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6. Kapitel: Sydney


Als der Morgen graute, rüttelten Willi die Stöße der uralten Waggons, die eine Diesellok mühselig durch die einförmige Landschaft zog, aus seinem Nickerchen empor. Jetzt hielt der Zug schon wieder, diesmal in einer weitgeschweiften Kurve, sodaß er die Maschine sehen konnte, wenn er sich aus dem Fenster beugte. Der Lokführer kletterte heraus und umrundete prüfend die Maschine.
Eine, gelinde gesagt, langweilige Fahrt lag hinter ihm. Bis Albury war es ja noch komfortabel und schnell gegangen, aber da aauf diesem Kontinent drei verschiedene Spurweiten existierten, mußte dort alles, inklusive der Passagiere, in die klapprigen Holzwaggons umgeladen werden. Nun, sein Schaden war es ja nicht unbedingt. Wie sich das auf die Gesamtwirtschaft des Landes auswirkte? Ach, Australien ist ja so unendlich reich, damit tröstete sich wohl jeder.
Verdammt, wonach stank es hier so? Das war doch Brandgeruch?
Jetzt sah er es: auf der anderen Zugseite standen weite Strecken des Horizonts in Flammen.
Buschfeuer!!
Der Anblick war überwältigend und grausig schön: Schwere Rauchwolken stiegen kilometerweit in die Atmosphäre hoch.

Unterhalb des Fensters hing eine Glasflasche mit Trinkwasser, daneben zwei Glasbecher. Etwas vorsintflutlich, aber romantisch. Nun werden gleich einige Buschräuber auf schnaubenden Pferden daher galoppieren. Den sechsschüssigen Colt in der Rechten, mit der Linken den Halfter der Stute umklammernd. Er lächelte über seine Fantasie, die häufig überbordete.
Na, jetzt hatte sich die Maschine erholt, es ging wieder weiter.

Morgens um neun Uhr lief er in Sydney Central Station ein. Als erstes fiel ihm auf, daß es hier wesentlich heißer war als im südlicher gelegenen Melbourne.
Und ein erfreulicher Anblick ließ sein Herz gleich höher schlagen: Auf jedem Bahnhof, den sie durchrasten, warteten wirklich herrlich gebaute Girls in Shorts auf die Vorortzüge zur Beach.
Von Anton weit und breit keine Spur. Willi deponierte seine Koffer in der Gepäcksaufbewahrung und machte sich zuerst mal in Richtung Banston auf die Socken, um Melzer zu suchen.
Er mußte annehmen, daß ihn das Telegramm nicht erreicht hatte, denn er fand ihn nicht vor an der angegebenen Adresse. Verzogen nach unbekannt. Zumindest seine Hauswirtin, eine Baltin, wußte nicht wohin. Aber zwei Österreicher, die in der Hütte nebenan hausten, kannten Anton. Bereitwillig boten sie ihrem Landsmann eine Notunterkunft an. Die Baltin schleppte ein Klappbett daher, und Willi hatte für die nächsten Tage wenigstens ein Dach über dem Kopf gefunden. Später holte er noch sein Zeugs aus der Stadt und richtete sich ein, so bequem es eben ging.
Der eine der beiden Landsleute füllte den ganzen Türrahmen aus. Ein Riesenkerl, groß und massiv, vom Beruf Bäcker. Bald freundeten sie sich an und berichteten von ihren Anfangsschwierigkeiten in diesem Lande.
"Haben mich von Bonegilla direkt zu einer Backstube hierher geschickt. Ich konnte nur etwa zehn Wortbrocken Englisch. Kannst dir vorstellen, wie es mir ergangen ist. Als ich den Laden endlich gefunden hatte, war die Stelle bereits besetzt..." Er verzog sein Gesicht säuerlich. "Schließlich habe ich bei einem Australier angefangen. War das vielleicht ein Krampf, Willi!" rief der Dicke aus.
"Die verwenden hier ganz andere Zutaten, bei der Ofenkonstruktion kannte ich mich ebenfalls nicht aus. Gleich darauf hieß es, ich sei kein guter Bäcker. Als ich den Chef mit einigen gestammelten Worten auf die Unterschiede hinwies, zeigte er keinerlei Verständnis: 'Das ist überall dasselbe. Wo du hinkommst, findest du dieselbe Feuerung!' Sollte ich mit ihm einen Streit vom Zaun brechen? Wenn er von Australien spricht, hat er ja recht. Und über Banston dürfte er ja nicht hinausgekommen sein. Aber lassen wir das...
Jetzt schöpfe ich bei einem Deutschen, der sich innerhalb von vier Jahren eine Großbäckerei aufgebaut hat – aus dem Nichts. Da sind wir wenigstens unter uns. Nur lauter Deutsche und Österreicher, auch einige deutschsprechenden Balten, von denen es in diesem Distrikt besonders viele gibt.
Freilich, perfekt englisch sprechen lerne ich auf diese Weise nie. Aber da waren auch andere Erfahrungen, die mir anfangs das Leben sauer gemacht haben: zeitweise bin ich wie ein Halbblinder herumgerannt. Ich habe alles doppelt gesehen!"
"Was, du auch!" fuhr Willi wie von einer Tarantel gestochen hoch.
"Ja, und ich wurde dauernd rot im Gesicht. Der Blutdruck stieg ganz verrückt an..." "Genau dieselben Symptome wie bei mir!" bestätigte ihm Willi eifrig. "Ob das vom Klimawechsel herrührt?"

Der gemütliche Dicke führte ihn nach Einbruch der Dunkelheit in ein Lokal, wo sich vornehmlich Europäer zum Tanzen trafen. Ein junger Deutscher leitete das Restaurant, und so verkehrten dort hauptsächlich deutschsprechende Einwanderer.
Es fehlte nicht viel, und Anton Melzer wäre vom Schlag getroffen worden, als er Willi so urplötzlich auftauchen sah. Überschäumend vor Freude, klopften sich die Jugendfreunde gegenseitig auf die Schulter: "Wie geht's dir, alter Kumpel? Her mit dem Bier!" Der altgewohnte, der Originalton von Anton, dem Hilfsarbeiter. Bei schäumenden Faßbier, serviert in original Münchner Krügeln, tauschten sie die Erlebnisse der letzten Jahre aus.
Dann kam die Minute, wo der Redefluß stockte, der Gesprächsfaden für den Augenblick abgerissen war. Jetzt rückte Willi mit dem Anliegen heraus, das ihm noch auf dem Herzen lag.
"Sag, Toni, das Bild, das du mir da nach Melbourne geschickt hast..." "Ja, was ist damit?" Anton wunderte sich, warum Willi nicht in seiner Rede fortfuhr. Der fischte gerade in seiner Brieftasche herum, bis er das Foto in dem Wust anderer Papiere entdeckt hatte.
"Schau dir mal die Kleine an!" forderte er Melzer auf und deutete auf das bewußte Mädchen. "Kennst du sie vielleicht?"
Anton blickte seinen Freund forschend von der Seite an: "Nein, leider nicht! Denn sonst hätte ich jetzt garantiert etwas anderes zu tun, als hier herumzusitzen", grinste er verdächtig hinterhältig. "Ka schlechte Kotz!" nickte er schließlich anerkennend. "Warum ist mir die nicht früher aufgefallen? Bloß ein wenig gealtert sieht sie aus. Warum wohl? Vielleicht hat sie sich in der Liebe schon zu sehr angestrengt?"
"Ach, du bist noch immer der gleiche alte Trottel! Entschuldige bitte den freundschaftlichen Ausdruck", rief Willi wütend aus. "Und du kannst dich nichteinmal an sie erinnern?"
"Ganz dunkel nur, ehrlich gesagt", antwortete Anton. "Mein Gedächtnis läßt mich in dem Sauklima oft im Stich!"
Aber der alte Freund fand doch einen Weg, um Willi zu helfen. Er stellte ihn einfach dem Fotografen vor, der nach einem Umtrunk eine Liste derjenigen Lokalbesucher hervorzauberte, die auf dem Ball Fotos bei ihm bestellt hatten, schön geordnet nach Bild-Nummern.
Darunter befand sich auch eine 'Miss Danica Petrovic'.
Nur sie konnte es sein, nur sie ganz allein. Denn zwei waren Männernamen, und natürlich Anton selbst. Dann noch ein Frauenname bei Bild Nr.7..."Aber die ist verheiratet, die kenne ich zufällig", klärte sie der Fotokünstler auf. "Natürlich, das ist sie ganz gewiß. Schwein gehabt, mein Junge!" meinte er kameradschaftlich. "Sieh dir mal die vorstehenden Backenknochen an – unzweifelhaft eine Slawin!"
Höger notierte sich Name und Adresse. "Was soll das heißen? Das ist doch ein Spital!"
"Der Mann zuckte nur mit der Achsel: "Keine Ahnung, was da dahintersteckt. Vielleicht ist sie dort Nurse?"

* * *


Am Arbeitsamt bedeutete man ihm, daß es gänzlich aussichtslos sei, auf Unterstützung zu hoffen. "Es gibt keine Arbeit, whatsoever. Nichteinmal für Fachkräfte."
Aber ein Beamter der Abteilung für Gehobene Berufe, ein wirklich vifer, tüchtiger und verständnisvoller Knabe, vermittelte Willi Höger an einen mittelgroßen Betrieb mit etwa 150 Mann. Dort stellte man Gußstücke größerer Dimensionen her, hauptsächlich Pumpenghäuse, Absperrorgane und dergleichen mehr.
Eigentlich konnte sich Willi für den ganzen Zauber nicht mehr so recht begeistern. Dauernd ein Brett vor dem Kopf, und einen Quatsch zu Papier bringen, der oft schon von vorneherein zum Scheitern verurteilt schien, hing ihm zum Halse heraus. Langsam dämmerte ihm, daß er zu einem reinen Technikerberuf nicht taugte. Zusehr erweckten auch soziologische und wirtschaftliche Probleme sein Interesse.
Die menschliche Persönlichkeit, die Auswirkungen der Technisierung auf die heutige Gesellschaft – das Studium dieser Themen fand er zunehmend weitaus spannender, als etwa die Anwendung mathematischer Berechnungsmethoden beim Entwurf von Maschinenteilen.
Er übersiedelte in das schöne Heim eines Volksdeutschen Ehepaares, mußte allerdings mit einem Zimmerkollegen vorlieb nehmen, der sich bald als absonderliche Figur herausstellte. Jean war Franzose, an sich nichts außergewöhnliches, obschon Franzosen hier selten anzutreffen waren.
Aber etwas um diesen Menschen trug ihm die rücksichtslose Begaffung durch die Mitmenschen ein. Er war schmalgliedrig gebaut, schmalfüßig und trug einen überdimensionalen Schädel herum, auf dem eine wahre Fülle enggelockter, kastanienbrauner Haare wuchs. So dicht und so lang, daß man buchstäblich zweimal hingucken mußte, bevor man sich vergewissert hatte, einen Mann vor sich zu haben.
Seine Gesten wirkten überbetont und affektiert. Doch Willi Höger besaß einen gutmütigen Charakter, eine ausreichende Portion Toleranz und hoffte daher mit dem unfreiwilligen Partner einigermaßen gut auszukommen.
Sein Jugendfreund Anton hatte versprochen, ihm Sydney mit allen seinen Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Wobei sich Willi nicht vorstellen konnte, wohin ihn Anton in dieser Hafenstadt führen würde. Seine Skepsis erwies sich als nicht ganz unbegründet. Nachdem sie erst einmal mit der Vorortbahn eine halbe Stunde durch staubige Slumviertel gefahren waren, landeten sie in der Central Station, wo sie dem Gewühl der Fahrgäste, Altersrentner, Blinden oder heruntergekommenen Subjekten, die dort an die Granitmauern gelehnt Erdnüsse in jämmerlichen Papiersäckchen verkauften, zu entkommen versuchten. Um 2 p.m. führte ihn Anton in den nächstbesten Pub, worauf es mit kurzen Unterbrechungen bis 2 a.m. des nächsten Tages so weiter ging.
Breite, rechtwinkelig angelegte Straßen durchzogen die City kreuz und quer. Grüne Trolley-Busse knatterten dahin, berittene Polizei lenkte den Strom der aus den Stadtbahnstationen quellenden Menschenmassen, der Verkehr flutete noch dichter dahin wie in Melbourne.
Sie verdrehten die Köpfe nach dem monumentalen Anzac-Denkmal im Hydepark, marschierten die schnurgerade Elizabeth Street hinunter, schwenkten in die George Street ein, begafften die sich kilometerweit dahinziehenden Geshäftsauslagen und gelangten schließlich an den Circular Quay, wo verschmutztes Hafengewässer gegen die Bohlen der Fährbootstationen spülte. Kleine Dampfer, aus hohen Schornsteinen qualmend, versorgten von hier aus die vielen Buchten dieses herrlichen Naturhafens.
Und dann bemerkte Willi ein schwarzes Etwas in den Augenwinkeln. Er wandte den Kopf und erblickte die ungeheure Stahlkonstruktion der Sydney Harbour Bridge, die das Festland mit den nördlichen Stadtteilen verbindet.
Hier, kilometerweit entfernt, nahmen sanftgeschwungene, überdachte Auffahrten Anlauf, um den ununterbrochenen Strom an Motorfahrzeugen, Straßenbahnen und Vorortzügen auf das Brückenniveau hochzuführen, dessen Höhe auch den größten Ozeandampfern genügend Spielraum zum Unterfahren bot.
Als Techniker fesselte Willi der Anblick immer wieder aufs Neue.

Gegen Abend erfaßte Anton eine leichte Unruhe.
"Ich muß dir noch etwas zeigen", bemerkte er mit einem schiefen Blick auf seinen Freund. "Na los, was denn?"
"Hast du schon etwas von der Palmer Street gehört?"
"Nein", gab Willi zur Antwort. "Ist das soetwas Besonderes?"
"Komm mit, du wirst schon sehen!" grinste Anton mit der üblichen Geheimniskrämerei.
Leicht angewidert aber doch neugierig, walzte er an der Seite des Älteren durch die engen Gäßchen dieses Elendsquartiers, die durch niedrige, halbzerfallene Wohnhöhlen mit vermorschten Türstöcken, mit Sackleinen verhängt, begrenzt wurden. Finsteres, männliches Gelichter lungerte davor herum, dem der Hunger nach einem Frauenkörper ins Gesicht geschrieben stand.
Unattraktive, fette und verschlampte Nutten lehnten gleichmütig an den Wänden und musterten die zögernden Männer mit kalten Blicken, in denen nicht die mindeste Aufforderung lag.
Nur eine einzige von all den Weibern ließ eine menschliche Regung erkennen: Eine großgewachsene, etwas üppige Blondine saß da auf einer Steinstufe vor einer Bruchbude und bemühte sich, ihr dünnes, geblümtes Kleid vor dem Hochflattern zu bewahren.
Ein fast unmerklicher, spöttischer Zug um Mund und Augenpartie erinnerte Willi in makaberer Weise an seine erste Liebe, eine kleine Verkäuferin von damals 17 Jahren. Welche Gedankenassoziationen!
Anton machte Willi ziemlich laut auf ein wichtiges Detail aufmerksam: "Schau mal! Sie trägt gar keine Unterhöschen!"
"Was hat er gesagt?" erkundigte sich die Blondine neugierig bei Willi.
"Oh, er sagte eben zu mir: 'Was für ein beautiful Baby!'", meinte der charmant schmeichelnd.
Aus dem Schuppen gegenüber stolperte soeben, mehr als er ging, ein Fotograf mit Stativ und umgehängten Kameras. War gänzlich fertig, der arme Mann.
"Willst du noch mehr sehen?" erkundigte sich der robuste Anton bei seinem Freund und schreckte den so aus seinen Milieustudien hoch. Der zuckte nur gleichmütig die Achseln. Der andere nahm dies als Zeichen der Zustimmung auf und führte ihn sodann in ein repräsentableres Viertel der Crown Street. Irgendwo öffnete er eine Haustüre mit der Aufschrift Residential.
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend folgte Willi den Spuren seines Freundes. Mit einem kurzen "Wieviel?" sprach Anton eben eine Frau an, die neben der Türe einen Aufsichtsposten bezogen hatte und sich gelangweilt die Fingernägel manikürte. Ein achtjähriger Junge heulte sie um einen Bob an, eine alte Frau kochte drinnen in der Küche Kaffee. Ohne auch nur einmal aufzublicken, gab sie "Thirty Shillings" zur Antwort.
Zwei Girls "arbeiteten" gerade im ersten Stock. Eine hübsche, gepflegt aussehende Rothaarige, stieg soeben die Treppe herunter und händigte einem jungen Mann das Wechselgeld aus. Sie sah gemütlicher drein als alle, die er bisher gesehen hatte.
"Die käme für mich in Frage, wenn überhaupt eine!" schoß es ihm durch den Kopf. Und dann überlegte er: Wenn ich dieser jungen Frau unverhofft auf der Straße begegnen würde – ich ahnte nicht, was sie für ein Gewerbe betreibt. Faltenlos war die Haut, adrett die Kleidung und anziehend das ganze Wesen.
Nun kam eine hochmütig dreinsehende Blondine auf die beiden zu und rief kalt und drohend: "Welches Mädchen wollt ihr? Nun los, welche wollt ihr haben!?" Immer lauter und wütender.
"Selbst die Huren benehmen sich hier überheblich!" zischte Anton verächtlich und drängte seinen Jugendfreund rasch ins Freie hinaus. Von hier aus war es nur ein Katzensprung bis zum Kings Cross, das von jedem Australier als eine Brutstätte des Lasters angesehen wurde, mit einem Wort also ein Vergnügungsviertel.
Leicht angesäuselt vom Bier, schweiften ihre Blicke suchend und prüfend über die wenigen Frauen, die in diesem Pub vereinzelt zwischen den Männern hockten. Auf einem hohen Podium plaziert, intonierte eine Damenkapelle Jazzrhythmen. Gelangweilt lauschte Willi dem Gemisch aus Musik und emsigen Geschnatter alkoholisierter Stimmen. Auf einmal durchfuhr es ihn wie ein Blitz.
Ein Rasseweib, relativ jung, unterhielt sich mit zwei ausrangierten älteren Typen, denen man die Harmlosigkeit an der Nasenspitze ablesen konnte. Sie thronte mit überkreuzten Beinen auf dem Barhocker, ein enganliegendes schwarzes Samtkleid umschloß die mollige Figur. Wenn sie gelegentlich hell auflachte, flatterten schwarze Locken um ihr Haupt. Willi bemühte sich eifrig um Augenkontakt, sie wich nicht aus, sondern blitzte ihn sekundenlang aus schrägen Augenwinkeln an. Doch sie schien ihren ganzen Charme für die zwei klapprigen Grufties einsetzen zu wollen.
"Du getraust dich ja doch nicht, sie anzuquatschen!" hänselte ihn Toni, als er die grenzenlose Bewunderung seines Freundes bemerkte. Ermutigt durch den Alkohol, und mit der wachsenden Überzeugung, daß er dieses Prachtweib eigentlich besser unterhalten könnte als die beiden alten Kracher, raffte er sich auf, trat auf sie zu und legte ihr ungeniert die flache Hand auf den Rücken: "Entschuldigen Sie bitte die Störung - wir sind fremd hier in Sydney – könnten Sie uns vielleicht einen Rat geben, wo uns etwas Amüsantes erwartet?"
Das Rasseweib prüfte ihn schelmisch von der Seite her, drehte langsam den Kopf und äußerte dann schmunzelnd: "Zuerst höre ich mir die Geschichte meiner zwei Freunde hier fertig an, dann reden wir über den Nachtklub."
Eine Gruppe von zwei Deutschen und einem Österreicher wandten sich gerade zum Gehen, und unsere beiden verhinderten Schürzenjäger schlossen sich ihnen an. "Die ist verheiratet, nichts zu machen!" bedeutete ihm einer der Männer resigniert, der die Dame zufällig kannte. Doch in diesem Moment trat die Heißumschwärmte mit schwingenden Hüften zwischen die Männer, kokette Blicke um sich werfend. Strahlend bedachte sie Willi mit der gutgelaunten Bemerkung "You are a cheeky boy!", worauf sie sich dem Bekannten aus Deutschland zuwandte, der Willi später wiederum brühwarm mitteilte, auch er, Höger, habe ihr sehr gut gefallen. "Aber leider, es wäre eben nicht möglich."
Willi war über seine spontane Reaktion selbst am meisten überrascht. Obwohl im allgemeinen noch immer sehr zurückhaltend, zauderte er jetzt nicht mehr allzu lange, wenn es ihn packte.
Ein elendslanger Münchner gesellte sich noch ihnen zu, der Urlaub von den Snowy Mountains machte und gewillt war, sich zu amüsieren, koste es, was es wolle.
Die Lounge eines Innenstadt-Hotels empfing sie – ein Irrenhaus. Es war vollgepackt mit Menschen: Männlein, Weiblein, Soldaten, Kellnerinnen, Strichkatzen, jungen Farmerstöchtern auf Urlaub – wohin man auch blickte, ein Sammelsurium von Individuen.
Durch die Aluminiumfolien der Rollos drangen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne und ließen den Zigarettenrauch plastisch greifbar über dem Salon schweben. Die drei kämpften sich über ausgestreckte Beine, umgeworfene Stühle und herabhängende Tischtücher vorwärts, zwängten sich zwischen weit nach rückwärts gelehnten Männerschultern durch – immer in Richtung Podium in der Ecke, da der Münchner die Schlagzeugerin kannte. Zufällig verließen zwei Paare den Saal, rasch ließen sich die drei Männer auf den ergatterten Stühlen nieder, halb benommen vom kreischenden Lärm.
Dem Klavier entströmten heiße Akkorde, eine Frau quäckte ins Mikrofon, und das Weibchen am Schlagzeug arbeitete wie besessen mit dem Jazzbesen. Zwischendurch nickte sie dem Münchner kurz und unauffällig zu, als sie seiner ansichtig wurde.
Um den selben Tisch lagerten auch einige Australier. Einer stieß mit dem Ellenbogen gegen ein Bierglas, dessen Inhalt auch Willis Hosenbeine streifte.
"Sorry mate!" rief der Mann besorgt.
"Macht nichts, ist nicht viel passiert!" brüllte ihm Willi ins Ohr. So kamen sie ins Gespräch.
"Mein Freund glaubt, ihr seid Deutsche. Ist das wahr?"
"Ja", meinte Willi verwundert. Wie er das festgestellt habe? Er mußte seine Stimmme gewaltig erheben, um auch nur auf diese kurze Distanz einen verständlichen Dialog fertig zu bringen.
"Hahahaa! Ganz einfach, als ihr reinmarschiert seid – Oh, nur wegen der Länge!" rief ihm der Aussie vergnügt zu. "Meist sind es ja die Hunnen, die nur u n t e r dem Bett Platz finden!"
"Thanks mate. Den originellen Ausspruch werde ich mir aber merken!" brüllte Willi belustigt zurück.
In der anschließenden kleinen Pause im Programm setzte sich die charmante Trommlerin in ihre Mitte. Sie reagierte witzig, erotisch, originell – und war nicht rasch zu beleidigen. Gegen Mitternacht wankten sie die Treppen hinunter, wo Soldaten in Uniform ihre Mädels abknutschten, die wie verrückt die Arme um sie schlangen.
Um zwei Uhr morgens lagen die beiden Freunde Anton und Willi schläfrig auf den Bänken des Zuges, der sie nach Hause brachte.

* * *


Jean der Franzose sprach gutes Deutsch, bekam regelmäßig ein deutsches Sportblatt zugesandt und hatte auch die "Neue Welt", eine australisch-deutsche Wochenzeitschrift, abonniert. "Für einen Franzosen eine erstaunliche Vorliebe fürs Germanische!" versuchte ihn Willi in den ersten Tagen ihres Zusammenlebens aufzuziehen, als sie sich noch nicht sehr gut kannten.
"Alles hat seinen tiefen Grund", hatte ihm Jean damals ungerührt geantwortet. Und fuhr dann fort: "Meine Frau..." "Was, du bist verheiratet?" unterbrach ihn erstaunt der junge Österreicher.
"Meine gewesene Frau", hatte Jean daraufhin traurig berichtigt, "ist Deutsche, weißt du. Daher meine guten Sprachkenntnisse, daher meine Vorliebe für deutsche und österreichische Musik."
"Aber wo ist sie denn jetzt, wenn ich fragen darf?" erkundigte sich Willi, der auf dem Sofa sitzend, den pedantischen Franzosen betrachtete.
"Weggelaufen, mit einem ganz jungen Landsmann!" berichtete der. Bedachtsam nahm er eine Feile aus dem Necessaire und fing an, seine Fingernägel zu bearbeiten. Der leichte Geruch eines Herrenparfüms umgab ihn, den lockigen Haarwusch umhüllte ein Handtuch, um zu verhindern, daß ihn das Nachtlager aus der Form brachte.
Das Kerlchen tat ihm aufrichtig leid, sein Innenleben konnte unmöglich ausbalanciert sein. Ein Narziss wie er im Buche steht, dünkte es Willi, wenn er ihn so bei der sorgfältigen Pflege seines Körpers und seines Eigentums beobachtete.
"Seit ihm seine Angetraute vor zwei Jahren mitsamt dem zweijährigen Töchterchen durchgebrannt ist, dreht er langsam aber sicher durch", erzählte ihm die urgemütliche Hausfrau. Ja, mit Jean ging es abwärts, immer steiler und unaufhaltsamer. Er liebte seine Ehefrau nach wie vor, lauerte ihr manchmal vor dem Kino auf – sie wohnte in der weiteren Umgebung – nur, um sie am Arm des Nebenbuhlers vorbeistolzieren zu sehen.
Er trank – aber wer trank in diesem Lande schließlich nicht?
Er soff – jeden Abend Whisky, Gin, mit Soda und ohne.
Die Mattscheibe, die bei ihren Diskussionen nicht sehr deutlich zu Tage trat, verdichtete sich automatisch, wenn Jean allein auf dem Klappbett hockte, das genauso deutsche Importware darstellte, wie die exklusive Musiktruhe in der Ecke. Einzig und allein die Begeisterung für den Fußballsport riß ihn des Sonntags vom Lager hoch, auf dem er stundenlang schlief. Er zog dabei europäischen Fußball, Soccer genannt, dem australischen ovalen "Eierlaberl" vor. Dies einzig und allein riß ihn aus seiner Lethargie hoch, ließ ihn die selbstauferlegte Kasteiung vergessen: Jean hatte aus Angst vor einem potentiellen Schuldspruch des Richters, geschworen, bis zum Durchsetzen seiner Scheidung keine Frau mehr anzurühren.

Diesen Abend gesellte sich ihnen noch ein Norddeutscher, ein unter demselben Dach lebender Untermieter zu, der Jean zwar gutmütig, jedoch nicht ohne Schärfe aufs Korn nahm. Jean erzählte eben, wie er seine Gattin als 17jähriges Mädel in Deutschland kennengelernt hatte. Damals, als Hunger und Not ganz Europa schüttelte, wo Schokolade und Zigaretten als Zahlungsmittel fungierten. Wie er als französicher Besatzungssoldat um ihre Hand angehalten, und sie schließlich eingewilligt habe.
Da dröhnte das entsetzliche Gelächter dieses normannischen Kleiderschrankes durch das Zimmer. "Haha! Hahaa!" brüllte er, wurde dann jedoch mit einem Schlag ruhig, sprach mit eiskalter Stimme nur einen langen Satz: "Kein Wunder, Mensch, daß sie dich nun mit einem Jüngeren verläßt, dich hängen läßt wie 'nen dreckiges, abgelegtes Hemd: du hast sie ja damals gekauft, g e k a u f t !" Die Augensterne des Deutschen sprühten den schmächtigen Franzosen verächtlich an.

Ja, so verliefen die meisten ihrer Unterhaltungen: Nichts wie Trouble, Schwierigkeiten und Verzweiflung, wohin man auch blickte. Jean stolperte oft noch nach Mitternacht ins gemeinsame Zimmer herein, drehte das Licht auf, schlug Krach und hielt Willi gefühlvolle Vorträge, aus denen vor allem der Geist des Alkohols sprach. Bis er Jean mal eine unvermutet knallte, daß der Franzose beinahe zu Boden ging. Aber nun hatte Willi wenigstens Ruhe. Diese unguten Zustände begannen allmählich an seiner Nervensubstanz zu zerren, er wehrte sich jedoch verzweifelt, in diesen Strudel hinabgerissen zu werden, in dem er so viele seiner Bekannten versinken sah.

Der Kalender zeigte nun Anfang November.
Immer heißer und schwüler, immer unerträglicher wurde das Wetter. Vor allem abends, wenn Willi aus dem Office heimkehrte und nach dem Nachtmahl bei Mrs.Eger den kleinen Raum betrat, den er mit Jean bewohnte, prallte er vor der hohen Temperatur die dort herrschte, förmlich zurück. Den ganzen Tag lang hatte die Sonne Gelegenheit gehabt, dort hineingezuheizen, am Abend war es drinnen einfach zum Verrücktwerden. Jean drängte ihm Whisky auf. "Dann schläfst du besser", unterwies er ihn.
Allerdings, allerdings. Ob dies seiner Lebensweise gut tat?
In Willi kristallisierte sich, unter dem Eindruck all dieser Ereignisse und deprimierenden Erfahrungen, erneut der Gedanke heraus, nach Europa zurückzukehren. Es lag nicht daran, daß er etwa fürchtete, in Australien vielleicht nicht seinen Weg zu machen – im Gegenteil. Er fühlte sich beruflich bereits sehr erfolgsicher, daran haperte es nicht. Das Vertrauen in die eigenen Kräfte und Ideen, die Überzeugung, jeder Aufgabe gewachsen zu sein, stärkte sein Rückgrat, ließ ihn kampfeslustig werden. Bis jetzt hatte es einfach unter seiner Würde gelegen, auf gewisse Anfechtungen überhaupt einzugehen. Nun ertappte er sich immer öfter dabei, daß er wie ein gereizter Tiger völlig überraschend zurückschlug. Und zum Teufel, der Anlässe wurden nicht weniger.
Und er stand völlig allein, auf sich gestellt in diesem kalten Krieg, der ihm noch bevorstand: Einer gegen viele, in einer Firma, deren Arbeiter und Angestellten nicht gerade zu den zartbesaiteten der Metaller-Branche gehörten – einer Gießerei. Dieser Betrieb beschäftigte viele Hilfsarbeiter, deren Gros, abgesehen von den Einheimischen, aus zugewanderten Polen und Tschechen bestand, meist eben Displaced Persons.
Der Österreicher war sich voll bewußt, daß seine sture Haltung in Dingen der täglichen Pflichterfüllung die Australier maßlos reizte und gegen ihn einnahm. Er hätte selbstverständlich von allen Anfang an ein gemäßigteres Tempo vorlegen können; und hätte es auch getan – wenn nicht vom ersten Tag an die Hetzkampagne wieder losgegangen wäre.
So verbiß er sich wiederum in die Arbeit, um nicht den hirnlosen Tratschereien lauschen zu müssen. Am Abend des ersten Arbeitstages traf er den jungen Ingenieur im Zug an und warf ihm selbstverständlich einen freundlichen Gruß zu. Der aber hatte einfach den Kopf weggedreht und zum Fenster hinausgesehen.

In seine erste Woche fiel eine kleine Betriebsfeier, anläßlich der Verabschiedung eines langjährigen Mitarbeiters. Einige Kasten Bier und Limonade standen herum. Herum standen in kleinen Gruppen auch die männlichen Angestellten, schön brav getrennt von den reizenden Damen. Die drei Australier aus seinem Büro hatten sich frühzeitig aus dem Staub gemacht, der vierte im Bunde, ein 21jähriger Rotschopf mit Vornamen Ray, war nach zehn Minuten der Anwesenheit abgehauen.
Keiner der Angestellten, kein Mensch nahm Notiz von ihm. Willi versuchte mehrmals ein Gespräch anzubahnen, kam aber über drei Sätze nicht hinaus: man geruhte, sich einfach umzudrehen und mit dem nächstbesten Australier zu plaudern.
Die weiblichen Mitarbeiter, die Stenotypistinnen, die Telephonistin und andere, hatten wie gesagt, den Männern gegenüber Aufstellung genommen und starrten neugierig und erwartungsvoll zu ihm herüber, so, als ob sie eine gefährliche Bestie aus sicherer Entfernung betrachten würden.
"It's inhuman, es ist unmenschlich, was man da mit ihm treibt!" flüsterte eine der anderen zu. Wenn sich die Bemerkung auf ihn bezog, hatte sie zweifellos recht. Und sie blickten doch alle geradewegs zu ihm her!
Ach ja, Ray hatte ihm erzählt, daß vor ihm noch kein Neuaustralier einen Bürosessel bei Williamstown Foundry Pty blankgescheuert hatte.
Das helle Mißtrauen drückte sich in ihren Mienen aus. Zu welch wahnwitzigen Resultaten die ganze Blase bei diesen Debatten gekommen war, mußte er tagsdarauf zu seinem Leidwesen feststellen.

Eine flott aussehende ältere Dame trat an Warran, dem Ingenieur, und Ted dem Konstrukteur, heran.
Warran lehnte entspannt im Sessel, die linke Hand hing an der Seite herunter. Eine Sitzposition, die er gewöhnlich einnahm, wenn ihm fad war. Den brünetten Schädel hielt er leicht nach links geneigt, wo Ted wie ein übler Einbläser nahe an ihn herankroch und auf ihn einredete: "Das ist ebenfalls ein Schlechter! Wenn du ihn genau ansiehst, wie schweigsam er arbeitet – und wie hartnäckig – das sollte doch des Beweises genug sein, nicht wahr?...
Die Truth hat also doch recht: nichts wie Ex-Kriminelle und Mörder strömen in unser Land!"
Ted warf verstohlen einen Blick zu dem Österreicher hin, rückte sein Brillengestell zurecht und murmelte: "Wir brauchen ja garnicht seinen wirklichen Namen! Nimm einfach ein Foto von ihm auf, wir können so leicht Nachforschungen anstellen..."
Die Dame, die bis zu diesem Punkt aufmerksam, wenn auch befremdet zugehört hatte, warf sich nun für Willi in die Bresche: "Wenn er schon von Mills gekündigt hat weil man entdeckte, daß er ein Exkrimineller ist, so muß man ihm doch eine Chance geben!
Seid doch nicht so kleinlich und unmenschlich!"
Der junge Österreicher traute kaum seinen Ohren. Wie, um Himmels Willen, kamen sie auf diesen ausgefallenen, absurden Gedanken, er könnte ein entlassener Sträfling sein?
Zutiefst erschüttert, begann er ernstlich an seinem Verstand zu zweifeln: litt er unter Halluzinationen?
Bildete er sich dies alles möglicherweise nur ein?
Vielleicht redeten sie garnicht von ihm, vielleicht bezog er in neurotischer Weise alle Äusserungen auf sich?
Hatten ihn die Burschen in Wirklichkeit garnicht brüskiert, war alles nur eine Ausgeburt seiner überhitzten Fantasie?
Litt er an Verfolgungswahn??
Entsetzliche Aussichten!
Kalter Schweiß drang in kleinen Perlen aus den Poren seiner Haut, bis das Hemd klitschnaß war.
Aber, warum merkten seine Bekannten und Freunde nichts davon, daß er im Kopf nicht mehr richtig war? Duldeten sie ihn einfach gutmütig in ihrer Mitte? Nein, das war nicht der Fall. Täglich knüpfte er neue Bekanntschaften an, alle respektierten ihn. Er konnte nicht ernstlich krank sein, wenn überhaupt. Möglicherweise eine Nachwirkung der Krise bei Mills Ltd, die er nur überwunden glaubte?
Auf dem Platz vor ihm saß, mit dem Rücken zu Willi, der junge Ray, der die Gewichtskalkulationen durchführte. Anscheinend beschäftigte er sich intensiv mit der Ablesung des Rechenschiebers, den er eben in den Händen hielt.
Aber Ray lauschte mit geheimen Abscheu dem infamen Disput um die Ehre und die Zukunft dieses anständigen jungen Mannes. Eigentümlich, die beiden hatten sich vorher nie im Leben gekannt oder auch nur gesehen, waren in verschiedenen Ländern aufgewachsen, in gänzlich verschiedenem Milieu groß geworden. Ray in einem Glasscherbenviertel von London, Willi in einem Provinznest des kleinen Staates Österreich. Aber allein der Umstand, daß sie 18 000 Km von Williamstown zur Welt gekommen waren, ließ sie einander näherrücken und besser verstehen.

Ray erhob sich von seinem gepolsterten Sessel und trat an das Reißbrett Willi Högers heran. Ohne jegliche Einleitung begann er: "Mir gefallen diese Aussies nicht. Insbesondere, wie sie über andere Leute reden, speziell die Italiener!"
Da Willi kein Wort erwiderte, da er zu verkrampft war in Wut und Empörung über die ungerechte Behandlung, über die Schmach, die er erdulden mußte, schwieg der Engländer eine Weile.
Unsicher setzte er hinzu: "Ich sollte das eigentlich nicht sagen, denn die Briten und Australier sind doch ein Stamm, nicht wahr?"

Eben noch hatte Willi überlegt, wie er den jungen Engländer dazu bringen könnte, einen Zeugen für das eben Gehörte abzugeben. Denn daß ihm diese gemeinen Anschuldigungen nicht entgangen waren, bewies ja dessen halb entschuldigende Äusserung von vorhin. Nun wurde Willi bewußt, daß er von Ray nicht gut erwarten konnte, gegen seine Stammesbrüder auszusagen.
Er nahm sich mit allem Ernst und aller Verbitterung vor, wenn er diesmal entlassen würde, dann war ein Krach fällig, der sich gewaschen hatte. Tagtäglich erschienen empörte, verbitterte Zuschriften von Neuaustraliern in den Zeitungen, und in Einwandererkreisen nahmen die Diskussionen um diesen Punkt kein Ende.
Es war etwas faul im Staate Australien!
Er war müde. Allzugerne wäre er in Ruhe und in freundlichem Einvernehmen mit den Einheimischen seinem Beruf nachgegangen, aber nein, es war nicht möglich.

* * *


Er beeilte sich mit dem Abendessen, warf sich in den dunklen Anzug und fuhr nach N., wo er jene Danica im Spital suchen wollte. Ihr Foto trug er in der Brusttasche verwahrt mit sich. Während der Fahrt zog er es heraus und betrachtete die junge Dame nochmals eingehend und kritisch.
Die trüben Vorfälle während der Schiffsreise, die manchmal erschütternden Beobachtungen hier in Australien, hatten in ihm eine unbewußte Abwehrhaltung, ein gewisses Mißtrauen gegen jedes Weib, das ihm zufällig unterkam, hervorgerufen. Von der früheren Idealisierung, ja direkt Ehrfurcht vor dem Weib an sich, war nicht mehr viel übriggeblieben.
So näherte er sich im Grunde widerstrebend dem Ort, wo mit großer Wahrscheinlichkeit bestenfalls ein weiteres erotisches Abenteuer auf ihn wartete, dessen er sich später, vielleicht nur mehr mit Mißbehagen, erinnern würde. Es befiel ihn regelrecht die Furcht, daß jenes unbekannte Wesen, soferne er es überhaupt vorfinden würde, nur eine weitere Enttäuschung darstellen könnte.
Nicht etwa in Hinblick auf Aussehen, Schönheit, Anziehungskraft – aber vielleicht traf er nur auf ein ganz gewöhnliches Flittchen. Er war von dem Vorurteil erfüllt, daß ein alleinstehendes europäisches Mädchen mit größter Vorsicht zu betrachten sei, da das Hauptaugenmerk der holden Weiblichkeit in diesem Lande, nach seinen bisherigen Erfahrungen, ganz banal und einseitig auf Money ausgerichtet war.
Ein junger Mann mochte aus Abenteuerlust auswandern, na schön. Die meisten, der ledigen Burschen seines privaten Umgangs, waren einfach dem Lockruf der Ferne gefolgt. Niemand konnte ihnen da einen Vorwurf machen. Fast alle entpuppten sich als sehr flotte, sehr anständige und vertrauenswürdige Burschen. Noch niemals war er enttäuscht worden.
Aber was trieb ein Mädchen in die weite Welt hinaus?
Was mochte ein behütetes Töchterlein aus einer gutbürgerlichen Familie dazu veranlassen, aus dem Elternhaus wegzulaufen?
Aus welch' plausiblen Grund wandert eine Frau in das entlegene Land des Männerüberschusses aus, wenn nicht, um einen Ehepartner zu finden! Weil die Nachfrage groß, das Angebot an Frauen aber beschränkt war, jedenfalls im Vergleich zu Europa.
Wenn ein Mädchen zuhause keinen Partner fand, sei es, weil sie häßlich oder untüchtig war, ihr moralischer Ruf vielleicht angeschlagen – dann war noch mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß sie hier einen Mann fand, der bereit war, alles für sie zu opfern. Weil er eben ein W e i b, irgendeine Frau brauchte, mit Verlaub gesagt!

Diese und ähnliche Gedanken bewegten Willi auf dem Weg zur angegebenen Adresse. Unschlüssig stand er nun vor der Mahagonitür mit der Aufschrift 'Room 117'.
Eine Spitalsschwester fegte geschäftig heran, er hielt ihr den Zettel aufdringlich unter die Nase: "Entschuldigen Sie bitte! Könnten sie mir verraten, wo dieses Girl anzutreffen ist?" Und als Ausrede fügte er hinzu: "Ich bin aus Melbourne, ich weiß, daß es relativ spät ist, aber..."
"Ist noch da. Werde nachsehen, ob sie bereit ist, Sie zu empfangen. Ausnahmsweise! Die Besuchsstunden sind nämlich schon vorüber. Warten Sie hier!"
Also war sie doch eine Patientin dieses Spitals.
Nach einer Minute kehrte die Schwester zurück und meinte kurz: "Alright, Sie können eintreten."
Willi schob die Krawatte mit einer nervösen Bewegung hoch und betrat dann zögernd das Zimmer.
Gleich neben dem Eingang lag eine Frau um die fünfunddreissig, in ein Buch vertieft. Das also konnte Danica Petrovic nicht sein...
Ein weiteres, hochgelagertes Bett verstellte fast die Sicht durch die riesige Glasscheibe vor dem Balkon.
Auf dem ersten Blick gewahrte der junge Mann nur lange, wirre schwarze Haare, die ein bleiches, abgespanntes Gesicht umrahmten, das halb verborgen im Kissen lag. Das Antlitz einer müden, verbitterten Frau mit ausgebrannten Augen.
Er erschrack, näherte sich vorsichtig.
Kaum merklich drehte das seltsame Wesen ihr Haupt in seine Richtung.
"Guten Abend, – entschuldigen Sie bitte die Störung!" Nun fing er zu allem Überfluß auch noch zu stottern an.
"Mein Name – ist Willi. Willi Höger...Ja. Ich, ich bin Österreicher und bin – aus Melbourne kommend – vor kurzen in Sydney – gelandet. Wohne in Banston... und habe Sie zufällig auf diesem Bild hier...äh, entdeckt!"
Vor Aufregung lief er rot an. Krampfhaft lächelnd hielt er ihr das bewußte Foto hin.
" Sie – haben – mir da – sehr gut gefallen! Habe Ihre Adresse rausbekommen, und da ..., da dachte ich, ...ich könnte Sie ja mal aufsuchen. Ich hoffe, Sie sind nicht ungehalten, wenn ich Sie so überfalle?" Fragend hielt er inne.
Unwillig, direkt feindlich abwehrend hatte ihm die junge Frau anfangs angesehen. Nun stahl sich ein feines Lächeln auf ihre blutleeren Lippen, und sie erwiderte ebenfalls auf englisch: "Ach, dieses kleine Fest! War sehr schön."
Pause. Tiefes Nachdenken auf beiden Seiten.
"Wir können Deutsch sprechen", meinte sie plötzlich. "Das ist Ihnen doch sicher lieber, nicht wahr?"
Sie hat braune Augen, große braune Augen. Und ein kleines Schmollmündchen, registrierte er flüchtig.
"Sie sind von Sydney?? Mein Gott, Sie sagten doch soeben, daß Sie aus Melbourne gekommen sind...
Wissen Sie, ich haben heute ein Plastisches Operation gehabt – da bin ich noch ganz dumm, von Narkose. Kann nicht viel denken." Verlegen strich sie mit der Hand durch die Haare, die sie wild umflossen und versuchte die Fülle am Hinterkopf zu bändigen. Einmal, zweimal, dreimal. Reizende Öhrchen kamen da zum Vorschein. Wie weich und melodiös ihre Stimme klingt, fiel Willi auf. Und dunkel, wie das Organ Zarah Leanders.
"Oh, tut mir leid. Wäre nicht gekommen, wenn ich das geahnt hätte!" entschuldigte sich der junge Mann. "Muß mich schleunigst irgendwie aus der Affäre ziehen", dachte er.
"Hier, darf ich Ihnen eine Tafel Schokolade anbieten?" Linkisch zog er die Stollen aus seiner Sakkotasche hervor. "Und Samstag werde ich nochmals auf einen Sprung bei Ihnen vorbeisehen, ob es Ihnen schon besser geht! Ich darf, ja?"
Ohne eine Antwort abzuwarten erhob er sich und schritt schleunigst zum Ausgang. "Auf Wiedersehen!" sagte er noch und deutete eine leichte Verbeugung gegen die Dame mit dem Buch an. "Good bye!"
"Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!" hörte er ihre samtene Stimme, sah er einen freudigen Zug über ihr Antlitz huschen. Lebhaft winkte sie ihm mit der Linken zu. Die rechte Hand war während der vergangenen fünf Minuten unter der Decke verborgen geblieben. Dann senkte sich ihr Kopf wieder in die weichen Kissen zurück, die sie hochlagerten.
Tut mir leid, das Mädel. Na, Samstag werde ich sie nochmals aufsuchen, vielleicht freut es sie ein wenig. Hat viel durchgemacht, wie es aussieht...

Ohne weitere Zwischenfälle verfloß die Woche.
Den freien Vormittag verbrachte er mit Shopping und Stadtbesichtigungen – und um Punkt zwei Uhr schritt er wieder über den Korridor, der zum Raum 117 führte.
"Hallo, da bin ich wieder!" rief er so fröhlich wie nur möglich und baute sich neben dem Bett auf, dessen Unterkante ihm bis zu den Hüften reichte. "Schön, daß Sie gekommen sind. Ich habe nicht gewußt, ob ich letztes Mal richtig verstehen haben. Habe gedacht, Sie sind nur hier zu machen einen Besuch?"
"Nein, ich arbeite als Draftsman in Williamstown." Er tat diese Frage kurz ab und wechselte schnell auf ein anderes Thema über. "Bevor ich mich noch zu ärgern beginne", dachte er. "Und woher stammen Sie? Wie lange halten Sie sich bereits in Australien auf?" Kurz und sachlich stellte er eine Frage nach der anderen. Von deren zufriedenstellenden Beantwortung würde es abhängen, ob er sich hier noch einmal sehen lassen würde. Sieht verdammt abgehärmt aus, hat tiefe Ringe um die Augen. Etwas unkonzentriert beim Sprechen, so als ob sie Tag und Nacht schlaflos verbringen würde. Kühl und distanziert diagnostizierte er ihr Aussehen. Wenn sie redete, rief sie den Eindruck einen Menschen hervor, dessen Gedanken weit in die Ferne schweiften; beim Sprechen sah sie an ihm vorbei.
Sie hatte bereits seinen forschenden Blick bemerkt: "Ich darf nach einer Operation vier Tage und Nächte nicht schlafen, Mr. Hoeger, damit ich meine rechte Hand nicht losreiße. Die ist an meine Fuß festgebunden, wissen Sie!"
Armes Mädchen. Regungslos so dasitzen müssen, Stunde um Stunde! Wenn ich es so abschätze, muß sie mindestens dreihundert Pfund an Schulden haben – die kann sie in etwa zwei, drei Jahren abzahlen. Das muß ihr schon schlaflose Nächte bereiten, da muß sie sich erst garnicht künstlich wachhalten! Nüchtern stellte er diese Überlegungen an, während er mit ihr sprach.
"Mein Vater war Direktor. Aber nach dem Krieg ist er...erstochen? Wie sagt man da?" Sie sah ihn fragend an.
"Erschossen?" Willi schauderte zusammen.
"Ja, erschossen worden, weil er eine Königstreue Mann war." Sie verfiel in ein kurzes, düsteres Nachdenken. "Unser Haus wurde uns auch weggenommen, aber vielleicht bekommen wir es wieder", erzählte sie ihm später. "Da habe ich mir ein kleines Fotolaboratorium gebaut gehabt. Deswegen arbeite ich hier in eine Fotostudio, weißt du – entschuldigen Sie, wissen Sie, Herr Höger!"
Sie lächelte wie ein kleines Kind.
Herrlich weiße Zähne. Und der reizende Mund dazu! Schade, daß sie ein so grobes Flanellhemd trägt. Möchte mehr von ihr sehen. Er sagte laut: "Ach, das ist doch lächerlich, dieses 'Sie'! Sagen wir doch 'du' zueinander, wir sind doch beide jung!"
"Sehr gerne – Willi!" Sie lächelte, leicht gezwungen und ganz unverbindlich. Diese Erkenntnis ärgerte ihn. Für einige Monate wäre sie ein ganz passabler Flirt, wird wahrscheinlich nicht abgeneigt sein. Unterstütze sie, und als Gegenleistung...na, das ist ja klar. Schade, sie wirkt älter als ich. Tatsächlich ist sie um zwei Jahre jünger, also etwa vierundzwanzig.
Sie beschrieb ihm jetzt gerade ihre Geschwister, zeigte ihm einige Familienfotos: "Da war ich in eine Camp." Er sah sie drauf, angetan mit einem langen Hauskleid, das ihr bis über die Knöchel hinunterreichte. Sie stand inmitten einer Schar von Männern, im Hintergrund lehnten einige windschiefe Hütten. Eine wichtige Frage dazu lag ihm auf der Zunge, aber er unterdrückte sie.
"Wie lange läufst du eigentlich schon mit dieser Narbe am Fuß herum?" "Drei Jahre, Willi", gab sie zur Antwort.
"Und wodurch wurde die Verletzung verursacht?", fragte er ruhig.
"Ich war bei eine Schikurs und bin unglicklich gefallen. Und seither ich habe viele Schwierigkeiten gehabt, Willi. Immer wieder. Da bin ich mit meiner Freundin und deren Mann nach Australien ausgewandert. Wir leben hier zusammen, und verstehen wir uns sehr gut." Sie hatte ihren Oberkörper leicht erhoben und schlug jetzt die Augen nieder: "Ich habe geglaubt, daß es mir hier besser gehen sollte..."
"Würde...", besserte er ungerührt aus. Gleichzeitig dachte er nüchtern: "Du bist eine dumme Gans."
"Glaubst du vielleicht, man wird dir hier etwas schenken?" fragte er erstaunt. "Nein, das nicht, aber..." Sie verstummte. "Willi - ich habe in dem halben Jahr, seit ich leben hier, viel mitgemacht. Wie glaubst du, wie ich habe bekommen Arbeit?"
Ihre großen, rehbraunen Augen sahen ihn weitgeöffnet an. Ein Zittern schwebte um ihre Stimme, die ganz klein und zaghaft im Raum hing. "Ein Jammer, so ein alleinstehendes Mädchen in der Fremde, krank und schutzbedürftig", dachte er.
"Ich habe müssen immer eine lange Hose tragen, weil die Narbe zu groß, zuviel sichtbar ist. Da habe ich unterhalb Seidenstrümpfe und dann noch ein Kleid darüber angezogen. Und weil es hat viel und oft geregnet, noch einen Mantel drüber...
So ausgestattet bin ich von eine Firma zu andere gegangen. Wenn ich bin vor Büro gekommen, ich habe die Hose hinaufgezogen, sodaß sie unter den Mantel hinein...?" "Geschlüpft", half er ihr aus. "Danke – . Denn wenn ich mit Hose von vorneherein gekommen, haben mich die australischen Chefs immer gefragt: warum? Und wenn ich ihnen die Narbe gezeigt habe, wollten sie mich nicht einstellen.
Das war eine furchtbare Zeit für mich.
Glaubst du mir das, Willi?"
Er nickte, die Jugoslawin tat ihm verdammt leid. Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte ihm, daß die Besuchszeit abgelaufen war. "Ich muß leider gehen, Danica. Aber ich komme wieder, um dich zu besuchen." Er zögerte noch mit dem Weggehen, anscheinend wollte sie ihm noch etwas anvertrauen.
Sie drückte ein wenig herum: "Willi, ich muß dir noch etwas sagen. Wie ich Jugoslawien verlassen habe, habe ich etwas ganz Schreckliches getan!!" Sichtlich gequält brachte sie es über die Lippen; und trotzdem klang es wie das Geständnis eines kleinen Mädchens das dem Papa berichtet, sie habe ihre Puppe zerbrochen.
"Na, was denn? Ist vielleicht die Polizei hinter dir her?" Gutmütig grinsend blickte er das blasse Geschöpf an.
"Nein, das ist es nicht." Offenbar nahm sie einen geistigen Anlauf, denn sie schwieg einen Augenblick. "Ich habe zuhause immer nur Schwierigkeiten gehabt, wurde immer nervöser. Schließlich habe ich es nicht mehr ausgehalten. Bin dann plötzlich auf ein Schiff. Meine Mama hat tagelang geweint, aber ich habe mich nicht darum gekümmert.
Und zuvor habe ich etwas ganz, ganz Schreckliches getan!" Zaghaft, gebrochen, fast wimmernd hatte sie dies hervorgebracht. Nun sah sie den jungen Mann aus traurigen Augen an.
"Aber was denn, Danica, sag es doch! Ich werde es niemandem erzählen, bitte!" Er dachte: "Wenn sie sich mir mitteilt, wird es sie erleichtern. Und gar so schlimm wird es schon nicht gewesen sein."
"Ich kann es dir nicht sagen, ich kann es dir nicht sagen!" flüsterte sie nur.
"Nun, Danica, dann...Ich verlasse dich jetzt. Es ist wirklich an der Zeit. Also auf Wiedersehen, good bye, Danica!"
Ein neutraler Beobachter der Szene hätte einen zärtlichen Unterton in seinem Ausdruck festgestellt... Eineinhalb Stunden waren wie im Fluge vergangen. Er zog das Resümee: Ein ganz netter Käfer – bloß jünger sollte sie aussehen, und drängelte zur Tür hinaus.

* * *


Anton Melzer kannte ein aus Österreich stammendes Ehepaar, das nun naturalisiert, die Australische Staatsbürgerschaft besaß. Anton und Willi besuchten die beiden in ihrem Häuschen unweit von Banston. Die Burschen, die wegen der flüssigeren Unterhaltung einige Flaschen Bier mitgebracht hatten, fanden außer dem Ehepaar noch einen jungen Mann von neunzehn Jahren vor. Wie sich herausstellte, ein leiblicher Sohn des Mannes aus seiner ersten Ehe, den der Vater aus Jugoslawien hatte nachkommen lassen. Seine erste Frau war dort geblieben.
"Von Erziehung keine Spur", wetterte der Mann ärgerlich. "Man kann sich ja vorstellen, wie der Junge im heutigen kommunistischen Jugoslawien aufgewachsen ist – ohne Vater noch dazu! Was der trotz seiner Jugend schon alles erlebt hat! Einiges hat er mir ja freiwillig erzählt: er hat das Leben eines vierzigjährigen Mannes geführt! Diese kommunistischen Machthaber – alles, was die in Jugoslawien zustande bringen, sind doch nur hochtrabende Phrasen – und die Jugend zu Tagedieben und Mördern heranzuzüchten! Noch immer steigt dort die Mordrate.
Wißt ihr, was der Kerl, m e i n Sohn, während unserer Abwesenheit in meinem Haus getrieben hat? Er hat die ganzen Kästen durchstöbert, um sich in den Besitz einiger Dokumente zu bringen, damit mein Haus hier an seine Mutter fällt, die sich da reinsetzen möchte!"
Neben dem Fenster kläffte nun wütend ein Hund, ein zweiter lief auf der Veranda unruhig hin und her. "Ist schon gut, bekommst schon dein Fressen!" beruhigte ihn der Mann mit schmeichelnder, sanfter Stimme.
Später nannte er seinen Sohn, der bisher ruhig alles mitangehört hatte, in Gegenwart der beiden Gäste einen Idioten und Banditen. Daraufhin sprang der Jugendliche auf und stürmte mit knirschenden Zähnen in Freie hinaus. Sein Erzeuger eilte ihm sofort nach und wollte ihn zum Umkehren zwingen, aber der Bursche rannte die staubige Straße entlang. Die beiden Jugendfreunde schwiegen betreten, draussen hörte man den Mann herumrumoren. Entschuldigend wandte sich Anton an Willi: "Ist mit den Nerven ziemlich am Ende...So wie alle anderen, die hier einige Jahre gelebt haben!" Willi räusperte sich zynisch: "Was heißt übrigens 'gelebt haben'? Er und seine zweite Frau haben sieben Jahre lang nur geschuftet, gespart und sich Sorgen gemacht. Jetzt dürfen sie dieses Häuschen ihr eigen nennen. Mit zwei möblierten Räumen darin. Ob sich das alles gelohnt hat?
Diese Leute sind zu einer Zeit ausgewandert, als es in Europa noch ganz dreckig ausgesehen hat, die Zukunftsaussichten nur düster erschienen. Weil sie alle noch die russische Soldateska, die vier Besatzungsmächte – unsere vier Befreier – und den niedrigen Lebensstandard vor sich sehen, zögern sie in die Heimat zurückzukehren. Obwohl sie vielfach vor Heimweh vergehen...
Was heißt hier 'leben', habe ich gesagt", fuhr Willi in seiner Suada fort.
"Hast du gehört, daß ihr erster Unterhaltungsabend in Australien jenes jüngste Österreicher-Fest in Banston gewesen ist? Daß sie niemals ins Kino gegangen, nirgendwo hingegangen sind, an keinen Parties teilgenommen, geschweige denn welche veranstaltet haben? Weil sie sonst mit den Einkünften nicht ausgekommen wären, da sie ja nie über den Grundlohn hinausgekommen sind?
Ja Mensch, Anton! Wo bleibt der viel gepriesene standard of living, wenn sich der Mann von der Straße, der regelmäßig und fleissig seiner Tätigkeit nachgeht, nicht mehr leisten kann? Die ganz Tüchtigen und Gerissenen kommen in jedem Land der Erde zu etwas. Und wenn du sie auf dem Nordpol absetzt!
Hier ist es für den Durchschnittsbürger einen Scheißdreck besser. Im Gegenteil! Er geht wegen des unguten Klimas, den unsicheren Lebensverhältnissen, der Rastlosigkeit und wegen des mangelnden Kontaktes mit den Einheimischen langsam aber sicher vor die Hunde. Da! Sieh dir die Schachtel an, die am Kühlschrank liegt: ein Nervenberuhigungsmittel!"
"Paß auf, er kommt zurück!!" zischte Anton.
Auch die Frau trat wieder herein, nachdem sie die Hunde versorgt hatte. Noch lange unterhielten sich die vier über Australien und die verlorene Heimat Österreich.
"Ihr wißt ja über die Zustände und Verhältnisse hier wesentlich besser Bescheid als ich, der ich schon dreimal solange hier lebe!" gestand der Vierziger danach. "Wir hatten eben Muße, uns umzusehen", gab ihm Anton zu bedenken. Nachdem sie das letzte Schlückchen Bier ausgetrunken hatten, verabschiedeten sich die beiden Junggesellen von dem Ehepaar.
"Eins steht für mich fest, der Mann liebt seine Hundsviecher mehr als seinen eigenen Sohn. Das ist das Resümee unserer ganzen Diskussionen..." Willi beförderte die Bierflasche, die er auf dem Weg zur Bahnstation geleert hatte, in weitem Bogen auf eine Schutthalde. In der Nähe verrostete ein uralter Ford auf Plattfüßen in einer Halde wuchernden Unkrauts. Dahinter verwitterte ein verlottertes Bretterhaus, mit durchlöchertem Blechdach über der Veranda. Über die Fensterhöhlen wölbte sich vergilbter Pappkarton.
"So sehen sie aus, die Autos und die Eigenheime, von denen die Einwanderer nach zwei Jahren nach Hause berichten. Ha! Daß ich nicht lache!" Sie trotteten schweigsam dahin. "Wie sieht übrigens die 'Villa' von Paul aus?" fragte er Anton mit beißendem Hohn. "Der hat doch vor drei Jahren mit Kind und Kegel die Heimat verlassen, weil er sich nach einem eigenen Herd gesehnt hat. Wie geht es ihm denn?"
"Nicht besonders, aber du wirst ja sehen. Ich leihe mir demnächst eine Maschine aus und wir fahren zu ihm."

* * *


Das erste, was Willi nach Abstempeln der Zeitkarte gewöhnlich tat, war die Aktenmappe auf den Tisch zu feuern und den Ventilator auf dem Schrank in Schwung zu bringen. Schon am frühen Morgen brütete die Novemberhitze unheimlich heiß und schwül über New South Wales. Das hinderte die Angestellten aber keineswegs daran, mit steifen Kragen und Krawatte herumzustolzieren. Man war ja schließlich und endlich ein white collar man, ein Bürohengst. Und das mußte man doch schließlich jedem deutlich zu verstehen geben, denn an der Ausdrucksweise oder dem Benehmen unterschieden sich die Boys hier im Staff sehr wenig von den übrigen Bevölkerungsschichten.
Der Verkaufsleiter knurrte das "bloody" genauso genußvoll hervor wie der letzte Gießgrubenkumpel, wenn etwas schief ging. Und häufig lief etwas schief.
Wie üblich vertieften sich Willi und John, ein Zeichner-Lehrling und Abendschüler, eifrig in die Lektüre der Morgenblätter, denn beide trafen zwanzig Minuten vor Arbeitsbeginn mit dem Zug ein. Warran und Ted kamen gewöhnlich eine Stunde später, da sie gemeinsam als Nebenverdienst Maschinenkonstruktionen entwarfen. Soweit, so gut. Niemand nahm oder wagte daran Anstoß zu nehmen, galten die beiden doch bis vor kurzem als unersetzlich.
Die Leitung des Werkes änderte nur widerwillig, doch mit steigender Neugierde ihre Meinung in diesem Punkt. Ein blutjunger europäischer Stutzer, von dem man nie genau wußte, was er dachte, machte den beiden Gentlemen Konkurrenz.
Noch dazu war er bienenfleißig, was man ja leicht feststellen konnte, wann immer man den Abkürzungsweg durch das kleine Konstruktionsbüro nahm, ging man in die Werkshalle. Fast immer sah man ihn dann über das Brett gebeugt an der Arbeit. Er, von dem man sich nicht mehr als Durchschnittsleistungen erwartet hatte, schüttelte technische Lösungen anscheinend aus dem Ärmel, wo andere stundenlang nachdachten.
Die Leichtigkeit, mit der er dies vollbrachte, ließ sogar die Vermutung zu, daß er ein "fully qualified engineer" war. Aber man würde ihn deshalb nicht besser entlohnen, beileibe nicht.
Denn liefen in der Firma nicht Gerüchte herum, daß der Austrian ein Exkrimineller sei?
Daß er so brav und beinahe sklavisch schuftete, bewies doch, daß ihn das schlechte Gewissen drückte. Daß er Aufdeckung befürchtete und dem durch gute Leistungen vorbeugen wollte. Aber wenn man ganz ehrlich blieb, mußte man wohl oder übel zugeben, daß ein persönliches Gespräch mit ihm gar keinen so schlechten Eindruck hinterließ. Von einer Haftpsychose oder ähnlichem war nicht das Geringste zu merken.
Aber Warran, dem Ingenieur und Australier, mußte man andererseits doch Glauben schenken, oder etwa nicht? Aber für uns, die wir hier im Lohnbüro sitzen, an der Schreibmaschine oder im Managerbüro, ist es ganz amüsant, diese Entwicklung weiter zu verfolgen. Denn daß der hochgeehrte Warran die Existenz des Europäers sowohl verärgert als auch leicht besorgt betrachtete, lag auf der Hand.
So oder so ähnlich dachte man wohl in den Büros von W. Foundry Pty.

In diesen Vormittagsstunden war einzig und allein Willi Höger als Techniker erreichbar, denn dem Jüngling John traute man natürlich noch nicht allzuviel zu. Der Verkaufsleiter benötigte eine Auskunft, peinlich, aber an wen sollte er sich wenden, als an den Konstrukteur, dem Austrian? Ted hatte ihm eingeredet, der Entwurf eines Hemmelementes, ausgelöst durch die Schwerkraft, tauge nichts.
"Komm mit raus", knurrte der Manager unwillig den jungen Mann an. "Betrachten wir uns die Sache im Original!"
Das Einführen des Schwingarms war nicht unkompliziert. Minutenlang probierte der Mann herum, ohne Erfolg. Vor Wut und leichtem Schamgefühl schoß dem Australier das Blut ins Gesicht. "Bloody bastard!" fluchte er vor sich hin.
"Gestatten Sie, darf ich mal probieren?" erkundigte sich Willi höflich, ergriff den Schwingarm, visierte kurz an und - brachte ihn in Sekundenschnelle in die vorgesehene Position. Der Chef sah überrascht auf und ordnete ihm dann in barschem Ton an, er möge noch dessen Funktion überprüfen: es haute alles programmgemäß hin.

Kaum vermochte Willi ein Triumphgefühl zu unterdrücken. Damit hatte er sowohl dem mißgünstigen Kollegen als auch dem Chef eine Schlappe zugefügt. Daß seine Vorgangsweise kaum Anerkennung, sondern nur neue Feindschaft einbringen würde, berührte ihn nicht mehr sonderlich. Ein unbändiges Verlangen, diese Menschen hier zu demütigen, wo er nur konnte, lächelnd durch bessere Ideen zu übertrumpfen, bestimmte nun sein Handeln. Er würde sich einen Deut um deren Gefühle kümmern, genauso wenig, wie sie es bei ihm taten.
Oh, man ließ ihm das Mißtrauen deutlich merken, wie etwa der Lohnverrechner, der jedesmal seinen freundschaftlichen Gruß überhörte und ihm wortlos das Lohnsäckchen aushändigte.
Wartet ab, ihr Hunde! Ich werde euch noch bis aufs Blut reizen, das schwöre ich euch, rumorte es in der Brust des jungen Mannes.

"Wenn er auch ein Teddy-Boy ist, ein Plattenbruder und Exkrimineller, aber eines muß man ihm lassen: arbeiten kann er!" hatte Warran einmal seinem Satelliten Ted hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert – gerade so laut, daß dem Österreicher nichts entgehen konnte. Willi hatte auf diese gezielte Provokation nicht reagiert, er wußte warum. Und er erfuhr auch, wie heimtückisch es die Brüder trieben.
Nach einer dieser Hetztiraden stand er auf und trat an den Tisch Warrans heran. Ein letztes Mal wollte er versuchen in vollkommener Ruhe und Güte mit diesem Mob auszukommen. Gemessen hub er zu sprechen an: "Warran, – ich habe den Eindruck, daß in dieser Firma über mich Gerüchte umlaufen, die irrtümlich oder böswillig, das kann ich nicht entscheiden, meine Person herabsetzen..."
"Wirklich? Das habe ich nicht gewußt, Willy." Unschuldig harmlos setzte Warran seine Berechnungen weiter fort.
Der junge Mann zwang sich gewaltsam zur Ruhe. "Warran!" stieß er wie eine Drohung hervor, "Ich mag mich täuschen, aber ich höre dich und Ted dauernd flüstern, über mich herziehen. Unsinnige, grundlose Anschuldigungen. Schön langsam bekomme ich einen Verfolgungswahn, wenn es so weiter geht. Habe ich also richtig gehört oder nicht?"
Der australische Ingenieur schwieg sich aus, enthielt sich jeder Antwort. Seine Erregung wuchs an: "Offensichtlich herrschen hier andere Regeln im Umgang mit Menschen. Wir in Österreich halten mit unserer Meinung nicht hinter dem Berg. Also bitte, wenn dir etwas mißfällt, wenn du dich über mich zu beklagen hast – sag' es!" Mit zitternder Ungeduld wartete er auf eine Entgegnung.
"Du irrst dich! Wir haben nicht das geringste gegen dich und würden nie zu solchen Mitteln Zuflucht nehmen. Nein, du hast dich sicherlich verhört. Kein Grund zur Aufregung, wir sind alle Freunde!"
"Well, dann ist es ja gut. Es freut mich, daß du mich als Freund betrachtest." Damit begab sich der junge Mann wieder an die Arbeit, nicht ganz überzeugt, daß er aus der Unterredung etwas gewonnen habe.
Flugs eilte Ted an die Seite Warrans: "Er ist verrückt! Du, ich sage dir, der ist verrückt!!" Sie plapperten wie Kindermäuler.
"Jetzt glaubt er, wir ziehen über ihn los. Der leidet ja wirklich an Verfolgungswahn. Am besten holen wir einen Psychiater und lassen ihn hier untersuchen. Dann können wir ihn gleich in einer Anstalt unterbringen, bevor er noch gewalttätig wird."
"Ja, das werden wir veranlassen!" gab Warran ruhig zur Antwort.
"Ein wenig warten wir noch ab, dann bekommt er vielleicht einen Tobsuchtsanfall und wir ersparen uns etwaige Scherereien."
"Ja, so ist es richtig. Das ist eine gute Idee!" Eifrig rieb sich Ted die Hände. "Also nicht nur ein Krimineller, auch noch ein Verrückter. Damit haben wir gleich zwei Fliegen auf einen Schlag gefangen!" Ein endloses Kichern folgte. Teds Stimme senkte sich noch tiefer ab: "Und das Tolle dabei ist, daß er uns ja nichts nachweisen kann. Was wir hier über ihn diskutieren, kann er niemals beweisen. Denn nur wir drei Australier und Ray befinden sich im Raum. Hahaaa! Das ist ein Heidenspaß. Er kann also nicht das geringste dagegen unternehmen."
"Jaja, er kann und wird nichts tun...Er hat ja Angst vor uns!"
Ted zog sich zufrieden auf seinen Hocker vor Warrans Tisch zurück. Das war ja kaum auszuhalten!
Das ist ja zum Wahnsinnig werden!
Der junge Österreicher blickte fieberhaft um sich, fragend, forschend, zweifelnd. Seine Kopfhaut krampfte sich zusammen, warf Falten über dem rot werdendem Gesicht, das nahezu augenblicklich das Aussehen eines verrunzelten Greises annahm.
Befand er sich in einem Irrenhaus? Arbeitete er hier mit Verrückten zusammen, oder hatte er Schwachköpfe vor sich? Infame Idioten? Meinten die im Ernst, was sie da eben von sich gegeben hatten, oder...Oder um Gottes Willen – vielleicht hatten die beiden wirklich kein Wort über ihn verloren? Täuschten ihn seine Sinnesorgane?
Was geht hier vor??
Was ist los?!!
Von innerem Zwiespalt und Zweifel zerrissen, suchte er verzweifelt nach einem festen Halt, einem einzigen ruhenden Pol. War denn niemand da, kein wohlmeinender Mensch im ganzen Betrieb, dem er vertrauen konnte? Doch!
Hinter einem langgestreckten Glasfenster saß ein Gentleman um die Sechzig, der sämtliche Projekte in der Firma überprüfte. Ein wenig brummig, rauhe Schale, guter Kern. Unermüdlich, von früh am Morgen bis spät abends kalkulierte, prüfte, rechnete er, beugte er sich über ihre Konstruktionen. Manchmal begleitete ihn Willi auf dem Weg zur Bahn, mit ihm konnte man wirklich vernünftig diskutieren.
Und der Mann vernahm durch die Glasscheibe hindurch die gezischelten, hetzerischen, verleumderischen Worte der zwei dunklen Ehrenmänner: Schlechter Kerl! Exkrimineller! Wahnsinniger! – die Auswürfe steigerten sich von Woche zu Woche. Und er kannte den Austrian doch als netten Burschen, keine Spur von allen diesen Vorwürfen war zu bemerken. Welch schändliches Spiel trieben die beiden Kerle mit ihm?
Mit einer Zeichnung in der Hand blieb er im Türrahmen stehen: "Wird hier eine Komödie gespielt, oder the Hell, was ist los hier drinnen?" erkundigte er sich gereizt und blickte Warran wütend an.
"Was denn, was stört Sie denn?" gab der Ingenieur kaltlächelnd zurück.
Und stillschweigend zog sich der alte Mann in sein Kämmerlein zurück. Ray hockte ruhig wie eine Statue mit dem Rücken zu Willi. Nur aufgrund der pausenlos glimmenden Zigarettenenden, die zwischen Rays Haupt und dem Aschenbecher hin und her wanderten, konnte man bei dem Engländer Leben registrieren. Nun legte er eine Pause ein und kam nach hinten zu Willi.
"Sag, bin ich hier in einer Irrenanstalt oder laufen da noch normale Menschen herum?" fragte ihn flüsternd der Österreicher, noch immer fassungslos über die neuerliche Wendung in den zynischen Bemerkungen seiner Kontrahenten.
"Nimm die Lunatics nicht so ernst. Ich zweifle manchmal selbst, ob die noch als normal anzusehen sind!" Der junge Engländer stieß dies so unverblümt und verächtlich, so laut heraus, daß es den Paarläufern nicht entgehen konnte. "Aber Ray! Dämpf' doch ein wenig deine Stimme, ich möchte die beiden Gentlemen nicht noch mehr verärgern!" raunte ihm Willi zu. "Das ist mir egal. Ich sage, was mir auf der Zunge liegt", äusserte der Engländer. "Und die Boys haben nicht alle Tassen im Schrank!" Herausfordernd äugte er hinüber zu den beiden, doch keiner zuckte auch nur mit der Wimper.
Gut Nerven besaßen sie ja, Warran und Ted.
Ja, die hatten Nerven, die Australier.

* * *


Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, das Mädchen Danica vor Samstag zu besuchen. Aber Freitag nach der Auszahlung packte ihn urplötzlich das Verlangen, die Jugoslawin wiederzusehen, und zwar sofort. Er rief pflichtbewußt Mrs. Eger an, seine Wirtin, sie möge das Abendessen ins Backrohr stellen. In einem Hamburger-Laden nahm er einen kleinen Imbiß zu sich, kaufte in Cellophanschächtelchen elegant verpackte Süßigkeiten und rannte dann unruhig vor dem Spitalsgebäude auf und ab, bis die abendlichen Besuchsstunden anfingen.
Danica freute sich sehr über die Überraschung, und Willi riß sich zusammen, um unbeschwert und launig zu wirken. Sie lachte über seine Witze, und alle nachdenkliche Versunkenheit löste sich in neckischen Gesprächen auf.
"Wann gehst du eigentlich schlafen, Danica?" erkundigte er sich ernsthaft. So oft er noch gekommen war, hatte er sie beim Lesen angetroffen oder sie lauschte der Musik aus den Kopfhörern.
"Ich bin ein braves Mädchen. Ich gehe pünktlich um zehn Uhr zu Bett. Das heißt, ich drehen das Licht ab und versuche dann zu schlafen." Kokett verzog sie ihr Mündchen.
"Na, brave Mädchen gehen um acht Uhr zu Bett – damit sie dann um zehn Uhr schlafen können!" scherzte der junge Mann. Das war zwar alt, aber gut. Sie begriff den versteckten Sinn sofort und wollte schon losplatzen, als sie sich ihrer kranken Nachbarin erinnerte und das drohende Gelächter mit der Hand vor dem Mund in ein Gekluckse verwandelte. Er sah in diesem Augenblick ihr Profil, sah den mädchenhaften Zug in ihrem gealterten Gesicht, das aufschießende Rotwerden ihrer bleichen Wangen, das heitere Glitzern ihrer Pupillen und den leicht nach innen gebogenen Nasenrücken.
"Wie eine orientalische Märchenprinzessin!" durchzuckte es ihn wie ein Blitz. "Wie eine Ägypterin, eine Zigeunerin - ach, ich weiß nicht was!" Ein exotisches Fluidum umgab sie, das auf ihn im selben Moment zu wirken begann, ihn in den Bann zog, als er die unbewußte Bewegung ihrer Hand beobachtete. Die Lieblichkeit, die fremdartige, faszinierende Anziehungskraft Danicas, die von nun an wie ein unentrinnbarer Zwang alle seine Gedanken und Gefühle gefangen hielt, seine Handlungen bestimmte und ihm das Wort "Liebe" in all seiner Bedeutung erahnen ließ, begann in diesem Augenblick zu wirken.
Wie gebannt starrte er das vierundzwanzigjährige Mädchen an. War sie ein Mädchen? Eine Frau – oder ein Kind? Von einer Sekunde zur anderen schwankte er in seinem Urteil.
"Du, Willi! Ich möchte dich schlagen, weil du so schlimm bist!" erwiderte sie nun endlich und hob den freien Arm. "Dann tu es doch!" forderte er sie auf. "Ich möchte dich gerne berühren, irgendwo. Wie sie wohl darauf reagieren würde?" dachte er. "Wenn ich unter die Decke tasten würde?" Er schämte sich, für wie billig hielt er sie eigentlich? Eben hatte sie eine Zärtlichkeit gesagt, hatte das Verlangen geäussert, seinen Körper zu berühren.
"Zu dumm, wie lange wird sie wohl noch hier liegen müssen? Möchte sie doch mal ganz sehen, nicht nur als Torso", sinnierte er. "Bis dato kenne ich nur ihren Oberkörper, und den nicht ganz." Er ergriff ihre Hand, die da auf der weißen Decke ruhte. Welch schöngeformte, lange Finger sie besaß.
Sie entzog sie ihm ziemlich heftig. "Nanu", dachte er, "schließlich war das doch kein Verbrechen." Beleidigt richtete er sich im Sessel hoch. Urplötzlich hatte die Stimmung umgeschlagen. "Willi, ich muß dir etwas sagen." Ganz ernst, beinahe feierlich stellte sie dieses Statement in den Raum.
"Schon wieder?" fragte er sich.
"Wie lange wirst du hier noch liegen müssen? Ich möchte mit dir einmal ausgehen. Willst du?" Sie ging nicht drauf ein, sondern wiederholte: "Du, ich muß dir etwas sagen: Ich – ich – ich bin kein gutes Mädchen. In Europa bin ich immer von eine Party zu andere gegangen. Und überall ich wollte stehen im Mittelpunkt, weißt du. Immer ich habe gesprochen, und die anderen Leute zuhören. Meine Eltern haben gesagt, ich war ein böses Kind, wie ich klein war. Wild und unfolgsam. Die Geschwister sind alle gute Menschen, aber ich war immer gewesen das böse Mädchen.
Weißt du, was ich getan habe in Wien, wie ich war in Staatsopernaufführung, mit meine Mann...meine Boyfriend?" "Was war ihr da herausgerutscht – mit 'mein Mann'?"
"Wir sind gesessen in Seitenloge, da habe ich einen alten Herrn gesehen mit grauen Schläfen vis-à-vis, elegant gekleidet. Ich habe zu meinem Freund gesagt, daß mir der Mann gefällt, da er mich gefragt hat, wo ich mit dem Opernglas hingucke. Da hat er mir eine runtergehauen, mitten in der Vorstellung. Oh, alle Leute haben hergeschaut! Aber ich habe getan, als ob nichts geschehen wäre und habe geradeaus geblickt!" Sie hielt einen Moment inne.
"Siehst du, solche Sachen mache ich.
Alle meine Bekannten sagen, daß ich eine schreckliche Frau bin. Und da willst du mit mir ausgehen?
Die meisten Männer laufen davon, wenn sie mit mir nur einmal spazieren gegangen sind. Weil ich ein so schlechtes Mädchen bin. Keiner hält es lange mit mir aus." Sie machte eine kurze Pause und dachte nach: "Deswegen möchte ich am liebsten eine alte Mann heiraten, der von mir nichts mehr verlangt und für mich sorgt – und wo ich schreiben darf. Ich dichte nämlich gerne, Willi!" Unschuldig harmlos blickte sie ihn an.
Was sie da so ungezwungen daherplapperte, ging meist garnicht so rasch in den Kopf hinein, so schnell, wie sie es hervorbrachte. Es erschien ihm aber nicht so wichtig, genau hinzuhören. Er wollte sich nur keine ihrer Bewegungen entgehen lassen...
"Also in Wien war sie gewesen, zusammen mit ihrem Freund. Soso. Und einen alten Mann will sie heiraten – lächerlich! Oder hält sie auch mich zum Narren? Gar so helle scheint sie nicht zu sein, eine enttäuschende Erkenntnis."
"Wie bist du überhaupt nach Wien gekommen?" erkundigte er sich jetzt gedehnt. "Weil ich als Architektur-Studentin Österreich und Deutschland bereist habe. Auch in Italien und der Schweiz bin ich gewesen."
"Na, sieh mal an! Das ist aber eine nette Überraschung", dachte er, dumpf auf Danica hinstarrend. In ihrer Gegenwart fühlte er sich wie gelähmt, sein Denken funktionierte nicht so reibungslos wie sonst. Alles was er vermochte, war sie anzustarren, ihre Erscheinung in sich aufzunehmen, gierig wie ein Verdurstender. "Gab es da nicht Widersprüche?
Hatte sie nicht beim letzten Besuch erzählt, daß sie den Reisepaß nur unter großen Schwierigkeiten erhalten habe? Wie in diesen Ostblockstaaten üblich? Wer hat diese Besichtigungstouren finanziert?"
Er wagte nicht, danach zu fragen, dies hätte offenes Mißtrauen bedeutet. Und die Erklärung würde ihn vielleicht arg treffen...
"Du hast also einen Freund gehabt? Wie lange seid ihr miteinander gegangen?"
"Etwa vier Jahre. Aber er war dumm: er hat mich einmal gefragt, ganz wütend, ob ich ihn liebe oder nicht. Wenn er das nicht selbst wahrnimmt, tut er mir leid!" Sie blickte Willi ganz schnippisch an. Der lauschte nur fasziniert. Interessant, was dieses Wesen alles zu berichten wußte. Vor allem, wie sie es tat!
"Und sonst hast du keinen Mann kennengelernt?" Argwöhnisch kam die Frage heraus. Oder vielleicht doch eifersüchtig?
"Aber ja! Das heißt, es haben viele bei mir um Liebe gebettelt. Einige haben erklärt, sie würden sich erschießen oder aufhängen, wenn ich sie nicht gern habe." Sie betrachtete Willi eingehend, der zu ihr gebeugt, die lässig hingeworfenen Bemerkungen begierig auffing. Dann meinte sie gleichgültig: "Aber ich habe sie alle nur ausgelacht."
"Das kann ich mir gut vorstellen, daß vor dir schon einige auf den Knien herumgerutscht sind", dachte er. Und dann kam wieder etwas, was ihn völlig aus dem Gleichgewicht warf: "Ich habe es noch nie jemand erzählt, außer meiner Freundin, und ich weiß nicht, warum ich es dir sage: Ich bin jetzt vierundzwanzig Jahre alt, Willi, und ich habe mich noch nie verliebt..."
Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen, sondern blickte nur auf den Stoff seines Anzuges nieder, den er mit den Fingern nervös bearbeitete.
"Und ich werde wohl eher sterben müssen, bevor ich das erlebe!" Witternd hob er den Kopf. Wie kam sie auf die absurde Idee, jetzt vom Sterben zu sprechen? Das war doch blühender Unsinn!
"Ach, das braucht dich nicht weiter zu beunruhigen", meinte er verlegen. "Da, schau mich an! Bin um zwei Jahre älter als du und ich habe die sogenannte 'Liebe' auch noch nicht kennengelernt. Ich war zwar einigemale verliebt, aber die richtige, große Leidenschaft wie im Roman, das habe ich noch nicht erlebt!"
Manchesmal vermutete er, daß diese junge Dame einen überdurchschnittlichen Intelligenzquotienten besaß: Ihre Anschauungen, Aussprüche und ihr Allgemeinwissen verblüfften ihn geradezu. Dann kam sie plötzlich wieder mit so kindischen, dummen Vorstellungen daher, wie mit dem Sterben! Und er mußte wieder einige Punkte von ihrem IQ abstreichen...
Da erwähnte Willi zum Beispiel, daß er in Australien an Körpergewicht zugelegt habe. "Jetzt wiege ich bereits vierzehneinhalb Stone, das sind etwa 88 Kg", rechnete er ihr vor. "Viel, nicht wahr?" Sie schnitt darauf eine Grimasse und korrigierte ihn mit leichtem Vorwurf: "Das stimmt nicht ganz. Ein Stone entspricht ja 6,35 Kg!" Verdammt, das mußte ihm passieren, als Techniker! Eine schöne Blamage vor dem Mädchen hier. Auf die Dezimalstelle genau kannte sie den Umrechnungsfaktor.
Ja, auf diese Weise merkte er bald, daß dieses exotisch anmutende Weibchen mit den langen schwarzen Haaren ein Geschöpf mit versteckten, tiefen Falten in der Seele war, dessen Erforschung ihn immer wieder vor neue Rätsel stellte. Diese junge Frau im Krankenbett war nicht so wie die anderen Weiber die er bisher kennengelernt hatte, ausgenommen vielleicht Beryl. Sie besaß Gefühl, Ausdruckskraft – und einen überraschenden Scharfsinn. Er entdeckte täglich mehr Eigenheiten ihrer Persönlichkeit. Ja, Danica besaß eine Persönlichkeit, eine unvergleichlich erregende, wie keine Frau zuvor in seiner Vergangenheit.

* * *


Mit einem Hochgefühl sondergleichen raste er am nächsten Vormittag in Sydney herum. Er legte sich drei exquisite Nylonhemden zu, pflegeleicht – jedes Bügeln erübrigte sich dabei. Leider nicht das Waschen. Dazu wählte er zwei passende Krawatten aus – und brachte es über sich, eine passende vergoldetete Nadel zu erstehen. Dieser Anfall von Protzerei ging eindeutig auf die Erkenntnis zurück, daß er schon ein wenig auftrumpfen müsse, wollte er bei Danica punkten.
Da er nun mal glänzender Laune war, suchte er einen Altwarentrödler auf, dessen chinesischen Stickereien, australische Landschaftsmalereien und dergleichen es ihm schon länger angetan hatten. Mit zwei originalen Quasi-Kunsterzeugnissen zog er von dannen. Zwei volle Wochenlöhne weniger befanden sich nun in seiner Brieftasche, aber es bekümmerte ihn nicht. Nun suchte er nach einem würdigem Geschenk für Danica, er wollte nicht mit leeren Händen bei ihr aufkreuzen. Mit einem Magazin in serbokroatischer Sprache und einigen deutschen Illustrierten machte er sich auf dem Weg zu ihr.
"Da, sieh mal, was ich dir mitgebracht habe!" rief er aus.
Danica saß aufrecht in ihrem Lager. Das erste was ihm auffiel war, daß sie ihre Haare zu einem Knoten hochfrisiert hatte, und – es verschlug ihm beinahe die Sprache – nur ein hauchzartes Hemd ihren Körper bedeckte. Er wagte vorerst garnicht, sie offen zu betrachten, denn er fürchtete, seine Augen würden automatisch zu den zwei undeutlich hervorschimmernden Hügeln wandern, die nur durch das feine Gewebe verhüllt waren. Und Wunder über Wunder: Ihr Gesicht war von einer hauchzarten, blutvollen Tönung überzogen und die Wangen straff gespannt, was ihr etwas ungemein Jugendliches und Süßes verlieh.
So entzückend und begehrenswert hatte er sie noch nie empfunden.

Er schlug eines der Hefte auf und blätterte darin. Eine Reportage über das Hansa-Viertel in Berlin bewog ihn, sie dafür zu interessieren. Unwillig glitten ihre Finger über die Seiten. "Mir gefällt die Stadt nicht", äußerte sie schließlich.
"Warst du denn schon einmal dort? Was hast du gegen sie?"
"Nein, das nicht. Ich weiß nicht, warum sie mir unsympathisch ist", meinte sie mißmutig.
Der Österreicher war hell genug, um den Zusammenhang ahnen zu können. Im Laufe ihrer Erzählungen war ein Schimmer davon durchgedrungen, wie sehr die Bevölkerung ihres Heimatlandes unter der deutschen Besatzung gelitten hatte. Ihr Vater war an den Folgen eines Krieges umgekommen, dessen Brandstifter in Berlin gesessen hatten. "Na, lassen wir das", meinte er einlenkend und scherzte: "Ich hoffe, du wirst die Illustrierten trotzdem lesen."
Er breitete eine farbenprächtige chinesische Stickerei vor ihr auf der Bettdecke aus und zeigte ihr auch das Landschaftsbild mit dem Motiv aus Zentral-Australien.
"Habe garnicht gewußt, daß es hier soetwas gibt", staunte sie nach eingehender Betrachtung. "Was machst du damit?" "Ich werde es meinen Eltern heimschicken", gab er zur Antwort. Sie sah in lange und abwägend an. "Du bist ein guter Bursch!" stieß sie hervor. Er war ehrlich betroffen. "Ja, aber warum denn?" fragte er sie. "Na, das tut doch nicht jeder, daß er an die Familie zuhause denkt! Ich habe meiner Schwester in Jugoslawien einmal zehn Pfund geschickt." Ihre Lippen kräuselten sich geringschätzig: "Darauf hat sie mir geschrieben, daß ich die beste Schwester der Welt sei."
"Siehst du! Und Fräulein Danica selbst betrachtet sich als schlechtes Mädchen!" entgegnete er lachend. "Übrigens, woher stammt dein gutes Deutsch?"
"Ich habe natirlich in Schule Deutsch gelernt. Und meine Mama hat immer gepredigt: Danica, lerne fleißig, du wirst es nie wissen, wie du es einmal wirst brauchen können!"
"Ja, aber in der Schule allein kannst du doch nicht so einwandfrei ..."
"Willi, du sollst nicht sagen, daß ich so gut spreche, denn damit setzt du die Frau in mir zu hoch hinauf. Das ist nicht gut! Verstehst du?" Schnell und energisch war sie ihm in die Rede gefallen. "Typisch Slawin", dachte er. "Braucht einen Mann, der sie niederhält."
Wochen später allerdings grübelte er nach, ob diese Erklärung von ihr nicht einzig und allein dazu gedient hatte, um weitere Fragen in diese Richtung ein für allemal abzuwürgen.
Beiläufig erwähnte sie noch, daß sie perfekt italienisch und ein wenig russisch spreche. "Aber so gut wie du Englisch beherrscht, kann ich keine Fremdsprache. Außer Italienisch. Alles nur halb, weißt du Willi!" Sie war einfach zum Fressen lieb...
Eine malaische Studenten-Pflegerin trat lautlos in das Zimmer ein und servierte Tee, Milch, Zucker und Butterbrote. Danica sprach sie auf Deutsch an, schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn und bat sie dann auf Englisch, sie möge den Tee wieder mitnehmen. "Das passiert mir oft, daß ich die Sprachen durcheinander bringe", erklärte sie ihm. "Da siehst du wieder, wie dumm ich bin."
"Das geht mir doch genauso", tröstete sie Willi.
"Wenn jemand bei mir ist, kann ich außerdem nicht so gut denken. Ist das bei dir auch so...?" Weitgeöffnete braune Augensterne strahlten ihn warm und tiefgründig an. Sollte er ihr gestehen, daß ihre Gesellschaft nicht allein seinen Denkapparat paralysierte sondern ihm auch den Atem raubte? Eine Pause entstand. Die beiden Verliebten grübelten und schwiegen vor sich hin.
Sie setzte vorsichtig tastend ein paar Worte in den Raum: "Willilein, ich habe gestern Nacht, nachdem du fortgegangen bist, noch ein Gedicht geschrieben."
Auf seinen Zügen breitete sich Erstaunen aus: "Was für ein Gedicht denn?"
"Ach, nur ein kleines Liebesgedicht."
"Ein Liebesgedicht?? An jemand Bestimmten gerichtet?"
"Wenn ihr Hemd nur nicht so durchsichtig wäre, das macht mich ganz verrückt!" Nervös rieb er sich die Stirn.
"Nein, nur ganz allgemein – eben ein Gedicht!"
"Bitte Danica, zeig es mir! Wo hast du den Zettel?" Vorsichtig tastete er nach ihrer Hand und berührte sie behutsam. Sie zuckte wieder zurück, ließ es jedoch geschehen, daß er ihre Finger umschlossen hielt. "Gut...Aber du darfst nicht lachen! Ich werde es dir vorsagen, aber es wird nicht schön sein, weil ich mußte viele Wörter aus dem Dictionary heraussuchen. Kann mich in Deutsch leider nicht so ausdrücken, wie ich möchte..."
"Also los, ich bin gespannt!" forderte sie der junge Mann in betont forscher Weise auf. Sie entzog ihm ihre Hand, setzte sich zurecht und begann einen Text zu deklamieren, der ihm nur neues Kopfzerbrechen bereitete: "Daß ich Dich liebe, darf ich nicht sagen..."
Fasziniert von dem leicht klagenden Unterton in ihrem Vortrag, vom Zauber dieser Minute, verschwamm ihre Stimme in die Unendlichkeit von Zeit und Raum, füllte sein Inneres mit einem Brausen, das Sturmesgewalt annahm. Nur undeutlich drangen die Schlußzeilen wieder in sein Bewußtsein: "...Aber meine Augen haben es Dir verraten..."
Verlegen hielt sie nun inne. Die Minuten verrannen, abwartend, spannungsgeladen. Er hätte sie am liebsten in die Arme gerissen, aber es war eben nicht möglich. "Du, Danica! Wann kannst du endlich aus diesem verfluchten Bett steigen?" stieß er rauh hervor.
"Bald schon, Willilein. Vielleicht bereits nächste Woche...", vertröstete sie ihn. Und mit einem berückendem Augenaufschlag, mit einer Stimme, dahingehaucht und geheimnisvoll dunkel vibrierend, flüsterte sie: "Dann kannst du mir geben, was ich brauche. Du verstehst doch?" Und ob er sie verstand.
"Bist doch ein ganz schön raffiniertes Persönchen", dachte er beim Hinausgehen.

* * *


In der verrückten Hitze dampfte der Bummelzug durch die Gegend und brachte Anton Melzer und Willi zu einer Bahnstation nahe des Georg River. Auf dem Zehnminutenweg zum Quartier seines Freundes brach Willi der Schweiß aus allen Poren so heftig hervor, daß das Hemd unter den Achseln klatschnaß war.
Der stämmige Anton, von Natur aus mit einer Neigung zum Bluthochdruck, verfärbte sich im Gesicht bald krebsrot und verfluchte das Land wiedereinmal nach Strich und Faden. "Aber es läßt dich ja nicht mehr los!" lamentierte er drauflos. "Gerade wir Burschen aus echtem Schrot und Korn, voll Saft und Kraft, müssen unter diesem Affenklima leiden. Noch ein paar Sommer, und ich geh' drauf..."
Willi begriff seinen alten Freund nur zu gut. Ihr junges Blut rumorte und kochte in den Adern, wurde aufgeheizt durch vierzig Grad im Schatten, verlangte nach Energieabfuhr, die ihnen die Arbeit allein nicht bieten konnte.
Zwar, wenn es dem vitalen Toni zu bunt wurde – er suchte und fand immer ein Notventil. Seine diversen Gespielinnen saßen in den verschiedensten Orten um Banston, und er suchte sie alle turnusmäßig auf. Es spielte dabei keine Rolle, welchen Alters oder Standes das betreffende Weib war. Am liebsten zog er jedoch verheiratete Frauen vor.
"Da kann nicht viel passieren", lautete sein Wahlspruch. Als Willis altvertrauter Freund berichtete er von so manchem seiner amorösen Abenteuer. Während sie also auf dem glühendheißen Leder der Zuggarnitur nach Luft schnappten, erzählte ihm Willi von einem Besuch, einer australischen Bekannten von Mrs. A.: "Wie stolz sie ihr Enkelkind vorgezeigt hat! Da hat sie den strampelnden Säugling hochgehoben und mit Genugtuung gefragt: 'Hat er nicht eine herrlich weiße Haut? Und schon soviele Härchen auf dem süßen Köpfchen!' Ooch, protzte die mit dem Kind herum! Schließlich ist ja die Mama auch sehr hübsch, da ist das ja ganz natürlich", schloß Willi seinen Bericht.
Anton lümmelte sich auf die Bank hin, legte genüßlich die Beine neben Willi lang und ließ dann genießerisch die Worte über die Lippen fließen: "Ich weiß, lieber Willi!"
"Was, die kennst du auch?" fragte ihn der entgeistert.
"Und ob. Ziemlich genau sogar."
"Gib doch nicht so an!" herrschte ihn sein Freund an. "Ihr Mann ist doch ein gutsituierter höherer Angestellter in der City! Möchte bloß wissen, wie du zu einer solchen Bekanntschaft kommst!"
"Das sind eben die Vorteile einer Nachmittagsschicht", klärte ihn Anton vergnügt auf. "Vormittags stehen die meisten Männer in der Tretmühle. Aber Anton Melzer, der arme Hund und Hilfsarbeiter, hat da frei. Untätig und gelangweilt sitzen auch die Ehefrauen dieser sich abrackernden Männer zuhause herum. Warum soll ich da nicht eingreifen?
Hier hat doch jede Frau nebenbei ihren Boyfriend. Die sind doch nicht voll ausgelastet, die Weiber in Australien.
Sonst würde es nie für alle reichen!"
"Willst...willst du damit andeuten, daß – dieses Baby - einen Vater aus Europa hat?"
"Beschwören kann ich es nicht. S i e wird es kaum bestätigen. Aber nach den äußeren Symptomen zu urteilen – und nach dem Zeitpunkt der Geburt: ja!"
Willi schüttelte den Kopf: "Ich bin erschüttert über deine Lebenseinstellung. Aber vielleicht hast du recht damit. Auf jeden Fall tust du dir leichter als wie ich." Er erzählte Toni dann von Danica, schilderte Aussehen und Lebensumstände in allen Details, bis ihn sein Freund unterbrach: "Mir kommt fast vor, du bist verliebt. Mach' dir nur keine großen Hoffnungen. Merk' dir eins: hier fliegen die Weiber nur aufs Geld. Aber nur!"
Der verliebte junge Mann protestierte zwar gegen diese Unterstellung, aber er wußte genau: Anton hatte in seinem Leben zwar nicht viele Bücher gewälzt – aber auf eines verstand er sich – auf Frauen. Da durfte man ihn beinahe einen Künstler nennen. Mit untrüglichem Instinkt gabelte er sich bei den unmöglichsten Gelegenheiten seine Partnerinnen auf. Vor dem Kino, am Rennplatz, in der Eisenbahn, beim Baden. Für Anton stellten dies alles nur ergiebige Jagdgründe dar. Allerdings, so vermutete Willi, gingen ihm immer nur eine bestimmte Sorte Weiber ins Netz. Immerhin...

"Heute ist es richtig zum Verrücktwerden", stöhnte nun Willi seinerseits. Wie leblos hingen die Reisenden in den Sitzen. Niemand ließ ein Wort fallen. Man hörte in den Eisenbahnzügen sowieso selten Konversation, selbst Liebespaare saßen stumm nebeneinander. Nur die Bodgies und Witchies schlugen dafür doppelt soviel Krach.
"Vielleicht sollte man das Fenster öffnen, damit der Fahrtwind etwas kühlt", überlegte Willi und rüttelte am Rahmen. Erschrocken prallte er zurück, der Luftstoß traf ihn wie der Gluthauch eines Hochofens. Aus dem toten Inneren, aus den unendlichen Sand- und Steinwüsten dieses uralten Kontinents, bliesen unheimliche Winde, aufgeheizt durch die unbarmherzig sengende Sonne. Die Konturen der Objekte flimmerten, um die Bäume und Sträucher, Häuser, Autos und Straßen stieg dampfende Luft ventilierend nach oben, saugte das letzte Äderchen Wassers aus dem Boden, ließ die Erde brechen.
Klaffende Risse durchzogen die Oberfläche, das Laub verdorrte auf den Ästen, das Gras schrumpfte strohtrocken ein.
Der Glutwind nahm den keuchenden Menschen den Atem, trocknete ihre Lebenssäfte aus. Viele schlichen herum wie wandelnde Gespenster.
Die Sonne am Nachmittagshimmel verfärbte sich blutrot, verformte sich wegen der starken Strahlenbrechung durch die Myriaden feinster Aschenteilchen, die durch die tobenden Buschbrände hochgerissen wurden, in die Gestalt einer verhutzelten Kartoffel.
Die Brände waren bereits bis auf wenige Meilen an die Vororte von Sydney herangerückt. Katastropheneinsätze mobilisierten große Teile der Bevölkerung. Man sammelte Geld für die unschuldigen Opfer dieser Naturgewalten.
"Mensch, Anton! In welches Land sind wir da geraten?" fragte Willi, nachdem sie sich in dem relativ kühlen Wasser des Flusses etwas erfrischt hatten. Eine niedrige Wasserwehr lag hundert Meter weiter flußabwärts, der Newcomer wollte darüber hinausschwimmen, doch Anton warnte ihn eindringlich: "Tu das nicht! Die Haifische dringen oft im Süßwasser die Flüsse entlang ein, da bist du nur flußaufwärts, vor dem Wehr sicher!"
Unvermittelt begannen sie von den eiskalten Bergseen ihrer Heimat zu schwärmen, wo solche Gefahren jedenfalls nicht lauerten. "Sakrament, ich würde auf dieses ewige Scheiß-Cola mit Freuden verzichten, wenn ich nur einen Schluck von dem Quellwasser trinken könnte, damals auf unserer Tour in den Bergen Salzburgs. Erinnerst du dich noch?" Der harte Bursche neben Willi wurde auf einmal ganz weich und in seine Augen trat ein verräterischer Glanz. "Ist ganz egal, was aus mir wird. Ich fahre in einigen Jahren wieder nach Hause. Ich muß raus! Hier habe ich zwar mein gutes Einkommen, von gesichert keine Rede, aber auf die Dauer ist das ja doch nicht auszuhalten.
Du mußt krepieren, ob du willst oder nicht!"
Nachdenklich warf Willi die Frage auf: "Und was ist mit den Einheimischen, die da bleiben müssen?"
"Die? Die kennen ja nichts anderes. Na, du weißt ja selbst..." Er vollendete den angefangenen Satz nicht mehr.

* * *


Jeden Morgen traf Willi Höger am Bahnsteig von Banston mit einem verheirateten Bundesrpublikaner zusammen, der in die gleiche Fahrtrichtung fuhr. Vom Beruf war er Optiker, und mit seinem australischen Boss sehr zufrieden.
In den langen Gesprächen der beiden Männer, tauchte immer wieder die Erwägung einer Rückwanderung auf, doch die eigenen Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines solchen Entschlusses ließ sie wanken. "Man erwartet sich zuviel, auch von den Menschen in der Heimat, und ist dann nur wieder enttäuscht", meinte der um einige Jahre ältere Pendler-Gefährte; und Willi konnte ihm nur beipflichten. Wie hatte es Hugo Prattert, sein alter Buschkumpane einmal ausgedrückt: Du wirst zuhause genauso allein sein wie hier! Willi Höger hatte diesen Ausspruch nicht mehr vergessen können.
Die Viertelstunde gemeinsamer Fahrt war randvoll ausgefüllt mit pausenlosen Dialogen zwischen den beiden Mitteleuropäern.

Die Themen waren weitgestreckt und drehten sich doch im wesentlichen nur um einen einzigen Punkt: Die Einsamkeit des Menschen von Heute.
Beim Reden kommen die Leute zusammen, ein altbewährtes Sprichwort. Wie wahr! Und wie wenig wurde und wird es befolgt. Wer nahm sich denn hier Zeit und Mühe, die Sorgen des Nächsten anzuhören, ohne gleich verstohlen auf die Uhr zu sehen? Wieviele Vorurteile und Mißverständnisse ließen sich durch Gespräche zwischen den Australiern und Einwanderern aus der Welt schaffen. Jeder einzelne würde erkennen, daß auch das noch so fremdartig wirkende Gegenüber sich im Grunde mit denselben menschlichen Problemen herumschlägt. Das müßte doch eine Brücke zwischen den beiden Lagern schlagen, aber man unterläßt es.
Warum? Weil der Australier denkt, warum soll ich mich mit dem armen Schwein von Einwanderer befassen? Je mehr ich ihn unterstütze, finanziell und insbesondere moralisch, desto festeren Boden gewinnt er unter den Füßen. Und wer, bitte, will schon die zukünftige Konkurrenz fördern?
Und auf der anderen Seite, der Einwanderer? Warum soll er sich mit diesen provinziellen Lümmeln von Australiern herumschlagen, die ganz verblüfft sind, wenn man ihnen erzählt, daß zum Beispiel das Fernsehen im armen Süden Italiens schon längst zum Allgemeingut gehört – lange vor der Installation der Television in Australien. Die staunen, daß man sich auch in Deutschland einen Kühlschrank relativ leicht zulegen kann. Die nicht wissen, daß Österreich vor und nicht hinter dem Eisernen Vorhang liegt. Die glauben, daß dessen Bewohner an Unterernährung dahinsiechen – und nur die Auswanderung nach Australien der letzte Ausweg vor dem qualvollem Hungertod ist.
Dabei ließen sich alle diese Angelegenheiten, Probleme und Themen in aller Ruhe diskutieren, gemütlich bei einem Glas Bier um einen Eichentisch sitzend. Nein, das geht nicht! Da fehlt der Tisch, um den sich die Gesprächspartner gruppieren können: Hier steht man ja an der Theke! Außerdem liegt der Zapfhahn zu nahe, man säuft deshalb zuviel, damit ist wieder die ganze Urteilskraft im Eimer...
Ja, so war'ns, die beiden Europäer, immer auf der Achse, immer mitten drin im aktuellen Tagesgeschehen.

* * *


Zum zweiten Male lag Weihnachten in der Fremde vor der Tür. Jedoch das Geheimnisvolle, die besondere Stimmung und Vorfreude, die Menschen in den gemäßigteren Klimazonen Europas da heimsucht, fehlte vollständig.
Surrend kam der Ventilator auf Touren, die Flügel würden bis zum Abend nicht mehr stille stehen. Der Cleaner, ein Australier, pflegte um diese frühe Morgenstunde den Büroraum zu reinigen. "Es ist verdammt schwül, bereits am frühen Morgen!" begrüßte in Willi. "Ja, und es gibt Menschen, die andauernd vorwärts drängeln. Als ob die Arbeit nicht unangenehm genug wäre, speziell in diesen Monaten!" Knurrend sandte der Alte einen Giftpfeil ab.
Darüber konnte Willi nur lächeln. Das galt ihm, er schuftete denen zu viel. Nun gut. Er mußte sich mit etwas beschäftigen, ganz egal womit. Es war ihm einfach unmöglich, untätig herumzusitzen.
Er schlug die Zeitung auf und vertiefte sich darin.
" Die Arbeitslosigkeit ist so groß, daß die Neuaustralier die Unionsbeamten zu bestechen versuchen. Sie sind so verzweifelt, daß sie Fünf- und Zehnpfundnoten auf den Tisch legen oder in die Taschen der Angestellten zu stecken versuchen.
Sie glauben, sie können hier Arbeitsstellen kaufen!
Gestern war e i n e Stelle für einen Job in der Bauindustrie ausgeschrieben – und 36 Männer sprachen vor."
"Mensch, da habe ich aber Schwein gehabt, innerhalb einer Woche diese Arbeitstelle zu finden", überlegte Willi. Mit heimlichen Vergnügen dachte er an die ersten Tage in Sydney, wie er nach dem entmutigendem Start versucht hatte in einer Schokoladenfabrik unterzukommen: Um sechs Uhr früh standen dort bereits an die hundert Arbeitssuchende.
Es lohnte sich also, diese Anstellung bei W. Foundry Pty unter allen Umständen zu halten, bis...?
Bis wann?
Der Arbeitsminister hatte erklärt, daß kein Grund zur Beunruhigung vorliege. Sicherlich nicht für ihn, den sehr geehrten Herrn Minister. Okay, wollen's ihm glauben. Der Optiker jammerte ihm auch jeden Tag vor, daß für seine Gattin einfach kein Job aufzutreiben sei. Die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtere sich merkbar, von Jahr zu Jahr.
"Früher fand einer Arbeit, ob er nun englisch gesprochen hat oder nicht. Heutzutage genügt das nicht mehr den Anforderungen. Man verlangt Diplome und Spezialausbildung. Australien ist aus den ersten Schwierigkeiten der Industrialisierung heraussen. Mit dem 'über dem Daumen peilen' ist es vielfach vorbei. Die Fabriken sind errichtet und funktionieren, die Maschinen wollen nun von fachkundigem Personal bedient werden. Man h a t jetzt die Auswahl an Menschen – dank des großzügigen Einwanderungsprogramms der Regierung. Wir Einwanderer sind als Arbeitskräfte-Pool, als Reservoir vorgesehen. Uns kann man jederzeit als Druckmittel einsetzen, als Lohndrücker – wenn die Aussies selbst vielleicht nicht so richtig spuren wollen.
Ach, was erzähle ich Ihnen da! Das wissen Sie doch alles selbst..."
So war das heutige Morgengespräch verlaufen.
Und jetzt, in der Affenhitze, wollten sie eben nicht, die Aussies. Da saßen sie mit hängenden Köpfen und brüteten vor sich hin. Die Europäer dagegen, meist unverbraucht, versuchten die Durchschnittsleistungen trotz der 40 Grad aufrecht zu erhalten.
Und mit dieser Einstellung fingen die Unstimmigkeiten auch schon an.
Es sollte ein heißer Tag werden für Willi Höger, dem Draftsman bei W. Foundry Pty. Eine Weile vertrieb er sich schläfrig die Zeit mit Nachdenken über seine Danica. Seine Danica? Das war doch ein ziemlicher Zugriff auf die Zukunft. Das Problem, wie sie die Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zubringen würde, beschäftigte ihn. So weit ihm bekannt war, suchte sie einen Job. Einige vage Ansätze, ihr dabei zu Hilfe zu kommen, hatte er schon unternommen. Aber es war daneben gegangen. "Warum willst du nicht zu deinem vorherigen Chef ins Fotostudio zurückkehren?" hatte er sie gefragt. "Ach weißt du, der sieht mich zu gerne – liebt mich angeblich. Und ich will aber nicht!" hatte sie ihn aufgeklärt. Natürlich, das kommt vor, überall. Und war ein plausibles Argument.
Warran, der Ingenieur trat an ihn heran: "Heh, Willy! Nimm bitte ein Stück Papier und einen Maßstab. Zeichne mir bitte die Verankerung der XP-5 Pumpe draussen im Workshop ab, will you?"
Natürlich wollte er.
Der Australier stand mit den Gießereiarbeitern auf einigermaßen gespannten Fuß, deshalb zog er es vor an seinem Schreibtisch sitzen zu bleiben. Willi streifte durch die Hallen, die verrußt und halb verfallen dastanden. "It's a shame!" hatte Ray gleich am Beginn seiner Tätigkeit geäussert.
Nun, ihm konnte es ja egal sein. Den Blicken der staubverkrusteten Arbeiter wich er aus, wo er nur konnte. Die waren um diese Jahreszeit wirklich nicht zu beneiden.
Wahrscheinlich rief allein sein Anblick mißmutige Gefühle bei ihnen hervor. Schließlich spazierte er in einem reinen weißen Hemd durch die Gegend, war ein Bürohengst.
"Bloody bastard!" – "Fucken German!"
Halblaut gemurmelt, drangen die gräßlichsten Flüche und Verwünschungen an sein Ohr. Nur nicht umsehen, nur nicht reagieren! Er marschierte jetzt an den Sandgruben und riesigen Gußkästen vorbei, ohne nach links oder rechts zu gucken. Bis jetzt war alles gut gegangen.
Er näherte sich der nächsten Gruppe dreckiger Kumpel. Plötzlich rissen drei ihre Presslufthämmer wie Gewehre an die Schultern und salutierten höhnisch.
Mach jetzt bloß gute Miene zum bösen Spiel, ermahnte er sich. Ein flüchtiges, ein verzerrtes Grinsen, stahl sich um seine Mundwinkel.
"Verschwinde, verdammtes SS-Biest!!" knurrte es aus dem Hintergrund, in seiner Muttersprache, und sehr deutlich. Er beeilte sich, davonzukommen. Niedergeschlagen ließ er sich im Büro auf den Stuhl fallen. Ehemalige Ostarbeiter befanden sich also unter der Arbeiterschaft – Polen, Rumänen, Tschechen...
"Die werden mir noch so manches zum Auflösen geben", dachte er entmutigt. Er fühlte sich einigermaßen unbehaglich in seiner Haut. Überlegten die nicht, daß er im Dritten Reich noch ein Kind gewesen war? Was konnte er persönlich dafür, daß man sie im Krieg nach Deutschland zwangsverpflichtet hatte? War denn die ganze Menschheit verblödet? Mißmutig erledigte er weiter seine Pflichten und beeilte sich dann, nach Hause zu kommen. Der Vorfall hatte ihn schwerer getroffen als er vor sich selber zugeben wollte.
Er versäumte den Anschluß in Williamstown, da er wegen der Hitze zu saumselig dahingeschlichen war. Gierig stürzte er ein Mixgetränk hinunter und begab sich auf den Bahnsteig.
Der Bahnwärter torkelte mit den Bewegungen eines Besoffenen durch das Gelände. Seine Brusthaare lugten zwischen der breit ausgeschlagenen Uniformbluse hervor, die Mütze hockte schief am Hinterkopf. "Williamstown – Camden!" gröhlte er los und steckte die gelbe Tafel mit den Ortsnamen ein. "Das ist unmöglich! Der nächste Zug kann nicht dorthin auslaufen!" ereiferte sich die Volksstimme. "You are right! Sorry mates!" seufzte der Geplagte nur und hing die richtigen Hinweistafeln aus.
Tatsächlich, der Kerl war stockbesoffen! Die einzige Art und Weise, wie er seinen Dienst in der prallen Sonne überhaupt verrichten konnte...

Mrs. Eger lag im abgedunkelten Zimmer und teilte Willi mit schwacher Stimme mit, er möge entschuldigen: das Abendessen sei noch nicht fertig. "Jahrelang war es nicht so schlimm wie in diesem Jahr", klagte sie. "Ich bin ganz fertig. Dazu melden sich meine chronischen Unterleibsschmerzen wieder. Willi, hören Sie? Nehmen Sie sich aus dem Kühlschrank etwas raus." Mrs. Eger hatte den ganzen Tag am Küchenfußboden liegend verbracht, das war die kühlste Stelle im ganzen Haus. "Und das Wasser geht auch schon wieder zu Ende. Kaum, daß zum Kochen genügend aus der Leitung rinnt. Aber wenn es morgen wieder so unerträglich heiß ist, lasse ich die Badewanne einmal vollaufen, ist mir ganz egal. Und wenn sie mich dabei erwischen!"
Die Sommermonate begannen also grausam. Unter dem Einfluß der hohen Temperaturen waren in den letzten Tagen einige Babys gestorben. Aber noch hatten sie die zu erwartenden Maximaltemperaturen nicht überfallen...
Der norddeutsche Mieter war heute ausgezogen, er hatte eine Solo-Unterkunft gefunden, näher bei seiner Arbeitsstätte. An seine Stelle rückte ein Österreicher nach, der bereits in den nächsten Tagen einziehen würde.
Erschöpft lag Willi am Bett und hörte sich das Gesäusel von Jean an. Umständlich knüpfte der eben ein Badetuch über die zuvor sorgsam behandelten Haare und schmierte sich anschließend das Gesicht mit einer Fettcreme ein. Seinem Mund entglitt dabei unablässig ein wahnsinnig sinnloses und lächerliches "Fucken-fucken-fucken..." Offensichtlich empfand er beim Aussprechen dieses obszönen Wortes einen sexuellen Genuß..."Ich habe wieder meine Frau vor dem Kino gesehen, ich..."
"Hör' bitte auf! Das interessiert mich jetzt nicht!" fuhr ihn der Österreicher gereizt an. "Bleib mir vom Leib mit der endlosen Geschichte deiner Ehe! Die kenne ich schon auswendig!" Der andere verstummte augenblicklich.
Traurig warf er Willi später vor: "Aber wenn du mir von Danica erzählst, dann bin ich dir gut genug zum zuhören, was?"
"Also schieß los, wenn du es nicht lassen kannst", lenkte Willi mißmutig ein und ergab sich seinem Schicksal. Während ihn die Worte des Gefährten umspülten, ließ er die letzte Begegnung mit Danica an seinem geistigen Auge vorüberziehen.
"Kommst du am Mittwoch? Bitte! Ich bezahle dir die Fahrt, wenn ich aus dem Krankenhaus heraus bin!" Anscheinend lag ihr wirklich etwas an ihm. Sie hätte garnicht so betteln müssen, er sehnte sich ohnehin nach ihr. Gerade jetzt, in diesem Augenblick.

* * *


Der beißende Rauch der Buschfeuer rings um Sydney rief einen sauren Geschmack auf seinem Gaumen hervor, als er zu ihr eilte. In wenigen Minuten würde er bei ihr sein, dann war für eineinhalb Stunden alles vergessen, was ihn bedrückte.
Noch niemals hatte er von seinen Schwierigkeiten mit den Arbeitskollegen erzählt, wenig hatte er bisher aus seinem Leben berichtet. Er spielte den starken Mann, der kam, um sein Mädchen zu trösten. Aber vielleicht war dies auch umgekehrt der Fall?
Die Besuchsstunden wurden ihm bereits zur Gewohnheit, das rätselhafte Wesen Danica zog ihn magisch an. Es war sonderbar mit ihr: es schien ihm, als grüble sie unablässig über einen Punkt nach. Nur, er ahnte nicht, was es war.
Danica lag flach und klein unter der Bettdecke, als er eintrat. Ungewöhnlich abgespannt. Ihr Busen hob und senkte sich merklich. Ein abgedunkeltes Nachtlämpchen erhellte nur notdürftig das Zimmer, dennoch fielen ihm die scharfen Konturen in ihrem Antlitz auf.
"Hallo, kleines Mädchen, wie geht es dir?" Er zog einen Sessel nahe an sie heran. "Habe heute wieder eine Operation hinter mir. Es geht mir nicht gut." Ihre Stimme klang matt. Eine Welle der Zärtlichkeit überflutete ihn. "Du!" flüsterte er, griff nach ihrer Hand, die krampfhaft ein Taschentuch umklammert hielt. Mit einer unwirschen Gebärde riß sie sich los. "Was hat sie bloß?" dachte er verwundert. Tief im Innersten gab es ihm einen Stich: "Sie will mich nicht! Sie stößt mich zurück."
Sie führte das Tüchlein zum Mund und wischte darüber. "Ich schäme mich. Ich schäme mich, Willi!" wiederholte sie müde. Er versuchte den Sinn dieser Äusserung zu erfassen, aber es gelang ihm nicht. Weshalb brauchte sie sich zu schämen? Wegen ihrer Hilflosigkeit? Seiner Zärtlichkeit? Oder wegen ihres schlechten Aussehens?
Wenige Worte fielen an diesem Abend.
"Wann wirst du von hier weggehen können, Danica?"
"Nächste Woche, Willi."
Immer dieselbe Frage, dieselbe Antwort.
Seit Wochen zog sich das schon so hin. Er verabschiedete sich früher als gewöhnlich. Eben wurde eine spanische Wand vor das Bett der Nachbarin gezogen, hinter der die Krankenschwestern die Frau entkleideten. Offensichtlich störte er nur.
Aber irgendetwas lag dem Mädchen vor ihm noch auf dem Herzen, sie drückte sichtlich herum. "Du willst mir etwas sagen, Danica?" Verständnisvoll ermunterte er sie zum Reden.
"Ja", nickte sie unter Tränen, "aber ich kann es nicht. Ich habe es noch niemandem, außer meiner Freundin, mitgeteilt. Dir muß ich es aber sagen: ich habe etwas Schreckliches getan, bevor ich Jugoslawien verlassen habe...Ich,..." Sie stockte. Gequält blickte sie den jungen Mann an, der verlegen zuhorchte.
"Nein, ich kann es dir jetzt noch nicht sagen. Bitte sei mir nicht böse!" Er sah ratlos auf sie nieder: "Samstag nachmittags bin ich wieder bei dir. Erhol' dich gut in der Zwischenzeit. Ich bring dir dann etwas Schönes mit, ja? Servus – Darling!" Er huschte über den Balkongang leise aus dem Raum.
In der Dunkelheit sah er am Horizont die Flammen lodern, es brannte ringsumher. Es brannte auch heiß in seinem Herzen. Welches Erlebnis sie wohl so bedrückte? Was lag ihr auf dem Herzen?

* * *


Er suchte etwas ganz Exquisites. So durchstreifte er stundenlang die Straßen der City, forschte in den Auslagen der Juweliere nach, blickte da und dorthin. Alles, was da ausgestellt war, roch nach Massenware. Gewiß, es fanden sich auch teure, herrliche Stücke unter den Broschen, Halskettchen, Ohrclips und Armbändern. Aber erstens konnte sich Willi das alles finanziell nicht leisten, und zweitens wollte er seiner Danica etwas verehren, das nicht gleich im nächsten Geschäft zu kaufen war.
In einem Antiquitätenladen entdeckte er schließlich, was ihm vorschwebte: ein Armband aus Silber, mit eingravierten polynesischen Tanzszenen.
Die Verkäuferin, eine etwa 35-jährige Australierin, nicht unhübsch und ziemlich smart, bemühte sich sehr. "Ich möchte das Girl sein, das dieses Armband erhält...anything serious?" Verblüfft hielt er inne. Die Deutlichkeit des Antrags ließ nichts zu wünschen übrig, aber zu einem Flirt war Willi momentan wirklich nicht aufgelegt. "Bedaure, leider. Eine ganz ernsthafte Verbindung", gestand er in scherzendem Tonfall. Er wollte die Gute nicht vor den Kopf stoßen.
Später neckte er Danica ein wenig mit den Chancen, die ihm die Frauen boten. Dann überreichte er ihr triumphierend das Schmuckstück. "Probiere es doch an!" forderte er sie neugierig auf. Das Mädchen versuchte es – es erwies sich aber als zu eng, war nur für ganz schmale, balinesische Frauengelenke geeignet.
"Da hast du es wieder. Es paßt mir nicht!" Gleichmütig reichte sie ihm das Ding rüber. Trotzig über den Mißerfolg und über die zur Schau getragene Ungerührtheit, stieß er heftig hervor: "Gib her! Ich werfe es einfach aus dem Balkonfenster. Damit ist diese Angelegenheit erledigt!"
Verstimmt setzte er sich zurecht und reichte ihr seine Farbdias zum Ansehen. Sein Stolz, seine Superaufnahmen. Nebenher berichtete er von einer interessanten Begegnung auf einer der Brückenpfeiler der Sydney Harbour Bridge: "Also ich treffe dort oben beim Ausguck einen Chinesen aus Formosa, einen Medizinstudenten. Spricht perfekt Englisch – und auch etwas Deutsch. Und stell dir vor, Danica: er deklamierte mir stolz einige Verszeilen von Goethe!
Hierzulande stellt sich der Durchschnittsbürger unter jedem Farbigen zugleich einen ungebildeten Menschen vor. Die kommen sich denen haushoch überlegen vor, bloß weil sie sich einen Kühlschrank und ein Auto leisten können. Aber nebenbei gesagt, so hart darf man wiederum nicht urteilen – auch hierzulande finden zum Beispiel Schüleraufführungen deutschsprachiger Klassiker statt. Aber bei einem Chinesen imponiert einem das schon ein wenig!"
Er entwickelte vor ihr seine weitläufigen Kenntnisse über China, nicht nur über Nationalchina, sondern auch das Kommunistische China: "In wenigen Jahren werden sie die Stahlproduktion von Großbritannien erreicht haben. In den letzten fünf Jahren haben sie 5000 Techniker herangebildet - mit Hilfe russischer Ingenieure. Tausende Schulen und Krankenhäuser wurden erbaut und sonstige Errungenschaften der Zivilisation eingrichtet. Im Rekordtempo!
Und hier ruht sich das Volk auf den Lorbeeren seiner Pioniervorfahren aus. Die Geburtenrate ist nicht allzuhoch und Einwanderer sind in der breiten Öffentlichkeit unerwünscht. In Australien will man den jetzigen Lebensstandard für eine Minderheit reservieren! Mögen auch die Länder der dritten Welt von Menschenmassen überquellen – hier wird Vogel Strauß-Politik betrieben. Man will nicht bemerken, was in der weiten Welt vor sich geht, glaubt, daß es ewig mit der Schlaffheit weitergehen wird, mit der man hier alles angreift!"
Danica verfolgte seinen Eifer zuerst lächelnd, dann jedoch mit zunehmend ernster Miene. Ihre großen braunen Augen strahlten ihn an. "Interessierst du dich auch für Politik?" fragte sie gespannt. "Ja glaubst du denn, ich laufe mit Scheuklappen durch die Welt?" Sie lenkte beruhigend ein: "Man darf den Leuten in Australien das alles nicht übelnehmen, sie leben schon zulange isoliert auf ihrer Insel. Daher können sie die Dinge nicht so sehen, wie wir. W i r müssen versuchen mit ihnen gut auszukommen, wenn es bei der Intoleranz auch schwerfällt."
Daraufhin berichtete er ihr wütend über den Vorfall mit den Gießereiarbeitern. "Die hetzen die Aussies noch gegen uns auf. Wer nicht viel weiß, dem kann man leicht alles aufschwatzen!"
"Nimm's nicht so schwer, Willilein!"
Ganz seltsam schimmerten ihre Pupillen. Den Nacken, von prachtvollem Haar umflossen, hielt sie leicht geneigt. Hochaufgebettet ruhte sie im großen Kissen, feingliedrig, weiß und lang ruhte der freie Arm neben dem Körper. Der junge Mann ergriff sanft tastend ihre Hand, spielerisch glitten seine Finger über die weiche Haut, strichen zum Oberarm hinauf. Wie ein elektrischer Funke durchzuckte es da die beiden Menschenkinder, die einsam und verlassen, inmitten der täglichen Sorgen und Schwierigkeiten eines Emigrantenlebens, aneinander Halt suchten. Lautlose Stille lastete über dem Raum. Nebenan ächzte die todkranke Australierin, in einem dünnen Strahl floß eine Traubenzuckerlösung aus dem Infusionsgerät in ihre Venen.
Er zögerte, seine Hand unter den kurzen Ärmel ihres Hemdes zu schieben. "Danica!" hauchte er, und sein Griff wurde fester. Trotz der Benommenheit seines erotischen Taumels, fühlte er, daß er ihre sonst anscheinend kühlen Sinne erregte. Keuchend versuchte er sein Verlangen nach ihr zu bändigen. Jemand betrat das Zimmer, rasch zog er seine Finger zurück, prüfte verlegen seine Fingernägel. "Keinen Tee, nur Milch!" hörte er Danica sagen.
"Danica, ich muß jetzt gehen." Er erhob sich und streckte ihr die Hand zum Gruß hin. Er wäre sonst an seinen überhitzten Gefühlen erstickt. Sie verstand ihn sofort.
Wortlos nahm sie seine Hand, preßte sie gegen ihre Brust. Starr und innig hielt sie ihn fest. "Danke. Danke, Willi!"
Er stürmte hinaus, er lief auf die Straße hinunter. Am liebsten hätte er die ganze Welt umarmt!
Sie liebte ihn!
Wie glücklich war er doch!

* * *


Die Familie Eger war vollständig beim Abendessen versammelt, als Willi heimkehrte. Die Familie, das heißt Mr. und Mrs. Eger und ihre Boys: Jean der Franzose, der junge Bäcker und Eduard, ihr Neuer. Der Österreicher im besten Mannesalter befand sich nicht gerade in bester Stimmung. Düster und lustlos kaute er an der Mahlzeit herum. Bald kam es heraus, weshalb.
"Habe eine Frau und zwei Kinder, bis vor kurzen jedenfalls noch", erklärte er schlicht. "Nun hat sie sich einen Aussie angelacht, der Vorarbeiter in einer Fabrik in der Nähe unseres Lagers ist. Ich habe ihr die Sache am Anfang im Guten auszureden versucht.
'Schau, denk doch an unsere beiden Kinder, unsere lieben Kinder', habe ich ihr vor Augen gehalten. 'Ich habe immer für dich gesorgt und uns zuhause eine kleine Wohnung eingerichtet. Zwölf Jahre hast du es nun mit mir ausgehalten. Bis wir uns entschlossen haben, hierher auszuwandern.'
Australien! Land der Zukunft!
'Bin ja stark. Werde schon Arbeit finden und uns ein Haus bauen. Als Hilfsarbeiter wäre ich daheim ja doch nicht weiter gekommen.' Wißt ihr, was sie mir da ins Gesicht geschleudert hat? 'Was bist du denn schon! Ein D r e c k bist du!'
Dann hat sie sich aufgedonnert und ist mit den Kindern zu ihm gezogen. In sein Haus, er hat ja schon eines...
Der Aussie fühlt sich dabei nicht recht wohl. Aber er hat sie gerne und behält sie wohl bei sich...
Das werde ich nie vergessen: 'Ein Dreck bist du!' hat sie mich angebrüllt."
"Ja, die Frauen verlieren bald das rechte Maß für die Dinge um sie herum. Wenn sie erst einige Monate im Lande weilen, steigt ihnen ihre urplötzliche Aufwertung in den Kopf", bemerkte der Hausherr abschließend, mit einem schiefen Blick in Richtung seiner holden Gattin. Er wandte sich Willi zu: "Übrigens, Willi! Daß ich nicht vergesse: Für dich kam vor einer halben Stunde ein Anruf von einer Dame. Sie hat sich sehr gewählt ausgedrückt – sie hat mir gesagt, ich soll Mr.Hoeger ausrichten 'Danica' habe angerufen. Ich soll ja nicht vergessen: Danica."
Hocherfreut dankte er Herrn Eger. Oh, er war im Bilde, warum sie ihn heute zum ersten Male angerufen hatte: Sie hatte sein Verlangen nach ihr empfunden – und ihre Sehnsucht war geweckt worden!
Gutgelaunt blieb er noch eine Weile bei seinen Kameraden und sie plauderten ausführlich über das Thema Nr.1, die Frauen. Jean tröstete den am Boden zerstörten Eduard, so gut es ging und erzählte ihm natürlich von seinem eigenen Mißgeschick. Einer holte aus dem nächsten Pub einige Bottles Bier, der Franzose öffnete seinen geheiligten Musikschrank und bald dröhnte eine übermütige Polka aus dem Kasten. Man schlug sich auf die Knie und kreischte den mitreißenden Text dazu, daß die Wände wackelten: "Ja, das ist die Lichtensteiner Polka, mein Schatz, Polka mein..."
Gott sei Dank, man war nicht allein.
Wohin man auch blickte, man war von Schicksalsgefährten umgeben.

* * *


Seine Gedankenwelt war erfüllt vom Bild dieses Mädchens. Von einem Besuch zum anderen vertiefte er sein Verständnis für sie, das instinktive Begreifen ihrer Persönlichkeit.
Die tägliche Routine ging ihm leicht von der Hand. Hochmütig wies er die Intrigen und eifersüchtigen Querschüsse seiner sogenannten Kollegen und Mitarbeiter ab. Die zunehmende Gewißheit über Danicas Zuneigung machte ihn fast unverwundbar gegen alle Angriffe, Spott und Hohn. Versteckte Anspielungen berührten ihn nicht mehr.
Abends um sechs Uhr dreissig, gerade wenn er die letzten Reste der von Frau Eger zubereiteten Mahlzeit hinunterschluckte, schrillte täglich im kleinen Vorzimmer das Telefon. "Höger" meldete er sich kurz, obwohl er genau wußte, wer am anderen Ende der Leitung hing. Und die geliebte, dunkle Stimme schlug ihm entgegen:" Wie geht es dir, Willi?"
"Danke, es geht mir gut", war eigentlich eine Unwahrheit. Aber er wollte sie nicht mit seiner Sorge belasten, daß der geheime Nervenkrieg, die Kämpfe unter der Oberfläche der täglichen Konventionen, nicht ins Endlose fortdauern konnten. Daß alles zu einer Lösung, zu einer explosiven Entladung drängte.
"Wann glaubst du das Krankenbett verlassen zu können?" Seine stete, drängende Frage. "Bald, noch vor Weihnachten, Willilein." Ihre Gespräche am langen Draht ermangelten oft der Ursprünglichkeit: er hörte die Burschen herumrumoren und schämte sich, seine innersten Gefühle neben ihnen auszubreiten und bloßzulegen. Aber Danica und Willi verstanden sich bereits so gut, daß es nur weniger Worte bedurfte, um a l l e s auszudrücken. Trotz der wunderbaren Ereignisse der vergangenen Woche zweifelte Willi manchmal an ihrer echten Zuneigung: Danica enthielt ihm irgendetwas vor, ganz abgesehen von dieser Andeutung des "Schrecklichen, das sie vor ihrer Abreise begangen habe." Er zerbrach sich den Kopf darüber, was sie von ihm fernhielt.
Ganz aus dem heiteren Himmel seiner Liebe fiel er, als sie eines Abends hervorstieß: "Ich will dich überhaupt nicht mehr sehen! Bitte komm nicht mehr, laß mich gehen!"
Im ersten Moment verschlug es ihm vor Verblüffung die Sprache, dann stieß er hervor: "Mach doch keine Witze! Das kann doch nicht dein Ernst sein?"
Jetzt, nach all dem, was zwischen ihnen vorgefallen, rückte sie mit einer solch unverständlichen Äusserung heraus? Am Klang ihrer Stimme jedoch merkte er, daß es keiner ihrer kleinen überraschenden Gags war, mit denen sie ihn manchmal aufzog und testete, zugleich aber fühlte er die Anstrengung, die es ihr kostete, ihm solches unverwunden zu sagen. Rätselhaftes Geschöpf! Was steckte hinter der melancholischen Verfassung, dieser verborgenen Trauer, die nach Entsagung und Resignation roch?
Er nahm sich vor, sie beim nächsten persönlichen Kontakt mit seinen Plänen zu konfrontieren, dann konnte sie nicht ausweichen, war gezwungen, Stellung zu nehmen, und er würde klarer sehen. In der jetzigen Art und Weise durfte es nicht so weiter gehen. Mrs. Eger zog ihn in letzter Zeit schon mit dem herunter gestrampelten Leintuch auf. Die halben Nächte brachte er kein Auge zu, stundenlang gauckelten ihm die Sinne die Umrisse seiner Geliebten vor, hielt ihn allein die Erinnerung an den Klang und das Timbre ihrer Stimme vom Schlafen ab.
Auch Danica erklärte ihr müdes Aussehnen mit Schlaflosigkeit, die sie allerdings auf das strickte ärztliche Verbot, einzuschlafen, zurückführte. Aber es war ihre Haltung ganz allgemein, die ihn verwirrte.
Da kaufte er ihr rote Nelken. Stolz trug er die Blumen in Seidenpapier gehüllt durch das Menschengewimmel der Straßen, niemals zuvor hatte er solches über sich gebracht. "Hier, Danica, habe ich dir etwas mitgebracht. Gefallen sie dir?"
Ihr Kirschenmund verzog sich zu einem gleichmütigen Schmollen. "Da drüben in der Vase kannst du sie abstellen", gab sie ruhig zur Antwort. Kein Dank, keine Freude, nichts! Herrgott nochmal! Kannte sie nicht einmal die primitivsten Regeln der Höflichkeit? Ein gemurmeltes "Danke sehr, wirklich nett", hätte doch keinen Stein aus ihrer Krone gebrochen. Oder fand sie derartige Aufmerksamkeiten so selbstverständlich, daß es keiner weiteren Floskeln bedurfte? Dann durfte er annehmen, daß sie einen großen Verehrerkreis besaß, daß sie wohl an ganz andere Geschenke gewöhnt war. Wortlos blieb er eine Minute auf dem Stuhl sitzen.
Sie betrachtete ihn von der Seite und lächelte in sich hinein. Was fand sie daran so komisch? Lachte sie ihn am Ende gar noch aus? Spielte sie ihm vielleicht ein Theater vor? Durfte er auch ihr kein Vertrauen mehr schenken, war gezwungen, jedes Wort auf die Waagschale zu legen? Verdammt nochmal!
"Warum lächelst du so?" erkundigte er sich argwöhnisch.
"Ach nichts, ich hab' dich nur beobachtet, wie du so wütend dagesessen bist..."
Na, das klang wenigstens ehrlich. Übergangslos fing sie zu erzählen an. "Gestern war eine Freundin von mir da, eine Australierin. Sie spricht nur Englisch.
Da hätten wir beide in ihrem Beisein ohne weiteres über Liebe sprechen können, und sie hätte garnichts mitbekommen...", meinte sie schnippisch.
Vor einigen Tagen erst hatte sie ihm am Telefon mitgeteilt, sie wolle ihn überhaupt nicht mehr sehen, verweigerte aber jede Angabe eines Grundes. Nun tat sie so, als ob es für einen jungen Mann eine Selbstverständlichkeit darstellt, einem Mädchen Blumen zu schenken. Sie bereitete ihm Kummer.
Sie saß aufrecht im Krankenbett, es ging ihr offensichtlich gesundheitlich gut. Wenn sie nur nicht so rassig aussehen würde – viel zu auffällig und schön für mich. Mein Geldbeutel wird ihr nie das bieten können, was sie sich möglicherweise erhofft. Da werden andere Männer am Tapet erscheinen, wie zum Beispiel der Bruder jener Australierin, die sich nun auf dem Wege der Besserung befand und nebenan schlummerte. Er hatte die Eifersucht kaum verbergen können, als er den Vierzigjährigen mit der Tabakspfeife im Mund, den grauen Schläfen, gut angezogen – offensichtlich ein Geschäftsmann – an Danicas Bett gelehnt, vorgefunden hatte. "Ich habe eine Vorstellung unterlassen", hatte Danica damals leichthin erklärt. Vor Wut hatte er innerlich gekocht. Der sympathische Junggeselle war kaum zu Fuß gekommen, sicherlich wartete unten im Hof ein schnittiger Sportwagen auf ihn. Ingrimmig hatte Willi auf seine abgetretenen Schuhe hinuntergesehen. Es war doch alles zwecklos, hatte er gedacht. Die ganzen Visiten bei dem Mädel hier! Was wollte er denn von ihr? Was wollte sie von ihm? Sollte er ihr vielleicht die 350 Pfund, die er in den letzten Jahren von seinem mittelmäßigen Gehalt zusammengekratzt, buchstäblich vom Mund abgespart hatte, vor die Füße legen?
Vermutlich würde dies gerade die Spitalskosten abdecken.
Ich muß erst etwas werden, etwas erreichen, bevor ich daran denken kann, eine Frau wie Danica zu nehmen. Alles was ich vordringlich benötige, ist Geld und nochmals Geld. Dann kann ich mir einen Wagen kaufen, mir eine Wohnung leisten. Diese Frau hat doch ganz andere Chancen, als einen nahezu unbemittelten und sich noch leicht naß hinter den Ohren anfühlenden jungen Trottel zu heiraten, der nicht einmal genau weiß, was er auf dieser Welt werden will!
Die höhnische Stimme seines Jugendgefährten Anton gellte noch in seinem Gedächtnis nach: Was die Weiber in Australien wollen? Geld, Mensch, nur Geld! Bedrückt, verkrampft starrte der junge Mann jetzt zu Boden. Alles, alles war doch Scheiße. Nie durfte er es unter diesen Umständen wagen, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Nein, es war wohl vernünftiger, gleich auf das Mädel zu verzichten: Sie würde ihn womöglich noch auslachen. Und das hätte er nicht verwinden können, nicht von ihr. Entschlossen hob er das Haupt, wollte ihr das irgendwie klarmachen.
Das Mädchen saß hochaufgerichtet im Bett, wild umflossen von ihren langen schwarzen Haaren. Sie sah ihn sanft und eindringlich an und äußerte dann mit leiser Stimme: "Ich möchte, daß du mich küßt, Willi."
Er starrte sie an, voll Hingebung neigte sie sich vor. Ein Hauch von Ängstlichkeit umgab sie. Um sein Herz kroch kalt eine Welle des Unmuts: die soll mit einem anderen spielen, ihre Launen an einem anderen Subjekt abreagieren. An einem Mann, der die nötige Zeit und Muße aufbringt, die Geduld und das nötige Money. Seine Sinne waren mit Blindheit geschlagen, ließen keine andere Überlegung zu, als die: Ich muß etwas erreichen im Leben – unter allen Umständen. Niemals wieder möchte ich mit leeren Händen vor einem Weib stehen und unsicher herumstammeln: "Bitte, willst du meine Frau werden?"
Niemals wieder möchte ich der armselige Einwanderer sein, der um Beschäftigung und Freundschaft betteln muß, war alles, was er in diesem Augenblick denken konnte. Versteinert bis ans Herz hinan, erstickt von dem Gefühl der Bedeutungslosigkeit, besessen von der Manie, ein in jeder Hinsicht vollkommener, unantastbarer, bewundernswerter Selfmademan zu werden, der mit lächelnder Miene alle seine Konkurrenten erledigt – blickte er auf das Mädchen, das ihm in Erwartung des Kommenden mit blutrot bemalten Lippen entgegenzitterte.
"Ich kann dich jetzt nicht küssen, was würde deine Nachbarin dazu sagen? Warten wir damit, bis du heraussen bist, bitte!" Der unpersönliche Ausdruck seiner Worte erschreckte sie, rasch zog sie sich zurück. "Gut, dann eben nicht", war alles, was ihr dazu einfiel. Sie betrachtete ihn ernst und abwägend. Da schlug er überraschend ein ganz anderes Thema an.
"Danica, weißt du, was von jeher mein geheimer Wunsch gewesen ist? Weißt du, was ich wirklich erreichen möchte?" Der junge Mann sprang auf, setzte einen Fuß auf die Sesselleiste, steigerte sich in eine wirre Begeisterung hinein. Er sah über das Mädchen hinweg, starrte auf das Weiß der Wand dahinter: Fabriksanlagen türmten sich auf, zwischen den Hallen eilten Menschen geschäftig hin und her, Ladekrane kreischten, Werkzeugmaschinen surrten, Ingenieure steckten beratend die Köpfe zusammen... Seine Welt.
Er, Willi Höger, als Mittelpunkt und Eigentümer dieser Firma, die er aus dem Boden gestampft hatte. Ein Zukunftsbild, eine Vision, eine Utopie, wahrscheinlich für immer eine Illusion, aber sein Lebenstraum...
"Was mich momentan interessiert, ist Geld, Kapital, nichts anderes. Ich brauche es nicht für mich persönlich, zur Befriedigung von Luxusbedürfnissen. Ich möchte einen eigenen Betrieb, Danica. Einen, wo ich nach eigenem Ermessen schalten und walten kann. Für immer Angestellter bleiben, mich herumstoßen und kommandieren lassen – das kann ich nicht ertragen.
Du denkst vielleicht, ich bin übergeschnappt, oder – der hat leicht reden. Du wirst es erleben, Danica. Ich werde dir beweisen, was in mir steckt!" Er dachte an die grausamen Erniedrigungen, denen er an seiner jüngsten Arbeitsstätte unterworfen war und reckte sich empor.
Raus aus diesem Dreck, mit aller Gewalt. Wenn sie nicht mitmachen will, so soll sie es bleiben lassen. Wer nicht mit mir geht, ist gegen mich. Ich werde mich nicht abhalten lassen.
Auch wenn ich Danica so liebe, wie ich noch keine Frau vor ihr geliebt habe...
Bewegungslos hatte das Mädchen dem Ausbruch der innersten Gedanken und Gefühle Willi Högers gelauscht. Nun räusperte sich der Österreicher und reichte ihr beklommen die Hand.
"Entschuldige bitte meine düstere Miene. Mir ist etwas über die Leber gelaufen. Ich verlasse dich für heute, auf Wiedersehen!" Ohne sich nochmals umzudrehen, haute er mit sorgendurchfurchter Stirn ab.

* * *


In diesen Tagen, knapp vor Weihnachten, stand der Groß-Familie Eger eine besondere Überraschung bevor.
Gänzlich unerwartet, tauchte eines Abends der hünenhafte Deutsche auf, der vordem als Untermieter hier gehaust hatte. Er war total vollgelaufen, bis obenhin. Wenn man ihm einen Penny in den Mund gesteckt hätte, würde er mindestens drei Bottles Whisky von sich gegeben haben. "Frau Eger, bitte lassen Sie mich in meinem Bett schlafen. Nur dieses eine Mal – mir hat hier bei Ihnen so gut gefallen – lassen Sie mich hier übernachten. Bitte! Bitte!" Endlos zog sich sein Jammern und Flehen dahin.
"Aber das geht doch nicht mehr. Das Bett ist bereits besetzt - außerdem würde das mein Mann nie erlauben! Warum sind Sie denn fortgezogen, wenn es Ihnen so gut gefallen hat, na?" Die dralle Mrs. Eger pflanzte sich vor dem Koloß auf, ihre gerundeten Körperpartien schwabbelten gleich vor Aufregung: "Wer weiß, was dieses stockbesoffene Mannsbild noch anstellen wird?"
Der "Normannische Kleiderschrank", wie ihn Willi insgeheim getauft hatte, ähnelte seinen heldenhaften teutonischen Vorfahren aus den Urwäldern der deutschen Heldensagen nur in entfernter Weise. Sein Großsprechertum in nüchternem Zustand war derzeit einer gebrochenen Alkoholseligkeit mit endlosem Wimmern gewichen. Den ehemaligen Mitbewohnern um ihn herum kam es furchtbar peinlich an, dieses Wrack anhören zu müssen. Stundenlang bettelte er herum, bis er Frau Eger endlich breitgeschlagen hatte: "Also in Gottes Namen. Bleiben's halt eine Nacht hier." Jean und der andere Österreicher waren glücklicherweise noch ausständig.
Mehr aus angeborenen psychologischem Forschungstrieb denn aus Mitleid hörte sich Willi die Tiraden des Mannes an. Sie hockten allein auf dem Klappbett, das Willi als Lager diente. Das Kinn des Deutschen senkte sich traurig auf die Brust: Er benötige einen seelischen Lift, sei so unendlich müde, sehe keinen Sinn mehr im Leben.
"Was soll ich tun? Bitte sag mir: was soll ich tun? Es geht mit mir nicht mehr so weiter... bin ich so schwach? Sag es mir! Du! Du sollst es mir sagen! Bin ich so schwach?" Er rüttelte heftig an Willis Arm. "Sag', was soll ich tun?" schrie er ihn verzweifelt an.
"Ich weiß es nicht. Erzähle, was ist los mit dir?" Der Jüngere reagierte mit erzwungener Ruhe, aus den ersten gestammelten, bruchstückweise hervorgestoßenen Wortfetzen, konnte er sich noch keinen klaren Reim machen. Doch dann taten sich ihm abgrundtiefe schwarze Löcher der menschlichen Seele, Begierden und Veranlagungen auf, welche die bürgerliche Welt normalerweise nur mit Abscheu zur Kenntnis nimmt... "Die Polizei hat mich eingesperrt...Wenn bei uns einer in Deutschland 'ja' sagt, dann meint er es...dann ist es ein J a. So sind wir nun einmal...Aber hier, in diesem Scheiß-Country ist es scheinbar anders...
Verstehst du, ich habe gesagt: Steig ein ins Taxi, wir fahren zu mir nach Hause..."
Mit geheimen Entsetzen betrachtete der junge Österreicher den Mann, der ängstlich an ihm vorbeistarrte, als die nächsten Worte fielen.
Die Glühbirnen leuchteten gelblich-matt, der Stoff der Couch war blutrot. Quer über die Wände liefen grüne Streifen, die Möbel rochen nach echt Nußholz. Die Aluminiumrollos ließen den Schein der Straßenbeleuchtung gedämpft ins Zimmer durch – und ein Mann legte drinnen eine Beichte ab. "Ich habe gesagt: Fahr mit mir nach Hause...dort sind wir ungestört...
Dafür geht man in England frei,...aber hier wird man eingesperrt..."
Seine Stimme war zu einem Wispern abgesunken, nahezu am Verlöschen. Scheu wandte ein gequältes Individuum den Kopf, starrte ein intelligenter, gemarterter Mensch, der der Hölle des Krieges nur mit knapper Not entronnen war, aus glasigen Augen auf Willi. Ein Mensch, der in der privaten Hölle seiner abwegigen Neigungen und ethischen Konflikte weiterexistieren mußte.
Ohne Ausweg, außer dem Selbstmord.
Wie eigenartig das Leben doch sein kann.
Gerade die Deutschen trumpfen vor dem kleinen Bruder, den Österreichern, gerne auf, geben an, prahlen großsprecherisch. Und kommen dann ganz klein daher, um sich bei ihnen auszuweinen.
Ein Gedanke, eine Empfindung, der sich der junge Mann schämte. Aber es tat seiner eigenen Niedergeschlagenheit wohl, wenn es jemand gab, dem es noch weit dreckiger erging...

* * *


Die W. Foundry Pty lud zur Weihnachtsfeier ein, nichts sonderlich Aufregendes, nur ein gesellschaftliches Zusammensein der Angestellten – nach 2 p.m. Unser junger Österreicher freute sich darauf, war er doch für jede Erweiterung und Vertiefung seiner Kenntnisse über Land und Leute dankbar. Ebenso wie über jeden Freund oder Bekannten, den er dabei gewinnen konnte. Selbstverständlich hatte auch er das Einladungsschreiben des Managers erhalten, und voller Stolz zeigte er es in seinem Freundeskreis herum.
Insgeheim hoffte er, es würde ihm gelingen, das latente Mißtrauen und wachsame Lauern seiner Arbeitskollegen abzubauen.
Das Wegräumen der Zeichenbretter bereitete weiter keine Schwierigkeiten. Als es dann soweit war, schleppte man einige Kasten Bier und eine Unmenge Limonaden für die Antialkoholiker und weiblichen Belegschaftsmitglieder, sowie Berge von Sandwiches und Zigaretten herbei.
Um Punkt 2 p.m. hauten die beiden Gentlemen Warran und Ted ab. Sie hatten Wichtigeres vor, als diesem Zusammensein beizuwohnen, aber vielleicht wollten sie nur eventuellen, unangenehmen Fragen entgehen, indem sie das Weite suchten...
Langsam tröpfelten die Angestellten herein, Männer aus der Verkaufsabteilung, Frauen aus der Lohnverrechnung, Stenotypistinnen – alles Menschen, mit denen Willi selten oder nie in Kontakt kam. Mit einigen wenigen war er bereits gut bekannt, so zum Beispiel mit Don. Der aufgeweckte Aussie hatte sich anfangs sehr um ihn bemüht, leider wurde Willi das unangenehme Gefühl nicht los, daß diese freudige Kontaktaufnahme nur dazu diente, ihn auf eventuellen Schwachstellen abzuklopfen.
Wie üblich gruppierten sich Männlein und Weiblein an den gegenüberliegenden Wänden wie zwei feindliche Heerlager, der Alkohol floß bald in Strömen und die einzelnen Gruppen unterhielten sich angeregt. Willi Höger bemühte sich redlich um ein Gespräch mit den Herren von draussen, von den kaufmännischen Abteilungen. Er sprach den Gentleman von der Lohnverrechnung an, der ihm wöchentlich seine 17 Pfund clear ausbezahlte. Sein Aussprache war deutlich und korrekt, der deutsche Akzent, der in den Anfangsmonaten noch stark zutage getreten war, fast völlig verschwunden. Momentan stand Don allein abseits und aß ein Sandwich, die Situation war also günstig. Willi sprach ihn an – worauf ihm der Mann wortlos den Rücken zudrehte und sich übergangslos mit einem einheimischen Kollegen unterhielt, so, als ob der junge Österreicher überhaupt nicht existierte. Das hatte Willi von dem Mann eigentlich nicht erwartet, er sah so freundlich und entgegenkommend aus. Bedrückt versuchte er es bei einem zweiten, mit demselben Ergebnis: er wurde nicht einmal ignoriert. Die Frauen und Mädchen von gegenüber blickten unverwandt zu ihm her, kicherten und raunten einander gegenseitig etwas ins Ohr. Manche trugen auch eine ernste Miene zur Schau, mit der sie ihn aufmerksam und besorgt musterten: "Wenn er auch ein Geisteskranker ist – oder ein Verbrecher, so genau kann man das nicht sagen, denn Warran entdeckt ja täglich neue Züge an ihn – aber man sollte ihn doch menschlicher behandeln." Seit er in dieser elenden Bruchbude gelandet war, umgaben ihn diese Bemerkungen, die er bruchstückweise immer wieder mitbekam. Rein intellektuell gelang es ihm noch immer, von den ungeheuerlichen Vorgängen rund um seine Person Abstand zu wahren, aber eine emotionelle Komponente blieb, die er nicht unterdrücken konnte. So zerrte die andauernde psychische Belastung unheilvoll an seiner Gesundheit, untergrub sie von Tag zu Tag mehr.
"Er ist ein stupides Schwein!" Ein hämischer Seitenblick Dons in Richtung Willis, nur um sich rasch der Wirkung seiner Worte zu vergewissern. Der junge Mann hätte maßlose Selbstbeherrschung und eine Haut so dick wie ein Elefantenfell aufweisen müssen, wenn diese Art der Behandlung spurlos an ihm vorübergegangen wäre.
Mühsam unterdrückte er seine Erregung: bloß nicht an die Schmähungen denken, vor allem das Gefühl, die Empfindungen dabei ausschalten. Die Sache nicht ernst nehmen, nicht ärgern, nicht kränken ..., sonst ist es aus mit dir, mein Freund!
Ganz mechanisch sprach er sich Mut zu, versuchte seine Gedanken in andere Bahnen zu lenken: "Laß sie quatschen, was ihnen beliebt, die Idioten, die gottverd...Nein, du regst dich schon wieder auf. Sieh doch, wie toll die Figur der Kleinen da drüben ist, die mit dem spitzen Popo..."
Rein instinktiv flüchtete er in eine Methode, die wahrscheinlich tausenden politischen Intellektuellen, bei Verhören und Folterungen durch Gestapo, NKVD – oder CIC -, zumindest eine zeitlang ihre Qualen überstehen ließ, wenn die psychologische "Behandlung" nicht allzulange andauerte. Oder wenigstens anfangs, wenn sie noch im vollen Besitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte waren – bis zum endgültigen Zusammenbruch: Beharrlich vermeiden, emotionell von der Umgebung berührt zu werden. An vollständig andere Dinge, auf fremden Gebiet Liegendes denken. Sich völlig auf Handlungen und Gedanken zu konzentrieren, die mit der tristen und scheinbar ausweglosen Situation nicht das geringste zu tun haben. Noch gelang ihm dies.
Sein Geist wandte sich von dem Horrorszenario ab, beschäftigte sich mit Mathematik, der Heimat, seinen Verwandten und Bekannten... Langsam verrauchte die dumpfe, drängende Verzweiflung über die ungerechtfertigte Behandlung. Zynisch grinste er zu Ray hinüber, der soeben eingetreten war und eine Flasche Limonade öffnete. Der junge Engländer. Wenigstens einer, der ihn als gleichwertig behandelte.
"Was sagst du zu unserer großartigen Party?" fragte er ihn.
"Werde mich bald verdrücken", antwortete der junge Mann trocken. "Siehst du den dort? Ist auch ein Brite. Nebenbei, will im August nächsten Jahres wieder nach Old Merry England fahren...Aber sei bloß ruhig...du weißt ja, sie hören's nicht gerne!" Geringschätzig wies er mit dem Daumen nach rückwärts, zu den Aussies hin. Wie einen rettenden Strohhalm ergriff Willi die Gelegenheit zu dem Gespräch mit dem rothaarigen Abkömmling aus einem Londoner Slum. Er hätte ja auch einfach abreißen können, aber gerade den Spaß wollte er den Aussiebrüdern nicht bereiten. Diese Party werde ich auch noch überstehen, schwor er sich ingrimmig.
Gegen Abend ließ sich sogar der Manager der Firma blicken, Willi bekam ihn zum ersten Male zu Gesicht. Der kleine Mann mit dem kränklich-gelben Teint schüttelte vorerst die Hände seiner führenden Mitarbeiter und bemerkte dann mit einem raschen Seitenblick den langen Österreicher ernst und still im Hintergrund stehen. Aufmerksam musterte er die intelligenten Gesichtszüge des jungen Mannes, der sich in dieser Umgebung offensichtlich nicht wohl fühlte. Möglicherweise hatte der Boß von den Gerüchten um den jungen Österreicher noch nichts erfahren, möglicherweise wußte er, was er davon zu halten hatte. Vielleicht wollte er nur beispielgebend vorangehen, vielleicht war er scharfsinnig genug, um die Hintergründe dieser Verleumdungskampagne zu durchschauen. Wie auch immer es gewesen sein mag – es durfte ein schöner Zug feiner Wesensart genannt werden – von einem Mann, der – mosaischen Glaubens war.
Und bei Gott, er hätte sicherlich mehr Veranlassung gefunden als die fair dinkum Aussies- wenn er eine gesucht hätte - einem Deutschsprechenden die kalte Schulter zu zeigen...

* * *


Als er, entgegen seiner sonst üblichen Art, schweigsam bei Mrs. Eger eintrat, die leichte Schwingtür hinter ihm im Türrahmen auspendeln ließ und sich in die Tageszeitung vertiefte, ohne ein Wort zu verlieren, zog ihn seine Hauswirtin mütterlich auf, während sie im die dampfende Leberknödelsuppe auf den Tisch stellte. Gewöhnlich blödelte er um diese Zeit lustig drauflos. Erstens, weil er nun wieder reden durfte, wie ihm der Schnabel gewachsen war, und zweitens in der nicht ganz uneigennützigen Absicht, Mrs. Eger stets bei guter Laune zu halten: denn dann fiel das Essen für den jungen Mann prächtig aus. An der drallen Endvierzigerin wendete er die Menschenkenntnis und die in den vergangenen Jahren erworbene lockere Art des Umganges mit dem Nächsten, zielbewußt und zum Wohle seiner Verdauung an. Als typischer Österreicher wußte er lukullische Gerichte wohl zu schätzen. Obwohl er in der Auswahl der Speisen nicht heikel war – aber schmackhaft zubereitet mußten sie sein. Und so vereinte die Volksdeutsche mit dem jungen Mann aus dem Ursprungsland der Sachertorte ein starkes Band – das Bewußtsein, daß Mrs. Eger sehr gut kochte, daß es Willi vorzüglich mundete, und er dies zu schätzen wußte. Und daß er ihr seinen Dank mit unverblümter Offenheit, in Form stark aufgetragener Anspielungen, sowohl auf ihre haushälterischen als auch "sonstigen" Qualitäten, aussprach.
"Heute sind's aber zwida. Dös bin i ja gornet gwöhnt. Haben's wieda Ärger g'hobt in der Firma?" Keine Antwort.
"Wie war denn die Weihnachtsfeier?" Eine nachhaltige, wütende Handbewegung ließ sie einen Augenblick verstummen.
"Hat ja keinen Zweck, wann's ihna gift'n, Willi", meinte sie besänftigend. "Ist uns allen so ergangen, Hunderttausenden von Einwanderern... Schauen's, wie wir angekommen sind, hat mein Mann wochenlang wegen der Arbeit im Regen herumlaufen müssen. Er hat sich dazu seine Knickerbocker angezogen und die Pullmann-Mütze aufgesetzt. Schauen's – stehn' blieb'n san die Leut, hob'n sich nach ihm umgedreht und lachend mit den Fingern auf ihn gezeigt. Glauben's, dös war angenehm? Wann i heut dran denk, wurlt's ma no oft in die Finger, als ob i an derwürg'n möcht – an Aussie!"
Erstaunt beobachtete Willi Höger, wie die gutmütige Mrs. Eger ihre beiden Hände zu Fäusten ballte, und ihr Gesicht krebsrot anlief. So aufgebracht hatte er sie noch nie erlebt.
"Na, is scha wieda guat!" meinte sie plötzlich und fuhr sich mit dem Schürzenzipfel über die erhitzten Wangen.
Punkt sechs Uhr dreissig läutete nebenan das Telefon, seine Wirtin hob ab: "Herr Höger, Sie werden gewünscht!" Natürlich war es Danica. Gleichgültig hob er den Hörer ans Ohr: "Ja, Höger?"
"Du bist es, Willilein?" Natürlich, dumme Frage. "Warum? Wer denn sonst, wenn du mich verlangst?"
"Ich habe gedacht, daß du vielleicht...? Bist du böse auf mich, Willi? Mir kommt es so vor." Verdammt, die melodiöse, vertraute Stimme schlug ihn augenblicklich wieder in den Bann. Unbewußt wehrte er sich gegen das Gefühl, daß am anderen Ende der Leitung ein Mensch hing, der ihm mehr bedeutete als alles andere weit und breit.
Ich will sie nicht – ich kann ihr doch nicht mehr bieten als eine mehr oder minder sorgenvolle Gegenwart! Du hast dir doch vorgenommen langsam Schluß zu machen. Wer sagt dir denn überhaupt, daß sie soviel für dich übrig hat, wie du hoffst?
Sie hält dich nur zum Besten, telefoniert, weil ihr fad ist. Da, da hast du schon die Bestätigung! Das waren die Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen.
"Bin ich nicht ein braves Mädchen, Willi, sag es mir! Ich habe dich als erste Person angerufen, noch vor meiner Freundin! Komm, sag doch etwas zu mir!" drängte sie jetzt flehentlich. Kindlich im Ausdruck, rein, unschuldig – beinahe. Und wie erwartungsvoll und bangend ihre Fragen klangen!
"Die Aussies im Betrieb treiben es genauso", dachte er. Vordergründig tun sie schön: How are you going, mate? Allright? Lächelnde Gesichter, Händeschütteln. Kaum drehen sie sich um, grinsen sie über dich, möchten dir aus Brotneid am liebsten eine Messerklinge zwischen die Schultern rennen. Dagegen fühlt man sich nahezu wehrlos, ausgeliefert.
"Du kannst gut schauspielern, Danica!" sprach er ungerührt in die Muschel. "Wie? Ich verstehe nicht?"
"Ich meinte, du bist eine gute Schauspielerin. Du versetzt mir jedesmal einen Schlag vor dem Kopf, wenn ich dich besuche. Einmal glaube ich, du hast mich gerne, dann tust du wieder so gleichgültig, als wäre ich ein vollständig Fremder. Verstehst du, Danica – ich kann bei dir an kein echtes Gefühl glauben – du spielst mit mir!" Ganz trocken, ohne die geringste Emotion hineinzulegen, kommentierte er ihre Worte. Begierig horchte er: Soll sie sich jetzt herauswinden, wenn sie kann.
Eine Weile drang nur das Rauschen der Leitung durch, anscheinend vertaute sie das soeben Gehörte. Dann tönte es ganz leise aus weiter Ferne zu ihm her: "Aber ich liebe dich ja, Willi!"
Das Geständnis bestürzte ihn, warf ihn beinahe um. Konnte er ihr glauben? Benommen lauschte er in die Stille hinein.
"Da bist du überrascht, nicht wahr?" Aus diesen Worten klang wieder die kecke, kokette kleine Danica durch, die er so rasend liebte. Wenn dem wirklich so war – durfte er nach diesen Worten noch dran zweifeln – so mußte er seine nächsten Schritte sorgsam planen. Nach einer minutenlangen Pause des Nachdenkens fragte er dann: "Du, Danica – wenn du aus dem Krankenhaus freikommst – und das wird ja in längstens einer Woche der Fall sein – was willst du dann unternehmen?"
"Nun, zuerst werde ich wohl noch nicht arbeiten können. Aber später werde ich mir eine Stelle suchen müssen. Zu meinem früheren Chef gehe ich nicht mehr zurück. Der liebt mich auch, weißt du!"
Wie einfach und unkompliziert sie dies formulierte und herausbrachte, wie eine ganz alltägliche Geschichte. Eifersucht diktierte seine folgenden Worte: "Du, ich hätte bereits einen Job für dich!" "Wirklich? Ach, ich weiß schon, als Putzfrau in dem Betrieb, den du einmal führen wirst, nicht wahr? "Du Süße!" Er hatte Feuer gefangen: sie liebte ihn wirklich!
"Du Süße! Als Cleaner schon garnicht. Aber an meiner rechten Seite, als ... nun sagen wir, als Chefsekretärin. Danica, willst du das?" Langsam und eindringlich fiel jedes Wort, jeder Ausdruck. Es fielen keine Phrasen, keine Kosenamen, gab keine überschwenglichen Gefühlsausbrüche, aber die beiden fühlten einander physisch nahe.
"Oder vielleicht ziehst du eine andere Position vor, die ich dir anbieten kann. Willst du die annehmen, Danica?"
"Was denn?" hauchte sie kaum vernehmlich.
"Als meine Haushälterin – ich miete einen Bungalow. Du räumst die Zimmer auf, machst die Betten, kochst mir die Mahlzeiten. Wie wäre das?" "Und wovon soll ich leben?" Trotzig stieß sie diese berechtigte Frage hervor.
"Nun, ich sorge für dich. Du kannst dich ausruhen, solange du noch nicht vollständig gesund bist. Dann werden wir weitersehen..." Und gleichzeitig überlegte er folgendes: "Ich werde sie natürlich heiraten, wenn sie darauf einsteigt. Sofort und ohne Verzögerung. Ich brauche sie und ich liebe sie. Gleich morgen beginne ich mit der Suche nach einem geeigneten Häuschen..."
"Sprechen wir ein andermal drüber", lenkte sie diplomatisch ab. "Hast du meinen Brief erhalten? Du erzählst mir ja rein garnichts", meinte sie nunmehr in sehr sachlichem Ton. Er amüsierte sich: ein Musterbeispiel weiblicher Unlogik. "Nein, hast du mir denn einen geschrieben?"
"Ja. Weil du so schnell von mir gegangen bist, das letzte Mal...Wütend noch dazu..." Ein klein wenig zitterte ihre Stimme. "Kommst du am Freitag Abend? Samstag verlasse ich das Spital..." "Wirklich? Du, ich freue mich so! Ich werde dich endlich betrachten dürfen. Ganz, bis zu den Zehen hinunter! Wirst du schon ein wenig gehen können?" brach es jubelnd aus ihm heraus.
"Bis auf den Balkon wird es schon reichen..."
Mit einigen zärtlichen, zweideutigen Andeutungen verabschiedete er sich für heute von dem geliebten Wesen. Innige Reue ergriff ihn, sie so gering eingeschätzt zu haben. Und langsam drang die Selbsterkenntnis in ihm durch: "Eigentlich habe ich mich ihr gegenüber selten wirklich zärtlich verhalten. Habe ihr nie offen zu erkennen gegeben, wie sehr ich an ihr hänge, an sie denken muß – Tag und Nacht. Beim kommenden Besuch werde ich alles nachholen, meine liebe Kleine. Ich werde versuchen, alles zu vergessen, was mich bedrückt und nur an D i c h denken. D i c h liebkosen – süße, kleine Danica!"

Ihr Brief lag vor ihm, sorgsam betrachtete er die Schriftzüge am Umschlag. Er durfte keine Kleinigkeit außer acht lassen, die ihm einen Hinweis, einen Schlüssel zu ihrem Charakter geben mochte. Die Buchstaben wirkten nahezu wie gedruckt, vermutlich nicht ihre normale Handschrift. Er selbst war ja auch gezwungen, in einer Art von Normschrift sein Geschmiere für andere lesbar zu machen. Ganz klug wurde er aus dem Inhalt nicht. Irgendetwas Unausgesprochenes steckte zwischen den Zeilen. Bekümmert prüfte er jedes Wort auf seine mögliche Bedeutung und ertappte sich immer wieder bei der Feststellung: Irgendetwas will sie mir andeuten, aber was?
"Lieber Willi!" schrieb sie da:
"Jetzt bist Du weggegangen und ich entschlisste mich, Dir noch ein paar Worte zu sagen (ihr geschriebenes Deutsch fällt manchmal holprig aus, ist jedoch meist verständlich). Sowieso haben wir heute sehr wenig gesprochen. Nicht wahr? (Ja, das stimmt. Ich habe eine Wut im Bauch gehabt, auf die Australier, auf mich selbst. Auf mich selbst am meisten, weil ich ein Niemand, ein Mr. Nobody bin).
Immer wenn Du hier bist, bin ich so ungestüm und spreche ich solche Sachen, daß Du 100% denkst, wie ich ein dummes Mädchen bin. Ich weiß es und ich ärgere mich nicht (Hahaaa! Das klingt verdammt aufrichtig. Wo sie das Vokabel 'ungestüm' wohl aufgefischt hat? Sicher aus dem Lexikon, aber es passt haarscharf an diese Stelle). Ich sorge mich nie, ob ich jemand für Freund oder Feind habe. Deshalb, in erster Zeit ich bin lieber unfreundlich mit Leute, bis ich sehe, wieviel sie wert sind (Sieh mal an, die Kleine macht es genauso wie ich. Aber bei mir ist sie zeitweise übers Ziel hinausgeschossen. Fast hätten mich ihre gelegentlichen Unmutsäusserungen abgeschüttelt. Aber nun weiter...). Und mit Dir war ich u n e r n s t, aber wenn es notwendig wird, ich kann sehr ernst sein (Das habe ich gemerkt – und mich geärgert). Was ist es nämlich, was ich Dir schreiben wollte? Ach ja! Dein Abschied, ich meine heute! (Sie drückt sich vorsichtig aus, will mich nicht verlieren). Viel Geld für ein eigenes Betrieb. Du hast schon ein Weg im Leben, und warum soviel Sorgen um die Zukunft? (Dummchen, meine Probleme liegen in der Gegenwart. Mich belasten begründete Existenzängste, ich bin von den Brüdern abhängig, die mich jede Minute aneckeln und beleidigen wo sie nur können! Aber davon ahnst du ja nichts, Mädchen, oder?). Bist du denn schon zu alt? Hast Du keine Möglichkeiten? Du hast alles und Wunsch dazu, und es ist genug. In erster Zeit, mein Lieber, es solltest Du nicht als große Firma sehen. Und glaube mir, es ist viel besser, mit wenig anfangen.
Du hast einmal erzählt, Du hast g e s p a r t. Du mußt so b l e i b e n und vielleicht Dein Aufenthalt in Australien verlängern. Nicht für lange Zeit (Es war Unsinn, überhaupt die Abreisepläne zu erwähnen), sodaß Du in Österreich nach kurze Zeit etwas anfangen kannst. Will, will und nur will! Meine ich, wenn jemand etwas wünscht, er wird den Weg finden.
Und vergesse nicht, der Gott hilft dazu."
Der letzte Satz berührte ihn zutiefst. Durfte er an der Echtheit ihrer Zuneigung, ihrer Gefühle und vor allem am Wert ihrer Persönlichkeit zweifeln, wenn sie soetwas zu schreiben vermochte?
"Ich verstehe Dich sehr gut, aber leider kann nichts machen, nur sagen: Willilein, Darling, sei geduldig und alles wird gut sein. Ich habe andere Ziel in meinem Leben und ich wünsche, daß Du mich gut verstehen würdest: Wenn Du verheiratet bist, dann kannst Du viel mehr sparen und Deinen Wunsch bald realisieren.
Jetzt werde ich telefonieren, vielleicht bist Du zuhause?
Wenn ich gesagt habe, daß Du heiraten solltest, dann habe ich auf noch was gedacht. Es ist ja natürlich, daß ein Mann wie Du, kann nicht und darf nicht sehr lang ohne Frau sein, und besonders hier in diesem Land, die Neu-Australier haben viel Trouble mit den Frauen, und manchesmal müssen sehr weit gehen, obendrein es ist gefährlich und kost' Geld. Erinnerst Du Dich an die Bilder, die Du mir damals gezeigt hast? (Ja, die zwei Nutten in Melbourne).
Ich weiß, was würdest Du antworten, aber Du hast recht, auch so zu denken, weil Du weißt nie, wie eine Frau ist und was sie nach Heiratung werden wird. Ich kann Dir, mein Freund sagen: 'Das ganze Leben ist eine Lotterie', und wir müssen wissen wie wir das Leben führen, und es ist Kunst.
Was soll ich Dir noch schreiben? Ich wünsche mir gerne viel zu schreiben, aber was?
Sonntag
Gestern habe Besuch gehabt und so mußte schließen. Heute bin ich nicht guter Laune und wahrscheinlich werde nicht viel schreiben. Hast Du gut geschlafen?
Es war meine erste Nacht im letzten Monat, wo ich gut geschlafen habe (Seit dem Tag, Du erstes Mal warst hier!). Siehst Du, wie schlimm is my Deutsch, daß Du falsch verstanden hast. Was meinst Du, warum konnte ich nicht schlafen?
Und jetzt etwas Schlimmes, und ich bitte Dich, sei nicht böse, aber es ist so und macht mich nicht traurig oder gar unglücklich.
Nicht, daß mein Fuß stört mich beim Gehen, aber hast Du nie gedacht, daß er nie wieder werden wird wie war im Aussehen?
Vielleicht Du kommst ja nicht mehr mich zu besuchen, aber das macht keinen Unterschied, weil ich muß Dir das sagen. Du darfst Dein Leben nicht mit mir verketten, doch wir können immer F r e u n d e bleiben.
Was denkst Du, Willi, daß ich in den Jahren, als ich krank war, konnte nicht heiraten und daß ich hier bin nur einen Mann zu finden (Diese Bemerkung war garnicht auf dich gemünzt, du Dummchen). Hier bist Du 'wrong'. Was meinst Du, warum eine Frau hat Glück in der Liebe und 99% nicht? Ich sage Dir jetzt: Eine Frau, die immer sagt n i c h t und haltet es, dann dieses n i c h t macht, daß der Mann sie liebt. Und eine solche bin ich und so werde ich bleiben, weil niemand das ändern kann.
Deswegen habe ich noch immer Freunde, die mich kennengelernt haben als ich noch ein kleines Mädchen war.
Ich weine nie, ich hasse Leute, die weinen wenn jemand stirbt, ich hasse Leute die traurig sind, ich verstehe nicht die Leute die Angst vor dem Leben haben, ich verstehe Leute nicht die zuviel denken und am Ende erst zu keinem Entschluß kommen.
Das Leben ist für Leute, und die sind für das Leben da - und alles ist so schön und regulär, daß ein Mensch nur wenig zu verstehen braucht und glücklich sein soll, daß er überhaupt geboren ist.
Leider, wie gesagt habe, mein Deutsch ist so schrecklich und ich kann nicht alles sagen wie ich es wünsche.
So wird es für Dich und für mich besser sein, wenn ich jetzt schließe.
Es grüßt Dich ganz herzlich
Deine Danica."

Der junge Mann, an den dieses lange Schreiben gerichtet war, saß zusammengekrümmt auf dem Sofa und versuchte vergeblich, sich auf das Gelesene den richtigen Reim zu machen. Am meisten ärgerte ihn der Satz "eine solche bin ich und eine solche werde ich bleiben, weil das niemand ändern kann".
"Das werden wir ja sehen, ob du dich nicht gehörig genug in mich verknallen wirst, um deinen Stolz aufzugeben", dachte er ärgerlich.
Oder war sie am Ende – sexuell nicht normal?
Über dieses Thema hatte er doch schon Verschiedenes gelesen. Frigidität, Lesb... Unsinn! Werde mir doch gelegentlich ein einschlägiges Werk besorgen, kann nicht schaden.
Aber bitte – das war doch aufgelegter Blödsinn: 'ich hasse Leute die weinen, wenn jemand stirbt!' Mit der Philosophie kam er nicht ganz mit. Auch den nächsten Zeilen konnte er keinen Sinn abgewinnen, aber er vermutete, daß sie irgendwie auf ihn selbst gemünzt waren.
Schluß mit dem nutzlosen Grübeln! Ich werde sie bei der nächsten Gelegenheit darüber befragen. Eines steht jedenfalls fest: Sie hat mich wirklich ins Herz geschlossen. 'Deine Danica' stand dort in Schwarz und Weiß zu lesen. 'Ganz herzlich Deine Danica'. Noch kein Mädel vor ihr hatte so einen Brief beendet. Er hatte, genau besehen, auch keiner die Gelegenheit dazu geboten, zynisch hatte er die meisten Annäherungsversuche im Keim erstickt. Oh doch, er wollte die jungen Damen gewinnen, falls es gerade leicht ging. Aber sich von irgendeiner 'Deine Soundso' grüßen zu lassen – nein, da war ihm noch keine untergekommen, die zu dem Podest hinauflangte, auf dem er zu stehen wähnte.
Einzig Danica schien ihm ebenbürtig an Geist, Aussehen, Stallgeruch...
Bloß, undurchsichtig und ein bißchen zu launisch gibt sie sich, schränkte er sein Urteil ein. Unsicher drehte er die Blätter zwischen den Fingern.

* * *


Heute war der Tag, heute würde er ihre Figur bewundern können, von Kopf bis Fuß. Endlich!
Momentan saß sie leger am Spitalsbett und holte ein Päckchen Spielkarten hervor. "Soll ich Dir die Karten legen?"
"Kannst Du denn das?"
"Ja, frag nur meine Freundin, wenn Du sie kennenlernst. Heb' jetzt bitte dreimal ab!" Sie bemerkte, daß er zögerte und forderte ihn nochmals auf. "Ich glaube nicht daran", erklärte er ihr. "Macht nichts".
Sorgfältig legte sie eine bestimmte Anzahl der bunten Karten vor sich hin und zählte dann dreimal Sieben aus. Lächelnd verfolgte Willi ihr geschäftiges Treiben. "Nun, was liest du daraus? Daß d u mein Schicksal bist? Heh?"
Nun war sie offensichtlich zu einem Resultat gelangt, denn sie setzte eine geheimnisvolle Miene auf. Langsam, Wort für Wort betonend, gab sie ihre Weissagung von sich: "Du hast sehrrr gut abgehoben, Willi. Da steht ganz deutlich, daß du dich nach meinem Bett sehnst – und ich mich nach deinem..." Was sie da orakelte drang kaum bis in sein Bewußtsein, einzig ihr Anblick nahm ihn gefangen und raubte ihm den letzten Rest seines Verstandes. Herrgott!! Wo gab es ein solches Weib noch ein zweites Mal? "Solche Enthüllungen über uns beide mach' ich dir auch – und brauche nicht mal Karten dazu!" meinte er, bedeutungsvoll lächelnd. Auf ihr Geplauder verschwendete er kaum einen Gedanken, nur ein Trieb beherrschte ihn: ich muß sie haben!
Sorgsam schlug sie eben die Decke zurück und schlüpfte auf der gegenüberliegenden Seite hinaus. Vor das riesige Balkonfenster war mittlerweile die Dunkelheit gefallen. Sie reagierte mit Verlegenheit, als sie merkte, wie seine brennenden Blicke ihre Gestalt abtasteten, den Leib hinunterglitten bis zu den Knöcheln, die durch das lange Hauskleid verhüllt wurden.
"Du magst schlanke Mädchen ja garnicht", stieß sie schnippisch hervor, richtete sich dann auf, schüttelte die langen Haare zurück und glitt an ihm vorbei zum langen Balkongang hinaus.
Jede ihrer Bewegungen atmete unendliche Anmut und erfüllte sein Herz mit der Sehnsucht, sie zu berühren. Langsam glitt sie in einen Liegestuhl, um dort bewegungslos zu verharren. Er zog seinen Stuhl heran und ergriff sanft ihre Hand. Sie wehrte ab, doch ihre Zurückhaltung entflammte ihn noch mehr. Sein Mund näherte sich dem ihren, doch das Mädchen drehte ängstlich ihr Haupt weg und stieß hervor: "Im nächsten Zimmer ist ein Spiegel. Man kann uns beobachten, bitte nicht." Undeutlich, schemenhaft kauerten weiter drüben schwarze Schatten in Armsesseln, matt beleuchtet durch den Lichtschimmer, der aus vereinzelten Räumen ins Freie fiel.
War es nicht sein Mädchen? Durfte er sie nicht küssen, wann und wo er wollte? "Komm bitte, ist doch egal, ob sie uns sehen oder nicht." Seine Stimme senkte sich zärtlich ab, behutsam umfing er ihren Oberkörper, zog sie mit sanfter Gewalt in seine Arme. Ein Kuß, unendlich süß in seiner Neuheit, besiegelte ihre Liebe. Zaghaft, scheu, gab sie sich seiner nun immer stürmischer werdenden Werbung hin. Ein seliger Glanz umspielte ihr breites slawisches Antlitz, ein entrücktes Lächeln lag um die geschlossenen Lider, wenn sie ihm den Mund reichte.
Plötzlich, mit einem Schlag, flog ein dunkler Schatten über das eben so versonnene, entspannte Gesicht.
Gewaltsam machte sie sich frei und strich die Mähne aus der Stirn. "Nanu? Was hast du auf einmal?" Mit steigendem Entsetzen bemerkte er, wie sie anscheinend alle Kraft zusammen nahm um ruhig zu bleiben. Er ließ sie verblüfft los.
"Willilein, ich muß dir etwas gestehen...
Ich ... habe dir schon einmal ... angedeutet, daß ich etwas ganz, ganz Schreckliches getan habe, als ich mein Heimatland verlassen mußte. Verlassen mußte, weil ich dort immer nur Trouble gehabt habe, weil ich mit dem politischen System nicht einverstanden bin und in Freiheit leben wollte...
Es ist dir vielleicht bekannt, wie schwer man in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang einen Pass bekommt. Es ist fast unmöglich – so auch in Jugoslawien. Nun hat mir das Ehepaar, bei dem ich jetzt wohne und die meine Freunde sind, aus Deutschland geschrieben, daß sie nach Australien auswandern werden.
Da wußte ich, daß ich es tun mußte, es gab für mich keinen anderen Weg."
Wortlos hatte er ihrem Bericht bis zu diesem Punkt gelauscht, nun öffnete er den Mund, um etwas zu fragen...
"... Da habe ich das Schreckliche getan.
Ich habe zu dem Mann, der die Reisepässe ausgibt, gesagt: Und wenn ich mit ihnen ins Bett steige, bekomme ich dann den Pass...?"
Der anfangs nur dumpf drückende Schmerz in der Magengrube wühlte nun stechend in seinen Eingeweiden. Unbewußt zog er seine Rechte, die bis dahin in der ihren geruht hatte, zurück. Klein und ängstlich kam ihre Stimme wieder.
"Ich habe das Dokument erhalten. Dafür bin ich zwei Stunden lang bei ihm gewesen. Er war wie verrückt, wie mad. Es war schrecklich, nie mehr möchte ich soetwas wieder erleben." Und dann, nach einer Weile, fügte sie noch hinzu: "Es war schon ein sehr alter Mann, verstehst du, Willi?"
Ach, das ist doch völlig gleichgültig, ob er alt oder jung gewesen ist. Dieses Schwein wird sich bei ihr ausgetobt haben. Nun ist sie für ihr Leben lang ruiniert...
Was wissen denn die Aussies hier, was unsere Frauen und Mädchen alles durchgemacht haben, in den vielen Jahren während und nach dem Krieg? Keiner mehr würde die Nase rümpfen, wenn sie nur ein wenig Verständnis und Mitgefühl aufbringen könnten. Mitgefühl, das sollte auch er haben. Durfte er sie wegen dieser Vorgangsweise verdammen? Sollte er sie deshalb – nicht mehr lieben können?
Nein! Was auch immer vorgefallen sein mag, sie getan haben mochte, er liebte sie doch, wollte nicht an die Schrecken der Vergangenheit denken und erinnert werden.
"Ich habe es noch niemand außer meiner Freundin erzählt und weiß nicht, warum ich es dir sage. Glaube mir, wenn meine Mama das wüßte, könnte ich nie wieder nach Jugoslawien zurück."
Er räusperte sich: "Ich verstehe dich, Danica. Du brauchst mir nichts weiter zu erklären." Langsam wich die Betäubung, in die ihn der seelische Schock versetzt hatte und machte einer neuen Welle des Verständnisses und der Zuneigung Platz.
Wieviele Mädchen hätten um diesen Preis den Mut gefunden, das zu tun, wozu sie sich entschlossen hatte? Er verglich ihre Lebenssituation von damals mit der seinen vor knapp zwei Jahren. Auch für ihn hatte es zuhause anscheinend kein Weiterexistieren gegeben. Hätte er zum Beispiel die Entschlossenheit aufgebracht etwa über eine minenverseuchte, schwerbewachte Grenze zu flüchten? Er war sich nicht sicher. Das Mädchen an seiner Seite war in Ordnung. Erneut zog er sie vorsichtig an sich und flüsterte ihr ins Ohr: "Du, ich habe in Port Said ein Silber-Armband mit der Absicht gekauft, es dem Mädchen zu schenken, das mir am besten auf dieser Welt gefällt, liebe Danica.
Ich habe dieses Geschöpf lange suchen müssen, Danica, aber ich glaube, ich habe es nun gefunden."
In ihren langen dunklen Wimpern hingen feuchte Perlen.