1. Kapitel: Die Fahrt
Die Wimpel und Signalflaggen an den Rahen des Vormastes wehten
knatternd in der leichten Brise. Die See lag ausnehmend ruhig und
glatt da, nur leichter Dunst schränkte die optische
Sichtweite etwas ein.
Von den zwei Radargeräten rotierte der eine Reflektor, mit
gleichmäßiger Hast sandte er seine Strahlenbündel
nach unsichtbaren Objekten aus. Man konnte die Offiziere hinter
den Glasscheiben der Kapitänsbrücke erkennen; einer nahm
gerade ein Fernglas zur Hand und suchte damit prüfend den
Horizont ab. Hier auf dem Vorschiff fand er es einfach herrlich an
die Reling gelehnt in die See zu schauen.
Der Bug der "M/S Flamingo" hob und senkte sich leicht und rief
vorläufig ein angenehmes Körpergefühl hervor.
Überall hatten sich Gruppen von Auswanderern gebildet, noch
in Mantel und Schal eingewickelt, denn es war Februar und sie
fuhren die italienische Küste entlang.
Im Mittelmeer wird es wohl wärmer werden, dachte Willi und
löste die Hände von der Schutzwehr, die er fest
umklammert gehalten hatte, da der an der Seitenwand des Schiffes
aufgestaute Wind vehement über die Brüstung hinwegtobte.
Er wanderte zum Promenadendeck und lachte plötzlich hellauf,
als er eine Frau bemerkte, die eine Orangenschale auf der Luvseite
ins Wasser werfen wollte. Sie blickte so verdutzt drein, als die
Reste in hohen Bogen über sie hinweg im Lee verschwanden.
Höger stieg über die vielen eisernen Treppen in seine
Kabine hinunter. Der Dampfer fing nun zu stampfen an und er fand
es höchst ungewohnt, über sich neigende Treppen und
durch rollende Gänge zu gehen. Ein Glück, daß
überall Geländer angebracht sind, dachte schmunzelnd.
Numero XII. Aha, der Schlüssel steckte, also war jemand
drinnen. Die Jungens hatten ausgemacht, immer für eine
versperrte Kabine zu sorgen, wenn niemand anwesend war. Man konnte
ja nie wissen, bei den vielen Italienern. Und außerdem
machten auch nicht alle Landsleute einen übermäßig
vertrauenerweckenden Eindruck.
Wenn mir schon etwas gestohlen würde das Wichtigste trage ich
hier, dachte Willi und griff sich an den Bauch, wo er die
Leinentasche, die seine Mutter vorsorglich für ihn fabriziert
hatte, mit einem langen Band um den Hals gehängt trug. Hier
drin befanden sich alle seine Dokumente und Zeugnisse.
Gleich neben der Tür war seine Schlafkoje der untere Teil
eines Stockbettes. Die 16 Mann die hier drinnen untergebracht
waren, hatten ihre besten Kleidungsstücke fürsorglich
zwischen und vor den Bettgestellen aufgehängt. Das Tageslicht
drang nur gedämpft durch das einzige kleine Bullauge in den
Raum. Manchmal wurde es für Augenblicke ganz dunkel, wenn
eine höhere Welle den Schiffskörper entlanglief und das
grüne Wasser rauschend und quirlend an dem Glas
vorbeizischte.
Die Schiffsbewegungen nahmen jetzt immer mehr zu; ihre
Anzüge, mit Kleiderhaken an den Stahlträgern,
Ventilationsschächten oder Wasserleitungsrohren
aufgehängt, schwankten rhythmisch hin und her. Im Zwielicht
der engen Kabine gab dies ein irgendwie makaberes Schauspiel ab.
Der junge Mann schaltete das elektrische Licht an, nun erst
bemerkte er, daß einige der Schlafstellen belegt waren. Die
Burschen aus den oberen Liegeflächen hatten ihre Schuhe
ausgezogen und fein säuberlich ausgerichtet am Boden
abgestellt. Je zwei Personen teilten sich einen Stahlschrank, und
das war's denn auch schon.
Mit Bewegungen mußte man hier drinnen sparsam umgehen, bald
hatte jeder herausgefunden, wie er seine Habseligkeiten am besten
verstaute ohne den Nachbarn ungebührlich zu
belästigen.
Da Karl Holzner, den er vom Auffanglager in Salzburg kannte,
denselben Anfangsbuchstaben wie er aufwies, lagen sie mehr oder
wenig zufällig in derselben Kabine. Durch den engen Gang
zwischen den Betten getrennt lag neben Willi der Koloß eines
jungen Mannes, ein 21jähriger Dreher, bei dem manchmal die
Barabermanieren durchschlugen. Doch Willi unterhielt sich gerne
mit ihm, da er bereits ein schönes Stückchen von der
Welt gesehen hatte, so unter anderem Italien und Frankreich. Das
ergab viele gemeinsame Berührungspunkte, abgesehen davon
waren die Burschen seiner Kabine bald dahinter gekommen, daß
Willi Höger einigermaßen Englisch beherrschte, was ihn
wegen der Englischlektionen doppelt interessant erscheinen
ließ.
Oberhalb von ihm lag Achmed, wie sein Spitzname hier lautete. Der
zittrige Mann von etwa 28 Jahren, leicht hysterisch und furchtbar
jähzornig, glich einer der ausgemergelten Gestalten, die sie
für Ägypter hielten. Als man ihn einmal als
"erbarmungswürdiges Opfer der Onanie" bezeichnete, ging er
mit gezücktem Messer auf seine Peiniger los. Nur mit
Mühe konnte ein größeres Unglück verhindert
werden, seit damals hielt man sich mit solch groben Scherzen
zurück.
Es befanden sich auch einige Abkömmlinge der wilden,
freiheitsliebenden Tiroler in ihrer Menagerie, meist nette und
kerngesunde Männer wie Hermann, der öfters auf der
Gitarre klimperte, wobei häufig die ganze Kabinenbesatzung
mitsang.
Aber es steckten noch mehr musikalische Talenten unter ihnen, wie
sie alle bald zu ihrem Leidwesen merkten. Gitarre und
Mundharmonikas galten als vergleichsweise harmlose Instrumente,
selbst in der Mittagspause, wenn alles erschöpft auf den
Matratzen schlummerte, ließ man damit noch ein
gedämpftes Üben zu. Aber als es einem Tiroler mit einem
vollkommen fehlplazierten Trachtenkäppi einfiel in der Kabine
Trompete zu üben, das ging denn doch über die
Hutschnur.
"Raus du Idiot, blas am Scheißhaus! Oder mach' das Bullauge
auf und steck die Trompete raus! Oder noch besser, laß sie
gleich rausplumpsen!" schimpften alle wütend durcheinander.
Nun, der junge Mann war hartnäckig: so quollen denn
gräßlich langgezogene Trompetenstöße durch
die winzige kreisrunde Öffnung aufs Meer hinaus. Allerdings
konnte er seine Übungsstunden nur mehr bei ruhigem Seegang
abhalten, denn das Bullauge lag kaum eineinhalb Meter von der
Wasserlinie entfernt. In einer der vielen Mußestunden
schätzte Willi die Wahrscheinlichkeit des Übens mit der
Trompete, die ja von vielen Faktoren abhing, welche er
mathematisch zu erfassen versuchte.
So stellte das enge Zusammenleben immer neue Belastungsproben an
jeden einzelnen, doch noch waren auch die Schwierigkeiten neu und
ungewohnt, und jeder fügte sich willig so gut es eben
ging.
Willi Höger ruhte am Bett, um diese Zeit dösten immer
einige so dahin. Die Betteinsätze, die Kleider und selbst die
nackten Stahlwände vibrierten im Takt der Motorenumdrehung.
Langsam fiel ihm das auf die Nerven. Bin neugierig, ob ich
seekrank werde, überlegte Willi. Einige hatte es bereits
erwischt. Gerade beim Englischstudium war Erwin, der
Textiltechniker, wortlos aufgestanden und ein Deck tiefer
gelaufen. Als man ihn scheinheilig fragte, was denn mit ihm los
sei, meinte er nur kurz angebunden: "Gschbiem hab i, was denn
sunst?"
Angeblich waren heute Delphine zu sehen gewesen, schade, daß
er sie verpaßt hatte. Der Gedankenfluß drohte stille
zu stehen, da fiel ihm Lilly ein: Sie ist doch ein recht nettes
Mädchen. Aber drei Jahre sind ein langer Zeitraum für
eine Trennung. Irgendeiner wird sich finden, der ihr
Anlehnungsbedürfnis ausnützen wird... Und nach einer
Weile überlegte er pragmatisch: Auf jeden Fall vertreibe ich
mir mit diesen Gedanken die Langeweile, wenn sie schon sonst zu
nichts Nutze sind.
In der Lautsprecheranlage knackte es und dann ertönten drei
Gongschläge: "Attentione! Attentione! Tutti passageri..."
Gong."...Sämtliche Passagiere des ersten Abendessens, bitte
in die Messe kommen, es wird angerichtet!" Gottseidank, dachte
Willi, es ist wieder einmal so weit. Wenn diese Abwechslung nicht
wäre! Wie jedesmal vor Essenbeginn erklang auch nun der
sentimentale Schlager "Love is a Many-Splendored Thing" laut
dröhnend und reichlich verzerrt aus den Bordlautsprechern.
Sie hörten ihn mindestens dreimal am Tag offensichtlich die
Lieblingsmelodie des Plattenjockeys. Oder sollte die Schnulze nur
auf die geheimnisvollen Wanderungen zwischen den Frauenkabinen und
den Offizierskajüten hinweisen, die sich jetzt
nächtlicherweile ereigneten? Jedenfalls wirkte die Melodie
verdächtig animierend, wie sich aus dem steigendem
Liebesbedürfnis der Frauen an Bord schließen
ließ.
Bei Tisch unterhielt man sich über die bevorstehende Landung
in Messina. "Hoffentlich läßt man uns an Land", meinte
der Bäckergeselle neben Willi. "Ja freilich, damit ihr
möglichst schnell noch einmal ins Puff kommt, nicht wahr?"
ertönte ungeniert der Baß des "Gangsterbosses" von
vis-à-vis. "Aber Kurti! Sei doch nicht so ordinär!"
getraute sich dessen blonde Gattin schüchtern einzuwenden.
Über sein ganzes gutmütiges Jungengesicht grinsend, warf
"Unser Bäckergeselle", wie ihn die Tischrunde nannte,
hinterlistig hin: "Sie verspüren wohl einen ziemlichen Neid,
daß Sie da nicht mehr mitmachen dürfen, was?" Karl
Holzner, der neben dem Ehepaar saß, versuchte das
Gespräch rasch in andere Bahnen zu lenken und animierte zu
einer Besichtigung des Maschinenraumes, worauf sich die ganze
Gesellschaft eifrig an der Diskussion über die technischen
Feinheiten des Schiffes beteiligte. Dazwischen eilten Stewards mit
dampfenden Schüsseln herbei, und man versuchte sie zum
Austeilen von Extraportionen zu bewegen, die Seeluft regte den
Appetit mächtig an. "Scusi, signore, nix extra!" radebrechte
der Speisesaal-Steward und eilte wieder davon. Der
glatzköpfige "Gangsterboß" Kurti warf ihm einen
dreckigen Fluch auf italienisch nach und begann ein röhrendes
Gelächter als er merkte, daß der Mann verstanden hatte.
So laut und so anmaßend, daß die Leute vom Nebentisch
die Köpfe hoben. "Aber Kurti!" Seine Frau blickte ihn nur
flehentlich von der Seite her an. Aus Meiers mächtigen
Körper bellte es schon wieder heraus: "Wißt ihr,
daß das Schiff täglich um die 65 Tonnen an Gewicht
verliert? Ganz enorm, was?" Er warf den Kopf in den Nacken
zurück, sodaß seine brutale Mundpartie noch besser zur
Geltung kam. Technische Daten flossen nur so über seine
Lippen, gespickt mit Kraftausdrücken, wie "da sagte der
Idiot" oder "Mensch, das ist doch Scheiße" und so weiter.
Kurti war nicht mehr zu stoppen, mit weitausholenden Gebärden
unterstrich er jede seiner Behauptungen. Er kannte sich auf jedem
Gebiet aus, und zwar ganz genau, wie er meinte. Als man ihm
später einen Fehler nachwies, verließ das Ehepaar
beleidigt und außergewöhnlich früh den Tisch.
"Großmaul", brummte einer hinterher, "glaubt, er weiß
immer alles am besten!"
Von da an wurde Kurti Meier insgeheim Großmaul genannt, und
dabei blieb es.
* * *
"An Bord alles wohl" traf nicht mehr ganz zu. Sie befanden sich
zwar erst seit zwei Tagen auf hoher See, aber es gab keinen, der
nicht über Kopfschmerzen, Magendrücken oder sonstige
Beschwerden klagte. In der Kabine waren alle vollzählig
vertreten, äußerst früh herrschte Nachtruhe, denn
man wollte für den Landurlaub in Messina gut ausgeruht sein.
Den ganzen Tag waren sie unermüdlich auf den Beinen gewesen,
die Flamingo von oben bis unten durchstreifend und in der
Zwischenzeit lehnten sie an der Reling, um zur italienischen
Küste hinüberzublicken, wo kleine Städtchen an
ausgetrockneten Flußläufen zu sehen waren, über
die sich moderne Betonbrücken spannten.
Der junge Willi Höger hatte schon mehrere Tage nicht mehr auf
das Ohrgeräusch geachtet, das ihm so zu schaffen machte, es
hatte zuviel zu tun gegeben.
Nun lag er in dem abgedunkelten Raum wach, der nur von einer
blauen Lampe notdürftig beleuchtet wurde. Ein Gefühl der
Verlassenheit und Verzweiflung über sein chronisches Leiden
hielt ihn stundenlang in den Krallen, bis er endlich
erschöpft in den Schlaf versank. Nachts wachte er einigemale
auf, nichts war zu hören wie das Röcheln und ziehende
Schnaufen seiner Schicksalsgefährten, das Glucksen des
vorbeirauschenden Kielwassers und das leise Knistern der
Stahlwände.
Das Wissen, daß das Niveau ihrer Kabine unter der
Wasserlinie lag, beunruhigte sein empfindliches Gemüt im
Unterbewußtsein. Es riß ihn entsetzt hoch, als er
träumte, daß die See hereinschäumte und ihm, der
am Bauch lag, bereits beim Mund hineinfloß. Bis zur
Morgendämmerung wälzte er sich unruhig auf seinem Lager
herum, kleidete sich dann an und rasierte sich, bevor die anderen
erwachten. Er haßte diesen morgendlichen Kampf ums
Waschbecken, wenn die bärtigen, unrasierten Männer
bereits ungeduldig warteten bevor er den Rasierpinsel
einfeuchtete. So waren die Waschräume vor dem
Frühstück dauernd besetzt, sperrte man doch später
die Wasserabgabe vollständig, da der Kahn über keine
Destillationsanlage verfügte.
An Deck stolperte man gegenseitig über die Beine und die
Kabinen boten wegen der furchtbaren Enge und Hitze keinen
Aufenthalt auf Dauer. Wie lange sollte die Fahrt dauern, dreissig
Tage? Entsetzlich, nicht auszudenken, war doch heute erst der
dritte Tag.
Und nun kamen weitere 250 Personen aufs Schiff, noch dazu
Sizilianer! Nein, über die Triestiner durfte man sich
wirklich nicht beklagen, die unterschieden sich von den
Österreichern überhaupt nicht, alles nette Kerle. Er
trat aus dem Strahl der Dusche und trocknete sich ab, schloß
seine Utensilien in einen Schrank und begab sich an Deck.
Die Sonne stieg eben glutrot über den flachen Horizont empor,
die Eisenplanken glitzerten vom frischem Tau, vom Osten wehte eine
steife Brise. Schäumend hörte er die Bugwellen an den
Schiffsrumpf klatschen. Dies verlockte ihn das Back-Deck zu
betreten, wo sich der Wind so richtig in der Kleidung verfing,
daß ihm das Hemd knatternd am Leibe zerrte. Ein
weißgekleideter Offizier nahm gerade das Besteck auf, alles
erstrahlte blitzsauber in den Strahlen der Morgensonne. Kein
Mensch war ansonsten auf dieser 174 m langen schwimmenden
Kleinstadt zu sehen. Wie unmittelbar nach dem Schöpfungsakt
bot sich ihm die Welt dar. Ach, für diese wenigen Augenblicke
höchsten Wohlbefindens lohnte es sich wohl zu leben! Nichts
mehr von der Bedrückung, die er in dem stickigen blauviolett
beleuchteten Loch empfunden hatte, lastete noch auf ihn.
Die Spillanker ächzten in ihren Lagern, als die armdicken
Seile am Kai befestigt wurden und die Windentrommeln die Trossen
spannten. Allmählich drehte sich der Schiffskörper mit
dem Heck längsseits zum Uferrand, wo hinter transportablen
hölzernen Absperrvorrichtungen die sizilianischen Auswanderer
im Kreise ihrer Verwandten auf die Einschiffung warteten.
Karl und Willi gingen mit gemeinsamen Bekannten den schwankenden
Steg hinunter an Land, um sogleich von Andenkenhändlern
überfallen zu werden. Sie beschlossen auf den Hügel zu
steigen, wo eine gewaltige Basilika thronte, deren Kuppel sie
schon vom Schiff aus bewundert hatten. Zu viert marschierten die
Österreicher über die staubigen Straßen und
sonnendurchglühte Gassen, umrandet mit armseligen
Steinhütten. Hunderte Augenpaare folgten ihnen, und immer
wieder versuchten ihnen malerische Straßenhändler
billige Artikel anzudrehen. Vor ihnen spazierten einige
Schüler, die sie sofort umringten, als sie deutsche Worte
hörten: "Schilling! Schilling!" bettelten sie.
Auf die erstaunte Frage, warum sie denn ausgerechnet
österreichische Münzen haben wollten, lautete die
überraschende Antwort: Als Andenken an das
österreichische Skiass, das in phänomenaler Weise im
vergangenen Winter Weltmeister geworden war. Lachend verteilten
die Burschen ihre letzten Groschen an die Jugendlichen ob ihrer
Schlagfertigkeit.
Ein italienischer Steward ersuchte sie später, für ihn
ein paar Pakete mit an Bord zu nehmen: "Per passagieri nix
verbotten!" erklärte er ihnen. Sie taten ihm gutmütig
den Gefallen und ärgerten sich nur ein klein wenig, als der
Mann dann an Bord die Schmuggelware teuer verkaufte. Jeden Tag
spürten sie mehr, daß man sie nur als das
einschätzte, was sie ja in der Tat waren: abgebrannte
Auswanderer, die nicht einmal die Schiffspassage selbst bezahlt
hatten.
* * *
Über Bordlautsprecher wurden die Passagiere aufgefordert beim
Education Officer vorzusprechen, der Englischunterricht begann.
Zwei Hilfslehrerinnen waren gefunden worden, deren eine nun ein
sogenanntes Schokoladenmädchen bei den Amis gewesen war. Die
australische Beamtin freute sich über die gute Kraft, wenn
ihr auch der amerikanische Akzent nicht ganz in den Kram
paßte. Aber Hildchen sprach ein passables Englisch, wenn sie
sich bemühte.
Am Ende des ereignisreichen Tages traf Willi das Brautpaar, das er
bereits im Sammellager als Bekannte Holzners kennen und
schätzen gelernt hatte. Rosa und ihr Verlobter wurden ihm
immer sympathischer, vor allem weil er bemerkte, wie sehr die
beiden aneinander hingen, je mehr Verbindungen in Brüche
gingen. "Hast du heute schon die Seekarte betrachtet?" erkundigte
sich Hubert Egger und erhob sich mit seiner Braut vom Sessel.
"Gehen wir rüber, sehr interessant, sag' ich dir!" Die drei
studierten die Reiseroute des Schiffes und lasen dann die
Wettermeldung:
Barometerstand: fallende Tendenz
Temperatur: 18 Grad Celsius
Windstärke: Laut Radiodurchsage ist für morgen
Windstärke 7-10 zu erwarten.
"Das kann ja heiter werden, gut daß ich noch eine Pulle
Kognak besitze!" rief Willi aus. "Kommt, laßt uns auf diesen
Schrecken einen heben!" Was sie auch taten, denn die vier hielten
bis gegen Mitternacht durch, speziell, als sich ihnen noch Karl
beigesellte. Als die beiden Burschen dann die Kabine aufsuchten,
lagen fast alle bereits in Morpheus Armen. "Hast du noch nicht
bemerkt, daß regelmäßig die gleichen zwei fehlen,
Nacht für Nacht?" erkundigte sich Willi bei seinem Kameraden.
Karl zögerte etwas: "Was, du willst doch damit nicht
ausdrücken...?"
"Nein, so war es nicht gemeint. Der schmächtige Maurer aus
Südtirol sitzt dauernd bis in die Morgenstunden oben beim
Färbeln. Aber der große, der mit dem Schnauzbart?
Möchte nur wissen was der die ganze Zeit über treibt,
ist jede Nacht auf den Beinen."
Karl bestätigte ihm: "Das ist vielleicht ein komischer Kauz.
Mir ist jedenfalls aufgefallen, daß er in den
Vormittagstunden wie ein Murmeltier schlunzt, vermutlich
säuft er mit seinen Kumpanen. Beim Mittagessen fangen sie
schon an Wein zu sammeln, da wird abgefüllt was immer
erreichbar ist. Seine Kumpel wissen, daß er in betrunkenem
Zustand eine einmalige Stimmungskanone ist, drum drängen sie
ihm das Gesöff solange auf, bis sich die erhoffte Wirkung zu
zeigen beginnt, dann wird der Mensch nämlich unheimlich
witzig. Du weißt ja vermutlich, daß er die Burschen
seine 'Mannschaft' nennt, und die Rowdys ihn 'Käpten'
rufen?"
"Ja, weiß ich, trägt auch immer so 'ne ulkige
Seeoffiziersmütze. Ist er wirklich mal Offizier gewesen?"
"Ach wo! Er war im Krieg bei der Marine, aber daß er es da
weit gebracht hat bezweifle ich..." Aus einer der Fallen
ertönte ein leiser Zwischenruf: "Aber blöd ist er nicht,
das kann ich euch sagen! Vielleicht spinnt er ein wenig, aber
hauptsächlich sind seine Kumpane an dem Dauerrausch schuld.
Da muß ja der Verstand draufgehen! Und jetzt gebt Ruhe,
meine Herren, wenn ich bitten darf!"
Der Sprecher, der lange Dreher unterhalb der Käptenskoje,
wälzte sich brummig auf die Seite, um sogleich zu
entschlummern. Ein paar Minuten später hörte Willi nur
mehr die wohlvertrauten Schiffsgeräusche und hie und da einen
Seufzer von den Schlafenden her. Er selbst konnte keinen Schlaf
finden, Stunde um Stunde verrann, wo nur Bilder aus der Heimat
vorüberzogen und vage Erinnerungen an den ersten
Australien-Filmabend: Die Städte sahen ja ganz passabel aus,
eigentlich war kein großer Unterschied gegenüber
zuhause festzustellen. Nur der Platypus! Was für ein
eigenartiges Tier. Na, wenn alles drüben so komisch
ist...
Mit einem harten Knall flog die Kabinentür auf, das gelbe
Licht der Gangbeleuchtung ergoß sich breit in den
abgedunkelten Raum: Der Käpten, total besoffen, stolperte
laut fluchend herein. Regenmantel um, Schirmmütze am Kopf,
mit der Linken eine halbvolle Pulle Rotwein umkrampfend. Hinter
ihm, wie eine Schar böser Dämonen, drängte heulend
seine Begleitung nach, zuerst der lange "Steuermann", hintendrein
der kleine verwachsene "Zweite Offizier" und dann das übrige
Gekretzel.
"Sauf, Käpten, sauf doch Mensch! Hier hast du noch eine
Flasche dazu, und voll bis zum Rand obenhin, wie du!!" Der
stockhagel Besoffene brüllte nun los: "Da wollte wohl einer
aus meiner Mannschaft aussteigen, was? Hahaaa! Hahahaaaa!" Immer
hemmungsloser fielen seine Heiterkeitsausbrüche aus, die den
Burschen in der Kabine das Mark in den Knochen erschauern
ließen. Immer dröhnender und ausgelassener fielen seine
Freunderl mit ein, das Toben nahm kein Ende mehr. Entsetzt,
wütend über die gestörte Nachtruhe, belustigt wegen
der tollen Bande, schnellten die jungen Männer aus ihren
Betten hoch. "Was ist denn los, Menschenskinder? Seid ihr
wahnsinnig geworden?" "Verduftet ihr Schweine, bevor ihr
rausfliegt!", so hallte es den Getreuen ihres Käpten von
allen Seiten entgegen.
Das geistige Oberhaupt dieser Clique lehnte da in seinen
Uniformresten, diesem abgeschabten Mantel und der verwitterten
Mütze mit der Kokarde, und stützte sich mit den
Ellenbogen an den Matratzen auf, ein Bild des Jammers.
"Wollte einer aus meiner Mannschaft aussteigen, das geht doch
nicht mitten im Mittelmeer, haha..." Das Gelächter klang nur
mehr ganz kläglich, brach schließlich ganz ab. Sein
Kopf rutschte nach vorn, sodaß die langen gewellten
Haupthaare oberhalb des hochgestellten Kragens sichtbar wurden.
"Was meint er damit 'aussteigen'?" fragte einer. "Ach, es wollte
bloß ein Betrunkener in seinem Dampf über Bord
springen!" stieß einer aus der Mannschaft hervor, und die
ganze Blase verschwand ebenso urplötzlich wie sie gekommen
waren.
Ein paar warfen sich schnell Klamotten über und eilten auf
das Promenadendeck, wo einige Männer und Frauen
herumgestikulierten und den Fall besprachen: "Hier ist es gewesen,
da wollte er sich über die Reling schwingen!" Der
ausgestreckte Arm einer Frau wies auf ein Stück der
Brüstung. Willi griff nach einem festen Halt, die
Füße drohten die Bodenhaftung zu verlieren. Bedrohlich
wuchtete das kochende Wasser hoch, zeigte im matten Schein der
Bordlampen weiße Schaumkämme die durcheinander flossen,
geifernd, sich verzehrend, als wollten sie nach den Menschen
greifen, die dort oben schaudernd hinunterblickten. Inferno, so
stell' ich mir das vor, dachte Willi. Was würde wohl
geschehen, wenn sie jetzt wirklich aussteigen müßten?
Unausdenkbar bei dem hohen Wellengang!
Er schüttelte leicht die Schultern und wandte sich ab, um
wiederum in die sichere Hülle des Schiffes hinunterzusteigen.
Der starke Seegang verursachte ihm ernste Schwierigkeiten. Wie
wird es erst morgen aussehen, wenn tatsächlich
Windstärke 10 aufkommt? Ihr Käpten lag halb angezogen am
Bett und schnarchte.
Endlich war Ruhe eingetreten in Kabine XII.
* * *
Der folgende Tagesablauf glich nicht den bisherigen, das
übliche Gedränge um die Waschbecken fehlte
gänzlich. Nur vereinzelt standen Männer breitbeinig nach
Halt suchend auf dem glitschigen Boden des Waschraumes, schwankend
bemüht die Schiffsbewegungen auszugleichen. Bei jedem
Aufholen quirlte Brackwasser an den Schuhsohlen vorbei, die
endlosen Reihen der zweiteiligen, unversperrten WC-Türen
klapperten und gaben infernalische Geräusche von sich, die
stündlich an Intensität zunahmen. Höger erledigte
flüchtig seine Rasur und eilte zum Frühstückstisch.
Etwa die Hälfte aller Passagiere der "1. Sitzung"
glänzten durch Abwesenheit. Karl genoß noch die
Bettwärme, das Ehepaar Meier war noch nicht aufgetaucht, die
kleine dicke Österreicherin fehlte, nur der
Bäckergeselle und die zwei anderen Genossen saßen
erwartungsvoll bei Tisch, wo hochgeschobene Leisten verhinderten,
daß sich die Speisen auf den Boden ergossen. Willis Nachbar
rührte mit gedämpften Optimismus im Haferbrei herum und
erläuterte dabei: "Bei dem Wetter sind angeblich trockene
Semmeln am besten, die quellen auf, füllen den Magen aus und
wiegen nicht viel!" "Na, du als Bäcker mußt es ja
wissen", gab Willi gequält zur Antwort, da es ihm langsam
übel wurde. Er trollte sich anschließend in die Bar
hinter dem Funkerhäuschen, wo die taumelnden
Schiffsbewegungen am wenigsten zu spüren waren und begann
einen Brief an die Angehörigen, denn übermorgen liefen
sie Port Said an und die Post ging ab. Er konnte gerade noch einen
der Klubsessel ergattern, richtete den Briefbogen zurecht und
setzte den Kugelschreiber an:
Liebe Eltern, liebe Geschwister!
An meine Anverwandten und Bekannten!
Wir sind mitten drin im schönsten Wellengang...
* * *
Vor allem die Mutter hatte bis zum letzten Augenblick gehofft, das
Auswanderungsansuchen nach Australien würde noch im letzten
Augenblick abgewiesen werden. Doch Willi Högers Gedanken
waren in den letzten Wochen nur um einen Wunsch gekreist:
hoffentlich gelingt es mir! Er war während dieser Zeit zu
nichts anderem mehr fähig gewesen, als wie zu warten. Er
wußte, daß es für ihn nur eine Möglichkeit
gab sinnvoll weiterleben zu können nämlich woanders
wieder neu anzufangen. Er wollte einfach weg aus diesem sicheren,
allzu fürsorglichem Daheim, wo man ohne Gegenleistung das zum
Leben Notwendige vorfand und erhielt. Er wollte weg von seiner
Mutter, die ihn des Abends noch immer zuzudecken versuchte wie
einen kleinen Jungen, ihn, mit seinen 23 Jahren.
Weg auch von seinen kleinen Geschwistern, die ihn umtollt hatten
wenn er seinen 'weltbewegenden' Erfindungen nachgehangen war, fort
aus der Enge und den Verpflichtungen des Familienlebens.
Gewiß, er liebte seine Angehörigen nicht wenig, aber er
sah nicht ein, warum er weiter den banalen Tischgesprächen
folgen sollte, die sich um die kranke Henne im Stall oder dem
Begräbnis einer ihm völlig gleichgültigen Person
drehten.
Ganz zu Schweigen von den jüngsten Mißerfolgen beim
Studium, die ihm den Rest gegeben hatten. Die letzten drei Examina
mit 'nichtgenügendem' Erfolg abgelegt, jeden Monat ein paar
hundert der sauer ersparten Schillinge seinem Vater
abgeknöpft zu haben, verpulvert für nichts und wieder
nichts diese Erinnerungen wollte er loswerden.
Und dann die Geschichte mit dem Patent, auf das er jahrelang alle
seine Hoffnungen gesetzt hatte alles zusammengebrochen.
Die dauernden Sorgen und quälenden Gewissensbisse hatten
schließlich seine Gesundheit untergraben. Leider hatte er
von jeher im Leben immer alles ernster genommen als seine
Kameraden. Wo sie lachend über ein Problem hinweggegangen
waren, hatte er darüber gegrübelt und gegrollt, solange,
bis es von allen Seiten ausgeleuchtet war. Seine Handlungsweise
schien für sein Alter zu bedachtsam, sein Gemüt zu
empfindsam.
Der junge Höger war überschlank, der Körper schien
abgemagert, er wirkte richtig jungenhaft. Die randlosen Brillen
auf dem eindrucksvollen Kopf verliehen ihm ein ausgesprochen
studentisches, ja intellektuelles Gepräge. Aber eingefallene,
abgezehrte Wangen gaben ein deutliches äußeres Zeugnis
für die Periode unruhiger Kämpfe und Zwiespalte ab, die
er durchlaufen.
Sein Vater tat ihm leid, dessen ganzer Stolz der älteste Sohn
mit seiner höheren Schulbildung war, die ihm selbst versagt
geblieben. Er würde sich nicht an Willis akademischen
Erfolgen sonnen können, sein Traum war ausgeträumt. Alle
persönliche Aufopferung war vielleicht vergebens gewesen,
wenn Willi in dieses ferne Land fuhr. Vater zweifelte an der
Lebenstüchtigkeit seines Willi, sah in ihm nur einen besseren
Schuljungen, der vorerst nichts anderes als sein Studium im Kopf
haben durfte. Verzweifelt hatte er auf die
Berufsmöglichkeiten in Österreich hingewiesen: Beamter,
Gendarmerieoffizier, technischer Zeichner es gab so vieles, das er
mit der Matura allein beginnen konnte. "Oder geh' meinetwegen nach
Deutschland oder in die Schweiz, wenn du schon unbedingt hinaus
willst. Da verdienst du dein Geld genauso gut! Warum willst du so
unendlich weit wegfahren von uns?" hatte Vater ihm vorgeworfen. Es
war nutzlos, ihm erklären zu wollen, daß er einfach
nicht mehr weiterkonnte, daß ihm die ganze
überzüchtete Zivilisation mit den hundert
Behörden-Stempel, Bescheinigungen und Ansuchen aufrieben,
samt den Polizisten die an jeder Straßenkreuzung
herumlungerten. Daß er all das, was ihn noch irgendwie an
seine Niederlagen in diesem Milieu erinnern könnte, einfach
hinter sich lassen wollte.
Der Vater vermochte die dumpfe Verzweiflung seines Ältesten
nicht zu deuten, Willi hatte sie nie offen gezeigt und Vater
hätte sie auch nie begriffen. Und vor allem: seit
ungefähr einem Jahr rauschte und pfiff es in Willis Ohren
entsetzlich, unaufhörlich und paralysierend. Er war in den
letzten furchtbaren Monaten nicht mehr fähig gewesen, einer
anstrengenden geistigen Tätigkeit nachzugehen.
Er hatte selbstverständlich alles versucht: Spezialisten
konsultiert, Quacksalber aufgesucht und Kuren bei Wunderdoktoren
absolviert. Sie alle hatten an ihm herumgebastelt sie alle waren
dem Leiden machtlos gegenübergestanden.
Nun war ihm alles egal, er würde 'drüben' eben als
Arbeiter beim Straßenbau oder sonstwie als Hilfsarbeiter
anfangen, und keinem Menschen würde das kümmern. Selbst
der Australische Konsul hatte ihn dazu bewegen wollen, zuerst sein
Studium zu vollenden, bevor er an eine Auswanderung denke. Sehr
lobenswert, fürwahr, aber er ahnte ja nicht, welch zwingenden
Gründe ihn zu dem Entschluß bewogen hatten. Nein, er
mußte jetzt verschwinden, jetzt gleich, oder es gab kein
'Später' mehr.
Und nun saß er also in der Bar auf der Flamingo, schrieb den
ersten Bericht an seine Angehörigen und kreuzte gegen
Australien, dem fünften Kontinent, und es herrschte schweres
Wetter.
* * *
Willi sah vom Schreiben hoch, denn ein Schatten fiel über das
Papier. Ein Italiener stolperte eben über ein Stuhlbein,
versuchte eine Orange aufzuheben, die ihm entglitten war. Beim
Aufrichten verfärbte sich sein Gesicht leichenblaß, er
hielt im Weitergehen inne, würgte kurz und kotzte Willi genau
vor die Füße. Das Schiff vollführte eine weit
ausholende Rollbewegung, der Boden neigte sich, der Mann verlor
das Gleichgewicht, drehte sich mit emporgeworfenen Armen halb um
die eigene Achse und erbrach nochmals. Diesmal ging's gegen die
Wand. Dann wischte er mit dem Taschentuch erleichtert um die
Mundwinkel und trollte sich.
Willi starrte auf den greulichen Fleck am Linoleum, packte rasch
seine Schreibutensilien zusammen und eilte ins Freie hinaus, aufs
Bootsdeck. Die Rettungsboote hingen da von ihren Schutzhüllen
befreit, festgezurrt an den Davits.
Ihn würgte und ekelte es unaussprechlich, stieß ihm
auf, als wollte es ihm den Magen selbst herausreißen. Aber
konnte nicht erbrechen, nicht das kleinste Stück kam die
Speiseröhre hoch. Er eilte wieder in die Kabine, wo wohl zum
ersten Male seit dem Auslaufen alle 16 Mann gleichzeitig
versammelt waren. Die Burschen waren grün und gelb im Gesicht
und stöhnten gotteserbärmlich. Einige lagen schon
tagelang wie Leichen in den Fallen, die Kabinenstewards versorgten
sie mit Nahrung, die sie häufig verweigerten, weil sie nur
von einem Wunsch beseelt waren: das Irdische zu segnen.
Wenn sich das Heck aus dem Wasser hob und die Antriebspropeller
sekundenlang frei in der Luft rotierten, stöhnte und
rüttelte der alte Kasten beim Wiedereintauchen, daß man
jeden Augenblick mit dem Entzweibrechen rechnen mußte.
Selbst im Bett war es ratsam sich festzuhalten, um nicht einfach
herauszurollen.
Der komische Käpten, ausnahmsweise einmal nüchtern, gab
eine Schnurre nach der anderen zum Besten. Willi beugte sich mit
dem Oberkörper aus dem Bett und griff tastend unter das
Lager.
"Was suchst du denn?" fragte einer.
"Ach, ich gucke nur nach, ob meine Schwimmweste überhaupt
vorhanden ist", sagte er verschämt.
"Der hat wohl Schiß?" tönte es sogleich von allen
Seiten herbei. "Nein, das nicht, aber ihr wißt ja, bei der
Schlamperei der Itaker ist alles möglich. Übrigens fehlt
hier eine Schlaufe, wie ich soeben entdecke. Bitte sehr, seht euch
das mal an!" Er hob die orangefarbene Weste in die Höhe und
zeigte sie den anderen.
"Geh', ist doch vollkommen egal, Willi! Wenn wir bei dem Seegang
aussteigen müssen, ersaufen wir hundertprozentig, darauf
kannst du Gift nehmen. Mir ist auch das schon Schnuppe Mensch ist
mir speiübel! Ooch!!
Wenn das noch lange so weiter geht, geh' ich noch vor die
Hunde!"
In dieser Tonart ging es weiter, alle waren gereizter Stimmung,
aber manch einer lag vollkommen apathisch und teilnahmslos da.
Kurze Stoßgebete stiegen zum Himmel, von dem sie nur durch
acht Millimeter Stahlblech, flüchtig übermalen, getrennt
waren.
Zum Mittagstisch erschienen nur wenige Passagiere und die kauerten
angespannt vor ihren Tellern. Überraschenderweise tauchte die
starke Julia auf, wollte sich auf den angeschraubten Drehsessel
niederlassen, rutschte ab und fiel lang hin wo sie ohnmächtig
liegenblieb. Der rasch herbeigeeilte Steward und der
Bäckergeselle bemühten sich mit vereinten Kräften,
das Mädchen wieder auf die Beine zu bringen.
Als sie wieder etwas zu Farbe gekommen war, erklärte sie,
einen Herzfehler zu haben, deshalb seien ihr auch gleich die Sinne
geschwunden. Willis übermütiger Nachbar neigte sich ihm
zu und flüsterte vertraulich: "Einen Herzfehler hat sie? Und
da fährt sie ihrem Verlobten nach Australien nach? Der wartet
in Fremantle schon sehnsüchtig auf seine Kleine.
Aber das hindert sie anscheinend nicht, sich reihenweise
hinzugeben..."
"Hör' doch auf!" rief Willi ungläubig aus.
"Was, du glaubst es nicht? Ich habe es selbst gesehen, in einer
Nacht fünf verschiedene Buam!" Sein gutmütiges
Jungengesicht kam näher, spöttisch meinte er: "Und
nebenbei ich habe es schon zweimal mit ihr versucht! Wäre ja
schön blöd, wenn ich es nicht täte!" Er grinste ein
faunisches Lachen voller Schadenfreude. "Und ihr Verlobter wird
sich sicherlich freuen, wenn sie bereits mit Reisegepäck in
Australien eintrifft...
Ich habe mich jedenfalls in keiner Weise zurückgehalten!"
Der junge Höger tat sich schwer damit, das eben Gehörte
zu verdauen. Ein blutjunges Mädchen kann nicht einmal die
wenigen Wochen durchhalten, bis sie ihren Bräutigam trifft.
Was wird wohl aus einer solchen Ehe entstehen, vorausgesetzt sie
kommt zustande? Was denkt sich dieses Weib, oder denkt sie
überhaupt nicht? Heiligkeit der Ehe! Ob diesem Dummchen das
jemals ein Begriff werden wird? Es war ja zum Lachen.
Selbst er, Willi, den dieser Klatsch nur am Rande interessierte,
hatte einiges von den geheimnisvollen Wechselbeziehungen unter den
Paaren, Ehepaaren oder quasi Verlobten hier an Bord mitbekommen.
Er bemerkte doch so manches, was ihn stutzig machte.
Da war zum Beispiel der Mann, den er in seinem Stammkino zuhause
manchmal gesehen hatte, den er nun auf diesem Seelentränker
wiederfinden mußte. Fast regelmäßig sah er ihn
mit einer ledigen Landsmännin in dunklen Ecken herumstehen,
während seine Frau vermutlich den Buben in der Kabine
betreute.
Oder der Wiener mit dem kantigen, dunkelgebräunten Profil, an
dessen Halsausschnitt ein kleiner Totenkopf aus Elfenbein
baumelte. Was führte der nicht die ganze Zeit auf, selbst
schon am hellichten Tag! Er ließ seine schwangere Frau mit
den beiden Kleinkindern sitzen, wo sie sich gerade befanden und
flirtete ungeniert vor aller Augen mit einer schmalen,
strohblonden Italienerin herum. Das alles grenzte schon an einen
Skandal, genau genommen.
Solche Fälle gingen über Willi Högers festumrissene
Moralbegriffe, dazu war er zu jung und vor allem zu unerfahren. In
seinem engeren Bekanntenkreis war soetwas einfach undenkbar
gewesen. Natürlich hatte er gelegentlich von solchen Dingen
erfahren, die Zeitungen strotzten von Eheskandalen, Romanautoren
füllten hunderte von Seiten mit den diversen Details, aber
daß es so billig, so undramatisch schmutzig, so in aller
Öffentlichkeit ablief, fand er unerklärlich und
abstoßend.
Stunden nachher fühlte sich Willi für kurze Zeit
körperlich und geistig aktiver, das grandiose Schauspiel der
Natur lockte ihn. Mit dem Fotoapparat bewaffnet wagte er sich bis
aufs Spieledeck unterhalb der Kommandobrücke. Die Reling war
mit schwerem Segeltuch behängt, um Sonnenbadende vor den
dauernd wehenden Winden zu schützen. Im geeigneten
Augenblick, gerade als die Gischt übers Vorschiff fegte,
riß er die Kamera hoch und drückte ab. Ebenso rasch
nahm er hinter der Plache Deckung, um dem nachfolgenden Guß
zu entgehen. Seine Kollegen empfingen ihn mit einer gewissen
Hochachtung, als er die rauhe Außenwelt verlassen hatte: "Du
hast vielleicht Nerven!" " Steigt bei dem Wetter an Deck herum um
ein verwaschenes Bild zu knipsen." "Mir wird schon schlecht, wenn
ich nur die Horizontale verlasse!"
Seinen Kameraden und näheren Bekanntschaften ersetzte Willi
Höger ein Lexikon, Band A Z.
Was immer einer wissen wollte hauptsächlich Fragen
fotografischer oder naturwissenschaftlicher Art Willi war meist in
der Lage, erschöpfend Auskunft zu erteilen. Da man
außerdem seine wohlfundierten Englischkenntnisse
schätzte und nutzte, um die Hausaufgaben befriedigend
bewältigen zu können, war seine Gesellschaft bald sehr
gesucht was seinem angeschlagenem Selbstvertrauen unendlich wohl
tat.
Während er in den vergangenen Monaten buchstäblich jede
Hoffnung aufgegeben hatte, doch irgendwann im Leben wieder etwas
leisten zu können, er daran zweifelte überhaupt zu
irgend etwas auf der Welt zu taugen, gewann er nun langsam wieder
den Eindruck, doch kein absoluter Versager zu sein.
Er war jedoch selbstkritisch genug um zu erkennen, daß diese
Wertschätzung hauptsächlich auf seine höhere
Schulbildung zurückzuführen war. Der junge Mann
bewertete seine erfreuliche Situation ziemlich realistisch, er
nannte sich zynisch "A big fish in a small bottle". Aber er war
mit diesem sozialen Status vorläufig mehr als zufrieden.
* * *
Das Wüten der Elemente hatte merklich nachgelassen, so wurde
für den Abend eine Veranstaltung des "Kangaroo-Club"
angesagt. Unter der Leitung der australischen Lehrerin würden
Filme über die Schönheiten und Eigenheiten des Lebens
"drüben" gezeigt werden. Noch immer bleich und angegriffen
von den Strapazen der vergangenen vierundzwanzig Stunden, fanden
sich zahlreiche Auswanderer in der großen Lounge am
Hinterschiff ein. Willi hatte mit seinen Freunden einen Platz im
Türrahmen eingenommen, wo sie den Vorgängen im Saal
folgen konnten ohne in der stickigen Atmosphäre ausharren zu
müssen. Der Kapitän nahm gerade im Kreise seiner
Offiziere Platz, theoretisch konnte der Zauber jetzt beginnen,
bloß die Initiatorin und Hauptperson des Spektakels, Miss
Green, fehlte noch. Trotz des unruhigen Wetters waren bisher sechs
Englisch-Stunden abgehalten worden, somit wären sie, nach der
wohlwollenden Annahme der Lehrerin, bereits fähig ihren
einfachen Erklärungen zu folgen.
Der aufbrausende Applaus ließ Willi zur Projektionsleinwand
blicken, wo Ms. Green nun gleichfalls heftig in die Hände
klatschte, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das ganze
Persönchen (sie war von kleinerer, zierlicher Statur) machte
einen ungemein energiegeladenen und vor allem temperamentvollen
Eindruck. Trotzdem man sie nicht gerade hübsch nennen konnte,
hatte sie bald die Herzen jedes Auswanderers, auch der
anfänglich uninteressierten Sizilianer, gewonnen.
Sie strahlte einen besonderen Charme aus, der sich durchaus mit
ihrem bulldoggenartigen Gesicht vertrug. Nun hub sie zu sprechen
an:
"Good Evening!
Dear Passengers of the Flamingo!
My dear pupils, I am Ms. Green, your teacher.
We are on the ship 'Flamingo'.
And this is the Kangaroo-Club."
In die eintretende Stille hinein artikulierte sie die Worte
langsam und deutlich, jeden Satz wiederholend und durch Gesten
unterstrichen. Mit dem Finger auf sich weisend, erklärte sie
nun den Begriff "Känguruhklub":
"I am a Kangaroo...", dann zeigte sie auf einen willkürlich
herausgegriffenen Mann, der sie wie das achte Weltwunder
anstarrte: "Y o u are a Kangaroo...", wandte sich nun an den
Kapitän, den es trotz seiner Fülle beinahe vom Sessel
schleuderte: "H e is a Kangaroo!" rief sie triumphierend aus, um
sogleich die Arme weit auszubreiten, als ob sie die ganze
Menschheit umarmen wolle und besänftigend zu sagen: "W e a l
l are Kangaroos. We are all in the Kangaroo-Club!"
Eine Augenblick lang herrschte verblüfftes Schweigen, bis
plötzlich jedes weitere Wort von ihr in einer verstehenden,
donnernden Lachsalve unterging.
Dann wurde es dunkel, der Film lief an und zeigte
Straßenszenen aus Perth, Melbourne und Sydney, die von ihr
in drastischer und effektvoller Weise erläutert wurden. Als
schließlich alles zu Ende war, ging jedermann heiter,
zufrieden und über sein zukünftiges Heimatland ein wenig
informierter in seine Gemächer. Man hatte sich gut
unterhalten und es waren, vielleicht nur im Unterbewußtsein,
einige Worte der Fremdsprache haften geblieben. Und das war ja der
eigentliche Zweck der Übung.
* * *
Es war eine Rettungsübung angesagt worden: Punkt 17.45 Uhr
würden sieben langgezogene Sirenensignale ertönen,
worauf jeder Passagier mit angelegtem Rettungsgürtel
möglichst rasch seinen speziellen Sammelplatz aufsuchen
sollte. Sammelplätze, Signalerläuterungen, Beschreibung
des Rettungsgürtels usw. hingen an der Kabinentür leider
nur in italienischer Sprache, der einzigen Sprache, die auch die
Deckoffiziere beherrschten...
Um die angegebene Zeit lagen alle Insassen der Kabine XII in ihren
Fallen und einige erklärten entschieden, sie seien für
einen derartigen Blödsinn nicht zu haben. "Im Notfall ist ja
so alles für die Katz'!" meinte der lange Dreher unter
Käptens Lager abschließend.
Dumpf brummend ertönten nun die Sirenen, durch viele
Türen und winkelige Gänge geschwächt, aber immer
noch so stark, daß man das Geräusch zweifellos in den
entferntesten Schiffsecken wahrnehmen konnte. Unwillkürlich
zog jeder das Genick ein und lauschte gebannt. Dann hörte man
die ersten trippelnden Schritte, die über die
Verbindungsgänge eilten, über Treppenaufgänge
hetzten und sich endlich an Deck in ein Scharren und Trampeln
verwandelten.
"Vielleicht sollten wir doch mitmachen?" "Man wird uns
kontrollieren, habe ich gehört." "Am Ende werden wir
bestraft, wenn wir hier liegen bleiben...", ließ zaghaft
eine Stimme verlauten, blieb wie ein Fragezeichen in der Luft
hängen. Willi Höger fischte entschlossen seine
orangerote Korkweste unter dem Bett hervor, die, wie er
wußte, in nicht mehr einwandfreiem Zustand war. Laut
verkündete er: "Los, kommt schon, Spaß muß sein!
Oder seid ihr vom Sturm her noch so fertig?"
Wie auf Kommando legten nun alle hastig ihre Rettungswesten um,
banden sich gegenseitig die Bänder fest und belachten dabei
den grotesken Anblick. Es fiel nun sehr schwierig, sich in der
engen Kabine nicht selbst den Weg zu verbarrikadieren.
An den Knotenpunkten wachten Deckoffiziere über die
reibungslose Abwicklung des Geschehens, erteilten in ihrer
Muttersprache aufgeregt Befehle und rangen gestikulierend in
scheinbar tragikomischer Verzweiflung die Hände. Die weiteren
Aktivitäten verliefen äußerst langweilig, viele
begannen bereits ärgerlich ihre Schwimmwesten
aufzuknüpfen, da sich die Körperwärme staute.
Sukzessive verschwanden die Passagiere, um sich möglichst
schnell dieses Kostüms zu entledigen.
Enttäuscht von dem Gebotenen trottete Willi Höger weg,
öffnete sein Tagebuch und notierte: "Nun haben wir die
Rettungsübung hinter uns. Meiner Meinung nach war es ein
Theater ohne praktischen Wert." Penibel führte er dafür
die Gründe auf, wobei er fünf Punkte herausschälte,
die er sorgsam vermerkte, so zum Beispiel:
"Viertens: sind nicht alle Schwimmwesten in Ordnung.
Fünftens: würden die Rettungsboote nicht
ausreichen."
Als Willi sein Büchlein befriedigt zuklappte, konnte er nicht
ahnen, wie sehr auch die letzte Bemerkung zutraf...
* * *
Die Dämmerung war noch nicht vollständig der Nacht
gewichen, da glühten farbige Girlanden über dem
Sonnendeck auf. Sämtliche Bordbeleuchtung war angeschaltet,
jedes verfügbare Lichtlein leuchtete an den Laternenmasten,
die Tag und Nacht im gleichförmigen Tuck-tuck der Maschine an
ihren Befestigungen rüttelten. Selbst der Schornstein wurde
von der Seite angestrahlt, deutlich konnte man das Logo der
Reederei erkennen. Giftige Dieselabgase entquollen ihm, wurden
manchmal durch einen heftigen Windstoß bis auf Deck
heruntergestoßen, was den Aufenthalt in den hinteren
Schiffsregionen oft unerträglich machte. Die Lautsprecher
fingen zu schnarren an, Männlein und Weiblein ließen
Coca-Cola, Limonade oder das lauwarme Bier im Stich und schwangen
sich aufs Parkett. Die wenigen Frauen an Bord reichten nicht aus,
um jedem Mann eine Partnerin zu sichern, und sicherlich waren die
gereiften Jahrgänge unter den Damen seit Jahren nicht mehr so
begehrt wie hier und heute. Sie zeigten sich dieser Ehre
würdig und tanzten unermüdlich bis zur Erschöpfung,
da sich immer neue junge Burschen an sie herandrängten, viele
angetan mit ihren besten Anzügen in Sakko und Krawatte, trotz
der schwülen Nacht. Andere wiederum tauchten in
Hemdsärmeln, offenem Kragen und saloppen Lederwesten auf. Der
kleine, massige Kapitän amüsierte sich sichtlich
über die Vielfalt sonderbar bunter Gestalten, die da im
Rhythmus der Musik über die Planken schlurften.
So ziemlich der Höhepunkt der Stimmung wurde jedoch erreicht,
als sich auch die Männer zu Tanzpaaren vereinten. Den Vogel
schossen zwei kleingewachsene dickliche Sizilianer mit dunklem
Teint, gelocktem schwarzen Haar und überdimensionalen,
gezwirbelten Schnurrbärten ab, die sich zierlich an den
Händen hielten und mit feierlichen Mienen einen Reigen
drehten. Unsere Freunde, die sich beim Treppenaufgang postiert
hatten, brachen unwillkürlich in ein Gelächter aus, der
Anblick war doch zu drollig.
Etwas bitter stieg Willi aufs Promenadedeck hinunter. Wieviele
Chancen beim weiblichen Geschlecht hatte er sich nicht schon
vergeben, weil er seine Schüchternheit auch auf dem Tanzboden
nicht ablegen konnte. Gottseidank gab es noch einige
Nichttänzer, die aus der Not eine Tugend machten und einsam
zwischen den Aufbauten herumlungerten. Er gesellte sich einem
Salzburger zu, der wegen seines gedrungenen Wuchses und der
scharfen Zunge gewöhnlich "Giftzwerg" gerufen wurde. Willi
unterhielt sich gerne mit ihm, denn er war ein witziger Knabe und
in guter Laune imitierte er prachtvoll die englische Sprache. Doch
heute fand er ihn in nachdenklicher Stimmung vor. Er starrte
unverwandt auf das brodelnde Kielwasser, das aus den Propellern
hervorschoß und noch für lange Zeit die Fahrspur im
Schein des zunehmenden Mondes silbrig glänzend erkennen
ließ. Bedächtig schaukelnd bewegte sich das Heck auf
und nieder, um gelegentlich in ein heftiges Rütteln zu
verfallen.
"Wie tief wird das Meer hier sein, Willi? Was schätzt du?"
fragte er plötzlich.
"Zumindest ein paar hundert Meter, genau weiß ich es nicht.
Warum?"
"Ich frage mich nur, was sich unter dieser dunklen Oberfläche
alles verbergen mag. Stell' dir vor, du tauchst Meter um Meter
tiefer runter. Was für Lebewesen dir da begegnen würden!
Wie es da drinnen gleich so wimmeln wird von Tieren, die sich
gegenseitig bekämpfen und verschlingen. Und ganz unten ragen
vielleicht Gebirge auf, Berge wie bei uns in Salzburg.
Man sieht nichts, nichts als eine leicht bewegte
Wasseroberfläche, außer ein paar Quallen habe ich noch
keine Meeresbewohner entdeckt...
Dort oben tanzen sie, besaufen sich und werden später
herumhuren... Statt daß sich einer überlegen
würde, in welcher Nußschale wir über diese Tiefen
gleiten... Wie schnell alles vorbei sein würde in wenigen
Minuten wäre dieser ganze Zauber verschwunden!" Mit
weitausholender Gebärde wies er über das Schiff.
"Deswegen tanzen sie ja so fröhlich", erwiderte Willi
spöttisch. "Ich wäre jedenfalls froh, wenn ich so sein
könnte wie sie." Und ernster werdend fügte er hinzu:
"Aber solche Gedanken sind mir auch schon gekommen. Die meisten
hier an Bord tun so, als ob sich in unserem Leben momentan nichts
ändern würde, die Zeit für uns stille steht. Aber
dem ist nicht so.
Zumindest eines verändert sich stetig: die Anzahl der
Kilometer von unserer Heimat, die Anzahl der Meilen, die uns noch
von Australien trennen. Die ändern sich mit jeder Drehung der
Schiffsschrauben. Unaufhaltsam, ganz ungeachtet der
Gebirgszüge die vielleicht unter uns dahinziehen, ganz
ungeachtet dessen, was immer hier an Bord vor sich geht."
Und sachlicher werdend fügte er in leicht dozierendem Ton,
wie es so seine Art war, noch hinzu: "Jetzt fällt mir ein der
Meeresboden ist an dieser Stelle flach, das Mittelmeer ist ein
Einsturzbecken." Er wandte sich zum Gehen. "Ich haue mich noch ein
wenig aufs Ohr, wir erreichen ja gegen drei Uhr früh Port
Said. Gute Nacht!"
So endete für Willi Höger das erste große
gesellschaftliche Ereignis an Bord der Flamingo.
* * *
Als der Uhrzeiger gegen drei Uhr rückte, wachte Willi durch
eine steigende Unruhe an Bord auf. Über die Decks trampelten
Schritte, Rufe hallten und die Motoren arbeiteten langsamer, das
Rauschen der Wellen hatte fast gänzlich aufgehört. Alle
Kabinen waren hell erleuchtet, überall regten sich die
Menschen, suchten nach Kleidungsstücken, kramten im
Gepäck.
Karl trat zu ihm, komplett zum Ausgehen gerüstet und fuhr ihn
an: "Los raus, Willi! Wir nähern uns schon dem Hafen. Ich bin
vorhin an Deck gewesen, ein phantastischer Anblick, sage ich dir!
Aus allen Himmelrichtungen ziehen Schiffe daher, man sieht bereits
die Lichter der Stadt. Kommst du mit rauf?"
Oben standen Menschengruppen und betrachteten bei flüsternder
Unterhaltung das Lichtermeer, das nun langsam aus dem Dunkel
emportauchte. Steuerbord und Backbord glitten hellerleuchtete
Frachter mit abgedrosselten Motoren der Fahrstraße zu, die
deutlich gekennzeichnet war. Von weit her konnte man den Lärm
einer großen Stadt vernehmen, Autohupen und kurze Signale
von Barkassen, die wohl im Hafenbecken herumzischten. Die
Passagiere wurden aufgefordert, die Bullaugenfenster zu
schließen und die am Vorderschiff zum Trocknen
aufgehängte Wäsche abzunehmen. Die Anordnungen wurden
befolgt, wenn sich auch niemand genau vorstellen konnte, was sich
hier bei Tagesanbruch abspielen mochte. Das Auswandererschiff zog
an einem Frachter vorbei, auf dem sich trotz der Morgenfrühe
die Mannschaft tätig regte, am Bug prangte der Name "Main":
"Hurra! Ahoiii!" brüllten hunderte österreichische
Kehlen, winkten mit Schals und hüpften vor Freude auf und
nieder. "Hallooo! Ahoiii!" echote es von der anderen Seite
zurück, als die deutschen Matrosen zwischen den Aufbauten
herumliefen und ihre Nachtgläser auf die Flamingo richteten.
Dann war dieses Ereignis vorüber, doch schon zogen neue
Vorgänge die Aufmerksamkeit der Menschen an Bord auf
sich.
Wie auf Kommando schossen aus allen Himmelsrichtungen
schwerbeladene, tief im Wasser liegende Kähne auf die
Flamingo zu. Verwegen aussehende, gestikulierende Gestalten
hockten darin oder standen breitbeinig in lange Kaftane
gehüllt, mit kurzen oder langen Hosen bekleidet, die ihnen
über die dürren Leiber herunterrutschten, den Kopf mit
einem Turban bedeckt und Betel kauend auf den schwankenden Booten.
Spindeldürre Arme reckten sich zum Himmel und zeigten im
Schein der Petroleumlampen die Schätze, mit denen die Boote
vollbeladen waren.
"Heh! Machen Schacher? What money?" brüllten sie
durcheinander, die Hände zu Schalltrichtern geformt, vor
Anstrengung keuchend, den Schädel in den Nacken geworfen, um
jede Reaktion sofort beobachten zu können.
Die Stunden verrannen wie im Fluge, niemand merkte wie sich der
Himmel grau färbte und auf einmal helles Tageslicht die
genauen Konturen des nächtlichen Spuks hervortreten
ließ. Sobald die Dschunken am Rumpf der Flamingo
festgebunden lagen, warfen die Ägypter lange Seile an Bord,
und in Basttaschen hievte man all den Kram an Deck, war der Handel
erfolgreich abgeschlossen.
Inzwischen bauten fette Geldhändler in europäischer
Kleidung ihre Wechselstuben im Schreibzimmer auf, hielten
Bündel von Banknoten in den Händen, an deren Finger
wulstige Goldringe glitzerten. Uhrenhändler mit stechenden
Blicken fuchtelten mit rotlackierten Fingernägeln in der Luft
herum und boten echt "waterproof swiss watches" zum Verkauf
an.
Gegen sieben Uhr blubberten große, gedeckte Barkassen daher,
bald stauten sich Massen auf der schwimmenden Plattform, die
mittlerweile ans Fallreep gebracht worden war. Man wartete
ungeduldig auf das Einsteigen, denn es galt ja jede Minute in der
Stadt zu nützen.
Die beiden Verlobten, Rosa Egger und Hubert Finze waren mit von
der Partie. Zufolge einer kleinen Verzögerung bei der
Paßkontrolle waren sie gezwungen, etwas länger auf das
Ablegen zu warten. Eben bestieg ein junger Österreicher mit
seiner hellblonden Frau die Barkasse: die Wirkung auf die
Ägypter, die sich in unmittelbarer Nähe vor Handelseifer
schier die Lungen aus dem Leibe brüllten, war ungeheuer. Mit
einem Schlag verloren sie allen Geschäftsgeist, jeder
einzelne der einfachen, braunen Burschen starrte das blonde Weib
aus dem fernen Europa mit brennenden Augen an.
Einer, der Besitzer der nächstgelegenen Dschunke, raffte sich
endlich auf: Wieviel sie koste, erkundigte er sich ernsthaft beim
Ehemann. Wahrscheinlich hatte er sein Gespons gegen drei kostbare
Ziegen eingetauscht und war sicherlich bereit, die gesamte Ladung
des Kahns für das fremde Wunder hinzugeben. Der junge Mann
bewies Humor und handelte lebhaft, zog dabei seine Frau
fürchterlich auf, sodaß sich auf der Fähre alle
vor Lachen die Seiten hielten.
Monate danach, in Australien, erinnerte sich Willi oft dieser
Szene und fragte sich im Stillen, wie dieser Landsmann mit seiner
hübschen Ehefrau wohl jetzt zu Rande kam wo ihr Wert doch
inzwischen immens gestiegen war. Aber momentan lagen diese
Probleme noch in weiter Ferne und man verstand, daß dem
Österreicher der Gedanke, für seine Frau einen
äquivalenten Pfundbetrag geboten zu bekommen,
ergötzte.
Nachdem unsere kleine Gruppe an Land die aufdringlichen, frechen
und übelriechenden Dragomane einige Zeit abgewehrt hatte, die
ihnen unbedingt Spanish flies oder French pictures andrehen
wollten, mieteten sie einen "Reiseführer" durch die
schmutzigen Straßen voll menschlichen Elends, wo die
Hühner und Ziegen den fetten alten Frauen und den
ausgemergelten Greisen zwischen den Beinen herumliefen. Der
ägyptische Begleiter machte für sich und seine
Qualitäten ziemliche Propaganda, um den Job zu erhalten. "Und
ich liebe Germans!" bekräftigte er zum Abschluß ihres
Handels. Vielfach wurden sie auf offener Straße mit dem
"Deutschen Gruß" einer verflossenen Epoche, nämlich mit
freundlich ausgestreckter rechter Hand begrüßt.
Regelrecht peinlich war es ihnen, wenn zerlumpte Gestalten auf
Stöcken, halb blind oder verkrüppelt daherhumpelten und
ein "Ich Nazi!" hervorkrächzten. Was sollten sie dazu sagen,
wie reagieren?
Willi schob sich neben ihren Ägypter und befragte ihn
unauffällig über Nasser. "Nasser stark wie Hitler",
meinte der, um dann erläuternd fortzufahren: "Sehen Sie dort
die weißgekleideten Kinder? Sie befinden sich auf dem Weg
zur Schule. Sie erhalten Bekleidung und täglich am Ende des
Unterrichtes eine warme Mahlzeit. Nasser baut Schulen und
Krankenhäuser, ohne die unsere Bevölkerung wirklich ganz
arm dastünde.
Was soll ich Ihnen noch berichten? Die Engländer haben daran
natürlich kein Interesse."
Ihr Reiseführer geleitete sie nun geradewegs in ein
Einkaufszentrum, dessen Läden wirklich gute, solide Ware
anboten und schon fanden sich die Vier wiederum mitten im Handeln.
Seufzend entnahm Hubert seiner Brieftasche einige Scheine und hing
Rosa einen herrlichen Seidenschal mit orientalischen Motiven um
die schmalen Schultern.
Nach bedachtsamen Suchen erstand der junge Mann Willi Höger
ein wundervoll ziseliertes Damenarmband aus Silber. Unter den
eingravierten Figuren erkannte er die Sphinx und den Kopf der
Nofretete, die für wenige Augenblicke ein
Clairvoyance-Erlebnis hervorriefen, ihm die dunkle Ahnung eines
bevorstehenden Ereignisses bescherte, das in diesem Augenblick in
der Gegenwart Wurzel schlug und zu keimen begann.
"Für Ihre Verlobte? For your fiancee?" erkundigte sich der
übergewichtige Kaufmann, als er das prachtvolle
Schmuckstück in Seidenpapier einwickelte und sich
anschließend genießerisch die Handflächen
rieb.
"Ja", antwortete Willi, "für mein Mädchen."
Er dachte eigentlich an niemand Bestimmten beim Kauf, aber
irgendwie leitete ihn der vage Gedanke: Wer immer es sein wird ich
möchte es dem Mädchen schenken, das ich einmal als
wunderbarstes Wesen auf dieser Welt ansehen werde.
Sorgsam verstaute er das Ding in der eleganten Ledertasche, die er
sich ebenfalls als Souvenir zugelegt hatte.
Dort sollte es lange ruhen...
Um 14 Uhr oder 2 p.m., wie es hier an Bord lautete, knarrten die
Ankerketten, und langsam zog die Silhouette der Küste vorbei,
bis auch das letzte Geschrei der Händler verstummte, Port
Said nur mehr Episode war. Kabine XII lag im Mittagsschlaf. Jede
zweite Nacht wurde nun die Bordszeit um eine Stunde vorgestellt,
noch war der Unterschied zur Ortszeit nicht sehr groß, doch
das Bedürfnis nach einem Nickerchen stieg. Außerdem kam
langsam Langeweile auf, und das Schlafen enthob sie alle des
Nachdenkens.
Am späten Nachmittag stand Willi im Kreise seiner Kameraden
auf dem Sonnendeck. In langsamer Fahrt glitt die Flamingo durch
den Suezkanal. Das Landschaftsbild bot im Westen die
Einförmigkeit der Arabischen Wüste, im Osten so ziemlich
denselben Anblick. Gelegentlich durchbrach eine Oase diese
Eintönigkeit. Polizeistationen, kleine Hospitäler und
verlassen wirkende Fellachendörfer, eingesäumt von
einigen grünen Palmen und Horden spielender Kinder, boten dem
Auge gelegentlich Abwechslung. Die Sonne hing tief am Horizont,
verfärbte sich zunehmend rot, schien zu wachsen und sich
abzuplatten, sah aus wie ein verrunzelter Erdapfel.
Am südlichen Horizont tauchte ein Punkt auf, der sich beim
Näherkommen als britischer Militärlastwagen entpuppte.
Allein auf weiter Flur brauste das Fahrzeug daher, verlangsamte in
der Höhe des Schiffes seine Geschwindigkeit und stoppte
schließlich. Ein Tommy kletterte aus dem Führerhaus und
winkte sich die Arme aus, winkte bis die Flamingo wieder weit weg
war.
Ich kann vollkommen verstehen, daß der Fahrer sich hier
einsam und verlassen fühlen muß, dachte Willi. Umgeben
von ungeheuren Mengen von Sand und wenigen, dunkelhäutigen
Orientalen. Wenn der hier eine Panne hat, so am Abend... in dieser
Zeit der politischen Hochspannung... Und dann sieht er auf einmal
ein Schiff mit lachenden und winkenden Europäern! Kein
Wunder, daß er anhält.
In der Nacht passierten sie die Stadt Suez, die Morgensonne
strahlte bereits hell über dem Roten Meer. Überall lagen
sonnenhungrige Menschen, sorglos hingegossen, die das
ungeschützte Haupt den stechenden Strahlen aussetzten. Manche
Gesichter unterschieden sich kaum von dem Tiefbraun eines
Sudannegers.
Auf dem Spieldeck vor der Brücke war ein Kindergarten
eingerichtet worden, Rosa hatte sich nach einem Aufruf der
Schiffsführung für die Beaufsichtigung der kleinen
Rangen gemeldet und ruhte nun in einem Liegestuhl, ihr
Englischbuch geöffnet, und trichterte ihrem Verlobten das
Vokabularium der vergangenen Lehrstunde ein.
Sie lernte fleißig und regelmäßig und machte
deshalb trotz ihrer geringen Vorbildung rasche Fortschritte. Willi
zog sie manchmal scherzend auf, indem er sie fragte, ob sie wohl
nicht ihre "Bibel" in der Kabine vergessen habe.
Eben wurde eine Warnung vor den gefährliche Strahlen der
Tropensonne durchgegeben, man hatte die Kopflosigkeit also doch
bemerkt. Leider kümmerte sich niemand darum die Folgen
sollten sich bald einstellen. Viele Bekannte Willis klagten schon
den ganzen Tag über Kopfweh und leichten Bauchschmerzen. Nach
dem Abendessen wurden an die zwanzig Personen von heftigen
Leibeskrämpfen befallen, konnten sich kaum bewegen und lagen
stöhnend auf den Betten. Während die betroffenen
Österreicher allein und verbissen die Treppen zum
Ambulatorium hochstiegen, trugen die Italiener ihre lautwimmernden
Kameraden ausnahmslos aus den Kabinen bis ins Spital. Huckepack
genommen stöhnten die Kranken qualvoll auf, sodaß sich
Willi unwillkürlich fragte, ob denn gerade die Itaker um
soviel schwerer betroffen waren.
Auf erregte Anfragen der österreichischen Auswanderer
erklärte der junge staatliche Reiseleiter, die Erkrankungen
seien durch den raschen Temperaturwechsel der letzten Tage
hervorgerufen worden. Um weiteren Anfragen zu entgehen, sperrte er
sich in seiner Einzelkabine einfach ein. Mittlerweile war die
Gruppe vor seiner Tür auf etwa 80 Personen angewachsen und
nahm eine zunehmend drohende Haltung ein. Man rüttelte und
klopfte, bis sich der Jüngling endlich bequemte, eine klare
Stellungnahme abzugeben.
"Wir glauben nicht, daß der Temperaturwechsel allein schuld
ist! Das Essen ist miserabel zubereitet, gebt uns endlich etwas
Anständiges zum Fressen!" brüllten nun die erbosten
Männer.
"Die Kleinkinder haben zuwenig Abwechslung nichts wie
Kartoffelpüree und Möhren!" schimpften die Frauen
empört. "Das Grieskoch bringen sie überhaupt nicht
hinunter!"
"Und außerdem steht nicht genug am Tisch!"
Die kleine Revolte war von den Italienern ausgegangen, die sich
nicht so leicht abspeisen ließen wie die Landsleute Willis.
Zweifellos gab ihnen das Bewußtsein, auf einem italienischen
Schiff zu reisen, ein stärkeres Gefühl der Berechtigung,
Klagen vorzubringen.
"Was wollt Ihr denn", riefen einige Österreicher in typisch
masochistischer Manier, "für 780 Schilling, die wir für
die Überfahrt bezahlt haben, können wir nicht gut mehr
verlangen!" "Das ist uns egal, wir sind ja keine Rindviecher,
sondern Menschen!" bellte einer dazwischen. "Seid vernünftig,
so kommen wir nicht weiter" grollte eine laute tiefe Stimme.
Höger, der den ganzen Tumult mit gespanntem Interesse
verfolgte, erkannte in dem Redner seinen Tischkollegen Meier, der
jetzt seinen mächtigen Körper vor den leicht zitternden
Reiseleiter schob, mit den Armen ruderte und den Softie mit
vorgerecktem Nacken fixierte, so, wie wohl ein
Schwergewichts-Boxer seinen Gegner kurz vor dem K.O. messen
mochte.
Nach kurzer Verhandlung beschwichtigte der nun zu allem bereite
Auswanderer-Capo die erregten Gemüter mit der Versicherung,
erstens einen Küchenberater aus ihren Reihen beizuziehen, und
zweitens die Speisekarte auch mit deutschem Text zu versehen,
sodaß man nachbestellen konnte was immer dem individuellem
Geschmack zusagte.
Damit löste sich die Versammlung auf, und für den
Zeitpunkt war die Ruhe wiederhergestellt.
* * *
Die bundesdeutsche, vom österreichischen Staat angestellte
Englischlehrerin, eine blonde, mollige, gemütliche junge Frau
öffnete mit einer kleinen Verspätung die Glasvitrinen
der Bibliothek, und Willi suchte unter den zahlreichen
Büchern in Englisch, bis er schließlich einen
Kriminalroman fand: "Chapman & Cole wird ausgerottet".
Lächelnd meinte die Lehrerin, er sei einer der besten
Schüler. "Warum, weil ich mir jeden Tag ein anderes Buch
hole?" Er begriff im Augenblick nicht.
"Nein, das nicht. Aber Miss Green hat dies festgestellt."
"Nun, das stellt für mich weiter keine Überraschung dar,
schließlich habe ich doch ein Gymnasium absolviert", gab er
ihr zur Antwort. Immerhin freute ihn diese Feststellung.
Wäre er im Umgang mit Frauen etwas erfahrener gewesen,
hätte ihm eingeleuchtet, daß ihr Interesse sich
keineswegs auf seine Englischkenntnisse beschränkte. So aber
kam er nie auf den Gedanken, in den Äußerungen des
Fräulein Doktor, die zudem eine geachtete Stellung an Bord
einnahm, etwas anderes herauszuhören als sie eben sagte. Auf
Grund der mangelnden Erfahrung auf diesem Gebiet fehlte ihm jener
feine Instinkt, die tieferen Regungen der weiblichen Seele zu
erahnen.
Hier auf dem Seelentränker änderte sich auch diese
Situation, denn durch die erzwungene Untätigkeit begann er
auch die Weiblichkeit in stärkerem Ausmaß als bisher zu
beachten und aus ihrem Verhalten zu lernen.
Rosa hatte für ihn gewiß viel übrig, was sich auch
dahingehend äußerte, daß sie ihm zumindest das
Bügeln der von ihm selbst gewaschenen Hemden abnahm. Obwohl
sie das ja auch für Karl und einige andere Junggesellen tat.
Es war also natürliche Hilfsbereitschaft und nichts weiter.
Obendrein war sie verlobt, kam daher für Willi von
vorneherein nicht für einen Flirt in Frage.
Sein Freund Karl lachte nur über derartig veraltete
Anschauungen. "Du kennst die Weiber wirklich noch nicht, ist doch
eine wie die andere schau' dich doch um! Oder bist du blind?"
fragte er höhnisch. "Siehst du denn nicht, wie sich die
Ehefrauen garnicht genieren mit jungen Burschen
herumzutändeln, ganz zu schweigen von den sogenannten
Verlobten, die ihren Haberern nach Australien nachfahren!
Sieh' dir doch die Kleine an unserem Tisch an ein schöner
Idiot, der das nicht ausnützt."
Er konnte dem einfach nicht so zustimmen, dachte aber resigniert:
Ich muß wohl um hundert Jahre zu spät geboren sein. Ich
passe wirklich nicht in diese Gesellschaft hinein, in diesen
Pöbel, der sich da ungeniert und nach Herzenslust jede Nacht
einen anderen Partner aufreißt...
Es gab auch auf dieser schwimmenden Kleinstadt Ausnahmen, und er
wollte zu ihnen gehören. Das ganze Getriebe kotzte ihn
an.
Seine Freunde bekamen natürlich bald spitz, daß er in
Punkto Liebe schweigsamer war als die meisten, aber es zog ihn
deshalb niemand auf, doch versuchte man ihm freundschaftlich gute
Ratschläge zu erteilen.
Da gab es einen Dietrich Lemmel, seines Zeichens Verkäufer,
man mochte ihn leicht für dreissig halten, obwohl er gleich
alt war wie Willi. Meist ramponierten ihn die Frauen schwer,
ließ er doch kaum eine Gelegenheit ungenützt
verstreichen. Lemmels Tagebuch enthielt die unter fortlaufender
Numerierung festgehaltenen Angaben über Ort, Zeit, Alter,
Gewicht, Größe, Nation und besondere Qualitäten
der Damen, die er bisher beglückt hatte. Willi staunte
ehrlich über diesen Casanova der Neuzeit und erkundigte sich
dann doch neugierig, wie Dietrich solch' enorme Erfolge erzielen
könne.
"Schau, ich bin jetzt bei Nummer 48 angelangt, das bedeutet einmal
Erfahrung, 'experience' in Englisch, nicht wahr?" Willi nickte
beifällig. "Dann habe ich natürlich meine speziellen
Methoden entwickelt, die den Triebmechanismus der Frau direkt
ansprechen. Reden, reden und wieder reden am Anfang, das ist die
Hauptsache bei den meisten ..."
In diesem Ton ging es eine Viertelstunde so weiter, während
sie im Schatten der Aufbauten saßen und aus Strohhalmen
eisgekühlte Limonade inhalierten.
"Aber", Lemmel neigte sich Willi vertrauensvoll zu, "mein
großer Traum ist noch nicht in Erfüllung gegangen." Er
hielt die Luft an und blickte vorsichtig um sich: "Vielleicht
gelingt es mir in Australien ich möchte einmal im Leben eine
Chinesin pudern!"
An diesem Abend fühlte sich Willi um einige bedeutende
Erkenntnisse bereichert, eine davon war: Der Herrgott hat einen
großen Tiergarten auf Erden. Und auf dieser Arche Noah
liefen ganz gewiß einige Sonderexemplare herum.
* * *
Wieder lag eine Nacht hinter ihnen, weitaus schwüler und
unangenehmer als die vorhergehende. Strenge Tropendiät wurde
angeordnet, das bedeutete fett- und fleischarme Kost für
mehrere Tage. Eine erfreuliche Abwechslung brachte das Einlassen
des Schwimmbeckens, zum Leidwesen aller gab es nur streng nach
Geschlechtern getrennte Badefreuden, nach italienischen
Sittenkodex, der auf dem Auswandererschiff noch weitere
Verschärfung erfuhr. Offensichtlich wollte man sich nicht auf
die Wirkung des Brom verlassen, das den Suppen beigemischt wurde.
Mit leichtem Grausen beobachtete Willi, wie die Pumpen nicht nur
Seewasser, sondern auch allerlei Unrat, der offensichtlich aus den
Toilettenanlagen stammte, hochförderten. So schwammen auch
Streichhölzer, Zigarettenstummel und weitere undefinierbare
Objekte in dem trüben Wässerchen.
Für den italienischen Deckoffizier, einem jovialen
älteren Herren mit großer roter Knollennase, die nicht
vollständig im Bereich des Schlagschattens seiner
Schirmmütze lag er blickte gerne tiefer ins Gläschen
wurde die Planscherei zu einer steten Quelle des Ärgernisses.
Nasenferdl, so hatten ihn die Burschen bald getauft, mochte es
nicht leiden, wenn die Badenden das schön geschruppte Deck
und die Vorübergehenden durch Kopfsprünge bespritzten.
War doch in großen roten Lettern auf die grüne
Bassinwand gepinselt:
D I V I N G V O R B I D D E N !
Trotz des deutlichen Verbotes, und gerade wenn er in der Nähe
war, sprang immer ein junger Mann hinein. Jedesmal versuchte er
sie davon abzubringen, mit Bitten, im Befehlston, mit Drohungen
alles vergebens. Eben hatte er sich wieder einen Sünder
vorgeknöpft und hielt ihm empört diese
Disziplinlosigkeit vor, da stürzten sich unmittelbar neben
ihm sechs Burschen hohnlachend gleichzeitig ins Schwimmbecken. Da
verstummte er, gab es auf und wankte wimmernd davon. Niemals
wieder schritt er dagegen ein, damit hatte auch das Spiel seinen
Reiz verloren und hörte ganz von selbst auf.
Der "Kanadier", Erwin, Norbert und Dietrich gaben sich eben eifrig
dem Kartenspiel hin, während Willi, Karl, der Giftzwerg und
einige andere gelangweilt zusahen oder ins Blaue starrten.
Plötzlich wurden sie durch laute Schreie aus ihren
Betrachtungen gerissen: "Dort! Dort drüben!" hörten sie
rufen, reckten witternd die Hälse und sprangen dann auf,
alles im Stiche lassend. Aufgeregt wiesen Passagiere auf das
offene Meer hinaus. Delphine!
Fünf, sechs, eine ganze Schule schossen aus der blauen See
heraus, glitten elegant durch die Luft, um dann wie Torpedos
lautlos wieder einzutauchen. Atemlos starrte alles auf die nun
wieder ruhig daliegende Meeresoberfläche, bloß
Giftzwerg meinte gelassen: "Und ich hab' schon geglaubt, mir san
irrtümlich ins Tote Meer g'fahrn, weil ma nia an anzigen
Fisch net g'sehn hoben!"
Die Freunderl brüllten los, der Kerl hatte recht, bis jetzt
war das Meer wirklich wie ausgestorben dagelegen.
Nach dem Abendessen füllte sich das Vorschiff, Burschen und
Mädchen, Kind und Kegel fand sich ein, blickte staunend zur
Bugwelle hinunter, die jetzt durch Tausende kleinster
Leuchtbakterien phosphoreszierend aufleuchtete. Oben am Himmel
glänzten die Sterne, deren Zeichen ihnen fremdartig
anmuteten. Leise Wehmut um die verlorene Heimat griff so manchen
ans Herz, der da gedankenverloren an der Reling lehnte. Eine
Mundharmonika intonierte wie selbstverständlich "Heimat Deine
Sterne...", und leise summend fielen die vielen Landsleute ein,
bis es laut und voll aufbrauste...
Als Willi spät in der Nacht die Kabine betrat, schlug ihm ein
Gestank entgegen, der ihm den Atem raubte. Sein Freund Karl stand
mit gegrätschten Beinen über zwei Stockbetten und
bemühte sich eine Verschalung der Klimaanlage abzumontieren,
damit mehr Frischluft hereinströmte. Als es mit
fachmännischer Unterstützung endlich gelungen war,
bemerkte man zwar eine gesteigerte Luftzufuhr, aber in der
Nebenkabine erhob sich auf einmal wüstes Gebrüll, da nun
dort die Lüftung total aussetzte.
Der Drahtkorb, der da unter dem Bullauge stand, brachte Willi auf
eine, wie er meinte, geniale Idee. Zusammen mit Karl organisierte
er in der Bar einen Pappkarton und einen langen Draht, dann
steckte er den Korb beim Bullauge raus, befestige ihn und legte
schließlich ein Stück Karton so hinein, daß durch
den Fahrtwind ein herrlich kühler Strom in den Raum geleitet
wurde. Kabine XII fand keine Ausdruck für die Begeisterung,
endlich konnten die jungen Männer in einen erquickenden
Schlaf fallen.
Die Freude fand aber bald ein vorzeitiges Ende, als ihr
Käpten gegen zwei Uhr Morgens stark angeheitert auftauchte:
"Da wollte wohl einer ein Luftfilter bauen!" rief er aus und ein
langgezogenes "Hahaaa!" entrang sich seinem Brustkasten. Mit einem
Ruck riß er die Vorrichtung heraus, schleuderte sie zu
Boden, drehte das Licht ab und legte sich, angekleidet wie er war,
aufs Lager. Kurze Zeit später verkündeten
Schnarchtöne von seinem seligen Entschlummern. Schlaflos,
ohne einen Laut von sich zu geben, hatte Willi die Zerstörung
seines Werkes mitangesehen. Er befestigte den Windfänger
nochmals und schlief dann zufrieden ein.
Nasenferdl lehnte sich nach dem Frühstück
selbstgefällig gegen die Brüstung des Promenadendecks,
als er den Korb aus dem Schiffsrumpf hervorragen sah. Wütend
stürzte er in die Kabine und zog eine Show ab, die keiner der
Anwesenden vergessen würde. Zornstampfend trug er seine
Leibesfülle wieder nach oben, kühlte ab und blickte
beruhigt die Reihen der Bullaugen entlang, nichts vermochte sein
Behagen nunmehr zu stören.
Von einer Sekunde auf die andere weiteten sich jedoch seine Augen,
das Gesicht lief knallrot an, der Kragenknopf drohte ihm zu
platzen. Einen gerade vorübereilenden Steward hielt er mit
eisernem Griff fest, zerrte den sich sträubenden an die
Brüstung und deutete erregt nach unten: Eben schob sich aus
der Nachbarkabine von Nummer XII ein gleichartiges Geflecht ins
Freie und ragte frech über den Schiffsrumpf hinaus.
Der Offizier umklammerte den Arm des Kabinenstewards, tobte auf
ihn ein, doch dem gelang es, sich loszureißen. Er entfernte
sich eilig einige Schritte, tippte dann mit dem Finger bedeutsam
gegen die Stirn und haute schleunigst ab.
Mit zunehmender Temperatur war das Auftauchen jener nicht
ungefährlichen Windfänger einfach nicht mehr
aufzuhalten.
Ihr Nasenferdl hatte eine zweite Runde verloren.
* * *
Im Laufe desselben Tages näherte sich die Flamingo "Bab el
Mandeb", dem "Tor der Tränen", der Meeresenge, die das Schiff
in den Golf von Aden leitete. Je aufflammende Unruhe ließ
Willi mit schußbereiter Kamera an Deck stürmen:
sämtliche Passagiere strömten nach Backbord, um dort in
begeisterte Rufe auszubrechen: "Phantastisch! Wunderbar!
Herrlich!"
Pralle Sonne, schon tief im Westen stehend, beleuchtete das
nackte, rötliche Gestein eines kegelförmigen Eilands.
Auf der Kuppe des einen, der beiden knapp nebeneinander liegenden
Inseln, ragte ein kleiner Leuchtturm ins Blaßblau des
Himmels, ringsumher umgeben von tiefblauer See, die wie mit
Ultramarin gefärbt in der angenehmen Brise wogte. Niemals
hätte er sich träumen lassen, daß Wasser so blau,
so intensiv blau wirken konnte.
Wenige Stunden später, eben tauchten die Gebirgsketten von
Eritrea hinter den Dunstschleiern auf, schob sich mit hoch
gehender Bugwelle ein offensichtlich großer Passagierdampfer
in nächster Nähe vorbei. Begeistert von dem
majestätisch lautlosen Anblick des Liners, stürzte
wieder alles nach Steuerbord, stieg auf Geländer, erkletterte
Rettungsboote und die großen Boxen für die Seilwinden
der Davits, blickte angestrengt zu den dicht gedrängt
stehenden Menschen hinüber, die sich genauso an der Begegnung
weideten.
Mit freiem Auge ließ sich der Schiffsname nicht
entziffern.
"Wie heißt der Pott denn, kannst du es erkennen?" wandte
sich Karl neugierig an Rosa, die an ihren Gespons gelehnt durch
das Fernglas lugte, das sie in Port Said spottbillig erstanden
hatte.
"Ja, ich sehe es deutlich, 'F a i r s e a' steht am Bug. Und das
Zeichen am Schornstein ist ein 'V'." "Ja, dem Symbol für die
Sitmar Linie!" ergänzte Willi.
"Wie sie alle winken und jubeln! Scheinen ausgesprochen viele
Mädchen drauf zu sein!" urteilte Rosa sachlich und
überreichte ihrem Hubert das Glas, der es nach einem kurzen
Blick grinsend an seine Freunde weitergab. Wie ein Lauffeuer
verbreitete sich auf der Flamingo das Gerücht, die Fairsea
sei mit 800 Mädchen aus Deutschland bis oben hin vollbeladen:
Hauptsächlich natürlich unbemannten Damen, wie die
erhitzte Phantasie den männlichen Passagieren vorgaukelte,
mit der Destination Australien.
"Da fahren sie ja schon voraus, unsere zukünftigen
Bräute!"
"Meine steht dort neben dem zweiten Rettungsboot, die mit der
knallroten Bluse! Die, die jetzt zu winken beginnt!" rief einer
der Burschen, der vor Enthusiasmus am liebsten mit einen
Kopfsprung ins Wasser gehechtet wäre. Der Rest der Boys gab
saftige Kommentare ab, wie etwa: "Weiße Fracht für
Australien! Königinnen mit Reißverschluß! Nieder
mit der Flamingo! Es lebe die Fairsea!"
Wie herrlich doch das Leben war!
Da befand man sich auf dem Weg in ein fremdes Land, einem fremden
Kontinent, sprühend voller Ideen über Projekte und
unbegrenzten Zukunftsaussichten, wie es hieß, mit
Möglichkeiten, die einem die kleine enge Heimat niemals
bieten konnte.
Ein wenig arbeiten, und schon besaß man Haus und Auto, ein
bißchen schuften, und man mußte es doch zum
Millionär bringen!
Was konnte man in jenem Land der Verheißung nicht alles
anfangen!
War man nicht Maurer? Eine Tankstelle würde man bauen.
Man war doch Inhaber eines Führerscheines, man hatte doch
Fahrpraxis wer sollte einen hindern, Fernlaster über tausende
Kilometer zu hetzen?
Warum sollte ein Taschner nicht bald einen eigenen Betrieb
aufmachen können?
Sie alle hatten so manches Interessante aufgeschnappt über
jenes fast unbekannte Land, das in irgendeinem Bezug zum eigenen
Beruf stand. Wenn man dann in fünf oder längstens zehn
Jahren die Karre aus dem Dreck gezogen hatte (und daran war ja gar
kein Zweifel), würde man der ehemaligen Heimat einen kurzen
Besuch abstatten und bei der Gelegenheit kräftig auf den Putz
hauen. Die werden vielleicht Augen machen!
Na, und jetzt schicken sie uns auch schon Frauen nach, die uns
"drüben" mit offenen Armen empfangen werden. Es klappt alles
wunderbar, man durfte zufrieden sein, vorläufig...
So oder ähnlich waren die Gedanken, die den Passagieren der
Flamingo in diesen Minuten durch die Gehirnwindungen schossen.
Der junge Höger knipste die Szene, nicht ahnend, daß
dieses Schiff für ihn einmal mehr bedeuten würde als
eine chemische Umsetzung in den Schichten des Farbfilms. Er trug
in sein Notizbuch ein: Nr.19, Gegenlicht, 1/120, Blende 8:
Auswandererschiff Fairsea, Küstengebirge von Eritrea.
* * *
Aden, ein britisches Protektorat am Südzipfel Arabiens, nahm
sie auf. "Diese Saukerle von Engländern haben aber auch an
jedem strategisch wichtigem Ort der Erde ihre Stützpunkte. Wo
du hinkommst, findest du die britische Flagge aufgepflanzt! Unsere
Leute waren zu blöd, um auch nur ihre wichtigsten Kolonien zu
halten, oder vielleicht haben's überhaupt g'schlafen. Die
Idioten am alten Kontinent streiten lieber!" Karl wetterte
wiedereinmal drauflos, im keifenden Tonfall eines alten
Waschweibes. So kam es immer, wenn er sich in Rage redete. Willi
zog es vor, ihn noch ein wenig zu hänseln, statt auf die
Argumente einzugehen: "Vergiß nicht, wir werden in
Australien unter britischer Herrschaft stehen! Du wirst vermutlich
ein ganz guter Bürger der Commonwealth werden." Und er legte
noch ein Schäufchen nach: "Schon deine äußere
Erscheinung ist dazu angetan möglicherweise hält man
dich für einen Inder, einen Anhänger Mahatma
Ghandis!"
Zornig richtete sich der spindeldürre Karl auf, sodaß
Willi sofort besänftigend meinte: "Na, beruhige dich! Indien
war ja einmal eine Kronkolonie. So oder so, die Sympathien der
Australier sind dir sicher." Karl antwortete: "Ich werde mir
gründlich überlegen, ob ich die Staatsbürgerschaft
annehme. Vermutlich fahre ich doch in einigen Jahren wieder nach
Europa zurück."
"Das schlägt dem Faß den Boden aus: wir sind noch nicht
mal drüben, denkt der Mensch bereits an die Rückkehr!"
tat Willi entrüstet. "Da stehe ich aber nicht allein auf
weiter Flur, verlaß' dich drauf!" gab ihm Karl zu
bedenken.
Mit dem heller werdenden Morgenlicht schälten sich aus dem
Dunkel der Küste Öltanks, Palastbauten und moderne
Etagenwohnungen heraus. Ganz oben, an den Steilhängen der
Berge, holten die Ferngläser das Leben um die Wohnhöhlen
der Araber vor die Augen der Europäer, die sich bei dem
"Lebensstandard" der Einheimischen eines leichten Gruselns nicht
erwehren konnten. Der krasse Gegensatz zum feudalen Westen
erschien vor allem den jungen Menschen alarmierend.
Aus der Stadt Zurückkehrende berichteten von unvorstellbarem
Elend in den Eingeborenenvierteln, von Krankheiten wie Aussatz und
körperlichen Entstellungen, schmutzigen Haustieren und
chromglitzernden Opelwagen, die von bloßfüßigen
Arabern gesteuert wurden.
"Überall wurden wir freundlich begrüßt",
erzählte einer der Jungen. "Aber der Haß gegen die
Engländer ist enorm. Ein Taxifahrer erzählte uns
während der Fahrt: 'Ich bin in Italienisch- Somaliland
aufgewachsen, mußte in Nordafrika gegen Rommel kämpfen,
den ganzen Afrikakrieg hindurch. Später haben mich die
Engländer in Korea eingesetzt, dort wurde ich verwundet und
anschließend in die Heimat entlassen.
Bei der Verabschiedung meinte der Offizier, ich sei ein braver,
ein tapferer Soldat gewesen und wenn wir dich brauchen, dann holen
wir dich wieder. Dann überreichte er mir als Abfertigung 75
Cent ich muß Euch sicherlich nicht klarmachen, wie ich
darüber denke...' So hat der Braungebrannte seinen Geschichte
erzählt, und dabei ingrimmig mit den Fäusten das Lenkrad
umklammert."
"Wenn die Story wahr ist, wäre das eine ungeheure Sauerei!"
platzte einer aus dem Zuhörerkreis hervor. "Oba zuatraun tu i
dös denan scho! Mia hobn schließlich ah a britische
Besotzung g'hobt, und dö Kecksgestaltn hoben uns, u n s
Kartner 'Nigger' gnonnt! Wann i auf dös denk, möcht i am
liabst'n glei wieda umdrahn!"
Eine erste, leichte Verstimmung über das zukünftige
Heimat- beziehungsweise Gastland Australien war über die
nachdenklichen, jugendlich-idealistisch denkenden Burschen
gefallen. Gewiß, man kannte die näheren Umstände
nicht, nicht die politischen Verhältnisse in diesem extrem
situiertem Landstrich, aber mancher erinnerte sich dabei der
Demütigungen, die ihre Heimat auch unter britischen
Marschstiefeln 10 Jahre lang ausgesetzt gewesen war. Nun behagte
es ihnen auf einmal nicht mehr sonderlich, ihre Kraft für ein
Land einsetzen zu müssen, dessen Bewohner England als
Mutterland betrachteten. Aber die Überlegung, daß sie
letzten Endes ja zum eigenen Nutzen arbeiten würden,
ließ sie diese unangenehmen und unerfreulichen Gedanken
wieder vergessen. Und außerdem, frohlockte jeder in seinem
innersten Herzen, kann die da drüben von mir aus der Teufel
holen, wenn ich erst mal zu materiellem Wohlstand gelangt bin!
Derartige Verallgemeinerungen paßten Willi nicht ganz in den
Kram, schließ war nationale Machtpolitik etwas anderes als
die Begegnung mit dem Einzelindividuum. Er hatte schließlich
während der Okkupation einige Engländer als durchaus
annehmbare Burschen kennen und schätzen gelernt. Und
umgekehrt wußte er von einigen Fällen, wo ehemalige
englische Kriegsgefangene später ihren Urlaub
regelmäßig auf den Bauernhöfen verbrachten, die
ihnen menschliche Arbeitsbedingungen geboten hatten, froh, ihre
Ferientage unter gemütlichen Menschen zubringen zu
können.
Die 1045 Auswanderer auf diesem Schiff sollten jedenfalls noch
genügend Gelegenheit bekommen, Anschauungsunterricht im
Zusammenleben mit Vertretern verschiedenster Nationen zu nehmen.
Ein Kennenlernen, das zwar hart und unendlich langsam verlief,
dessen Ergebnisse aber den Betroffenen tiefe Einblicke in die
Beweggründe menschlichen Handelns brachte, die sie in ihren
ursprünglichen Heimatländern nie hätten erwerben
können.
Manch einem packte das Schicksal auch in dieser relativen
Geborgenheit des Lebens am Schiff hart an, so brachte man die Frau
eines Bergbauernsohnes wegen eines Abortus in Aden an Land und in
ein Krankenhaus. Zurück blieb Klein-Heinzi im Alter von vier
Jahren, ein Kleinkind mit 16 Monaten sowie ein verzweifelter
junger Vater, der nun die Windeln selber wusch. Um ihn zu
entlasten, nahmen sich einige der Tiroler Junggesellen aus Kabine
XII des Heinz an, führten ihn in ihrer Mitte an Deck umher
und trieben ihre Späße mit ihm. Die junge Mutter sollte
nach ihrer Gesundung mit dem Flugzeug nach Australien
transportiert werden tatsächlich erreichte sie den
fünften Kontinent noch vor ihrem Gatten.
Seit der ersten Protestversammlung bemühte man sich in der
Schiffsküche wirklich, den Wünschen der Auswanderer
gerecht zu werden. Die Speisen gelangten besser zubereitet und
nicht mehr nahezu kalt auf den Tisch. Am Abend der Abreise aus
Aden gab es sogar Huhn, da die Italiener mit einem Telegramm an
ihre Regierung gedroht hatten, würde die Verköstigung
nicht unversehens besser. Das hatte gewirkt.
Wie wirkungsvoll die "Buschleten", wie die Süditaliener von
den Österreichern nun bereits genannt wurden,
zusammenhielten, merkten sie bei der anschließenden
Kinoveranstaltung, die ausdrücklich als "deutschsprachiger
Film für unsere österreichischen Passagiere"
angekündigt worden war. Nichtsdestotrotz okkupierten die
Buschleten fast alle Klappsessel, und als die Offiziere in die
Menge hineinbrüllten, stellten sie sich einfach taub.
"Das kapier' ich einfach nicht. Wenn ich sehe, daß ich
unwillkommen bin, haue ich doch ab. Ich glaube, jeder von uns
würde soviel Anstand aufbringen", wandte sich Willi
entrüstet an seinen Freund Karl. "Ja, die unseren. Aber
schau' sie doch an, wie sie alle drängeln und schummeln, die
Italiener! Unsere Leute fressen lieber einen Dreck, bevor sie es
'ihrer' würdig finden einen kleinen Krawall zu inszenieren!
Und zusammenhalten tun's auch: Unsere Leute helfen im allgemeinen
den Landsleuten nicht, wenn einer irgendwie ins Out gerutscht ist!
Diese Schlawiner schon." Karl fuchtelte mit seinen langen
Händen in der Luft herum:
"Weißt du, wie das genannt wird? O b j e k t i v i t ä
t der österreichischen Volksseele! Stimmt, ja aber bis zur
Charakterlosigkeit! In diesem Punkt verstehe ich die Buschleten
besser als meine eigenen Leute."
Zum Glück lief jetzt der Film an und zwang Holzner mit dem
Lamentieren aufzuhören. Willi sollte später des
öfteren an diese Szene zurückdenken, wenn er sich
über das Verhalten seiner Landsleute in Dingen, die ihre
ureigenen Interessen berührten, Rechenschaft abzulegen
versuchte. Allerdings, so überlegte Willi Höger, ist es
gerade diese Eigenschaft der Objektivität des Charakters,
Lebensrechte und Leistungen anderer Völker anzuerkennen, die
uns zu Höchstleistungen befähigt, weil wir neidlos von
anderen zu lernen versuchen...
Später kramte er noch in seinen Habseligkeiten und griff in
die Sakkotasche des besten Anzuges, den er wegen der Hitze noch
nie angezogen hatte. Er fand zu seiner Überraschung eine an
ihn gerichtete Karte, in der aufrechten, steifen Handschrift
seines Vaters. An den Schlußsätzen des ihm heimlich vor
der Abreise zugesteckten Grußes blieben seine Gedanken tief
ergriffen hängen: "... und werde ein fleißiger und
braver Mensch in der Ferne. Dein Vater." Doch je mehr er
darüber nachdachte, um so mehr steigerte er sich in eine Wut
hinein. Fleißig und ehrlich! Das war alles, was sich Vater
wünschte, als ob er das nicht von jeher gewesen wäre! So
hatte der Alte ja immer sein eigenes Leben eingerichtet und
geführt: fleißig und ehrlich. Er ballte die Fäuste
er wollte aber auch ein erfolgreicher Mensch werden! Und
glücklich!
Vater meinte wohl, es wäre mit dem Fleißigsein abgetan,
deshalb würde er, Willi, noch nicht glücklich sein.
Der vehement aufgestiegene Unwille glättete sich bald wieder,
und er schwor sich: Das, was Du von mit verlangst, lieber alter
Papa, werde ich so halten, das kann ich Dir ruhig versprechen.
Alles weitere, den Erfolg, der mir bis jetzt versagt geblieben
ist, werde ich mit aller Macht anstreben.
Unruhig wälzte er sich auf der Matratze hin und her, es fiel
ihm eben "Miss Flamingo" ein, die rothaarige Italienerin. In ganz
engen Röhrlhosen und straff sitzender weißer Bluse, die
sich um ein paar herrlich und frech hervorragenden Hügeln
spannte die oberen aufreizend geöffneten Knöpfe gaben
den Busenansatz freigiebig allen Gaffern preis stolzierte sie
tagtäglich unter den gierig herumsuchenden Männeraugen
das Deck entlang.
Mit mokantem Lächeln streifte sie manchmal absichtlich den
Arm eines Mannes, der sich dann kaum beherrschen konnte.
Für sie war das Ganze nur ein unterhaltsames, wenn auch
leicht perverses Vergnügen, für den Großteil der
männlichen Passagiere aber eine Qual. Auch dem ewig an seinen
Fingernägeln kauenden Kurti Meier, der offenbar ein
ausgeprägtes soziales Gewissen in sich vereinte, war das
aufgefallen. So nahm er sich dieses Problems denn hingebungsvoll
an. Da er ein wenig Italienisch radebrechte, vertrat er Miss
Flamingo dieser Tage kurzerhand den Weg und erklärte ihr in
tönenden und unmißverständlichen Worten, sie
möge gefälligst ihre Bluse zuknöpfen, da sie sonst
Gefahr laufe hier an Bord vergewaltigt zu werden. Die umstehenden
Männer hatten Beifall geklatscht, und Kurti zog mit
geblähten Nüstern ab, mehr denn je seiner Mission als
Manager in Australien gewiß. Daß ihm diese Laufbahn
vorschwebte, war sich Willi in der letzten Unterrichtsstunde bei
Miss Green klargeworden. Von seinem imponierendem Körperbau,
den tatkräftig aussehenden, etwas brutalen Zügen und der
befehlsgewaltigen Stimme beeindruckt, hatte sie scherzhaft
erklärt, er werde es ganz bestimmt zum "Boss" bringen,
drunten, "down under", das nach Überschreiten der
Äquatorlinie bald nicht mehr so bezeichnet werden konnte.
Unnachahmlich, wie er da die Nüstern gebläht hatte,
bewundert von seiner kleinen Frau, die ihn von der Seite her
verstohlen betrachtete. In der Heimat hatte er simplerweise
schwere Lebensmittelpakete in Delikatessenläden abgeliefert,
nun standen ihm in Australien große Aufgaben bevor, das war
für ihn jedenfalls ausgemachte Sache...
Wir werden ja sehen, Kurti, was die Zukunft bringt... Ein
ironisches Schmunzeln lag um Willis Mund, als Morpheus ihn in
seine Arme nahm.
* * *
Die letzten Inselchen und Kap Quardafui lagen hinter ihnen, die
endlose Wasserwüste des Indischen Ozeans nahm sie auf.
Nichts als Wasser, in der Farbe wechselnd von Tiefblau bis
Algengrün, ließ den Menschen die ungeheuren
Entfernungen zwischen den Kontinenten erahnen, lagen doch vierzehn
Tage und Nächte vor ihnen, bevor sie Westaustralien erreichen
würden.
Deutlich spürbar traten einige Faktoren im Bordleben immer
stärker hervor: Langeweile machte sich breit, und eine
gewisse Ungeduld, das gelobte Land endlich betreten zu
können, sich an Ort und Stelle endlich selbst von dem
Gehörten überzeugen zu können.
Wilde Gerüchte breiteten sich unter den Österreichern
aus so sei die österreichische Regierung zurückgetreten.
Monatelang später erfuhren sie, daß damals der
amtierende Bundespräsident verschieden war. Andere Meldungen,
die von Australien per Radio durchkamen, sprachen von einer
Teuerungswelle dortselbst. Die Bierpreise seien gestiegen, das
Brot teurer geworden. Als Student hatte sich Willi sehr selten den
Luxus einer Flasche Bier geleistet, daher ließ ihn diese
Meldung ziemlich kalt. Und das tägliche Brot? Kein Problem,
soferne man Arbeit hatte. Und Arbeit gab es genug, Angebote lagen
in Hülle und Fülle vor, wie er sich an Hand
australischer Tageszeitungen, die Miss Green zur Verfügung
gestellt, selbst überzeugen konnte. Rund 20 000 freie
Arbeitsplätze warten auf die Neuankömmlinge, hatte man
ihnen mitgeteilt, ein beruhigendes Gefühl.
Und dann robotet man in diesem Paradies nur mehr vierzig Stunden
in der Woche. Höchstens! Diese Versicherung schien alle trotz
der mittlerweile aufsteigenden Skepsis mit neuen Impulsen der
Freude und Begeisterung zu erfüllen. Jeden Samstag frei zu
haben, jedenfalls in den meisten Berufen, ergab zwei volle Tage
Weekend in der Woche! Was konnte man da nicht alles anfangen!
Miss Green schilderte ihnen in mitreißenden Worten den
tollen Einfall der Australier, einen Feiertag, so er auf einen
Dienstag oder Donnerstag fiel, einfach zum Wochenende hin zu
verschieben und damit in den Genuß von drei freien Tagen
hintereinander zu gelangen. Es wurde den Auswanderern auch klar
gemacht, daß der australische Durchschnittsbürger die
Arbeit keineswegs so tierisch ernst nahm, wie gewisse andere
Völker. "Wir erledigen das tägliche Quantum
gewissermaßen so nebenbei, quasi im Spiel. Und Sie werden
sich überzeugen können, daß wir trotzdem einen der
höchsten Lebensstandards erreicht haben", hieß es.
All dies steigerte ihre Erwartungen ins Unermeßliche, zumal
diese Schilderungen in krassem Gegensatz zu den bisher als
unverrückbar angenommenen ethischen Grundsätzen eines
Mitteleuropäers standen. Freudig ließen die
zusammengepferchten Menschen ihrem Vorstellungsvermögen
freien Lauf und malten sich die Tage, die zur Erholung von den
Mühen des ohnehin leicht zu bewältigenden Arbeitspensums
anfielen, in rosaroten Farben aus.
Geringere Begeisterungsausbrüche rief das englische
Währungssystem mit seinen Pfunden, Shilling und Pennies
hervor, aus war es mit dem leicht zu handhabenden Dezimalsystem
der übrigen zivilisierten Staaten. Schwachköpfe
erklärten nach dem ersten Schock, sie würden nie in der
Lage sein, etwa drei Pfund fünf Shilling und neun Penny ohne
Papier und Bleistift auch nur durch zwei dividieren zu
können.
Aber schon wurde hier an Bord fleißig für den "Tag X"
der Landung in Fremantle Geldzählen geübt. Die Erfolge
nahmen sich jedoch vergleichsweise bescheiden aus, nicht zuletzt,
weil jedermann mit einer Verkühlung herumlief, über
rasende Kopfschmerzen oder einem Druck im Schädel klagte, der
die Augenballen aus den Höhlen trieb.
Alle, einschließlich der australischen Lehrerin, hingen
ermattet in den Stühlen und versuchten vergeblich sich zu
konzentrieren. Die Schmutzwäsche blieb unberührt und die
ungewaschenen Hemdenbündel wuchsen in den winzigen Abteilen
der Stahlschränke rasch an.
Die einzige, die Willis Sorgen um dieses Problem gemildert hatte,
lag mit einer Drüsenentzündung im Spital und mußte
sich an einer heiklen Stelle zwischen den Oberschenkeln einer
kleinen Operation unterziehen. Keine leichte Sache hier auf hoher
See, wie der Arzt erwähnte, den er wegen Ohrenschmerzen
konsultierte. Dazu tat ihm auch noch ein Backenzahn weh. Ob er ihn
extrahieren könne, fragte er den Schiffsarzt, der jedoch
entschieden abriet: Höger solle sich lieber gedulden, bis sie
an Land gehen konnten. "Auf diesem verdammten Pott fehlen die
wichtigsten ärztlichen Instrumente", erklärte er
wütend. Er besaß keine geeignete Zange, eine
Röntgenanlage sei natürlich nicht vorhanden und selbst
Gummihandschuhe wären einfach nicht aufzutreiben. Nachdem er
das taube Ohr untersucht hatte, spritzte er ein Antiseptikum in
den Gehörgang. "Nein, ein zweites Mal mache ich eine solche
Seereise nicht mehr mit, nicht ohne ausreichende
Spitalseinrichtung. Der Kahn kann mir gestohlen werden!" meinte
der Arzt abschließend, wobei er wahrscheinlich nicht ahnte,
daß sich dieser Äußerung mindestens dreiviertel
der Passagiere angeschlossen hätten.
Eine wachsende Unzufriedenheit breitete sich über den ganzen
Seelentränker aus, die sich in markigen Sprüchen,
begleitet von fürchterlichen Flüchen kundtat. Die Enge
und Überfüllung des Schiffes, die lange Reisezeit, das
miserable Essen, das faulig-brackige Trinkwasser, die ungewohnt
hohen Temperaturen, der Frauenmangel und die vielen kleinen
Reibereien, die sich aus dem Zusammenleben der verschiedenen
Nationen auf engstem Raum ergaben die sich zudem bereits in diesem
Stadium als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt betrachteten,
zerrten an den physischen und psychischen Kräften der
Menschen auf diesem modernen Sklaventransporter.
Man lechzte nach Abwechslung und Zerstreuung, und für kurze
Zeit fanden sich auch immer wieder kleine Möglichkeiten zur
Ablenkung. So waren dem Promenadedeck entlang
Trinkwasserfontänen installiert, deren Wasserzufuhr
verschiedene Tanks speisten. Herauszufinden, wo wohl der Strahl am
kühlsten hervorschoß, lag einer neuen Spielidee
zugrunde, auf die regelrechte Wetten abgeschlossen wurden.
Scharen fliegender Fische, die mit grünlich schimmernden
durchsichtigen Flügeln in sekundenlangen Schwirren über
die Schaumkämme glitten und durch leichtes Schwänzeln
neuen Antrieb erhielten, lockten immer wieder Neugierige an die
Reling. Doch sobald die Sonne heiß vom Himmel strahlte,
verkrochen sich die Menschen in den weiß gestrichenen
strahlenreflektierenden Schiffskörper, dösten auf den
Betten oder vertrieben sich die Zeit beim Kartenspiel oder mit
Lesen, warteten buchstäblich von einer Mahlzeit auf die
andere.
Des Nachts hatten es sich viele zur Gewohnheit gemacht, mit Decken
und Polster auf den Planken oder auf Bänken liegend, im
Freien zu übernachten. Obwohl dies streng verboten war,
kümmerte sich kein Mensch darum, man wollte und konnte nicht
in den dampfenden Kabinen schlafen. Vielleicht gab es auch einen
anderen, noch zwingenderen Grund, die Nacht in den dunklen Ecken
der Schiffsaufbauten zu verbringen. Rundgänge der Offiziere,
ja Kontrollgänge durch den Kapitän persönlich, auch
die barschen Aufforderungen an die in Tuchfühlung liegenden
Männlein und Weiblein, ihre Eheringe vorzuzeigen, oder die
urplötzlich aufleuchtenden Taschenlampen, in deren Schein
zuckende Leiber und schlagende Schenkel auftauchten, vermochten es
nicht, der Massenbefriedigung auf Deck Einhalt zu gebieten. Lachte
man doch über die feingeschniegelten, goldbetressten
italienischen Offiziere und ärgerte sich über die
achtzehnjährigen Mädchen, die da im Schutze der Nacht
mehr begierig als verstohlen der Offizierslogis hinter der
Brücke zustrebten, stolz, von den höchsten
Kommandostellen in die Arme genommen zu werden. Gleiches Recht
für alle!
Einem Ereignis blickte man schon tagelang in freudiger Erwartung
entgegen: Freitag punkt 12.00 Uhr würde die Flamingo die
Äquatorlinie überschreiten. Ein festlicher Einzug seiner
Majestät Neptun war im Programm vorgesehen,
selbstverständlich befand sich Großmaul Meier unter
seinem Gefolge und auch seine Frau bildete eine Figur im Kreise
der Meerjungfrauen. Willi entdeckte seinen Freund Erwin, der frech
an einem Fockmast hochgeklettert war, um aus der Vogelperspektive
einige Schnappschüsse zu tätigen. Wie üblich trug
Erwin selbstverfertigte Sandalen, deren rund zwei Zentimeter dicke
Gummisohlen schon zu den Sehenswürdigkeiten auf diesem Schiff
gehörten, genauso wie etwa Miss Flamingo oder die
Kommandobrücke, die sie kürzlich inspizieren durften.
Die Festlichkeiten gingen mit unverminderter Derbheit weiter, doch
Willi spürte schon den ganzen Tag ein unangenehmes
Drücken in der Magengegend, sodaß er beschloß
sich ein wenig hinzulegen. Zufolge der Festlichkeit an Bord fand
er die Kabine leer vor, nein, Käpten lag ruhig auf seinem
Bett, mit offenen Augen an die Decke starrend. "Tag Käpten,
wie geht's?" grüßte Willi den Ruhenden und haute sich
lang hin.
Seit geraumer Zeit hegte er den Verdacht, die Schrulligkeit ihres
Käpten müsse auf eine Schockwirkung
zurückzuführen sein, kannte er diesen Sonderling doch
als ansonsten vernünftigen Menschen. Da er nicht antwortete,
Willi aber den geeigneten Augenblick gekommen sah, wo er endlich
dessen Geheimnis lüften werde können, begann er
unverfänglich, aber mit einer gewissen Eindringlichkeit
bohrende Fragen zu stellen, denen sich der Mann kaum entziehen
konnte.
"Interessiert dich das Theater an Deck garnicht?" erkundigte er
sich leichthin.
"Nein, ich hab' das oft genug erlebt, du weißt ja, ich war
bei der Marine."
"Bei der Kriegsmarine?" fragte Willi interessiert.
"Nein, ich diente im Krieg in der Handelsschiffahrt. Doch auch
dabei bin ich ziemlich weit herumgekommen", gab der
Fünfunddreißigjährige leicht mürrisch zur
Antwort.
"Das muß ja sehr interessant gewesen sein! Hast du dem
Verein sehr lange angehört?"
"Na, mir hat's jedenfalls gereicht. Es dauerte immerhin drei
Jahre." Etwas lauernd entkam Willi die nächste Frage: "Hast
du dabei eine Charge erreicht? Ich meine, bist du Offizier
gewesen?" Der olle Käpten ließ ein kurzes,
dröhnendes Lachen vom Stapel, dann brach er mit einem Male
ernüchtert ab. "Warum fragst du?" kam es mißtrauisch
von oben. "Ach, ich hab' nur so gedacht, nichts weiter",
antwortete der junge Mann hastig und ein wenig ängstlich.
"Ich hatte eine Charge, eine höhere" sagte der Ältere,
und mit einem kurzen, ironischen Auflachen: "Aber ich merke,
worauf du hinauswillst, mein Kleiner." Er machte eine kurze
Pause.
"Du willst herausbekommen, warum ich in der Maskerade herumlaufe
und mich 'Käpt'n' rufen lasse, nicht wahr?" Willi nickte
schuldbewußt.
"Du bist ja ein intelligenter Mensch, dir kann ich das
anvertrauen", begann er. "Ist doch ganz einfach: Allein kann ich
nicht immer trinken, das bringt mich noch weiter herunter so
versammle ich eben einige der größten Saufbrüder
um mich, nenne sie meine 'Mannschaft', erhebe mich zum Spaß
eben zu ihrem Kapitän angesichts der Tatsache, daß ich
viele Jahre zur See verbrachte, während die Burschen noch
grün hinter den Ohren sind.
Ganz einfach, nicht?" Der starke Schnurrbart des Liegenden verzog
sich zu einem mißglücktem Grinsen. Willi war
entschlossen, den ganzen tragischen Kern dieses Individuums
aufzudecken, so impertinent dies immer schien: "Und aus welchem
plausiblen Grund, entschuldige die indiskrete Frage,
ertränkst du dich vierundzwanzig Stunden am Tag in Alkohol?
Es muß dir doch klar sein, daß du dich damit an den
Rand des Abgrunds bringst! Oder glaubst du, daß sich mit
deinem Aufenthalt in Australien da etwas ändern wird?" Der
andere schwieg peinlich betreten, stockend stieß er die
ersten Sätze hervor. "Ich weiß, es wird sich an meiner
Lebensführung grundsätzlich nichts ändern. Es sei
denn, Alkohol wäre überhaupt unerreichbar, so wie jetzt,
wo man uns einfach keinen Wein mehr auf den Tisch stellt und das
Geld für die Bar nicht mehr reicht. Aber die Schwierigkeit
liegt ganz woanders."
Seine Stimme war zu einem kaum noch vernehmbaren Flüstern
abgesunken.
"Ich kann einfach nicht aufhören, weil ich nicht vergessen
kann und die Erinnerung betäuben möchte. Ein Vorfall
während meiner Tätigkeit bei der Marine sitzt mir noch
in den Knochen, jede Nacht erlebe ich alles wieder mit einer
Deutlichkeit, daß ich oft schreiend aus dem Schlaf
hochschrecke... Deswegen lege ich mich nie vor Morgengrauen
nieder, um euch, meine Kameraden, nicht zu stören." Auch
jetzt packten ihn die Bilder der Erinnerung so stark, daß er
nur keuchend vor Anstrengung die Erregung zu unterdrücken, zu
erzählen begann:
"Ich saß damals in der Radiokabine, zusammen mit dem zweiten
Funker einem alten Kumpel von mir. Wir waren gut bei Laune, er
schwärmte mir gerade von seiner jungen Frau vor, zeigte mir
stolz ein Foto von ihr und der kleinen Tochter, die er noch nie in
den Armen gehalten hatte. Überglücklich las er mir einen
Funkspruch vor, der ihm eine Woche Heimaturlaub in Kiel
ermöglichte. Freudentränen kugelten über seine
Wangen, ich fühlte mit ihm, gönnte es ihm von
Herzen.
Und in der nächsten Sekunde brach urplötzlich ein
Tieffliegerangriff über uns herein... Die Geschosse krachten
durch die dünnen Wände, die Einschläge zogen eine
rauchende Spur am Boden entlang, Glasscheiben zerbrachen klirrend.
Wir hauten uns natürlich sofort in eine Ecke, wahnsinnig
verkrampft unter der Schockeinwirkung. Beim nächsten Anflug
mußte ich dann mitansehen, wie eine Garbe der Bordkanonen
meinen Freund in Bruchteilen einer Sekunde in tausend Stücke
dampfenden Fleisches zerhackte...
Immer wieder flogen sie an, rechts und links von mir schlugen die
Geschosse ein, rissen handtellergroße Löcher in den
Aufbau. Es waren entsetzliche Augenblicke.
Mir passierte körperlich nichts, psychisch habe ich mich bis
heute nicht davon erholen können. Die Sinnlosigkeit, der
Wahnsinn des Lebens im Krieg... du kannst mich einen
Schwächling nennen, wenn du willst. Deshalb saufe ich eben
weiter, ich will nicht mehr dar..."
Die Kabinentür flog auf, laut lachend ergossen sich Gruppen
junger Männer in den Raum, begutachteten ihre
Äquatortaufscheine, blödelten über die komischen
lateinischen Fischnamen darauf. "Seht euch diese beiden Nummern
hier an!", rief einer forsch aus, "das sind vielleicht zwei
langweilige Brüder!
Wieso seid ihr nicht bei der Gaudi dabeigewesen? Gehst du dir
nicht deinen Schein holen, Willi?"
"Ach, das hat noch Zeit", antwortete der zerstreut.
* * *
Noch einmal unterbrach ein Hungerstreik die Eintönigkeit des
Tagesablaufes. Leider stellte sich heraus, daß ein
äußerst ungünstiger Zeitpunkt gewählt worden
war waren doch für den besagten Abend Brathühnchen
angesagt. Der Chefkoch sei aus Gram über die Gummiadler, die
er den Orkus hinunterschicken mußte, in Tränen
ausgebrochen, hieß es. Recht geschieht ihm, dachte Willi,
der noch bei jeder Abfütterung das Greinen der Kleinkinder
mitanhören mußte: zur Abwechslung weint nun mal der
Koch, nicht immer nur die Gäste!
Ihm persönlich tat es um das viele gute Fleisch leid, er
hatte sich seinen guten Appetit wahren können unabhängig
von Wind und Wetter schlang er in sich hinein, was er kriegen
konnte. Von seinen Tischgenossen über seinen
augenscheinlichen Fatalismus bewundert, klärte er sie
über die näheren Hintergründe seiner Freßlust
auf: "Erstens ruft die Seeluft bei mir einen anständigen
Hunger hervor, zweitens: Wissen wir, was die uns drüben alles
vorsetzen werden? Euch schlottern doch auch bereits die Knie vor
Schwäche? Ich will ja nicht behaupten, daß das einzig
und allein auf die Ernährung zurückzuführen ist,
aber es spielt sicherlich eine große Rolle, stimmt's oder
habe ich recht?"
In der Tat zeigten sich bei den Auswanderern zum Teil
erschreckende Mangelerscheinungen, die als Erschöpfung,
Apathie und Abmagerung zu Tage traten. Besonders Achmed schrumpfte
fürchterlich ein, ähnelte mehr denn je einem Skelett.
Man konnte sich ausmalen, daß er die Strapazen, die in den
nächsten Monaten zweifellos vor ihnen allen lagen, kaum
überstehen würde. Aber auch kräftiger Gebaute
meinten resigniert, falls der Kahn nun absaufen würde,
wäre es ihnen egal, sie seien zu müde um auch nur einen
Finger zur Rettung zu rühren. Erst unmittelbar vor der
Landung in Fremantle sollten sich die Lebensgeister wieder
erholen.
Die halben Nächte hockten Männerrunden beisammen und
pokerten, daß es nur so rauchte, obwohl das Spiel auf der
Verbotsliste stand. Der berühmte Nasenferdl kassierte Nacht
für Nacht hohe Strafgelder, man schlug ihm daraufhin
freundlich aber bestimmt vor, er möge sein besonderes
Augenmerk auf die Besatzung dieses Luxushotels werfen: Hie und da
verschwänden Kleidungsstücke aus ihren
Schlafräumen! Einem Österreicher fehlten auf einmal drei
Hemden, und, hol's der Teufel, fand er dieselben nicht am Leib
eines Stewards wieder? Der Landsmann konnte seinen
Eigentumsanspruch leicht nachweisen, der Steward wurde des
Dienstes enthoben und wanderte für drei Tage ins Kittchen.
Als nächstes ertappte man einen Sizilianer in flagranti beim
Stehlen, und die Erbitterung der Österreicher über die
Zustände an Bord wuchs erheblich, säugten doch die Mamas
der Nation ihre Bambinos gänzlich ungeniert und vor aller
Augen an Deck.
Kurz darauf verstummten die teilweise berechtigten Klagen der
Alpenrepublikaner, als nämlich zwei Tage vor Fremantle eine
junge "Dame" aus ihrer Mitte schamlos Landsleute bestahl und dabei
erwischt wurde. Zufällig überraschte Rosa Egger das
Fräulein, als sie fünf Paar Schuhe, darunter Pantoffel,
die sie in Port Said erstanden, in einen Karton verpacken
wollte.
Aber damit nicht genug!
Ein blutjunges Früchtchen gab sich in einer Kabine gleich 15
italienischen Männern hin und kassierte
geschäftstüchtig 1000 Lire pro Mann und Nase. Die
Schweinerei wurde aufgedeckt.
Nun hockten die zwei ehrbaren Damen in einem finsteren Loch des
Deckhauses am Hinterschiff und hatten genügend Muße
darüber nachzudenken, was sie den Angehörigen in der
Heimat über ihren kurzen Australienaufenthalt Wissenswertes
berichten konnten.
Ihre sofortige Rückführung war beschlossene Sache.
Diese Fälle mußten als Einzelfälle bewertet
werden, das war allen klar, aber eine leichte Niedergeschlagenheit
ließ sich bei allen Landsleuten Willis nach diesen
Vorfällen feststellen. Der hätte für seine
näheren Bekannten und Freunde die Hand ins Feuer gelegt.
Etwa für Fritz, dem Schlosser aus Kärnten, einem
kernigen Burschen durch und durch, ein Spaßvogel wie er im
Buche stand.
Die scharf auf Moral ausgerichtete Ordnung an Bord reizte ihn zu
einem tollen Einfall, der tagelang später noch für
Gelächter sorgte:
Eines nachts besorgte er sich Damenstrümpfe, stopfte die
Fersen vorsichtig mit Klopapier aus, knüllte dann einige
weiblichen Bekleidungsstücke so zu einem Dummy zusammen,
daß man leicht der Täuschung unterliegen konnte, eine
Frau läge unter der Decke. In gebrochenem Italienisch
rüpelte ein Mitspieler Nasenferdl an und teilte ihm
aufstoßend mit: "Heh! Signore! Huup... Wenn es dich
interessiert in der Kabine XII liegen eine Signora...viele
Signoras drinnen...!" Ohne weitere Erklärungen abzuwarten
lief Nasenferdl zum Reiseleiter, und gemeinsam stürmten die
beiden Kabine XII, rissen mit wütendem Griff vor versammelter
Mannschaft die Decke herunter und verzogen sich beschämt in
dem orkanartig ausbrechendem Gelächter. Ja, so war'ns, die
Österreicher.
* * *
Die jungen Europäer, deren Zusammenleben hier episodenartig
seinen Niederschlag findet, standen nun häufiger denn je
beisammen, um vergangene oder zu erwartende Ereignisse
ausführlich zu debattieren. Momentan ereiferten sie sich
wiederum über die ungeschliffenen Manieren der Sizilianer,
ein scheinbar unerschöpfliches Gesprächsthema.
"Ich bin nur gespannt, was uns in Australien erwartet. Hier sind
wir nur gezwungen mit Italienern und Sizilianern zusammenzuleben.
Und das fällt schon allen Parteien schwer genug!" meinte
Karl, wobei er wieder sein keifendes Organ hören ließ.
"Na, ist das vielleicht zum verwundern", warf Fritz in die
Debatte, "das ist doch zum am Radarmast Hochklettern: Jetzt kann
ich mir erst vorstellen, wie wir Europäer mit unseren
Kulturdünkel, dem die spezifisch materiellen Grundlagen
fehlen, in den Augen der Amis dastehen lächerlich und komisch
kauzig nämlich!
Die Schweine, ihr entschuldigt schon den harten Ausdruck, aber das
ist zweifellos das richtige Wort dafür, haben keine Ahnung
von ein bißchen Zivilisation.
Ständig lassen sie die Klosettüren offen, ihr wißt
ja wie das Schiff bei den leeren Wassertanks schlingert, und die
Türen rattern so, daß ich die ganze Nacht kein Auge
zubringe. Und muß mal einer von den Kerlen in das
ominöse Kabinett rein alles vollgeschissen! Glaubst du, einer
von diesen Primitivlingen würde die Wasserspülung
wenigstens von einer Beschreibung her kennen? Da hat man bei uns
nach der Befreiung über die Mongolen gezetert, die da aus
tausenden Kilometer entfernten Steppengebieten hervorbrachen: Nix
Kultura!
Ja Dreck! In Europa, das sich rühmt, kulturell auf der
höchsten Stufe der Entwicklung zu stehen, da existieren
Leute, die nicht einmal die einfachsten Errungenschaften der
Zivilisation benutzen können!
Da pfeif ich auf die Kultur! Hoffentlich finden wir das in
Australien anders vor."
Noch oft sollten die Einwanderer auf die Unterschiede zwischen den
beiden Kontinenten Europa und Australien zu sprechen kommen, das
Für und Wider in endlosen Gesprächen abwägen, bis
ihnen endlich aufdämmerte, daß sich hier zwei Welten
gegenüberstehen, wohingegen die Unterschiede zwischen den
einzelnen europäischen Staaten nur Variationen einer
großen, gemeinsamen Lebensform darstellen. Daß trotz
der Verschiedenartigkeit von Sprache, Kultur und
Zivilisationsstufe allen Völkern des Alten Erdteils etwas
Gemeinsames zugrundeliegt, etwas, das zu entdecken jeder einzelne
von ihnen gezwungen sein würde...
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