tag so gut wie leer, kaum ein Auto fuhr vorbei. Nur morgens und abends, wenn die wenigen Männer von ihren abgelegenen Häusern oder Bauernhöfen ins Dorf mussten und abends dann wieder zurück, da fuhr einmal ein PKW oder auch ein Lastwagen vorbei, aber ansonsten war diese Strasse ein herrlicher Spielplatz für uns alle. Wir konnten mit dicker weisser Farbe die Linien für unser Völkerball Felder aufmalen und sie hielten sich monatelang. Fussball und Völkerball wurde viel gespielt, denn nun waren wir wirklich genug Kinder um auch richtige Mannschaften aufzustellen.Auch die Felder für das bekannte „Tempelhupfen“ konnten wir mit weisser Farbe auf die Strasse malen und sie blieben uns lange erhalten und sichtbar. Vor allem wir Mädchen hupften gerne um die Wette, das war kein Spiel für die Buben. Dann gab es da das so beliebte „Glöckeln“, man nahm einfach der Fahrradglocke den Deckel ab und legte ihn mitten auf die Strasse und dann musste man versuchen mit dem Vorderrad des Rades diesen Glockendeckel über eine Linie zu stupsen. Zwei Gegner traten miteinander an und der siegte, der den Deckel als ersters hinter der Linie hatte. Hin und her ging das Spiel, immer wieder musste man schnell mit dem Fahrrad umdrehen, weil man sonst den Deckel nicht mehr erreicht hätte. Es war eine Geschicklichkeitsübung und Radfahren haben wir alle prima gelernt. Die Strasse war frei, unsere Eltern konnten uns oft vom Fenster aus zusehen und nahmen manchesmal natürlich auch Partei für die einen oder anderen. Wettrennen mit Fahrrädern und Trettrollern wurden abgehalten, natürlich auch auf der Strasse. Bei einem solchen Rennen ist der Sohn einer Nachbarsfamilie, der Dieter mit seinem Fahrrad am Brückengeländer des Schwaigbaches angefahren, es hat ihm ausgehoben und über das Geländer in den Bach geschleudert. Gott sei Dank bin ich gerade wieder einmal mit der „Lassl Goass“ unterwegs gewesen und hab den Unfall gesehen. Schnell hab ich die Ziege angebunden und bin über die Böschung ins Bachbett geklettert, wo der kleine Dieter ohnmächtig mit dem Kopf unter Wasser im Bach lag. Da ich ihn nicht ganz herausziehen konnte hab ich seinen Kopf über Wasser gehalten und wieder einmal zu schreien begonnen, dass ich dringend Hilfe brauche da unten. Die kam dann auch vom Sägewerksbesitzer und der hat dann die Rettung gerufen und der Dieter wurde mit seiner Mutter ins Krankenhaus nach Wels gebracht. Eine Gehirnerschütterung hat er gehabt, aber ertrunken ist er uns Gott sei Dank nicht, dafür hab ich gesorgt. Ich habe dann einen Dankesbrief und eine Medaille vom Bürgermeister bekommen, weil ich so schnell reagiert habe und eigentlich dem Dieter sein Leben gerettet, was mir damals aber gar nicht bewusst gewesen ist. Wir haben halt zusammen gespielt und Blödheiten gemacht, aber wenn einer Hilfe brauchte, dann waren wir auch alle da. Manchesmal wäre es nett, so ein kleines Treffen zu organisieren mit all den damaligen Spielkameraden, aber sie sind in alle Winde zerstreut und einige leben auch leider nicht mehr. Aber ich, ich bin noch da!
Ich, das kleine Ich... wurde am 28. Dezember 1943 in Wien im 9. Gemeindebezirk in unserer Wohnung in der Kollingasse geboren. Ich war die Zweite von den Zwillingen, die auf die Welt kamen. Meine Schwester Traude war einige Minuten älter als ich, aber ich war halt ein paar Deka schwerer und vor allem kam ich mit den Beinen voran, sodass ich mir schon bald sagen lassen musste, ich hätte meine Schwester hinausgetreten, obwohl diese noch nicht so richtig „fertig“ war. Das hat weh getat, sehr, sehr weh getan, und tut es bis heute noch. Aber was man oft so gedankenlos als Kind an den Kopf geschmissen bekommt, das arbeitet dann in einem und findet kein Ende. 70 Jahre später noch kein Ende. Mein Vater war damals gerade vom Krieg mit seiner sehr schweren Beinverletzung nach Hause gekommen. Zürst in ein Lazarett, dort wurde das Bein in Gips gelegt, eigentlich im rechten Winkel nach oben eingegipst, und dann in Heimpflege entlassen. Darum war er auch da, als wir Beiden auf die Welt kamen und er stand meiner Mutter bei, denn bis sich ein Rettungswagen durch die Stadt gequält hatte, da waren wir schon auf der Welt. Die Traude und die Heidrun, die dann aber auf Heide umbenannt wurde und dafür bin ich dankbar. Man brachte uns also in ein Krankenhaus und dort wurden wir in einen sogenannten Brutkasten gepackt, weil wir halt fünf Wochen zu früh auf die Welt gekommen waren und etwas zart und untergewichtig waren. Der Mutter ging es Gott sei Dank gut und sie konnte bei uns bleiben und uns stillen, zu Hause passte die Großmutter auf den älteren Bruder auf und half den Vater versorgen, der ja ziemlich unbeholfen mit seinen Krücken durch die Wohnung humpelte. Ich glaube nach drei Wochen durften dann auch wir nach Hause, es war ja Mitten im Winter und doch recht kalt in Wien, aber irgendwie schafften es die Frauen uns alle warm zu halten und auch zu ernähren. Wien Ende 1943 war schon keine friedliche Stadt mehr, aber die schweren Bombenangriffe, die kamen dann erst ein Jahr später, als die Russen ihre Rache an Hitler und den Deutschen nahmen und ihre Einsätze flogen. Aber trotzdem gab es Fliegeralarm und Bombeneinsätze von den anderen Feinden, so dass unsere Großmutter und Mutter uns alle immer wieder, auch nachts aus den Betten reissen mussten, hinaus in die kalte Nacht und in einen Luftschutzkeller, wo wir vor den Bomben sicher waren. Das war natürlich für die beiden Frauen nicht immer einfach. Die drei Kinder in Decken zu wickeln und uns Säuglinge auf den Arm, den Bruder an der Hand, schnell, schnell über die vielen Treppen hinunter, raus aus dem Haus, die Gasse hinauf und wieder viele Treppen hinunter in einen finsteren, eiskalten Keller. Bei einer solchen Aktion zog sich meine Zwillingsschwester Traude dann eine Lungenentzündung zu, sie war halt doch die Schwächere von uns beiden und leider verstarb sie dann anfangs März mit knappen vier Monaten daran. Die Medikamente waren nicht vorhanden, sie in der Wohnung zu behalten, das getraute sich die Mutter auch nicht, denn wir wohnten ja genau gegenüber einer Kaserne, und das waren immer beliebte Angriffsziele für Bomben, Spitäler waren mit verletzten Soldaten überfüllt. Ja, das war natürlich ein schwerer Schlag für meine Mutter, so viel ich weiss gibt es nur ein einziges Foto aus dem Krankenhaus gleich nach der Geburt, wo wir beide Zwillingsmädchen gemeinsam drauf sind. Wir waren nicht eineiig, sodass man von einer absoluten Ähnlichkeit nicht reden konnte, aber interessant wäre es heute doch, wie sie ausschaut und wie wir uns ähnlich wären in Gehaben und Benehmen, aber das hatte nicht sollen sein. Natürlich hiess es dann eines Tages, dass ich mit Schuld gewesen wäre an ihrem ach so frühen Tod, denn ich hätte sie nicht ausreifen lassen, ich hätte sie zu früh auf die Welt getreten... kann man sich vorstellen wie das erst weh tat! Und das aus dem Munde der eigenen Mutter. Darum muss ich hier wohl erwähnen, dass ich kein eigenes Kapitel über die Mutter schreiben werde, sie kommt ja in allen Erinnerungen vor, aber der Schmerz, den sie mir damals als kleines Kind zugefügt hat, den hab ich ihr bis heute eigentlich nicht verzeihen können. Darum bin ich halt das „Papamädi“ geworden und habe meine ganze kleine Seele und mein Herz an diesen gütigen Menschen gehängt und bin so froh und stolz, dass sein Blut durch meine Adern fliesst und hoffentlich Millionen von seinen Genen in mir herumturnen. Nun kam natürlich zu diesem traurigen Tod meiner Schwester und der Bombadierung Wiens auch noch die schwere Verletzung meines Vaters dazu, klar, dass meine Mutter hier oft in tiefe Depressionen verfiel und sich zurückzog und der Großmutter das Ruder überliess. Ich kann es ihr nicht verdenken, aber ich hab wirklich keine Schuld daran. Und dann musste mein Vater wieder zurück in den Krieg, bekam eine Einberufung für einen Lagerdienst und musste für den Nachschub für die Truppen sorgen, dann auch noch Kindertransporte nach Skandinavien zusammen stellen, weil viele Waisenkinder nicht mehr in Österreich versorgt werden konnten, so wurden sie in den Zug gesetz und nach Norwegen, Schweden oder auch in die Schweiz geschickt. Er konnte nach seiner Verletzung nicht mehr an die vorderste Front, Gott sei Dank, und so versuchte er mit all seinen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, es den Kameraden und deren Familie von zu Hause aus, leichter zu machen, indem er die Familien betreute, Güterzüge mit Lebensmittel und Provision zusammenstellte, die dann nach Frankreich oder gegen Russland geschickt wurden. Der Ring der Feinde um die Stadt Wien zog sich immer enger zusammen, die Bombenattacken auf die Stadt wurden immer häufiger, sodass es gegen Ende 1944 hiess, es wäre für die Familie besser und sicherer, sich mit dem Schiff die Donau hinauf nach Bayern zu begeben. So wurden wir alle, kurz bevor die Russen Wien dann richtig einnahmen auf den letzten Dampfer gesetzt, der Wien verlassen konnte und fuhren Richtung Passau.
Von dieser dramatischen Flucht aus der Geburtsstadt meiner Eltern wurde schon etwas mehr erzählt, in späteren Jahren, als wir Kinder das schon mehr verstanden. Es herrschte ja totale Kriegsstimmung in Wien. Alle Fenster in der Wohnung mussten abends mit dicken Tüchern oder Decken zugehängt werden, damit kein Lichtstrahl nach draussen drang, sonst hätte es Gewehrattacken gegeben. Die Frauen gingen nur rasch tagsüber irgendwelche Sachen kaufen oder einhandeln, es gab Essensmarken für Familein mit kleinen Kindern, aber es gab so gut wie kein Essen. Da half natürlich der Dittrich Opa sehr, er, als Verwalter und Schätzer des Wiener Dorotheums hatte viele Freunde und Beziehungen, sodass er uns alle mitversorgen konnte. Seine Familie war natürlich noch grösser dadurch. Da waren seine Frau, die Oma und die beiden Töchter mit deren Kindern, Tante Poldi mit einer Tochter und einem Sohn und die jüngere Tante Lina mit ihrem Sohn, da war da meine Mutter, die Jüngste der Familie mit ihren zwei Kindern und dazu noch schwanger. Ab und zu kam auch vom Vater eine Nachricht und vor allem die dringende Ermahnung, Wien so schnell wie möglich zu verlassen. Sie alle wollten gemeinsam auf ein Schiff, was dann aber letztendlich doch nicht möglich war. Meine Großmutter hatte ihre Familie wieder zusammen geholt, ihre Tochter Mimi mit den drei Kindern, meine Mutter mit uns zwei Kindern, schwanger mit meiner kleinen Schwester, die dann in Schrobenhausen, Bayern, im Mai 1945 zur Welt kam. Wir konnten nichts mitnehmen auf dieser Reise. Nur was wir auf unserem Leib hatten, ein paar Decken und ein paar Polster, das war alles und Hoffnung, die war wohl im Gepäck. Hoffnung darauf, dass wir irgendwo einen sicheren Platz auf dem Lande finden würden, wo wir den Krieg überleben konnten. Hoffnung, dass es den Vätern die alle im Krieg standen, möglich war das alles zu überleben. Die Hoffnung stirbt zu letzt, sagt man ja und sie war das Wichtigste, was diese Frauen in sich trugen. Ohne Hoffnung auf doch noch ein gutes Ende dieses Graüns, hätten wohl viele selbst nicht überlebt.
Bevor man uns auf das Schiff brachte, da war die Großmutter plötzlich über Nacht noch einmal für zwei Tage verschwunden. Niemand wusste, wohin sie gegangen oder gefahren war, nach zwei Tagen war sie aber irgendwie innerlich strahlend, wieder zurück. Sie sei nochmals schnell bei ihren Verwandten in Sieding und Pottschach gewesen um sich zu verabschieden, denn man wüsste ja nie. Mit einem Pferdefuhrwerk, einem Motorrad und einem alten Armeelastwagen sei sie nachts durch das Land gefahren und nun sei sie ja wieder hier. Wie wir dann nach dem Krieg erfuhren, war sie nicht ohne Gepäck dorthin verreist, sie hatte all ihren Schmuck und alle Wertgegenstände, wie Silberbesteck, Uhren und Kristallvasen, alles was irgendwie einen besonderen Wert hatte und sie noch schleppen konnte mit diesem Pferdefuhrwerk nach Sieding gebracht und dort in ihrem ehemaligen Gastgarten unter einem Nussbaum vergraben. Aber davon erzählte sie uns erst in späteren Jahren, als sie ein bis zweimal im Jahr dorthin zurückkehrte um sich die Wertgegenstände wieder auszugraben und in Wien am Schwarzmarkt für gutes Geld umzutauschen. Ja, die Großmutter, sie war eine ganz Schlaü, eine Starke und Gestandene, auf die konnte man sich in allen Lebenslagen tausendprozentig verlassen. Durch ihren kleinen Ausflug war es also nicht möglich dass die ganze Familie Dittrich- Zott- Hofer gemeinsam auf den letzten Dampfer aus Wien heraus kam. Da meine Großmutter nicht aufzufinden war, hatte mein Dittrich Opa beschlossen seine Familie schon auf eine früheres Schiff zu bringen und wir, die Zotts und Hofers sollten dann den nächsten Dampfer nehmen. Man hoffte sich irgendwo in der Nähe von Passau oder entlang der Donau zu treffen.
Aber die Angst, diese unheimlich tiefe Angst, dass man sich womöglich nie wieder im Leben sehen würde, diese Angst schnürte den Erwachsenen allen die Kehle ab. War es ein Abschied für immer oder wird uns das Schicksal gnädig sein und wir werden uns doch wieder treffen. Alles war unsicher, alles stand in den Sternen, von denen war aber bei den vielen Bränden und der damit verbundenen Rauchentwicklung in der Stadt nichts zu sehen. Die Tränen flossen und liessen helle Streifen auf den staubigen, russigen Wangen der Frauen zurück... und dabei war das noch immer nicht das Ende! Es war ein langer Flüchtlingszug, der sich in Richtung Donauhafen auf den Weg machte. Es gab so gut wie keine Transportmittel in der Stadt. Man konnte einfach nur sowenig wie möglich mitnehmen, meistens nur was man am Leibe hatte, sich zu Fuss aufmachen oder hoffen, dass eine Armeestreife einem ein Stückchen durch den noch freien Teil der Stadt brachte, immer der Donau entgegen. Ach, die schöne blaü Donau, so blau war sie den Flüchtlingen wahrscheinlich doch nicht und so schön auch nicht, oder aber doch, denn sie war der einzige Weg heraus aus dem Hexenkessel der Stadt, wo es an allen Ecken und Enden brannte, wo immer wieder Bombenalarm gegeben wurde und die schweren Kriegsflugzeuge im Tiefflug über die Häuser brausten. Etliche Male, so hat die Mutter erzählt, verschwanden sie in einem Hauseingang, einem Torbogen und warteten ab, bis sich die Maschinen wieder entfernten, dann hörte man in einem Nachbarsbezirk die Bomben fallen, die Explosionen und sobald es „Entwarnung“ gab, da machten sich die Frauen mit den Kindern wieder auf den Weg. Wir erreichten auch gesund das letzte Schiff und hofften, dass wir es noch über die Grenze nach Bayern schaffen würden, oder wenigstens bis nach Oberösterreich, weg von Wien ganz einfach, denn diese geliebte Heimatstadt lag unter ständigen Beschuss. Unsere Fahrt dauerte lange, denn auch die Schiffe waren oft nur nachts unterwegs, weil man sich vor einem Bombenangriff zu sehr fürchtete. Man machte Stationen entlang des Flusses, in Niederösterreich und Oberösterreich, wo man ebenfalls Flüchtlinge aufnahm und mit auf die Reise nahm. Linz wurde nur nachts angefahren, man wusste, dass am nördlichen Donauufer wahrscheinlich die Russen schon fast bis an den Strom herangekommen waren, Urfahr, so hiess der Stadtteil, war dann ja auch später unter russischer Besatzung, also legte man am südlichen Ufer nur eben so lange an, bis man etwas Proviant und weitere Flüchtlinge aufgenommen hatte. So kamen wir nach einer mehrtägigen Fahrt also über Passau und Regensburg nach Ingolstadt. Dort wurde unsere Familie von Bord gewiesen, dort warteten angeblich schon einige Bauern mit ihren Pferdekarren um uns aufzunehmen. Wieder war es nachts und sehen konnten wir nichts, so meine Mutter, aber man hatte diesen Anweisungen einfach Folge zu leisten und so verliessen die Zott und Hofers das Dampfschiff, das sich nach kurzer Zeit dann weiter in Richtung Augsburg aufmachte. Ja, und wirklich standen auf der schmalen Uferstrasse zwei Pferdegespanne mit einem riesigen Leiterwagen hintendran, in dem wir alle Platz fanden und unsere Habseeligkeiten unterbringen konnten. Die Mutter war der Verzweiflung nahe, ihr Zustand hat sich während der ganzen Reise nicht gebessert, obwohl sie ja ziemlich Ruhe auf dem grossen Boot hatte, aber die Angst ihre Eltern und Schwestern nicht mehr zu sehen, den Mann vielleicht auch nicht mehr, diese Angst legte sich schwer auf ihre Seele und machte die Schwangerschaft noch unangenehmer als sie ohnehin schon war. Die Großmutter aber, ja, die heissgeliebte Großmutter, der Fels in der Brandung, sie übernahm gleich wieder einmal das Steür, verhandelte mit den Männern, alten Männern, denn die jungen waren ja auch alle im Krieg, wer in welchen Bauernhof kommen sollte. Es war ihr wichtig, dass wir als Familie zusammen bleiben konnten, aber da beide Familien nicht an einem Ort Platz hatten, so entschied sie, wer bei wem dann wohnen konnte. Und diese alten, weisen Männer, die ihr Leben lang auch hart gearbeitet haben, die akzeptierten die Autorität meiner Großmutter sofort, denn sie erkannten in ihr auch einen schwerarbeitenden, leidenden Menschen, der mit aller Kraft versuchte, das Beste für die Familie zu machen. Langenmosen war also unsere Endstation. Dorthin schauckelten wir nun über Feldwege und auf kleinen Nebenstrassen mit diesen ebenfalls uralten Pferden, denn die noch flotten, jungen, die hatte die Armee schon vor vielen Jahren eingeholt und den Besitzern weg genommen. Nur die alten, die durften weiterhin auf dem Hof verbleiben und die waren nun unsere letzten Weggefährten, bis wir dann irgendwo im Morgennebel ein kleines Dorf vor uns sahen, mit einer Kirche als Mittelpunkt und am Dorfrand verstreut lagen die stattlichen Vierkanthöfe der Bauern. Langenmosen in Bayern, einmal waren wir in meiner Jugendzeit dort zu Besuch, aber von den Familien, die uns damals so liebevoll aufgenommen hatten, von denen gab es niemanden mehr. Diese Menschen dort auf dem Lande, die hatten auch keine andere Wahl, denen wurden die Flüchtlingsfamilien einfach in die Häuser gesetzt. Wir aber waren alle froh und dankbar, dass man uns so gut aufgenommen hatte. Meine Mutter, mein Bruder und ich landeten bei einer Familie, meine Großmutter mit ihrer Tochter und den Kindern kamen bei der Nachbarsfamilie unter. Ich lernte meine ersten Schritte auf dem Bauernhof in Langenmosen, auch meine ersten Worte seien gewesen „Bauer, Bauer“ und „Hund“ und „Fau“, womit ich wohl die Frau des Bauern gemeint hätte. Das alles hab ich aus Erzählungen meiner Mutter, der es in dieser Schwangerschaft gar nicht so gut ging und sie daher auch nicht so am Hof mithelfen konnte wie sie gerne gewollt hätte. Also sprang die Großmutter wieder ein und wusch für alle die Wäsche, auch für die Bauernfamilie, backte Brot und Kuchen und half bei der Betreuung des Kleinviehs, wie Hühner und Hasen mit. Zur Entbindung meiner kleinen Schwester wurde die Mutter dann ebenfalls mit dem Pferdewagen in ein kleines Dorfkrankenhaus nach Schrobenhausen gebracht und von dort dann eine Woche später wieder abgeholt. Alles verlief glatt und nun gings der Mutter auch bald wieder besser. Wir hatten eigentlich ein recht wildromantisches „Urlaub am Bauernhof“- Leben in diesen letzten Tagen des Krieges, wo die restliche Welt in Flammen stand und sich die Ereignisse eigentlich überschlugen. Von den Niederlagen der deutschen Armee sowohl in Frankreich als auch in Russland, Nordafrika und England bis hin zum feigen Verschwinden Hitlers in seinen Bunker nach Berlin, das alles ging irgendwie im Sonnenschein und Glanz der grünen Wiesen und Äcker im friedlichen Langenmosen für uns alle unter.Es gab keine Bomben, keine Gewehrsalven, keine Sirenen, es gackerten die Hühner und grunzten die Schweine, die Schwalben flogen fleissig in der Scheune aus und ein und ich sass zufrieden einen kleinen Hasen streichelnd mitten im Garten. So war für uns das Ende des Krieges aller Kriege. Aus einem kleinen Radio erfuhren die Erwachsenen natürlich von den Grausamkeiten da draussen in der wirklichen Welt. Vom Attentat auf Hitler durch Graf Stauffenberg, das ja leider schief ging und dann auch vom Verschwinden des Führers nach Berlin in seinen Bunker, wo er sich dann wie eine feige Ratte versteckte und sich selber erschoss. Und die Geschichte wiederholt sich auch hier. Jetzt 70 Jahre später, da benahmen sich andere Despoten und Diktatoren genauso, ein Saddam Hussein aus dem Irak, der sein Volk hinschlachtete wie Hitler seinerzeit die Juden, den fand man in einer kleine Erdhöhle hinter einem halbverfallenen Haus, eingegraben wie einen Maulwurf, nur zufällig fand man ihn. Auch so ein maulstarker Held, der sich in die Hosen macht und sich verkriecht wie ein Ungeziefer. Mit dem Lybier Gaddafie ging es nicht anders, der war auch auf der Flucht und wurde aus einem Abflussrohr entlang der Strasse herausgeholt, auch wie eine nasse Ratte! Alles ach so mächtige Männer und „Götter“ in ihren Ländern, aber feige, feige wie es schlimmer nicht mehr gehen kann. Pfui Teufel kann ich da nur sagen. Und ich hoffe, dass so manch andere Obermacho ein ähnliches Ende finden wird.
Aber 1945 war dann dieser Krieg, in dem mein Vater nun wirklich keine grossartige „Rolle“ gespielt hat, da war er dann endlich zu Ende. Wie bereits beschrieben wurden wir auf dem Rückweg aus Bayern dann nach Lambach gebracht, wo wir verblieben, der Vater hatte das irgendwie noch organisiert, er selbst musste jedoch bis 1951 noch in Kriegsgefangenschaft bleiben, weil er halt ein Nazi war, und erst dann war unsere Familie wieder vollständig. Und auch die Familie meiner Mutter, die Dittrichs, die fanden wir in Wien wieder, alle hatten überlebt ausser der Onkel Satzl, der war vermisst. Wenn man bedenkt, dass er selber nie oder nur wenige Jahre ein geregeltes Familienleben hatte, dann kann man sich nur wundern, was für ein hervorragender, vorbildhafter und liebevoller Vater er uns wurde. Sein eigener Vater musste in den Ersten Weltkrieg einrücken als er nur zwei Jahre alt war, nach Hause kam der Großvater dann als mein Vater sechs Jahre alt war und mit jungen fünfzehn Jahren wurde er Halbwaise, da verstarb sein Vater an der Lungenentzündung. In diesen wenigen Jahren, die die Familie Johann und Maria Zott zusammen waren, in diesen wenigen Jahren wurde der Grundstein für sein ganzes Leben gelegt, das ja auch sehr kurz war, und die Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen, nach Frieden, Ruhe, Gemeinsamkeit und rücksichtsvoller Liebe, die wurde hier eingepflanzt. Ein grosses Vorbild war da natürlich auch die Großmutter, die ja mit den beiden Kindern als junge Witwe viel und schwer gearbeitet hat, die dann auch uns alle noch grossgezogen und behütet hat. Sie war unser Fels in der Brandung, wenn rund um uns die Wogen oft zu hoch schlugen. Und wir Kinder, wir wussten, was man von uns erwartete, wir sollten fleissig lernen, einen guten Beruf ergreifen und nicht all zu viele Blödheiten machen, was wir auch meistens befolgten, aber halt doch nicht immer.
Vielleicht weil ich in der Familie bald die Kleinste war, schon im Volksschulalter, hat mich meine Schwester an Grösse überholt, meinte ich, glaubte ich, ich musste das wett machen durch besonderen Fleiss und Bravsein. Besonders dann, als ich das Privileg bekam nach Wels ins Gymnasium zu gehen. Ich wusste, dass dies meinen Eltern einiges Geld kostete, die Mutter weiterhin arbeiten gehen musste, damit wir alle über die Runden kamen. Auch die Schule meines Bruders in Wien kostete Geld, sodass wir uns ganz besonders anstrengten und immer wirklich fleissig lernten und schauten unter den Klassenbesten zu sein. Die Eltern sollten stolz auf uns sein, sie sollten sehen, dass wir auch wussten welche Opfer sie für uns brachten. Gerne wäre meine Mutter sicherlich zu Hause geblieben und hätte den Haushalt gemacht, oder aber auch nicht, das weiss ich nicht so genau einzuschätzen, aber tagaus tagein ging sie in die Fabrik und ihrer Arbeit nach. Da sie künstlerisch veranlagt war und sehr geschickt mit ihren Händen arbeiten konnte, so hatte sie bald auch eine schöne Arbeit. Sie musste kleine Mustersträhnchen der verschiedenen Garne aufwickeln und zusammenstellen, schön nach Farben geordnet, die dann die Vertreter mit auf Reisen nahmen um bei Webereien die Aufträge für dieses oder jenes Material einzuholen. Das machte ihr auch Freude glaube ich, da konnte sie ihre Künstlernatur ein bisserl ausleben. Dann natürlich hat sie viel genäht, nicht nur Kleidung für uns alle, auch Stoffpuppen, Kasperle und ausgestopfte Tiere, wie Elefanten und Hunde auf Rädern, die wurden dann besonders vor Weihnachten zur Menagerie in unserer Wohnung und die Mutter verdiente ganz gut daran. Als die Markgemeinde Lambach den 900 sten Geburtstag feierte, da waren meine Eltern für viele Wochen sehr, sehr beschäftigte Menschen. Der Vater probte mit dem Männergesangsverein viele Lieder ein, studierte neue Theaterstücke und die Mutter sass unermüdlich an der Nähmaschine um Kostüme für die verschiedenen Veranstaltungen zu nähen. Auch wurden die Schauspieler alle von ihr geschminkt, sogar meine Schwester und ich durften an dem grossen, feierlichen Umzug durch den Markt teilnehmen, den es anlässlich dieses Geburtstages gab. Viele geschmückte Pferdefuhrwerke fuhren durch die Hauptstrasse, Feuerwehrautos und geschmückte Lastautos und die Musikkapellen marschierten schön herausgeputzt durchs Dorf. Meine Schwester und ich durften als „Marketenderinnen in Miniformat“ mit umgehängten Schnapsflaschen neben dem Herrn Dirigenten hergehen und an die zuschauende Menge unsere Schnapsgläschen austeilen. Auch wir hatten für diesen Zweck wunderschöne Trachtenkleider bekommen, abgestimmt mit der Tracht der Musiker und waren wirklich stolz auf diese Ehre.
Ja, so vergingen die Jahre, die ersten Friedensjahre in Lambach auch in Frieden rund um uns und in der Familie. Die Besuche der Verwandtschaft sowohl in Lambach als auch unsere in Wien oder Bürg brachten Abwechslung, wenn auch die Menschen sehr bescheiden lebten, wir alle blickten sehr zuversichtlich in die Zukunft und diese wurde immer schöner und heller. Ein grosser Schritt war auch der Abschluss des Staatsvertrages, mit dem sich Österreich neutral erklärte und wo dann alle Besatzungsmächte abmarschieren mussten. Das war ein riesiger Festtag, eine Festwoche und es gab nur strahlende Gesichter. Wenn ich so nachträglich in den Geschichtsbüchern blättere, dann haben unsere Politiker der ersten freien Stunde, wie Figl, Raab und vor allem der „Oberjude“ Dr. Bruno Kreisky, hervorragende Arbeit geleistet und wir Österreicher waren schlau genug, uns auch gleich den Dr. Kreisky, der dann viele Jahre an der Spitze der Regierung stand, „anzulachen“. Unsere Nazivergangenheit, die ja die Mehrheit des österreichischen Volkes auch hatte, die war damit bald vergessen und es ging mit der Wirtschaft und den sozialen Errungenschaften steil nach oben. Wir waren ein freies Land, ein Land voll fleissiger Menschen und gescheiteter Wissenschaftlern, ein Land von Erfindern... Heimat bist du grosser Söhne... wie es in der Bundeshymne heisst. Und obwohl uns unsere deutschen Nachbarn immer für etwas faul und träge und langsam hielten, unser Aufbau und Aufschwung nichts mit dem deutschen Wirtschaftswunder zu tun hatte, so kamen wir doch alle auf die Beine. Und neben einem Juden, dem Dr. Kreisky haben wir uns dann ja einige Jahre später auch einen alten SS-Soldaten und Obernazi, den Dr. Kurt Waldheim, an die Spitze des Landes geholt. Nach zehn Jahren UN Sekretär war er dann von 1986 bis 1992 unser sehr beliebter Bundespräsident. Wir drehen uns nicht mit dem Wind, wir als österreichisches Volk, das glaube ich nicht, aber wir sind flexibel, „wir sind kleine Schlitzohren und Schlawiner“, sagen die bekannten Schriftsteller Konrad Kramar und Georg Mayrhofer und haben mir vor allem aber den Glauben genommen, dass die mächtigen Besatzer mit dem Figl wirklich „die Reblaus“ gesungen hätten. Das war so ein schöner Gedanke, aber na ja, halt eine österreichische Begebenheit, die es nicht wirklich gab. Und jetzt ruhen sie ja alle friedlich zusammen und sitzen auf irgendeiner Wolke und schaun herunter auf unser herrliches Land! Hoamatland, Hoamatland...
Wir konnten alle gute Schulen besuchen und einen ordentlichen Beruf erlernen. Besonders ich, war so eine „Strebsau“ wie man mich damals fast beschimpfte, denn ich wollte immer die Beste in der Klasse sein und habe auch wirklich viel gelernt, vor allem im Gymnasium dann. Diese Zeit kann man sich heute ja auch fast nicht mehr vorstellen. Wie gesagt wir waren Bahnschüler genannt und mussten jeden Tag früh morgens mit dem ersten Arbeiterzug von Lambach nach Wels fahren. Diese Züge der österreichischen Bundesbahn sahen alle gleich aus, dunkelgrün gestrichen, innen offen, ohne Coupeabteilungen wie sie erst viel später kamen, und auf harten Holzbänken sassen wir oft zu dritt oder viert. Es war kalt im Winter, aber es gab ab und zu doch einen Waggon in dem ein Holz-Kohleofen stand, der vom Schaffner ständig befüllt wurde. Um diesen versammelten wir uns natürlich in dichten Trauben, damit uns wenigstens ein bisserl warm wurde. Es war auch noch die Zeit, wo es wirklich verboten und verpönt war, wenn Mädchen lange Hosen trugen, wie die Buben. Wir hatten unsere Kleider oder Röcke mit Blusen und Pullover, darunter einen sogenannten Strumpfgürtel, den man um den Bauch band und von dem auf jeder Seite drei bis vier Gummibänder mit Klipsen hinunterhingen, mit denen man dann die dicken Strümpfe befestigte. Zwischen den Unterhosen und den Strumpfenden, da waren immer einige cm freie Haut zu sehen und die war meistens blau und rot gefroren im Winter, weil die Kälte mit der Zeit halt doch auch unter die Röcke kroch. Später erfand dann jemand die Strumpfhosen, die waren eine herrliche Erfindung. Und dann bekam ich eines Tages doch meine erste lange, warme, flauschige, braune Schnürlsamthose. Die trug ich zum Zugfahren immer unter meinem Rock, in der Schule musste ich schnell ins Klo rennen, die Hose ausziehen, nach dem Unterricht wieder schnell ins Klo und die Hose anziehen, damit ich den Zug nach Hause noch rechtzeitig erreichen konnte. Wir hatten so unser Verstecke für die ersten Hosen, aber irgendwann dann kam ein neuer Herr Direktor und der erlaubte uns Hosen immer auch in der Öffentlichkeit zu tragen.
Das Schulgebäude des Bundesrealgymnasiums in Wels war ein herrlicher, alter Prachtbau mit wunderschönen, riesigen, schweren Eichendoppeltüren. Und als ich an meinem ersten Schultag vor dieser Türe stand. Stolz und froh, die Aufnahmsprüfung, die man damals noch machen musste, bestanden zu haben, da fand ich mich nicht in der Lage, zu den Türklinken hinaufzugreifen um mir die Türe aufzumachen. Schamrot waren meine Wangen, als ich nun so dastand und warten musste, bis wer Grosser vorbeikam um mir die Türe zu meiner neuen Zukunft zu öffnen. Es kam der Herr Dirketor selber und meinte ganz wohlwollend, ob ich denn meinen Geschwistern was nachtragen müsste, ob diese wohl was vergessen hätten. Da wurde mein Gesicht noch röter aber doch eigentlich vor Wut, nein sagte ich, ich bin eine Schülerin hier und werde eine der Besten werden! Da schmunzelte er recht und machte mir höflich die schwere, sauschwere Eichentüre auf, liess mir den Vortritt und ich hörte ihm was murmeln von so klein und schon so frech, aber ich war drinnen! Mein Klassenzimmer fand ich schnell und nach zwei Tagen, da wusste ich auch, dass es durch den Turnsaal einen Notausgang gab, mit einer ganz normalen, kleinen Türe, wo ich keine Hilfe brauchte aus und ein zu kommen. Somit war diese Problem dann auch für mich gelöst. An manchen Tagen, da konnten wir mit einem sogenannten Eilzug von Wels nach Lambach Hauptbahnhof fahren, dort mussten wir dann umsteigen in einen Bummelzug, der sogenannten „Haager Lies“, die vom Hauptbahnhof nach Haag am Hausruck fuhr, nur drei mal am Tag und konnten in Markt Lambach dann aussteigen. Besonders gerne fuhren wir mit diesem Bummelzug, weil er so herrlich langsam dahin tuckerte und wir in dem einen Waggon, aus dem der ganze Zug bestand, herumlaufen und spielen konnten. Das war natürlich in den anderen Waggons der Arbeiterzüge verboten. Meine beste Freundin im Gymnasium wurde die Gerda Heske aus Gunskirchen, wir sassen nicht nur im Zug immer auf der gleichen Bank, wir wurden auch in der Schule schon sehr bald gemeinsam in eine Bank beordert. Die Gerda war so eine wirklich liebe, sehr bescheidene und vor allem stille und brave Schülerin und unser Klassenvorstand erhoffte sich, dass sie ein bisschen auf mich, die ich nicht ganz so bescheiden und lieb und brav war, abfärben würde und beruhigend auf mich einwirken würde. Aber ich glaube, dieser Plan ist nicht ganz aufgegangen, ganz im Gegenteil, die Gerda wurde an meiner Seite und als meine beste Freundin viel übermütiger und „unruhiger“ und wir beide haben gemeinsam etliche Streiche ausgeheckt. Wir haben einmal aber auch ein Leben geretten, so bilde ich mir das natürlich heute noch ein. Es war 1956, da gabs in Lambach, ja ganz Oberösterreich reisige Hochwasser. Alle Flüsse und sogar die kleineren Bäche waren weit über ihre Ufer getreten. Gerda und ich gingen am Sand den Bahndamm der Westbahnstrecke entland, da dieser ja wesentlich über dem normalen Strassenniveau lag und wollten die Überschwemmung unseres Schwaigbaches begutachten. Als wir an die kleine Siedlung kamen, die ganz weiter unter der Bahn lag und durch die der Bach floss, da hörten wir aus dem Haus der Familie Täubler laute Hilferufe aus einem offenen Fenster im Erdgeschoss. Der Herr Täubler war alleine zu Hause und hatte versucht noch viele Möbeln und Wertgegenstände aus dem bereits überschwemmten Erdgeschoss in den ersten Stock zu tragen. Dabei ist er barfuss wie er war, auf eine grosse Glasscherbe gestiegen und hat sich den Fuss fürchterlich zerschnitten. Blut überall so schrie er uns zu und er würde dringend Hilfe brauchen. „Wir helfen, wir machen das schon“, haben wir beide ihm zugerufen und sind schnell, so schnell es ging den Bahndamm wieder zurück gelaufen bis zum Stationsvorsteher von Markt Lambache. Dort gab es ein Telefon und der konnte dann gleich die Feuerwehr und die Rettung verständigen. Beide kamen auch dann relativ schnell. Gerda und ich wieder den Bahndamm zurück bis zum Haus der Täubler und haben ihm versichert, dass Hilfe bereits unterwegs war. Da kamen auch schon die Einsatzfahrzeuge und wir hatten einen herrlichen Logenplatz um die Rettung zu beobachten. Die Feuerwehr musste eine kleines Ruderboot ins Wasser lassen, weil die Strasse vom Bach schon so überflutet war, dass man zu Fuss nicht mehr zum Haus hätte können. In dieses Boot stieg auch gleich der Notarzt und wurde nun zum Anwesen von Herrn Täubler gerudert. Der stand schon in der Haustüre, in einer Blutlache, die sich rund um seine Kniee bildete, denn soweit war das Wasser schon gestiegen. Die Feuerwehr und der Arzt halfen ihm zurück ins Haus, verbanden den zerschnittenen Fuss, dann wurde auch er ins kleine Ruderboot verfrachtet, man ruderte zum Rettungswagen zurück und brachte Herrn Täubler ins Krankenhaus, wo der Fuss viele Stiche bekam und ordentlich verbunden wurde. Erst nach vielen Tagen, als das Wasser des Schwaigbaches wieder in seine Ufer zurück tratt und man auf der kleinen Strasse durch die Siedlung fahren konnte, da durfte Herr Täubler wieder nach Hause humpeln und hat uns anschliessend einmal viel Schokolade und Kekse vorbeigebracht um sich bei uns für seine Rettung und Hilfe zu bedanken. Schon gut manchesmal, wenn man als Kind ein wenig neugierig ist und durch das Dorf streicht, man weiss nie ob nicht jemand Hilfe brauchen könnte.
Ja und nach sechs Jahren Gymnasium gings dann noch zwei Jahre auch mit solchen einfachen Arbeiterzügen nach Vöcklabruck in die Handelsschule, und anschliessend täglich nach Linz zur Arbeit. So war mein Leben schon damals ein richtiges Zigeunerleben geworden. Jeden Tag auf der Achse, sagte mein Vater lächelnd und war sicherlich stolz auf mich, dass es mir nichts ausmachte, diese zeitaufwendigen Fahrten auf mich zu nehmen.
Weihnachten wurde immer sehr schön und fast andächtig in unserer Familie gefeiert. Wenn wir auch nicht viel hatten, so stand immer ein geschmückter Christbaum irgendwo in der Ecke der Küche aber meistens im Wohnzimmer. In den ersten Jahren, da gab es nur einen sogenannten „süssen“ Baum. Wir hatten kein Geld für Glaskugeln und Ornamente, also kochte meine Großmutter aus den Zuckerrübenschnitzel die ich nach Hause brachte einen dicken Sirup und dann kochte dieser noch lange Zeit weiter und daraus wurden richtige „Kaubonbons“, die wir in kleine Vierecke schnitten und dann in weisses, später aber auch in buntes Seidenpapier wickelten. Vorher wurden die Kanten mit viel Geduld und Liebe mit einer kleinen Schere zu hunderten Fransen geschnitten, darin wurden dann diese selbstgemachten Zuckerl eingewickelt, an den beiden Enden fest zusammen gedreht, ein Faden drum und so auf den Baum gehängt. Auch machte die Großmutter herrliche „Windringerl“ aus geschlagenem Eiklar, die dann langsam im Backofen trocknen mussten und die ebenfalls auf den Baum kamen. Kerzen mussten gekauft werden, das Selbermachen von Kerzen, diese Kunst haben wir nie gelernt, aber dafür gab dann mein Vater doch das Geld aus und so erstrahlte der Baum im herrlichen Lichterglanz und wir standen alle andächtig darum herum. Wir haben zwar immer Weihnachtslieder gesungen, aber der einzige, der ja wirklich singen konnte und die Stimme halten, das war der Vater, wir anderen, wir piepsten halt irgendwo im Takt mit, aber schön war es doch, mein Gott so schön. Die Geschenke waren meisten selbst geschneidert oder gestrickt, einmal gabs eine Violine für den grossen Bruder, ich bekam im Jahr darauf eine Blockflöte und ein paar Jahre später meine Schwester eine Ziehermonika, aber da wir alle nicht wirklich musikalsch waren, waren die Musikstunden eher eine Qual und irgendwann wurden die Geräte wieder eingetauscht oder weiterverkauft. Da ich am 28. Dezember Geburtstag habe ist es des Öfteren vorgekommen, dass man mir einfach ein oder zwei Weihnachtsgeschenke nicht unter den Baum legte, sondern ich diese dann einfach ein paar Tage später als Geburtstaggeschenk bekam. Das hat mich oft geärgert und ich fand es sehr ungerecht, aber es war ja nur ich, ich, die eh immer an allem Schuld war, die immer so in der Mitte drinnen steckte und eigentlich erst sehr spät ein Eigenleben bekam, also wars auch nicht so schlimm, wenn die Heide ein paar Geschenke weniger zu Weihnachten bekam und diese dann eben erst zum Geburtstag. Hat es weh getan? Natürlich und wie und oft zweifelte ich an der Gerechtigkeit in meiner Familie, aber auch damit musste ich leben lernen. So richtige Geschenke, wie man sich das als Kind vorstellte, eine grosse Puppe mit Puppenwagen oder eine elektrische Eisenbahn für den Bruder, einige Spiele wie „Fuchs und Henne“ oder „Fang den Hut“, das gab es erst in späteren Jahren, als die Zeiten wirklich besser wurden und für solche unnötigen Dinge etwas Geld übrig war. Sonst waren wir schon mit neuen Handschuhen oder Socken, einer neuen Seidenmasche für die Haare zufrieden, naja, auf die hätte ich selber verzichten können, aber was solls. Die Mutter wollte uns besonders an den Feiertagen mit prachtvollen Maschen auf dem Oberkopf schmücken und sehen, so war damals die Mode eben.
Ein Weihnachtsfest so um 1956/57 ist mir in ganz besonderer Erinnerung. Meine Mutter war eigentlich auch ein sehr bescheidener Mensch, hatte aber eine besondere Vorliebe für einen schönen, süssen Eierlikör! Und da mein Vater beruflich ja viel unterwegs war, da hat er in dem Dorf Scharnstein einen Konditor gefunden, der einen ganz besonders guten Eierlikör selber herstellte und so eine Flasche sollte die Mutter zu Weihnachten als Geschenk bekommen. Da wir Kinder irgendwie doch immer noch an ein Christkind glaubten und am Tag des Heiligen Abends ständig im Weg waren, packte er uns kurzerhand in sein Auto, ich glaube das war damals ein Fiat, und fuhr mit uns am Nachmittag nach Scharnstein um das Geschenk abzuholen. In der Zwischenzeit hätten die Großmutter und Mutter dann wenigstens Gelegenheit, in Ruhe das Fest vorzubereiten, den Christbaum zu schmücken usw. Der Christbaum kam für viele, viele Jahre aus dem Wald meiner Freundin Hedwig, der Bauernstochter und manchesmal durften wir ihn uns selber aussuchen und absägen, soweit war also kein Christkind notwendig und der Baum fiel auch nicht geschmückt vom Himmel. Es war ein klarer, sehr kalter und schneereicher Tag an diesem 24.12. und wir waren bereits auf dem Heimweg mit der schön verpackten Eierlikörflasche für die Mutter, als uns kurz in der Nähe von Sattledt das Auto den Geist aufgabe. Mit Entsetzen stellte der Vater fest, dass nichts mehr, aber auch gar nichts mehr ginge. Bezin war genug im Tank, aber irgendwo war ein Fehler in der ganzen Technik und das Auto war“ blubb blubb blubb“ einfach abgestroben und stehen geblieben. Nun war guter Rat aber teür. Zu Hause warteten die beiden Frauen auf uns, die Strassen waren so gut wie leer, denn an so einem heiligen Tag in Österreich, da fuhren nicht viele Menschen durch die Lande. Also machten wir uns zu Fuss auf über die Felder zum nächst gelegenen Bauernhof. Auf unser Klopfen machte eine alte Frau auf und mein Vater fragte nach dem Bauern oder einen Knecht, es dauerte lange, bis er ihr wirklich erklären konnte, was wir brauchten und wer uns vielleicht aus dieser mieslichen Situation retten konnte. Da kam dann auch der Bauer von einem Feld angefahren, auf dem er frischen Mist auf den Schnee gestreut hat, damit der im Frühling dann, beim Tauen in die Erde einsickern kann. Schnell verstand er unsere Not und bot auch gleich seine Hilfe an. Zürst einmal schleppte er das Auto meines Vaters auf seinen Hof in die Scheune, damit es über die Feiertage nicht so mutterseelen alleine auf der Strasse stand, Wind und Wetter ausgesetzt und als Einladung für irgendwelche Burschen, denen „langweilig“ war zu dieser Zeit und sich vielleicht an die Reifen oder sonstiges machten. Als der Fiat nun sicher in der Scheune stand, da packte uns der Bauer samt Decken auf seinen Traktor, irgendwie haben wir drei Kinder und der Vater und der Lenker darauf Platz gefunden und fuhr mit uns die etlichen Kilometer nach Wels zum Bahnhof. Langsam wurde es abends, Telefon war keines vorhanden, weder in unserer Wohnung noch im Bauernhaus, so konnten wir die Großmutter und Mutter nicht verständigen, dass wir uns verspäten würden. Wir verabschiedeten uns mit dankbaren Herzen bei dem liebenswürdigen Mann, wünschten ihm gesegnete Weihnachten im Kreise seiner Familie und warteten über eine Stunde auf den nächsten Personenzug, der von Linz nach Markt Lambach fahren würde. Hungrig waren wir und kalt, aber trotzdem gabs kein Gejammer oder Geraunze, denn bald, ja bald, sobald wir eben zu Hause waren, da sollte das Christkind kommen und hoffentlich freute sich die Mutter auch wirklich über diesen Eierlikör, der uns so viele Probleme gekostet hatte. Es war stockdunkle Nacht, als wir dann endlich halb erfroren zu Hause ankamen. In der Küche brannte Licht, die anderen Fenster waren alle dunkel und als wir die Wohnungstüre öffneten, da sassen die beiden Frauen am grossen Küchentisch. Totenstille herrschte zwischen ihnen, kalt und starr schauten sie einander an, keine konnte der anderen irgend einen Trost zusprechen, fast wie versteinert kamen sie mir vor. Wir waren dafür um so lauter und aufgeregter und wollten die Geschichte alle auf einmal erzählen, einer übertönte den anderen. Da wurden dann ihre Wagen auch wieder rosig und die Bitterkeit verschwand aus ihren Gesichtern. Der Vater umarmte sie beide, versicherte ihnen immer und immer wieder, dass wir alle wohlauf seinen, aber uns die neue Technik des Automobils halt einen Streich gespielt und einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Verlegen holte er die Flasche Eierlikör aus dem Ärmel seines Wintermantels und stellte sie auf den Tisch, nicht unter den Christbaum der da herrlich geschmückt im Wohnzimmer auf uns wartete, nein, auf den Tisch denn irgendwie war ihm die Freude an diesem besonderen Geschenk vergangen. Dann jedoch wurden wir in der Küche an den Tisch gesetzt, die Mutter verschwand im Wohnzimmer und bald schon hörten wir den leisen Glockenklang, ein Zeichen, dass das Christkind nun endlich doch auch noch zu uns gekommen war. Die Türe wurde geöffnet, viele Kerzen erleuchteten den Raum, wir rissen Mund und Augen auf und alles war ja sooooooo herrlich! Ein paar Lieder haben wir gesungen, dann durften wir uns über unsere Geschenke stürzen. Nach der Bescherung dann, da machte der Vater dann die ach so kostbare Flasche Eierlikör auf und die Erwachsenen tranken ein Gläschen auf ein ganz besonderes Weihnachtsfest und darauf, dass wir alle wohlbehalten zu Hause angekommen waren.
Ihre Ängste, die verschwanden schön langsam, sie konnten ja nicht ahnen, was uns da draussen hätte alles passieren können, so manches Auto ist schon von der Strasse abgekommen und in der Ager oder Traun gelandet, all ihre Albträume sind vor ihnen auferstanden, aber wir hatten doch nur eine lustige Fahrt mit einem alten Traktor und dann mit dem Personenzug hinter uns. Wir fanden das ausserordentlich spassig! Von da an würde der Eierlikör nicht mehr in letzter Minute abgeholt, der Vater brachte ihn irgendwann von seiner Fahrt mit und versteckte ihn gut im Zimmer meiner Großmutter. Damals gab es halt noch keinen Abschleppdienst, da musste man sich selber helfen. Wie der Vater dann nach den Feiertagen seinen Fiat wieder nach Hause und in die Werkstätte brachte, daran kann ich mich nicht mehr erinnern, aber sobald das Neue Jahr begann, da war er wieder auf seinen Arbeitsfahrten unterwegs. Der Schaden war behoben und nun hiess es wieder Geld verdienen. Seine Autos hatte er immer in der Autowerkstatt der Firma Zehmann in Lambach warten und reparieren lassen. Wahrscheinlich haben die auch den Fiat damals abgeschleppt und in Lambach gleich gerichtet. Diese regelmässigen Besuche bei den Zehmanns, das war für meinen Vater was ganz Grosses. Dort half er in der Werkstatt mit, nicht nur mit seinem Fahrzeug, nein auch andere Autos oder Motorräder konnte er mit reparieren, kernharte Männergespräche führen und mir kams dann so vor, als ob er sich sehr gerne aus der „Weiberherrschaft“ in unserem Haushalt für ein paar Stunden in die stinkige, dreckige Werkstatt verzog, nicht nur weil er wirklich geschickt im Richten war, sondern auch weil er eben unter Männern andere Gesprächsthemen hatte als zu Hause. Irgendwann wurde an den neuerbauten Ausstellungsraum für Neuwagen, eine kleine Holzhütte angebaut, in der Mann genüsslich seinen Kaffee trinken konnte und ein oder zwei Zigaretten dazu rauchen. Das war dann eben die Zeit für richtige Männer auch richtige Männergespräche zu führen, worüber, da schweigt die Geschichte. Als wir eines Tages dann eine Borgward Isabella Diesel bekamen, da hat der Vater gemeinsam mit einem der Mechaniker dort eine der ersten Motoblockheizungen für den Winter eingebaut. Ich sehe heute noch das kleine Loch, das wir in den Fensterrahmen im Schlafzimmerfenster meiner Eltern bohrten um dort ein langes, sehr langes elektrisches Kabel durchzuführen. Das Kabel war neben dem Fenster eingesteckt und führte bis zum Auto, dort unter der Kühlerhaube irgendwo sass diese Heizung, die in kalten Winternächten den Motor warm hielt, damit der Vater dann morgens schnell starten und abreisen konnte. Wie ein Tauchsieder oder so ähnlich hat das Gerät ausgeschaut, so wie man einen Tauchsieder in manches Bierglas tauchte, wenn einem das Bier zu kalt war. Aber es hat gut funktioniert und wenn der Vater über Land fahren musste, dann wurde im Winter nun auch das lange Elektrokabel mit eingepackt in der Hoffnung, bei einem Wirten das nötige Verständnis zu finden und die Isabella warm zu halten. Ein paar Liter Bezin in den Diesel gemischt, das hat damals im Winter auch sehr geholfen weil es den Diesel flüssiger hielt und es hat den Motor nicht geschadet. Heute braucht man das nicht mehr, ich glaube die verschiedenen Brennstoffe zum Autofahren sind alle reiner und besser zu verwenden, aber damals, da wars schon gut, wenn bei minus 20 Grad der Motor warm und vorgeheizt war.
Wir alle wuchsen, so glaube ich sagen zu können, zu recht ordentlichen, fleissigen Menschen heran und begannen unsere eigenen Flügel zu strecken und eigene Familien zu gründen. Bald war das Nest in Lambach im Sand 22 leer, bis auf Großmutter, Mutter und Vater. Unsere Besuche zu den Feiertagen und Geburtstagen, dem Muttertag, waren eher spärlich, weil wir keine Autos hatten, die konnten wir jungen Familien uns damals nicht gleich leisten. Wir hatten wohl alle eine gute Ausbildung, aber der Verdienst war nicht so üppig, dass man sich gleich ein Auto oder einen Fernseher hinstellen konnte. Creditkarten kannten wir damals nicht, man sparte eben auf eine grössere Anschaffung und erst wenn man das nötige Geld beisammen hatte, dann wurde gekauft. Eine Ausnahme war meine Ausstattung, als ich dann heiratete. Ich hatte mich beim Schifahren zu Pfingsten in einen jungen Juristen verliebt und schon nach einem Jahr wollten wir heiraten. Ja, den „Fuchsigen“ vor dem mich mein Vater gewarnt hat, aber wer hört denn mit 20 und bis über beide Ohren verliebt schon auf die Warnung der „Alten“. Mein Vater sah auch ein, dass ich mir da nichts drein reden liess und als es dann zur Verlobung kam, da spielte er natürlich mit, er wollte ja auch nur mein Glück und wenn ich meinte so glücklich zu werden, da stehte er mir auf keinen Fall im Wege. Als dann eine Grosstante in Wien beim Fensterputzen aus den ersten Stock fiel und verstarb, da konnte man ihr ganzes Besitztum billig aufkaufen. Alle Möbel und den ganzen Hausrat, alles konnten wir damals um 30.000,-- Schilling haben, bis hin zum Kaffeehäferl und Suppenlöffel. Ein komplett eingerichteter Haushalt zu einem recht angemessenen Preis. Wunderschöne Schlafzimmer- und Esszimmermöbel im Jugendstil, ach, einfach alles, was sich so ein junges Paar nur wünschen konnte. Aber das Geld war halt nicht vorhanden. Woher auch. Mein Gehalt im technischen Büro der Elin Union betrug damals 850,-- Schillinge im Monat, mein zukünftiger Ehemann machte gerade sein Pflichtjahr nach Abschluss des Studiums als Jurist, bei Gericht und verdiente ganze 1.500,-- Schilling. Kann man sich heute solche Summen noch vorstellen? Aber wir waren stolz und glücklich überhaupt eine feste Anstellung zu haben und soo viel Geld zu verdienen. Also sprang mein Vater mit einer Bürgschaft bei der Bank ein und wir konnten uns diese 30.000,-- Schillinge aufnehmen und meinem Vater dann im Laufe von zwei Jahren in Raten zurückzahlen. Also wurde schnell, schnell geheiratet, weil jetzt hatten wir alles, was unser Herz begehrte und wozu dann noch warten? Eine einfache Zweizimmerwohnung fanden wir in Wilhering in einem Bauernhof und dort starteten wir unsere neue Familie. Ganz klar, dass mein Vater mit vielen dieser meiner Entscheidungen leider nicht einverstanden war, und heute, rückblickend, da hat er in so Vielem recht gehabt, dass ich mich schäme nicht mehr auf ihn gehört zu haben. Aber wie gesagt, er liebte auch mich über alles und wollte mich nur glücklich sehen, wieder einmal... wies bei ihm da drinn aussieht, geht niemand was an... schade, dass auch ich ihm da so meine Sorgen gemacht habe.
Wir waren ein sehr sportliches Paar, sind viel in den Bergen gewandert und geklettert, im Winter Schigefahren. Gleich bei einem der ersten gemeinsamen Bergwochenenden, da hatten wir einen schlimmen Unfall, das heisst, der Bertl ist beim Klettern am Sandling, auf einer sogenannten „Dreiertour“ aus der Wand gefallen. Wir waren beide nur mit einem Seil aneinander gebunden und sicherten uns gegenseitig. Ich sass da auf einem Felsen, hatte das Seil fest um den Rücken und in den Händen, einige lose Schlingen lagen vor meinen Beinen und der Bertl kletterte rechts über mir durch die Felsen. Da gabs einen Aufschrei, einen Rumpler, als einige Felsbrocken an mir vorbeiflogen und dann flog auch er schon rechts an mir vorbei, die losen Schlingen des Seiles vor meinen Beinen wurden abgespulte, eine um die andere verschwand unter mir in der Felswand. Fest hielt ich das Seil mit beiden Händen um es abzubremsen, verbrannte mir dabei Haut und Fleisch bis auf die Knochen, dann gab es aber einen Ruck und endlich lag das Seil vor mir stille. Ich hatte mich fest mit den Beinen an einen Felsen gestemmt, den Rücken an die Felswand hinter mir gepresst und wartet eigentlich nur mehr darauf, im hohen Bogen selber aus der Wand zu fliegen. Irgendwie logisch erschien mir das, wenn das Seil vor mir aus war, und er keinen Halt finden konnte, dann war ich die Nächste, die zum Fliegen kam. Aber der liebe Gotte hatte ein Einsehen mit uns. Einige Meter unter mir, da fand der Bertl mit seinen Beinen ein Halt auf einem schmalen Felsenband und kam zum Stillstand. Ich schrie und rief ihn an, aber ausser ein paar tiefen Urlauten und einem Gestöhne kam keine Antwort. Was tun? Das war nun die grosse Frage. Mich abhängen und hinunter klettern um zu sehen, wo er war, wie er überlebte, ob er noch lebte, oder einfach sitzen bleiben, fest, fest das Seil umklammern und hoffen, dass er in seiner Ohnmacht nicht noch einmal abrutschte und weiter hinunter fiel. Ich entschied mich dann zum Abseilen aber Sitzenbleiben, denn es war für mich eigentlich die erste richtige Kletterpartie, ich bin immer nur dorthin gegangen, wo ich gerade auf zwei Beinen hingehen konnte. Was wusste ich, wie es da unter mir aussah, der Blick war mir von Felsvorsprüngen und Latschensträuchern total genommen. Wir sind zwar diese Route hier heraufgekommen, aber hinunter schauts vielleicht doch ganz anders aus. Und dann kam das Glück nochmals zu Hilfe. Auf der nahe gelegenen Lambacher Hütte befand sich eine Gruppe von jungen Burschen aus Lambach, die selber zum Klettern hierher gekommen waren. Nun schrie ich halt meine Seele aus dem Leibe, schrie um Hilfe, Hilfe, Hilfe, wie noch nie in meinem Leben und Gott sei Dank hörten sie mich dann auch. Schnell schnappten sie sich ihre Seile und einen sogenannten „Akija“ mit dem man Verletzte aus den Bergen abtransportierte. Dieser Akija war ein recht praktisches Stück, er bestand aus einer Blech- oder Aluminiumwanne mit festen Haltegriffen an beiden Enden und einem grossen Rad darunter, um stellenweise damit auch zu fahren, falls es das Gelände erlaubt. Im Winter stellen sich zwei Menschen mit Schiern vor und hinter diesem Schlitten auf und fahren den Verletzten ins Tal. Im Sommer, da wird die Bahre von zwei starken Männern die steilen Wandersteige hinuntergetragen. So kletterten unsere Retter den Dreiersteig nach und waren so nach 2 Stunden dann endlich bei mir, mir hat es aber eine Ewigkeit gedauert. Immer wieder habe ich versucht mit dem Bertl Verbindung aufzunehmen, aber er war halt überhaupt nicht ansprechbar und ich konnte wirklich nur beten und hoffen, dass er sich wenigstens ruhig verhält und nicht weiter abstürzt. Sie haben ihn dann an einige Seile gebunden, seinen verletzten Kopf und Arm verbunden und langsam den Berghang hinunter gelassen, während einer der Burschen meine Hände verband und wir beide dann langsam hinaus querten aus der Wand und auf dem Normalsteig ins Tal gingen. Nur ein Bündel zitternder Nerven mit unbrauchbaren Händen so kam ich dann bei der Lambacher Hütte an. Den Bertl haben sie auf dem Akija geladen und sind über die Alm nach Lupitsch und von dort dann auf die Strasse und mit dem Rettungswagen wurde er nach Bad Ischl ins Krankenhaus gebracht. Mich wollten sie nicht dabei haben, es wäre auch für sie die erste Übung einer Bergrettung, sie müssten sich darauf voll konzentrieren und ich würde sie womöglich nur behindern. Na, was soll man da sagen. Danke natürlich, vor allem danke dem Weber Christian, der sowas wie der Einsatzleiter wurde bei dieser Aufgabe, danke, dass sie sich um uns so bemühten und ich werde den Bertl schon früh genug wieder im Krankenhaus sehen. Ich blieb dann noch zwei Tage auf der Lambacher Hütte, bis ich mich nervlich einigermassen wieder beruhigt und gefangen hatte und stieg dann zusammen mit den anderen ab ins Tal und fuhr mit dem Zug nach Bad Ischl. Zürst wollte man mich nicht zu ihm lassen, denn, na ja, ausser Freunde damals waren wir noch nichts! aber da sie keinerlei wirkliche Daten von ihm hatten und auch nicht wussten wer von seiner Familie zu verständigen wäre, da hat man mich dann doch vorgelassen und mich um Auskunft gebeten. Er hatte sich zwei Sprünge im Schädel zugezogen und der Unterarm der rechten Hand war gebrochen und von einem Stein durchbohrt worden. Wahrscheinlich hat er sie zum Schutz vor seinen Kopf gehalten. Meine Hände wurden nun auch fachärztlich versorgt, sie schauten schlimm verbrannt aus und ich konnte die Finger für viele Tage nicht mehr bewegen. Da ich aber kein Fall für ein Krankenhaus war, so setzte ich mich nach vollbrachter Verpflichtungen wieder in den Zug und fuhr nach Hause nach Lambach, zu meinen Eltern, zu meinem Vater. Er vor allem war mein Trost, ihm wollte ich alles so schnell wie möglich erzählen, damit ich es von meiner Seele brachte. Und er nahm mich fest in die Arme, drückte mich, dass es uns beiden die Tränen herausdrückte und dann durfte ich erzählen. Er war ja selber in seiner Jugend ein begeisterter Bergwanderer gewesen, hat auch die eine odere andere kleine Klettertour auf der Rax oder am Schneeberg gemacht und verstand wohl als Einziger in der Familie, was ich erlebt habe. Und er liess mich reden und reden und reden, bis meine Tränen langsam versiegten, ich langsam ruhiger wurde und es um mein Herz ein wenig leichter war. Dann ging er ans Telefon und hat den Bruder vom Bertl angerufen und ihm alles erzählt und ihm auch gesagt, er solle mit den Eltern nach Bad Ischl fahren, denn bei einer Kopfverletzung wüsste man ja nie, wie sie enden würde. Mich solle man aber in den nächsten Tagen ganz in Ruhe lassen, ich müsste erst wieder zu mir selber kommen. Recht hat er ja gehabt, mein Gott so Recht, aber... das verliebte, dumme kleine Ich, das hat es nicht lange allein zu Hause ausgehalten und so bin ich schon nach drei Tagen per Auto stopp nach Bad Ischl gefahren um den Bertl im Krankenhaus zu besuchen. Es ging ihm schon besser, er war ansprechbar und es dürfte kein gröberer Schaden zurückbleiben. Da tat der Vater einen Spruch, dem ich ihn eigentlich für viele Monate übel genommen hatte. Er wollte den Bertl vor Gericht bringen und anzeigen, weil er mein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Er wäre kein so erfahrener Bergsteiger und Kletterer, wie er vorgab einer zu sein, auch wenn er in Innsbruck studiert hatte, das würde ihn noch zu keinem Fachmann in den Bergen machen und mein Leben wäre dem Vater so viel wert, dass er ihn dafür gerichtlich haftbar machen wollte, mich in eine derart grosse Gefahr gebracht zu haben, obwohl er wusste, dass ich keinerlei Kletterkenntnisse hatte. Es ging heiss her zwischen meinem Vater und mir, ich verstand diese Reaktion ja überhaupt nicht, ich war nur zu tiefst froh und dankbar, dass wir das alles heil überstanden hatten, ich wollte diesen Mann doch heiraten und eine Familie mit ihm gründen, wie konnte ich das, wenn mein eigener Vater ihn vor Gericht schleppt. Weder meine Mutter noch meine Großmutter konnten den Vater umstimmen, sie mischten sich auch nicht wirklich ein und von der Großmutter ahnte ich, dass sie mit meinem Vater total der gleichen Meinung war, aber ich stellte mich zum ersten Mal so richtig auf, machte mich gross und stark mit meinen kleinen 1.56 m und zeigte meinem Vater die Zähne. Was mir heute natürlich in tiefster, tiefster Seele leid tut, denn er hatte Recht, wenn ich damals gewusst hätte was ich heute weiss, ich wäre vielleicht auch gerannt, gerannt weiter als ich nach Hause hatte. Aber wie gesagt, die Liebe macht oft nicht nur blind, auch blöd und so konnte ich also bald nur versuchen mit Engelszungen meinen Vater umzustimmen, denn das „Schädelzeigen“, das hat nichts geholfen. Die Taktik musste geändert werden. Es ging nicht um Geld oder so, es ging dem Vater einfach darum, dass er diesem „Fuchsigen“ zeigen wollte, dass man mit seiner Tochter nicht so leichtfertig in die Berge rennen kann und sie in Gefahr bringen. Ich war ja noch minderjährig zu dieser Zeit und daher stand es wohl wirklich meinem Vater zu, sich um meine Rechte anzunehmen. Ich wollte aber nur Frieden in der Familie, mir war es wirklich wahnsinnig peinlich und unangenehm, dass ich plötzlich nicht mehr so ein inniges Verhältnis zu meinem Vater haben sollte. Er war mir damals noch viel wichtiger als der Bertl, aber ich wollte trotzdem diesen Mann auch nicht verlieren. Ich glaube es war die Großmutter, die dann mit dem Vater ein ernstes Wort redete und ihn überzeugen konnte, dass es wohl nicht sehr sinnvoll wäre, wenn die Familie in Streit läge. Er solle auch dankbar sein, dass mir nichts zugestossen war und sich langsam mit diesem neuen Schwiegersohn abfinden, ob er ihn nun mag oder nicht. Und mir ging dann irgendwann auch ein wirkliches Licht auf, ein Riesenscheinwerfer, der mir klar machte, warum mein Vater so derartig aggresiv reagierte. Hier kamen seine Albträume, seine Erinnerungen aus dem Krieg wieder hoch. An die vielen Kameraden, die er da draussen sterben hat gesehen, die zerschossen und verstümmelt auf dem Schlachtfeld – welch ein grausames Wort das eigentlich ist, es schnürt einem den Hals zu und der Magen dreht sich um – aber es wurde Schlachtfeld genannt, oder auch der Ausspruch „Ein Schlachten wars nicht eine Schlacht zu nennen“, da sieht man das Blut ja überall herausrinnen, dass es einem nur so graust. Da draussen hat er viele seine Kameraden verloren, da draussen lag er selber schwerst verletzt und hat auf Rettung gehofft und diese Gott sei Dank auch bekommen. So konnte er also absolut nicht verstehen, dass man aus Dummheit und Übermut und Unverstand sein eigenes Leben beim Herumkraxeln in den Bergen aufs Spiel setzen konnte. Ein Leben, das so wertvoll ist, das aber auch mit einem Augenzwinker vorbei sein kann. Das musste ich nun auch erst in mir verarbeiten und konnte ihn dann natürlich besser verstehen und hatte endlich Mitleid mit ihm und seinen Reaktionen. Er wollte mir ja nur Gutes und er zeigte es eben auf seine Weise. Mein Gott, wie viele Menschen damals in diesem Krieg ihr Leben verloren hatten, das kann man aus einigen Statistiken entnehmen, kann es aber doch gar nicht wirklich glauben. Im Russlandkrieg waren es die meisten, 19.680.000 Soldaten und 19.600.000 Zivilisten, in Deutschland starben auch mehr Zivilisten nämlich 3.800.000, als Soldaten da warens 3.250.000 und dann die Polen, da starben auch mehr Zivilisten als Soldaten 5.500.000 Zivilisten und „nur“ 100.000 Soldaten. Diese Zahlen gehen quer durch ganz Europa und in den Norden von Afrika, es war wirklich ein Wahnsinnskrieg und wenn man die ausländischen Soldaten aus Amerika, Kanada und Japan auch noch dazurechnet, dann war es ein Massensterben ohne Ende. Heute, wo ich seit 25 Jahren in Kanada, also am Amerikanischen Kontinent lebe und vor allem amerikanische Nachrichtensender schaue im Fernsehen, da denke ich vielleicht mehr als in Österreich an die vielen freiwilligen Soldaten, die nach Europa kamen, für uns kämpften, auch ihr Leben liessen um uns von Hitler zu befreien. Sie waren die Siegermacht schlechthin, die ganze Welt hat ihnen zugejubelt und in den Köpfen sehr vieler dieser alten Generäle sitzt, so scheint mir immer noch der Gedanke, dass sie eine Siegermacht sind und bleiben, obwohl all ihre neuesten Einsätze, sei es im Irak oder in Afghanistan total „in die Hose“ gegangen sind und man sie dort hasst und hinterrücks ermordet mit neuesten Terroranschlägen, die es in Europa damals nicht gab. Hier müsste dringend auch ein Umdenken statt finden, aber... das grosse Aber ist, dass auch der Amerikaner ständig an neuen Waffen bastelt und diese zum Einsatz bringen und ausprobieren will und wenn es irgendwo brennt auf der Welt, dann schreit die UN und die NATO gleich, der Ami muss hin und eingreifen. Warum müssen denn die Ami immer die Suppe auslöffeln, die andere einbrocken und versalzen haben? Das jedoch ist mein eigenes, anderes Denken durch meinen Aufenthalt hier in Kanada. Damals jedoch, da musste ich schnell „die Kurve“ wieder kriegen und mich mit meinem Vater versöhnen. Ich hatte ja keine Ahnung von den Gräültaten, die er durchlebte, von denen er halt auch nie erzählte, aber in solchen Situationen, da kamen sie eben wieder hoch, da musste man viel Verständnis mit ihm haben. Auch war ich ihm in den letzten Jahren zur „hauseigenen Krankenschwester“ geworden. Ich hab ihm seine Injektionen gegen die Zuckerkrankheit gegeben, bin nächtelang mit ihm wach gewesen, wenn er vor Schmerzen in dem gelähmten Bein nicht schlafen konnte. Habe dieses Bein massiert, mit Kneipp Anwendungen wie abwechselnd heisse und kalte Fussbäder versucht die Durchblutung wieder in Schwung zu bringen, das hat dann den Schmerz doch erleichtert. Diese nächtlichen Stunden in denen wir viel über die Vergangenheit und Zukunft geredet hatten, die haben uns besonders eng zusammen geschweisst, daher konnte ich seinen Unmut ja nur zu gut verstehen, aber, aber ich war halt auch sooooooo verliebt!
Meine Mutter war ganz im Gegenteil von Bertl ziemlich eingenommen, hatte er doch einen Doktortitel und sowas war schon was Wichtiges für meine Mutter. Ihre Tochter, die Frau von einem Doktor. Pfeiff was drauf, würde ich heute sagen... wie es da drinnen aussieht, das ist wichtig... und da hatte der Vater wieder Recht und wie.
Also hatten sich nach einigen Monaten dann die Wellen wieder gelegt, der Bertl lag drei Wochen in Bad Ischl im Krankenhaus und jeden Tag bin ich per Auto Stopp zu ihm hineingefahren um ihn zu besuchen. Das war schon Verliebtheit! Geld für eine tägliche Zugfahrt das hätte ich nicht aufbringen können, aber Auto stoppen war damals gross in Mode und nicht gefährlich und bald schon bleiben immer die gleichen Fahrer stehen, die eine berufliche Fahrt zwischen Lambach und dem Salzkammergut hatten und fragten mich über den Gesundheitszustand meines Freundes aus. Mit meinen weiss verbundenen Händen stand ich da armseelig am Strassenrand und winkte, da musste ich nie lange warten bis jemand anhielt und schon bald waren wir im Gespräch über den Bergunfall und im Nu war ich in Bad Ischl zu Besuch. Meine Hände heilten nicht so gut, weil ich ihnen halt auch zu wenige Ruhe gab und die Finger blieben lange Zeit trotz Übungen ziemlich steif, sodass ich schon fürchtete mir einen anderen Beruf suchen zu müssen, denn meine Hände waren das Wichtigste im Büro beim Maschineschreiben. Flott mussten die Finger über die Tasten huschen und davon war längere Zeit keine Rede, was mich sehr ungeduldig und verzweifelt machte. Also nahm ich für einige Zeit die Telefonzentrale der Firma in meine Hand, aber irgendwann, dann konnte ich wieder arbeiten wie vorher. Und dann starb die Grosstante, dann wurden die Möbel gekauft und die junge Familie Schütz gegründet. Vier Kinder wurden in rascher Reihenfolge geboren. Eines besser und schöner und lieber als das andere.Sie sind der grösste Schatz in meinem Leben! Ich war eine liebevolle, so glaube ich wenigstens, Mutter und habe 20 Jahre meines Lebens nur der Familie gewidmet. 23 Jahre war ich verheiratet und wir hatten ein riesiges Haus gebaut, in das ich all mein Herzblut und meine Kräfte hineinsteckte. Wenn der Mann und die Kinder aus dem Haus waren, in Arbeit und Schule, dann hab ich mich auf das Fahrrad gesetzt und bin auf die Baustelle gefahren und habe jeden Tag den der liebe Gott hat werden lassen, fest an diesem neuen Zuhause gebaut, habe die Leitungen für Strom und Wasser gestemmt, wenn diese dann verlegt waren, habe ich tagelang diese wieder mit Mörtel zugeschmiert, habe die Fliesenböden verlegt und verfugt, etliche 100 m2, bin stundenlange an der Mischmaschine gestanden und hab den Maurern gemischt, was sie gerade brauchten. Rollschotter für den Kellerboden, Grobmörtel zum Vorspritzen, Feinmörtel für das Verputzen und einen besonders guten Mörtel dann zum Schluss zum Verreiben. Ein richtiger Fachmann bin ich unter der Anleitung des Franz, der Baupoliers geworden, hab alle mit Essen versorgt, die ganze Maurerpartie und die grosse Familie. Tagelang, wochenlang, monatelang... Aber es war scheints doch alles zu wenig für diesen „Fuchsigen“ wie ich ihn heute selber nenne. Meine Gesundheit hat gelitten, die Beziehung aber noch mehr, wie ich später dann mit Schrecken erfahren musste. Es gab für mich nichts Schöneres, als meine Kinder heranwachsen zu sehen, ihnen zu helfen als gute, frohe, starke Menschen ins Leben zu gehen, immer für sie da zu sein und an einem neuen, grösseren Zuhause zu arbeiten, wo wir alle als grosse Familie glücklich leben konnten. Vielleicht war ich eine zu gute Mutter und bin zu wenig „Frau“ geworden, aber das glaube ich eigentlich nicht, auf jeden Fall war ich nicht so gut verheiratet wie ich immer meinte, denn eines Tages wurde ich damit konfrontiert, dass mein Mann sich eine Neue, eine Junge angelacht hat und die Scheidung wollte. Drei Jahre habe ich versucht mich dagegen zu wehren und hatte gehofft, dass wir, also die Kinder und ich, ihn doch noch umstimmen könnten und er mehr Familienmensch wäre als ans Tageslicht kam. Was wir nicht wussten war, dass die Andere schon schwanger war, sie sich einen Doktor in den Kopf gesetzt hatte und diesen nun nicht mehr auslassen wollte. Da ist man dann als langjährige, „alte“ Ehefrau einfach machtlos und irgendwann hab ich dann eingestimmt in die Scheidung, trotz Protest und einem gebrochenen Herzen. Also hat mein Vater wirklich recht gehabt mit seiner Aussage „Der Fuchsige, der wird dir das Leben noch zur Hölle machen“, aber da gab es ihn schon nicht mehr, den geliebten Vater, da konnte ich dann mit meiner Trauer, meinem Unverständnis, meiner Wut und Enttäuschung nicht mehr zu ihm rennen. Und wie er mir fehlte in diesen Wochen und Monaten, das kann ich gar nicht beschreiben. Nie wäre ich zu meiner Mutter gerannt und hätte mich über die kaputte Ehe beklagt, der Vater, der heissgeliebte Vater, der mich innen und aussen verstand wie kein zweiter Mensch auf dieser Welt, er wäre meine Stütze gewesen, ihm hätte ich mich anvertrauen können, aber er hats ja vom Himmel aus gesehen und mich auf seine Weise unterstützt und stark gemacht, dass auch diese Zeit vorüberging. Unsere gemeinsame Zeit war ja auch leider gar nicht so lange, wenn ich so nachrechne. Ich war sieben Jahre alt, als er endlich aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, das war 1951 und im Jahre 1967, also nach nur 16 gemeinsamen Jahren, drei davon war ich schon verheiratet und nicht mehr täglich mit ihm zusammen, habe ich ihn wieder verloren.
Ich liege meinen Kindern nun schon über 45 Jahren mit meinen „guten Ratschlägen“ in den Ohren... und hoffentlich noch viele Jahre länger!
Aber er hat mein Leben geprägt wie niemand anderer, er war mein Vorbild, mein Felsen, mein Halt und mein Lehrmeister in vielen Dingen des Lebens, die man in der Schule nicht lernt.
Ich vermisse ihn heute immer noch. Ich denke jeden Tag an ihn und er wurde zu meinem Schutzengel in allen kritischen Lagen meines Lebens und er hat mir oft schon aus den schlimmsten Situationen geholfen. Immer wenns gefährlich, besonders gefährlich wird, beim Autofahren oder Jagen oder Fliegen, da ruf ich ihn an, da oben im Himmel und sag ihm, dass ich jetzt seine Hilfe ganz besonders brauche, und sie kommt auch, darauf kann ich mich verlassen. Und wenn die Kinder oder Enkelkinder in der weiten Welt unterwegs sind, dann gebe ich ihn „frei“ und schicke ihn mit ihnen, damit er in dieser Zeit auf sie aufpassen kann und ihnen hilft, wenn Not am Manne ist. Ja, er hat da oben nicht vergessen auf mich...
Darum, meine lieben Kinder, Enkel und Urenkel, vergesst auch ihr ihn nicht, meinen Vater, Euren Großvater und UrGroßvater, er hat es sich verdient, dass wir alle, aber auch alle, hin und wieder an ihn denken. Ich tue es jeden Tag, denn er war schon ein sehr gescheiter, ein intelligenter und sehr weiser Mann, mein Vater, der Hansl Zott, der Nazi, der nie einer Fliege was zu leide getan hat.
Ich bin stolz darauf, dass sein Blut in meinen Adern fliesst. Danke!
In eigener Sache
Hans Kruppa
Ich nehme mein Leben
In die Hand.
Leicht ist es
Und gut zu fühlen.
Zeit gilt nicht,
wenn alles lauscht
und nur der Atem geht
wie sanfter Wind durchs Gras.
Ich schaue hoch.
Wer bin ich,
ist nicht zu sagen;
ich mache mir
keinen Vers auf mich;
kein Wort ist so grün
wie die Blätter der Bäume.
Ich bleibe auf dem Teppich
Meiner Möglichkeiten
Und hoffe,
dass er fliegen lernt.