4. Kapitel:
Melbourne
Ratata – ratata – ratata, endlos klickerten die Räder auf den
Schienenstößen.
Werner Benke und Willi Höger hatten ein Abteil für sich
allein gefunden, Gott sei Dank, bei dem umfangreichen Gepäck,
das sie mit sich führten. Da Gudrun, Werners Zukünftige
(so sicher war er sich über diesen Punkt allerdings nicht),
ihn von ihrer Abreise aus Bremerhafen informiert hatte, begleitete
er nun Willi mit Sack und Pack nach Melbourne. Leichte Bedenken
verursachten ihnen nur die insgesamt neun umfangreichen Koffer,
die sie mit sich schleppten.
Ihre Gespräche kreisten zur Zeit natürlich nur um einen
Punkt: Ihre Zukunft. Es mußte, und würde weitergehen -
irgendwie.
Vorsorglich hatte Willi jedoch einen ausgefüllten Fragebogen
an das "Arbeitsamt für Gehobene Berufe" gesandt, den er sich
bei einem gelegentlichen Besuch Melbourne's besorgt hatte. Der
vorbeifliegenden Landschaft Victoria's schenkten sie kaum mehr
Beachtung, jedoch Reminiszenzen an das Buschleben tauchten auf.
"Erinnert du dich an den kleinen Australier, den wir total voll
vor der Pub angetroffen haben, als wir mit Hans und Eddi von
Albury nach Mt. Beauty fuhren?... Na, dem nur noch auffiel,
daß Hans zur Feier des Tages die Bartstoppeln entfernt
hatte?"
"Ja, ich erinnere mich sehr gut an ihn. Was ist mit ihm?" Werner
grinste in sich hinein: "Der hat mir mal während einer
Arbeitspause erzählt, daß er Waise sei und von der
Heilsarmee großgezogen worden war. Haha! Ich muß
lachen! Die Hauptbeschäftigung der Zöglinge sei das
Singen und Beten gewesen. Die Kinder erhielten natürlich kein
Taschengeld. Um seine kleinen materiellen Wünsche befriedigen
zu können, verfiel der Knabe auf einen Trick, der ihm
jahrelang ein gesichertes Einkommen bescherte: Wenn er drei Penny
für die Kirche spendete, entnahm er der Opferschale mit einem
raffinierten Griff zwei Shilling! Originell, was?"
Werner blinzelte seinem Freund verschmitzt zu. "Wie man's nimmt",
antwortete der gedehnt. "Aber hör' mal zu, ich hab' eine
bessere Geschichte auf Lager, die mir die Volksseele genauer zu
beschreiben scheint, vor Beginn der Masseneinwanderung aus Europa
natürlich." Höger lehnte sich genießerisch
zurück, und begann zu erzählen.
"Da gab es vor etlichen Jahren einen Australier, der bei unserer
verflossenen Firma – Ehre sei ihrem Angedenken – am Steinbrecher
jobbte. Eines Tages nun wollte er den gastlichen Verein verlassen
und wartete nur noch auf die Auszahlung der Stehwoche.
Zufällig fand er heraus, daß die Firma verpflichtet
ist, das Lohnsäckchen direkt an den Arbeitsplatz zu bringen.
Die Beamten fuhren also mit dem schweren 'Panzerwagen', dem
Geldtransporter, von Mt. Beauty herauf.
Der Digger saß nun bei dessen Eintreffen gerade auf einem
Stein und wartete. Nun mußt du dir das Bild mal plastisch
vorstellen: Lässig zog er seine Taschenuhr heraus, blickte
auf das Ziffernblatt, steckte sie ruhig wieder ein und sagte nur
nonchalant 'Overtime!', denn die Auszahlung sei eine Viertelstunde
zu spät, nach Arbeitsschluß, eingetroffen.
Fluchend fuhren die Beamten nach Mt. Beauty zurück und
berechneten den neuen Auszahlungsbetrag, gleich mit einer
beträchtlicher Zeitvorgabe. Nach zwei Stunden oder mehr, nahm
der Aussie, der sich unterdessen neben dem Stein ins Gras gelegt
hatte, gnädig das Geld entgegen.
Und heute? Heute darf sich niemand mehr solche Mätzchen
leisten. Und warum? Weil hunderttausend fucken Migrants -
Italians, Germans, Austrians – bereit sind, die gleiche Arbeit bei
vernünftiger Bezahlung zu tun. Wenn man nur ein wenig
Grütze im Schädel hat, weiß man nach derartigen
Schilderungen, warum die Regierung die Einwanderer 'rüberholt
– mit gezielten Kampagnen. Wir persönlich, wir Europäer,
sind denen allen völlig egal, die mögen uns ja garnicht,
mein lieber Werner. Am liebsten möchten sie auf ihrer
öden Insel, inmitten ihrer eigenen Inzucht, selig werden.
Aber weil es wirtschaftlich untragbar ist, und die Burschen hier
mit den aufstrebenden Asiaten und sonstigen konkurrierenden
Ländern nicht mehr mitkommen, durften wir, die Million die
bisher eingewandert ist, unsere Füße auf den staubigen
Boden ihres Paradieses setzen.
Ein paar vernünftige, einsichtsvolle und weitblickende
Politiker in Australien haben erkannt, daß es notwendig und
äußerst dringend ist, die träge Mentalität
umzupolen und dem langweiligen 'In die Sonne blinzeln' ein Ende zu
bereiten. Wenn auch einige hunderttausend Europäer, einmal
gelandet, bei diesem Prozeß buchstäblich zerrieben
werden, seelischen und körperlichen Strapazen, bis an die
Grenze der Leidensfähigkeit ausgesetzt sind... Wen
kümmert's, wenn sie vor Sehnsucht nach einer
Lebensgefährtin oder vor Heimweh krank werden? Verrückt
werden oder Selbstmord begehen? Die vielen Reibungsflächen
werden auch den störrischsten Aussie abschleifen und
zurechtbiegen – und das eigentliche Ziel ist wenigstens zum Teil
erreicht!"
Der junge Mann hatte sich so richtig in Rage geredet. Pausenlos
und mit ständig steigender Lautstärke argumentierte er
vor einem unsichtbaren Publikum, aber nur sein Freund Werner
hörte ihm zu. Willi griff in seine Sakkotasche: "Willst du
auch eine, Werner?" "Nee, Dankeschön. Nach diesem
Gefühlsausbruch hast du aber eine nötig!" Willi trat auf
den Gang hinaus und entflammte ein Streichholz. Die Scheibe des
Waggonfensters ließ sich nicht öffnen. Er blickte auf
die flache Landschaft hinaus, deren Eintönigkeit nur
gelegentlich durch Eukalyptusbäume gemildert wurde.
Aus dem Nebenabteil schlüpfte ein blonder Junge heraus, den
Willi sogleich als Europäerkind einschätzte. "Bleib
hier, Georg. Geh' nicht zu weit weg!" rief eine Frauenstimme auf
Deutsch. "Ja, Mutti!" antwortete der etwa siebenjährige Junge
folgsam und stellte sich neben Höger, um gleichfalls durch
das Fenster zu gucken. "Woher kommst du denn?" wollte Willi
wissen, sog bedächtig an der Zigarette und blickte auf das
Kind nieder. Überrascht sahen ihn zwei blaue Augen an. "Aus
Norddeutschland, Hannover", stand der Junge unsicher Rede.
Vorsichtig versuchte er den Fremden zu taxieren, der sich seiner
Muttersprache bediente. "Ich heiße Willi und stamme aus
Österreich. Weißt du, wo das liegt?" "Ja", gab Gernot
zu Antwort, "dort, wo die hohen Berge sind, im Süden."
"Und du kommst mit deiner Mama geradewegs aus Bonegilla, nehme ich
an?" forschte er weiter. "Ja, ich fahre mit meinen Eltern nach
Adelaide. Dort bekommen sie Arbeit."
Der kleine Knirps gefiel ihm, klug und aufgeweckt, wie er war, nur
ein bißchen verschüchtert durch die ungewohnte
Umgebung. Und nach zehn oder zwanzig Jahren wird er wahrscheinlich
als waschechter Australier dastehen, der 'bloody' und 'fucken' gut
anzuwenden weiß und womöglich verächtlich auf
seine europäischen Eltern herunter sieht.
"Wie gefällt dir die Landschaft da draussen?" forschte Willi
weiter und deutete mit der Zigarettenspitze zum Fenster hinaus.
Der Kleine taute bereits etwas auf: "Ach Mensch, alles so öde
und verlassen." Der Junge hielt einen Moment inne, um dann leise
hinzuzufügen: "Zuhause hat es mir viel besser gefallen."
"Komm, gehen wir zu deinen Eltern", forderte ihn Willi mit sanftem
Unterton auf, der nichts mit österreichischem Akzent zu tun
hatte. "Es wird dir schneller gefallen als uns Erwachsene, das
große Australien", dachte er dabei.
Höger stellte sich dem Ehepaar vor. Außer Klein-Gernot
gab es noch ein vierjähriges Mädchen, das gut
eingehüllt in eine Decke, auf der Sitzbank schlummerte. Der
Mann, von Beruf Maler und Anstreicher, war von Bonegilla nach
Südaustralien vermittelt worden. Sichtlich drückte die
beiden Eltern die Sorge um die unmittelbare Zukunft. Sie erbaten
von Willi Informationen über dieses und jenes, ihr
Wissensdurst kannte keine Grenzen. Er versicherte dem Mann,
daß sein Beruf gefragt war und er Arbeitslosigkeit kaum zu
befürchten habe. Das Mienenspiel der Frau drückte sofort
eine spürbare Erleichterung aus.
"Wissen Sie", überfiel sie Willi mit einem Wortschwall, der
die Erregung verriet, "eine Bekannte von mir in Deutschland hat
das Schwarze an die Wand gemalt: 'Glaubt ihr denn, die Australier
empfangen euch mit offenen Armen? Bleibt lieber hier, ihr werdet
euch schön täuschen', hat sie gesagt." Die kleine
mollige Frau sah Willi flehentlich an, er konnte diesen Ausdruck
in ihren Augen nicht übersehen. "Nicht wahr – die Leute
heißen uns willkommen, sind doch froh, wenn wir zu ihnen
kommen?"
Warum sollte er der Ehefrau und Mutter das Herz noch schwerer
machen, als es ohnehin schon war? So bemerkte er nur kurz:
"Natürlich, Sie brauchen da keine Angst zu haben. Die
Australier werden Sie freundlich behandeln." Da lebte die Frau
förmlich auf und begann überschwenglich von ihren
Zukunftsplänen zu schwärmen.
Die ersten Vororte von Melbourne tauchten auf. Leichter Regen
setzte ein, der die Scheiben besprühte und damit das
häßliche Westend, mit deinen geduckten, niederen
Häusern, den zerfetzten und verrosteten
Wellblechdächern, den abscheulichen Bretterverschlägen
für die neuesten Autotypen im Hof, und der Wäsche, die
dazwischen auf der Leine flatterte, hinter schemenhaften und
verwischten Konturen verschwinden ließ. Beim Einfahren in
den Kopfbahnhof goß es bereits in Strömen. Schöner
Empfang, die beiden fluchten.
Nachdem sie ihre Habseligkeiten in der Gepäcksaufbewahrung
untergebracht hatten, eilte Willi zuerst auf das Arbeitsamt, wo er
bereits vorgemerkt war.
Werner Benke sträubte sich vorerst, den gleichen Weg
einzuschlagen, verlockend zog ihn der Gedanke, Judith zu besuchen.
Denn die Affäre mit Dorothy hatte ein plötzliches Ende
genommen, als sie in einem Brief ankündigte, sie wolle ihn
bei nächster Gelegenheit ihrer Mum vorstellen. Und das
hieß schon etwas.
"Laß die Weiber wenigstens jetzt!" fuhr ihn Willi an.
"Vielleicht finden die im Professional Employment Office auch
für dich einen passenden Job. Los, komm mit!"
Pünktlich um 2 p.m. breitete er seine Unterlagen vor dem
Interviewer aus. Zeugnisse, Arbeitsbestätigungen etc. entnahm
er einer Plastikhülle, die er auf der Brust umgehängt
trug. "Warum haben Sie, um Gottes Willen, Ihre vorige
Arbeitsstelle verlassen?" warf ihm der ältere Australier
besorgt vor. "Wir haben momentan große Schwierigkeiten die
Leute in der Stadt unterzubringen."
Draussen ragten die Hochhäuser der City empor. Der Regen
hatte nachgelassen und die Sonne stahl sich wieder zwischen den
Wolkenbänken hervor, strahlte auf die
Eineinhalb-Millionen-Stadt hernieder, deren Straßenlärm
nur gedämpft bis zum neunten Stockwerk heraufdrang.
"Das ist garnicht das Wesentliche an der Angelegenheit", dachte
Willi. "Ich sitze vor dir, damit du mir hilfst, eine neue Stelle
zu finden. Daß ich bessere Arbeit leisten kann, als mit
Krampen und Schaufel im Dreck herumzustochern, bis ich alt und
grau werde, muß dir doch einleuchten".
Also schwieg er und blickte versonnen auf das Panorama der
Stadt.
"Sie sind Österreicher...?" "Ja."
"Natürlich noch nicht naturalisiert, Sie sind ja erst vor
einigen Monaten angekommen. Sie besitzen keine Australischen
Facharbeiterpapiere?" hörte er den Mann fragen. Er enthielt
sich jeder Antwort.
"Es wird schwer sein, eine Stelle zu finden. Ich weiß
wirklich nicht, wie ich Ihnen helfen soll. Warten Sie, ich rufe
die Firma Campbell an, die suchen einen technischen Zeichner." Er
telefonierte kurz, schien aber ziemlich ratlos zu sein. "Leider!"
meinte der Australier. "Nichts mehr zu machen. Wo wohnen Sie? Ich
werde versuchen, etwas zu finden."
"Bin vor einer Stunde mit dem Zug in Melbourne eingetroffen, ich
kann Ihnen noch keine Adresse angeben!" Willi notierte sich die
Telefonnummer des Büros.
"Help yourself!" meinte der Australier zum Abschied.
"Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott", dachte Willi resigniert
und verließ den Raum. Draussen saß Werner, mit der
Aktentasche auf den Knien, und wartete auf ihn. "Du, stell' dir
vor – eine Frau hat mir eine Stelle in Aussicht gestellt. In einem
Irrenhaus!"
"Was, als Patient??" blödelte Der Österreicher zynisch.
"Nein, Blödmann, als Pfleger natürlich. Das sind so die
Positionen, die auch Einwanderern jederzeit offenstehen. Und die
man uns auch bereitwilligst anbietet. Ist ja klar, als Masseur
keine Aussicht... Wartest du auf mich?" fragte er. "Habe nur noch
eine Kleinigkeit zu erledigen."
"Na klar", antwortete sein Freund Willi. "Zwei Dinge sehe ich
immer deutlicher: erstens, daß du bei Frauen unverdientes
Glück hast. Und zweitens, daß die Aussichten, als
nicht-britisches, nicht-naturalisiertes Subjekt, einen besseren
Job zu finden... äußerst gering sind."
Um 4 p.m. desselben Tages war Willi, aufgrund einer Annonce in der
Age, glücklicher Untermieter eines Zimmers in einem
einstöckigen Haus, etwa zehn Minuten vom Zentrum der Stadt
gelegen. Seine Hauswirtin stellte sich als resolute, kleine Person
heraus, die mit einem Südländer verheiratet und vor
Jahrzehnten aus Deutschland eingewandert war. Ihre Muttersprache
beherrschte sie nur mehr gebrochen, doch Willi radebrechte ein
wenig auf Deutsch mit ihr. Ihr Mann, etwas schwerfällig in
seiner ganzen Art, vermochte sich kaum in der Landessprache
auszudrücken und überließ seiner wesentlich
gewandteren Gattin die Führung des Hauses, sowie die kleinen
geschäftlichen Obliegenheiten.
Es waren, wie sich bald herausstellte, herzliche Leute ohne jede
Falschheit. Die Frau sagte es immer gerade heraus, wann immer ihr
an dem Gehabe der Mieter etwas mißfiel, denn Willi war nicht
ihr einziger Untermieter.
Er einigte sich mit ihr auf zwei Pfund und zehn Shilling in der
Woche, und schloß sich vorerst in seinem Zimmer ein, da er
zum Umfallen müde war. Nur eine Tür mit
Milchglasscheiben führte auf den balkonartigen Gang hinaus,
der sämtliche Räume des ersten Stockwerkes miteinander
verband. Ein hoher Baum im Hof veranlasste ihn schon in den
frühen Abendstunden, das elektrische Licht einzuschalten.
Zwischen den Möbelstücken blieb gerade ein schmaler
Bewegungsraum frei. Die Einrichtung bestand im wesentlichen aus
einem Kleiderkasten, dem sich das Bett anschloß.
Gegenüber an der Wand lehnte eine Stellage für das
Schuhzeug und eine Kommode mit Spiegel, die von Tellern und
Haushaltszubehör überquoll.
Er zog den Vorhang vor die Mattglasscheiben und legte sich auf die
Steppdecke. Das Gepäck konnte warten, Gerhard würde es
von der Bahnstation abholen.
Morgen, dachte er, morgen laufe ich einfach die
Straßenzüge entlang und klappere dort die Betriebe
nacheinander ab. Er entnahm seiner Tasche den letzten Brief von
Lilli aus Österreich. Immer wieder las er die Stelle, wo es
hieß: "Du wirst es schon schaffen!" Diese kurze Bemerkung
stimulierte eine starke Zuversicht in ihm.
Abgesehen von einigen einschlägigen Vorlesungen und wenigen
praktischen Übungen an der Technischen Hochschule,
besaß Willi nur weniges Know-how, das ihn zum
selbständigen Konstrukteur befähigt hätte. Wohl
aber langte seine bisherige Ausbildung für einen Zeichensaal,
wie ihn die Bohrgeräte-Firma Mills Limited in Melbourne
betrieb. Eine große Anzahl der dort Beschäftigten
diente nur dazu, ein Repräsentativ-Büro
aufzufüllen. Mills Ltd wurde durch amerikanisches Kapital
gestützt und warf genügend Profit ab, um sich diesen
Luxus leisten zu können. Ein sehr sozial denkendes und vor
allem solide dastehendes Unternehmen also. In Anbetracht der
dürftigen technischen Erfahrung unseres Helden und aller
anderen Aspekte, vielleicht seine einzig reelle Chance in ganz
Melbourne.
Mr. Hoeger, der junge Österreicher und nicht allzu gewandte
Neuaustralier, schlang in den Morgenstunden des folgenden Dienstag
einige Wurstbrote hinunter, trank eine Flasche Milch leer und
machte sich dermaßen gestärkt auf dem Weg ins
Ungewisse.
Die Götter waren ihm gnädig gesonnen.
Noch an den letzten Resten seines Frühstücks kauend,
kaufte er an der nächsten Ecke eine Zeitung, überflog
die Stellenangebote, und eine riesige Annonce besagter Firma stach
ihm in die Augen.
"MILLS LTD: Spezialisten auf dem Gebiet 'Tiefbau- und
Tunnelbohr-Geräte' – suchen erfahrene Werkzeugmacher".
In der Werkstätte Walla hatte er oft die Gelegenheit
gefunden, solche Geräte in zerlegtem und montierten Zustand
zu inspizieren und bei den diversen Reparaturarbeiten selbst Hand
anzulegen. So beschloß er, zuerst bei diesem Unternehmen
vorzusprechen. In der Flinder Street erwischte er sogar den
richtigen Bus, und nach fünfzehn Minuten tauchte die
imposante Fassade einer Fabriksanlage modernsten Stils auf.
Ungefähr in der Mitte der mehrere hundert Meter langen Front,
sah er eine Menschenmenge vor einem Portal warten, und er ging
nicht fehl in der Annahme, daß sich hier das
Personalbüro befand. Unverkennbar stammten die meisten der
wartenden, kräftigen Burschen aus Südeuropa, wie Italien
oder Griechenland.
Um acht Uhr fünfundvierzig öffnete sich der Eingang, die
Bürostunden begannen. Man ließ sich auf Holzbänken
nieder. Ein Angestellter befragte ihn als ersten, da er in der
Nähe des einzigen Schreibtisches saß: "Was
wünschen Sie?"
"Ich möchte mich erkundigen, ob eine Stelle für einen
technischen Zeichner frei ist."
"Besitzen Sie ein Zeugnis über die Anerkennung als
Australischer Facharbeiter?"
"Nein", antwortete Willi. "Aber ich habe bereits bei den
Behörden angesucht." Ein wenig drauflos flunkern, konnte
nicht schaden. "I am sorry", gab der Mann zur Antwort, "aber dann
kann ich nichts für Sie tun!"
Das berühmte "I am sorry" war gefallen, es setzte den
Schlußpunkt hinter ein abgelehntes Ansuchen. Es ist ein
Zauberwort für die Australier, das alle persönlichen
Ressentiments ausschaltet – man kann am Verziehen des Gesichtes
und dem unsagbar klagendem Ton der Stimme, die tiefe Anteilnahme
am Schicksal des Betroffenen heraushören...
Der Österreicher erfasste sehr rasch, daß die
Erfüllung seines Begehrens nun sozusagen auf des Messers
Schneide stand, unvermittelt platzte er heraus: " Aber ich
studierte doch an einem technischen College – und verweise auf
zwei Jahre Praxis in der Industrie... Sie können mich
sicherlich verwenden!" Der Personalbeamte wurde unschlüssig.
Was würde der nächste Augenblick bringen?
"Warten Sie hier, bis ich die anderen abgefertigt habe", bemerkte
er schließlich mürrisch. Eine fifty-fifty Chance
bestand also noch. Er beobachtete die Vorgänge rings um
ihn.
"Ich bin Elektriker, Italiener."
"Haben Sie die australischen Facharbeiterpapiere?"
"Nein, aber meine italienischen Zeugnisse."
"I am sorry, aber wir nehmen nur Tradesmen!"
"Aber ich bin do...", das Wort erstarb dem Bewerber im Munde.
An die zwanzigmal dieselben Fragen, zwanzigfach die gleichen
Antworten, dasselbe stereotype "I am sorry". Nur ein oder zwei
Mann durften die Bewerbungen ausfüllen, saßen eifrig an
den Bleistiftenden kauend da, dachten über englische Vokabeln
nach, die ihnen nicht einfielen. Betrübt marschierte das Gros
wieder davon.
"Und nun nochmals zu Ihnen!" "Wie ist das also, wieviel Jahre
Praxis können Sie nachweisen?" Der junge Mann log das Blaue
vom Himmel, erwähnte Firmen, in die er bestenfalls als
Praktikant für einen Monat hineingerochen hatte und
verdreifachte die Dauer seiner Erfahrungen.
"Gut", meinte der Mann, "ich rufe mal zuerst Ingenieur E. an!"
"Tu' das, lieber Mann, tu's, bevor du es dir nochmals
überlegst", dachte Willi vergnügt und zugleich ungeheuer
gespannt. Tatsächlich, er wurde aufgefordert,
mitzukommmen!
Man führte ihn durch Korridore und durch Stiegenhäuser,
überquerte Grünanlagen mit einem Tennisplatz am Rande,
bis schließlich gegenüber die Sägedächer der
Werkshallen glänzten. Das leise Gebrumm laufender Maschinen
drang herüber. Sein Herz fing schneller zu schlagen an, was
für ein steiler Aufstieg, wenn er hier Erfolg hatte! Die
Seitenwände der Korridore, die er eben durchschritt, wiesen
Vertäfelungen aus Mahagoniholz auf, die Fußböden
waren mit Teppichen ausgelegt, und die Handklinken der
milchglasgefüllten Schwingtüren wurden von emsigen
Putzfrauen auf Hochglanz poliert. Leichte Benommenheit befiel den
jungen Österreicher, als er an der Seite des Begleiters bei
gutgekleideten Mitarbeitern vorübereilte, die ihn samt und
sonders neugierig anzustarren schienen. Noch vorige Woche hatte er
im Busch die Toiletten gereinigt!
Man war in der Ingenieurabteilung angelangt, die zusammen mit dem
Zeichensaal eine Einheit bildete. Man bedeutete Willi, Platz zu
nehmen. In seinem Regenmantel fühlte er sich
äußerst unbehaglich. Außerdem befürchtete er
die Sesselpolitur mit der Nässe zu beschädigen. Deutlich
konnte er sehen, wie die Blicke der Schreibdamen ihn zwischen den
Zeilenvorschüben rasch taxierten. Linkisch und unsicher
betrachtete er die Umgebung. "Mit Jack, dem Quartalsäufer
würde ich in momentan lieber zusammen sein", überlegte
er, während er mit unruhigen Fingern an seinem Mantel
nestelte.
Ein distinguiert aussehender Gentleman um die Fünfzig kam auf
ihn zu. Weiße Strähnen durchzogen in der
Schläfengegend seine dunklen Haare.
"Nun erzählen Sie mir bitte, was Sie zu uns geführt
hat!" forderte er Willi auf, nachdem sie sich die Hände
geschüttelt hatten. Der berichtete in kurzen Zügen alles
Wissenswerte, angefangen von der Abreise in Europa, bis zum
Buschaufenthalt. "Und warum haben Sie die letzte
Beschäftigung in der Werkstätte verlassen?"
"Mir gefiel diese Tätigkeit nicht", gestand Willi und
erzählte von seinen Aufgaben, wie Schraubenfestziehen und
Auskehren der Halle.
"Das kann ich gut verstehen, das war wirklich keine Arbeit
für Sie". Wohlwollend und zugleich erwartungsvoll sah er den
jungen Mann an. Mit einem treuherzigen "Entschuldigen Sie bitte,
ich habe keine Aktentasche", fischte er unter seiner Kleidung das
Plastiksäckchen mit den Zeugnissen hervor. Der Chef des
Konstruktion vermochte kaum ein Lächeln zu verbeißen.
Höger übersetzte ihm den Inhalt. Aufmerksam hörte
der Australier zu und stellte nur gelegentlich eine Zwischenfrage.
Am Ende drückte Willi verschämt herum und gestand,
daß es mit den Praxisjahren nicht ganz stimme. "Ich habe das
nur gesagt, damit ich überhaupt zur Unterredung vorgelassen
werde." Er merkte sofort, daß seine Freimütigkeit die
Wirkung nicht verfehlte. "Well", meinte der Chef freundschaftlich,
"nehmen Sie an diesem Schreibtisch Platz. Ich schicke Ihnen noch
Mr. James Hartley, den Chef der Mechanischen Abteilung des
Konstruktionsbüros."
Während Willi Höger den obersten Boss dieses Büros
unbeeinflusst für einen amerikanischen Geschäftsmann
gehalten hätte, war der Mann, der nach einigen halblaut
gewechselten Worten auf ihn zutrat, unverkennbar ein
Abkömmling dieses Landes: hochaufgeschossen, mager und mit
leicht abstehenden Ohren versehen. Nichtsdestoweniger fanden sich
die zwei ungleichen Männer vom ersten Augenblick an
sympathisch. Mitten in seinen Darlegungen, die er nochmals vom
Anfang bis zum Ende durchhecheln mußte, trat eine der Damen
mit einer Schale Tee an ihren Vorgesetzten heran und erkundigte
sich, ob auch Willi eine Erfrischung haben wolle.
"Mit Zucker, ohne Zucker? Mit Milch oder ohne?" Ob er ein
Stückchen Keks dazu essen wolle? Das gemeinsame Zeremoniell
des Teetrinkens vertiefte das gegenseitige Verstehen fast
augenblicklich und rief in Willi eine Art
Zugehörigkeitsgefühl zur Firma hervor. Als ob er bereits
dem Stab der Ingenieure angehörte. Mr. Hartley erhob sich und
zog nach einigem Überlegen aus einem Stoß Zeichnungen
einen feinsäuberlich auf Linnen, in Bleistift dargestellten
Konstruktionsteil, hervor.
"Sehen Sie sich das Ding mal an. Glauben Sie, daß Sie das
zeichnen werden können?" Daß er diese Präzision
der Ausführung anfangs nicht erreichen würde, war Willi
bewußt und er verhehlte dies auch keine Sekunde.
Geschmeichelt über dieses Lob, antwortete der Ingenieur: "Das
macht vorerst nichts." Der junge Mann studierte nun das
dargestellte Blechteil und vermeinte, das Werkstück bereits
irgendwo gesehen zu haben. Krampfhaft dachte er nach.
Natürlich! An einem Preßluft-Bohrgerät in der
Walla-Werkstätte, bei Instandsetzungsarbeiten!
Mit großer Selbstverständlichkeit erklärte er dem
erstaunt aufhorchenden Australier, daß es sich dabei um
einen Konstruktionsteil des Gabelträgers einer Bohrkanone
handle.
"Sie erkennen es? Sie erkennen es??" Hartley war außer sich
vor Freude und Überraschung. "Ja woher denn?" Willi gab
Auskunft, und sogleich kam die nächste, entscheidende Frage:
" Wann können Sie bei uns anfangen?"
"Von mir aus jetzt gleich", dachte Willi, innerlich jubelnd vor
Glück. Artig gab er jedoch zurück: "Falls es Ihnen recht
ist – morgen schon, Mr. Hartley!"
"Well, also morgen!" James Hartley drückte ihm fest die
Hand.
Der Regenguß hatte inzwischen an Stärke zugenommen,
aber unseren jungen Helden störte das garnicht. Vom
nächstgelegenen Bus-Stop aus hätte er die City in
wenigen Minuten erreicht, doch im Taumel seines Überschwanges
schritt er die lange, schnurgerade Straße entlang, die kein
Ende zu nehmen schien, jubelnd, mit einem unsagbaren
Glücksgefühl, ja Triumphgefühl in seinem
Herzen.
Die Schuhe plantschten durch die Pfützen – aber er merkte es
kaum, ununterbrochen sang es in seiner Brust: Geschafft!
Geschafft!! Er hatte unerhörtes Glück gehabt, gleich
beim ersten Versuch hatte es geklappt. Weit hinter ihm lag nun
bereits das Werk, Hafeneinrichtungen türmten sich zur Linken.
Von Rost angefressene, schwerbeladene Frachter dümpelten im
Wasser. Lagerhäuser. Kaum nahm er von der Umwelt Notiz. In
einigen Meilen Entfernung ragten dunstverhangen die Wolkenkratzer
der City empor – noch weit war der Weg, doch er wollte vorerst
seine Freude und Begeisterung abreagieren.
Ein rußverschmierter Holzschuppen tauchte vor ihm auf. Der
Regenfall nahm zu, laufend erreichte er das schützende
Dach.
Ein alter Mann verbrannte darunter Gummireste. Der junge Mann bat,
das Unwetter hier abwarten zu dürfen. "It's allright", meinte
der Alte, kurz angebunden. Um ein Gespräch anzuknüpfen,
irgendjemanden an seinem Glück teilhaben zu lassen, auch
einen wildfremden Menschen, erzählte er, wie es ihm eben
gelungen war, eine gute Anstellung zu finden.
"Oh, ich kann deine Freude gut begreifen", begann der Alte
bedächtig. "Vor vier Jahrzehnten bin ich auch , genauso wie
du jetzt und aus demselben Grunde, übermütig durch die
Straßen gelaufen. Allerdings herrschte damals schöneres
Wetter!..." Grinsend betrachtete er Willi von der Seite. "Bin
nämlich aus England eingewandert. Und jetzt gehört der
Betrieb mir und ich besitze Haus, Auto, habe mein gutes Einkommen
und fünf Kinder... Ja, so ist es gekommen. Schön langsam
und ziemlich hart." Er wischte sich mit dem Ärmel leicht
über die buschigen Augenbrauen und starrte in den
Gewittersturm hinaus. Respektvoll teilte Willi das Schweigen des
Alten.
* * *
Mit seltsam gemischten Gefühlen betrat Willi Höger den
großen, quadratisch angelegten Saal, in dem sich
Zeichentisch an Zeichentisch reihte. Mr. James Hartley, sein
unmittlelbarer Vorgesetzter, bedeutete ihm nachzufolgen und
schritt den langen Gang entlang, der das Büro in zwei Teile
trennte. Unmittelbar neben einer der beiden Türen, die den
Raum mit dem übrigen Gebäude verband, wurde ihm sein
Arbeitsplatz zugewiesen. Er legte die mitgebrachte Ausstattung ab
und schüttelte den Männern die Hand, wie sie ihm eben
vorgestellt wurden. Der Aussprache nach zu urteilen, handelte es
sich um gebürtige Australier. Mr. Hartley überreichte
ihm einen umfangreichen Band, der in einer schwarzen
Nylonhülle steckte. "Hier drinnen, Willy", meinte er, "sind
die Standards unserer Gesellschaft niedergelegt. Der
Größe unserer Firma angemessen, ist da alles
Wissenswerte und Nötige festgelegt und geordnet. Studiere
bitte für heute mal das Zeug durch und übe dich in der
Normschrift. Ich nehme an, in Austria werdet ihr andere
Schriftformen verwendet haben?" Der Chef schlug eine Seite auf und
verwies auf Übungsbeispiele. "Ja, allerdings Mr. Hartley",
erwiderte Willi. "Well, du wirst es bald beherrschen. Ein wenig
Übung – am Anfang wird man von dir keine Meisterleistungen
verlangen." Lächelnd wandte er sich zum Gehen.
Dem Himmel sei Dank, ließ Willi ein Stoßgebet los.
Wenn du wüßtest, wie gering meine Erfahrungen
tatsächlich sind.
"Übrigens noch etwas!" Mr. Hartley hielt inne und kehrte
zurück. Vorsichtig setzte er zum Sprechen an, offensichtlich
überlegte er sich jeden Satz genau: "Du darfst mich genauso
'James' nennen, wie ich 'Willy' zu dir sage – laß' das
'Mister' ruhig weg. Hier im Büro und überall in
Australien ruft man sich unter Arbeitskollegen mit dem Vornamen.
Also sag einfach James zu mir!" Er rückte die Augenbrauen
etwas in die Höhe, sodaß die Brille auf dem hageren
Anlitz verrutschte. James rückte sie wieder an die lange,
markante Nase und enteilte.
Höger schlug die erste Seite auf.
Körperlich deutlich, spürte er hunderte stechender
Blicke auf sich gerichtet, auf seinen Rücken, den er der
Masse zuwandte. Nervös fingerte er am Hemdkragen herum. Ob
man bemerkt hatte, daß er ein zerknittertes,
ungebügeltes Hemd am Leibe trug? Im Busch hatte es gereicht,
wenn sie rein waren, die Mühe mit dem Bügeln ersparte er
sich gewöhnlich.
Noch heute werde ich mich dranmachen, die Vermieterin wird mir das
Plätteisen sicherlich leihen, nahm er sich vor.
Ein Knurren im Magen erinnerte ihn an die Magerkeit der
Ernährung der letzten Tage, selten oder nie eine warme
Speise. "Muß mir einige Kochtöpfe zulegen,
Eßbesteck – das Geld schwimmt gleich so weg", dachte er
bestürzt.
Immerhin wies sein Bankkonto den stolzen Betrag von 250 Pfund auf.
Daß es nun mit regelmäßigen Sparraten, von rund
zehn Pfund pro Woche, vorbei war, das sah er mit aller
Deutlichkeit. Nirgend mehr Sonderpreise und Pauschalverpflegung,
jeder Handgriff mußte teuer bezahlt werden. Am einfachsten
würde wohl sein, er kaufte gleich neue Hemden, anstatt die
alten ausbessern zu lassen. Das kam fast billiger. Die
gähnende Leere auf dem Blatt Papier vor ihm erinnerte ihn an
die Notizen, die er tätigen wollte. Er riß sich von
seinen kleinen privaten Sorgen los und versuchte sich auf den
vorliegenden Stoff zu konzentrieren.
"Ich habe gehört, du bist aus Austria?"
"Ein äusserst gemütlich und menschlich wirkender junger
Mann etwa seines Alters rückte den Abfallkorb zwischen die
Beine und spitzte bedächtig und sorgfältig einen
Bleistift zu.
"Ja, das stimmt", gab Willi zur Antwort. "Wieso?" fragte er nach
einer Weile.
"Auf deinem Platz saß vordem ein Landsmann von dir. Sein
Familienname war Krug... Ich denke, das ist richtig?" "So? Das
kann stimmen", nickte er. Die Nachricht überraschte ihn,
zumal sich herausstellte, daß besagter Krug aus seiner
engeren Heimat stammte. "Krug besaß ein Ingenieurdiplom",
bemerkte der junge Mann so nebenbei.
"Welche Art von Schule hat er denn besucht?" Der Australier
wußte es nicht genau zu beschreiben. "Er ist jedenfalls der
beste Konstrukteur im Saale gewesen. Es werden dir im Laufe der
Zeit sicherlich einige seiner Arbeiten unterkommen." Das hatte
anerkennend geklungen. Wenn Willi allerdings geahnt hätte,
wie verunsichert er dem Gleichaltrigen vorkam, wäre er sich
über die noblen Beweggründe klargeworden. John, so
hieß der Kollege, der Willi im scherzenden Tone aufbauen
wollte, erzählte nun mit offensichtlicher Schadenfreude,
daß dieser Krug eine Schachmeisterschaft im Büro
überlegen gewonnen habe.
"Das 'Spiel der Könige' ist bei euch ja wesentlicher
verbreiteter als bei uns, nicht wahr?" erkundigte sich John. "In
Österreich bekommen Schulbuben darin Unterricht!" Die
Hochachtung vor dem unbekannten Österreicher und seine
eigenen Minderwertigkeitskomplexe nahmen im gleichen Maße
zu. Was John sicherlich nicht beabsichtigt hatte.
Der meldete sich nun wieder, er war beim vierten Bleistift
angelangt. Offensichtlich spürte er keine wie immer geartete
Lust, diese beschauliche Tätigkeit so schnell
abzubrechen.
"Bin nur neugierig, was du uns an Überraschungen bieten
wirst", meinte er in scherzendem Ton.
"Wieso? Sind unter den Einwanderern so grundsätzlich
andersgeartete Menschen – im Vergleich zu euch?" fragte Willi
erstaunt. Der Kollege lächelte nur vielsagend.
"Sind eigenartige Leute darunter." Etwas gezwungen wies er
unauffällig in Richtung eines Zeichentisches, über den
sich ein eifrig arbeitender Mann in weißem Mantel beugte,
für den die Umwelt anscheinend nicht existierte. Mit leicht
hervorgestreckter Zungenspitze und unheimlicher Konzentration,
zauberte er eben mit einem Spezialzirkel weite Kreisbögen
aufs Papier. Seine Stirn stieg steil hoch und wölbte sich wie
ein Dom über ein Antlitz, das merkwürdig bleich und
durchsichtig schimmerte, jedoch intelligente Züge
aufwies.
Nun hob er einen kurzen Augenblick seinen Blick vom Brett. Der
Österreicher erschrack über den toten, seelenlosen
Ausdruck der graugrünen Pupillen, die ihn seltsam starr
streiften. Gleichzeitig überzog das Gesicht des Einwanderers
ein geistesabwesendes, verzerrtes, idiotisch anmutendes
Lächeln.
"Die Leute hier im Saale halten ihn für schwachsinnig",
sprach der Mann neben Willi weiter. "Ich bin nicht derselben
Ansicht. Nebenbei, er ist Russe und wird hier Felix gerufen."
Der Österreicher brach in ein kurzes, gezwungenes Lachen aus.
"Der Name Felix scheint mir nicht gerade zuzutreffen. Er kommt aus
dem Lateinischen und bedeutet 'glücklich', 'happy'! Aber so
sieht er mir nicht gerade aus."
"Da dürftest du recht haben", gab John zu. "Er scheint alles
andere als happy zu sein. Die Kollegen rings um ihn, speziell die
jüngeren, die 18 bis 20jährigen, ignorieren ihn entweder
völlig oder lassen sich höchstens manchmal dazu herab,
einige Worte mit dem armen Teufel zu wechseln. Wie gesagt, man
nimmt ihn nicht für voll!"
Ein gewisses Solidaritätsgefühl, das augenblicklich
entstand und in ihm eine Trotzreaktion hervorrief, verband ihn mit
dem Russen. "Entschuldige mich bitte", wandte er sich an John.
"Werde mich mit ihm ein wenig unterhalten."
Er sprach den jungen Mann an: "Darf ich mich vorstellen – mein
Name ist Willy Hoeger. Ich komme aus Austria."
Die trüben Augenlichter des anderen leuchteten auf, über
das maskenhaft ausdruckslose Gesicht huschte ein Anschein der
Freude. "Kenne ich auch", meinte er in tadellosem Englisch.
"Oh, Sie haben Europa ein wenig bereist?"
"Bereist wäre zuviel gesagt. Eine Zeitlang lebte ich in einem
deutschen Lager, bis ich zu Verwandten nach Frankreich gehen
konnte. Habe dort einige Jahre verbracht. Es war eine sehr
schöne, eine sehr glückliche Periode meines Lebens."
Wieder jenes stumpfsinnige, verlorene Lächeln. Höger
senkte seine Stimme ab und erkundigte sich, wie es ihm hier
gefalle.
"Wenn Sie die Wahrheit hören wollen – ich bin nun seit vier
Jahren in Australien ansässig – gelacht habe ich selten in
dieser Zeit. Ich konnte selten wirklich von Herzen froh werden!"
Der Russe musterte Willi kurz. "Und wie lange sind Sie schon
hier?"
"Fast ein halbes Jahr", antwortete der und schilderte ihm kurz die
Stationen seines Aufenthaltes.
"Sie werden ja bald merken, ob Ihnen das Leben hier behagt!" Felix
nahm wieder Dreieck und Bleistift in die Hände und
entschuldigte sich: "Ich muß weiterarbeiten. Sonst brauche
ich zu lange für diese Detailarbeit."
Das erinnerte Willi an seine Pflicht, so setzte er sich wieder auf
den Hocker und studierte die ersten Seiten der Anleitung. Er war
noch nicht weit damit gekommen, als ein nicht allzugroßer,
schmächtig gebauter Mann um die Fünfundreissig durch die
Türe in der Nähe eintrat. Er musterte Willi kurz, um
sich dann bei John zu erkundigen: "Ein Neuer?" John ließ
sich bereitwilligst von der Berechnung eines Schaltgestänges
ablenken und stellte die beiden einander vor.
"Ein Österreicher also", äußerte sich der eben
Eingetroffene. Und Willi belustigt ansehend, entkam es ihm
hämisch: "Wieder einer von diesen Supermen, diesen
Übermenschen!" Der Österreicher horchte ungläubig
auf: "Was soll dieser Ausspruch? Warum so bissig?"
In etwas gemäßigterem Tonfall erklärte der kleine
Mann nun einlenkend, er denke an den Österreicher, der sein
Vorgänger an dem Platz war, und der als Prototyp der
Germanischen Herrenrasse, des Übermenschen Goebbel'scher
Prägung betrachtet worden sei. Krug hätte alles besser,
schneller, sauberer erledigt, als jeder andere in dem ganzen
Staff. Ob er, Willy, dem Beispiel nicht folgen wolle?
Achselzuckend nahm der sein Studium wieder auf, kaute langsam
Seite für Seite durch. Aber bald rückte die Teepause
heran. John bot ihm hilfsbereit zehn Billetts zu zwei Penny an,
mit denen er Tee, Milch und ein paar Keks erstehen konnte. Diese
Unterbrechung kam ihm äußerst gelegen, nagender Hunger
quälte ihn bereits des längeren. Wie er sich so in Reih
und Glied anstellte, fielen aus dem Lager der ganz Jungen einige
ungenierte und laute Bemerkungen über seine Person, die ihn
befremdeten. Nicht etwa der Inhalt, sondern die Tatsache,
daß man sich trotz seiner Anwesenheit überhaupt kein
Blatt vor dem Mund nahm.
"Der sieht aber ziemlich smart aus." "Wahrscheinlich ein German
oder soetwas ähnliches."
"Von welcher Firma er wohl kommt?" "Sicherlich ein ausgewachsener
Ingenieur!"
Ohne Unterlass durfte sich Willi solche Bemerkungen aus
nächster Nähe anhören. Komische Manieren haben die,
das muß ich schon sagen, überlegte der
Österreicher. Erwarteten sie vielleicht eine direkte
Beantwortung dieser Fragen? Es war doch unmöglich, sich
gleich am ersten Tage allen Leuten vorzustellen. Die
Aufmerksamkeit die ihm hier jeder entgegenbrachte, gleichviel, ob
wohlwollend wie die von John, oder zynisch wie die des
schmächtigen Männchens dort neben der Wand, begann
allmählich an seinen Nerven zu zerren. Gewiß, es freute
ihn, nicht einfach so ignoriert zu werden wie der Russe dort am
nächsten Tisch. Aber schließlich und endlich war er
kein Wundertier, das man wie im Zoo begaffen und darüber
ungeniert parlieren konnte!
Er verschlang die mitgebrachten Marmeladebrote zum Tee, da
gesellte sich ihm schon wieder einer zu. Und diesmal ein Freund
Johns. Bill entpuppte sich als ein sehr selbstbewußter
Jugoslawe, der dem neuen Nachbarn seines Freundes mit leichter
Überheblichkeit gegenübertrat, ja, Höger schien es
so, als ob er verhindern wollte, daß John mit Willi engere
Freundschaftsbande knüpfte. Offenbar betrachtete er John als
seine persönliche australische Eroberung, wenn man es so
ausdrücken will. Jedenfalls wachte er in der Folge
eifersüchtig darüber, das zunehmend vertraute
Verhältnis der beiden Bürokollegen nicht zu eng werden
zu lassen. Gleich am Anfang ihrer Bekanntschaft machte er sich
über die kleine Ortschaft lustig, aus der Willi stammte und
behauptete, daß ganz Österreich eigentlich nur ein
großes Dorf sei. Auch er erwähnte Krug. Er kam sich
sehr geistreich vor, als er auf Deutsch zitierte, 'daß der
Krug eben solange zum Brunnen geht, bis er zerbricht'. Trotz
dieser anfänglichen Hänseleien wurden Bill und Willi
gute Freunde. Gegen einen kleinen Beitrag offerierte Bill ihm eine
tägliche Mitfahrgelegenheit, die er gerne wahrnahm. Von einem
Schotten, der unmittelbarer Kollege und Nachbar Willis war, erfuhr
er, daß John aus Tasmanien stammte.
"Die Menschen aus dieser Weltgegend sind wesentlich sympathischer
und freundlicher als die Australier", gab er ihm zu verstehen.
"Mir gefällt vor allem der riesige Saal nicht. Überhaupt
in dieser Ecke, wo dauernd Leute vorbeigehen und gelegentlich
blöde Bemerkungen fallen lassen. Und außerdem ist meine
Tätigkeit derartig eintönig, daß es zum
Verzweifeln ist. Ich sehe mich dauernd nach einer anderen
Beschäftigung um, wo ich meine praktischen Erfahrungen
anwenden kann. Habe die vergangenen 15 Jahre mit
Detailentwürfen von Dampfkraftwerken zugebracht, das liegt
mir mehr als der Kram hier."
In der Mittagspause verzehrte Willi die restlichen Brote an seinem
Arbeitsplatz. Er fühlte sich momentan in einem Zustand der
völligen Überforderung, der es ihm unmöglich machte
die Werkskantine aufzusuchen: Von den vielen neuen Eindrücken
überwältigt, entmutigt durch die offenbar
selbstherrlichen Gestalten um ihn herum, und unsicher durch das
Bewußtsein seiner eigenen beruflichen Unzulänglichkeit.
Er nahm sich eine Tageszeitung vor und verharrte wie gelähmt
an seinem Platz.
Am Nachmittag erschien James, sein Chef, und führte ihn durch
die Werkshallen, erklärte ihm die Fertigungsprozesse und
Assembling-Verfahren, bis ihm von den hunderten neuen Begriffen
der Kopf schwirrte. Seine geheime Einsicht besagte ja immer
wieder, daß er in diesem Betrieb eine Null war, und die
Führung wahrscheinlich mehr von ihm erwartete als er zu
leisten imstande war. Da stand er nun angesichts der vielen
Kollegen, hochaufgerichtet neben dem Boss und ließ dessen
Erklärungen über sich ergehen. Er vermutete, daß
es für ihn eine komplette Katastrophe bedeuten würde,
auch nur eine Schraube für einen Bestandteil mit einer
Kennnummer versehen zu müssen. James lachte auf eine
diesbezügliche Äusserung von ihm nur auf und versicherte
ihm, daß er wirklich nicht alles auf einmal begreifen und
behalten müsse.
"Wir in Australien geben jedem 'a fair go', meinte er beruhigend.
Was heißen sollte, man gestehe jedermann hierzulande eine
gerechte Behandlung zu, und die Chance, sich seinen
Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln.
"Mir kommt das sehr gelegen – und ich brauche es vor allem, das
'fair go'", dachte Willi.
Ein kahlköpfiger Mann mittleren Alters steuerte die Kartothek
an, stöberte drin herum und sprach Willi an, nachdem er das
Gesuchte gefunden hatte. "Oh, die Nationalität ist eine gute
Empfehlung", ließ der daraufhin verlauten. Wollte der nur um
seine Sympathie buhlen, ihm ein Kompliment machen, oder ihn
vielleicht sogar beleidigen? Argwöhnisch betrachtete er den
Kahlschädel. Er sei auch noch nicht lange bei der Firma,
teilte ihm der Mann mit. Schließlich stellte er sich als
Russe vor, oder wie er sich zynisch ausdrückte, als
"Abkömmling der kultiviertesten Nation der Erde." War Willi
bereits am Vormittag über die Anwesenheit eines
Sowjet(?)-Russen mehr als erstaunt gewesen, so verschlug es ihm
jetzt die Sprache. Warum, und vor allem wie gelangten Vertreter
dieser Nation nach Australien? Wie er hierher gelangt sei?
"Ganz einfach. Zuerst war ich gezwungen als Kriegsgefangener in
Groß-Deutschland zu arbeiten. Nach der 'Befreiung'(er sprach
das Wort deutsch mit hartem russischen Akzent aus) habe ich es
vorgezogen, als 'Displaced Person' hierher auszuwandern."
"Ach so, Sie wollten also in Freiheit leben!" meinte Willi,
verständnisvoll nickend.
"Jawoll! Freiheit und viel Kulturra!!!" bestätigte ihm der
Russe noch immer in Willis Muttersprache, wobei sich sein
eiförmiger Glatzkopf mit unzähligen Runzeln überzog
und ihn mit zwei Reihen ebenmäßig gewachsener
Zähne anblitzte. Doch die Betonung klang irgendwie sonderbar.
Der Österreicher begann sich besorgt zu fragen, ob er
vielleicht an Halluzinationen litt...
Wie der ältere Russe so davonschritt, gewahrte Willi,
daß er niemals sein Lächeln ablegte, das dadurch
gezwungen und eingefroren wirkte.
Als sich die Zeiger fünf Uhr näherten, stürzten die
Angestellten zu den Kleiderablagen und drängten in Massen auf
den Korridor hinaus. Die Busse der städtischen Betriebe
rollten nacheinander heran und beförderten die Belegschaft
dichtgedrängt wie die Heringe in die City.
Mit der Absicht, diesmal eine ausgiebige Mahlzeit zu sich zu
nehmen, beeilte sich Willi den modernen Delikatessenladen an der
Ecke aufzusuchen, der bis spät am Abend offen hielt.
Vollbeladen mit Lebensmittelpaketen trat er den Rückweg an
und traf auf Werner Benke, den er seit Montag mittags nicht mehr
zu Gesicht bekommen hatte. "Da kommst du ja!" rief ihm der schon
von weitem entgegen. "Wollte dich eben besuchen. Mensch, du
frißt aber anständig!" stichelte er, als er die
Makkaroninudeln, Eier, Speck, Tomatensauce, Marmelade und Butter
auf Willis Arm erblickte.
"Das habe ich allerdings vor. Komm mit rauf. Kannst gleich
mitmachen!" Er öffnete die Haustür, und sie stiegen die
dunkle Treppe in den Oberstock hinauf. "Siehst du, hier ist mein
Gasherd. Hast du zufällig ein Threepence-Stück bei dir?
Dann kannst du gleich Feuer machen!" Er besorgte sich noch rasch
Kochtopf und Bratpfanne, stellte Wasser auf und bereitete alles
vor, um ein frugales Mahl bereiten zu können.
"Jetzt erzähl' einmal, was du in der Zwischenzeit alles
erlebt hast!" forderte er seinen Freund auf, nachdem er Werner
einen kurzen Bericht zur Lage geliefert hatte.
"Habe Schwein gehabt. Bin als Operationsgehilfe in einem
Privatkrankenhaus tätig", sagte der Berliner. "Weißt
du, Sterilisieren der chirurgischen Bestecke und Einsammeln des
blutbefleckten Verbandmaterials und so weiter. Ist ja nicht schwer
– aber brrrr! Da steigt einem das kalte Grausen hoch. Bei einer
Bauchoperation habe ich geglaubt, ich falle um, so gerochen hat
es! Aber lassen wir das, sonst vergeht dir noch der Appetit auf
deine Spaghetti!" grinste Werner hintergründig, als er Willis
zunehmend steifere Miene bemerkte. Der Berliner schilderte ihm
noch die näheren Hintergründe, die zu seiner Anstellung
im Spital geführt hatten. "Nur eines hat mich ausgesprochen
geärgert", gestand er.
"Stell dir vor, Willi: Zum Schluß, als ich die Anstellung
bereits in der Tasche hatte, gab mir der Manager zu verstehen -
das habt Ihr alles Eurem Führer zu verdanken!... Ich nehme
ihm diese kleine Rache an mir ja nicht weiter übel, das ist
nur menschlich. Aber der Mann scheint mir einen Fehler zu machen,
den er als intelligenter Mensch nicht begehen dürfte: Die
glauben hier alle, daß wir in Deutschland noch immer am
Verhungern sind, oder der Lebensstandard weit unter dem hiesigen,
vielgepriesenen liegt.
Das stinkt mir schon allmählich. Im Busch hat man uns das
mehr oder weniger versteckt vorgehalten, und hier, wo man glaubt,
endlich unter vernünftige Menschen geraten zu sein,
fängt dasselbe Theater wieder von vorne an!"
Der Österreicher beschrieb die ausfallende
Begrüßung durch den Kollegen, der ihn als
'Übermenschen' deklariert hatte. "Ich denke, mit den Leuten
im Busch sind wir noch besser ausgekommen, als ich es für die
Zukunft erwarte", formulierte Werner nachdenklich. "Was wirst du
übrigens verdienen?" erkundigte er sich neugierig.
"An die 15/10", antwortete Willi. "Viel ist es ja gerade
nicht."
"Ich werde sogar ein ganzes Pfund weniger herauskriegen, stell'
dir das mal vor!" begann nun Werner zu jammern.
"Dafür bezahlst du auch für deine Bude um denselben
Betrag weniger, wie du mir vorhin gestanden hast!"
"Sie sieht aber auch danach aus", entgegnete ihm Werner. "In so
einem Loch hätte ich in Deutschland nicht zu hausen gewagt,
das sag ich dir. Ich hätte mich geschämt. Und da
rühmt der Kerl noch den australischen Lebensstandard!"
"Ja, den genießt e r vielleicht – aber nicht wir. Die Masse
der Bevölkerung ist hier genauso scheiße dran wie
überall sonst. Wenn du hier deinen Kühlschrank besitzt
und vielleicht mit einer Karre durch die Gegend kutschierst – das
bedeutet garnichts. Deswegen bist du relativ gesehen genauso arm,
als wenn du zuhause beides nicht besitzt. Denn hier ist sowohl das
eine wie das andere eine absolute Notwendigkeit, kein Luxus.
Allerdings, wenn du dazu noch ein Ziegelhaus, 6000 Pfund auf der
Bank, ein kleines Motorboot, eine Jagdausrüstung und den
sonstigen Krimskrams hast, dann kannst du behaupten, du hast einen
höheren Lebensstandard erreicht. Ansonsten bist du noch immer
der arme Hund, auf den die anderen herabsehen.
So, und nun werde ich mich mal vernünftig vollfressen, das
ist die Grundlage jedes höheren Lebensstandards. Ich
könnte ja ein Restaurant aufsuchen, aber das käme auf
die Dauer zu teuer."
Willi Höger goß Tomatensoße über die
Spaghettinudeln und fing hungrig zu essen an.
* * *
Man überreichte Willi seinen ersten Auftrag. Ein einfacher
Gummipuffer war von einem Entwurf abzunehmen und zu detaillieren.
Wohlwollend gestattete ihm ein älterer Australier Einblick in
die umfangreiche Papierrolle. Insgeheim ergötzte er sich am
Arbeitseifer des jungenhaft wirkenden Europäers. Vor lauter
Herumschusseln ging sogar diese einfache Angelegenheit schief, mit
vielen roten Korrekturen erhielt er die Zeichnung vom Checker
zurück. Willi arbeitete mit teilweise ausgeliehenen
Geräten, das seine Schulausrüstung der hier verlangten
Präzision nicht genügte. Einstweilen half ihm John aus
der Patsche. Der scherzte ein wenig bei dieser Gelegenheit. So
verwies er auf die Marke "Staedler-Germany" seines
Reißzeuges, dann hielt er Willi einen Metallmaßstab
vor die Nase und zeigte ihm das "Made in England". Dem
Österreicher fiel auf, daß der Tasmanier das 'bloody'
vor Germany weggelassen hatte. Darüber entkam ihn ein kurzer
Heiterkeitsausbruch, den John nicht deuten konnte. "Warum lachst
du jetzt auf einmal?" fragte er argwöhnisch. "Ach nichts. Mir
ist nur etwas Spaßiges eingefallen, was mit der Sache nichts
zu tun hat", erklärte Willi. Es war eigentlich nichts
besonderes, worüber er hätte Klage führen
können. Bloß seine Erwartungen, durch die
Übersiedlung aus dem Busch in die Stadt in ein gepflegteres
Umgangsklima zu gelangen, hatten sich nur zum Teil erfüllt.
Täglich aufs neue verblüfften ihn Handlungen und
Aussprüche seiner Kollegen derart, daß für ihn
jede Vorstellung davon, was in diesem Lande zum guten Ton
gehörte, und was nicht ratsam war in eine Unterhaltung
aufzunehmen, verlorenging.
Diese zunehmende Unsicherheit im Umgang mit den Menschen dieser
Stadt entstand durch viele kleine Zwischenfälle, die den
Österreicher jedesmal vor den Kopf stießen. So wollte
er sich einem jüngeren Kollegen in der Nachbarschaft
vorstellen und ohne jede Absicht entrutschte ihm dabei ein "Mr.
Hoeger". Da nun nicht einmal James Hartley mit Mister angesprochen
wurde, entlockte dies dem achtzehnjährigen Burschen nur ein
höhnisches Gelächter.
"Soso. M i s t e r Hoeger!" reagierte ein anderer darauf. "Very
well!" und drehte ihm den Rücken zu.
Es erschien Willi zu kompliziert, die Gedankenassoziation zu
erklären, die zu dem "Mister" geführt hatte. Er
begnügte sich damit, daß er unauffällig den
Rückzug antrat.
Bei den jungen Leuten war er bald als arrogant und eingebildet
verschrien, wogegen er in Wirklichkeit die tiefe Unsicherheit und
das Bedürfnis nach gesellschaftlichen Anschluß durch
Schweigsamkeit, Zurückgezogenheit oder betont forsches
Auftreten zu kompensieren versuchte.
Ted Spranger, der klein und schmächtig gebaute Mann mit dem
Superman-Komplex und leichter Konkurrenzangst, war kein
Einheimischer. Durch den Vorgänger und Landsmann von Willi
offensichtlich in die Defensive gedrängt, wollte er sich bei
ihm von vorneherein nichts vergeben. Auf jede Frage hatte er nur
zynische Antworten auf Lager, die darin gipfelten, daß er
äusserte, auch ein Vertreter der Herrenrasse wisse scheinbar
nicht alles. Oder er stellte sich dumm und überließ
Willi seinem Schicksal. Der begriff natürlich sehr rasch,
daß der Engländer ihm keinen reinen Wein einschenkte,
machte jedoch gute Miene zum bösen Spiel, da Ted zum
Führungsstab gehörte. Er hielt ihm eine
gleichmäßig offene und ehrliche Haltung entgegen, die,
wie er hoffte, ihre Wirkung nicht verfehlen würde.
Mit offenem Entsetzen betrachtete er in der ersten Woche das
Resultat seiner beruflichen Anstrengungen. Wiederholt erhielt er
vom Checker die Blaupausen vollständig rot beschmiert
zurück. Nicht ein einziger Strich hatte ihnen anscheinend
gepaßt. Aber John und Hartley trösteten ihn damit,
daß es jedem Neuling in ihrer Firma so erginge.
Bedrückt verbiß er sich so in seine Arbeit, daß
er alles um sich vergaß.
Frohlockend hatte er in den ersten Tagen bereits allen Bekannten
von seiner Landung in Melbourne berichtet. Als erste Reaktion
langte nun ein Kartenbrief ein, fein säuberlich mit der
Schreibmaschine getippt und von Rosa und Hubert unterzeichnet. Sie
schafften noch immer im selben Krankenhaus und informierten ihn
von der bevorstehenden Trauung, die am nächsten Sonnabend in
einer kleinen katholischen Kirche stattfinden würde. Er sei
herzlich dazu eingeladen, man rechne mit seinem Erscheinen.
Am Samstag bemühte sich Willi zuerst vergeblich einen jener
Präzisionszirkel zu ergattern. Der Verkäufer
erklärte ihm, daß alle Instrumente sofort nach dem
Eintreffen der Sendung wie die warmen Semmeln weggingen, da das
Einfuhrkontingent begrenzt sei. So ließ er sich
vormerken.
Dann besorgte er eine moderne Nachttischlampe für das
Brautpaar und begab sich zum Haarschneider. Der zog vielleicht
eine Show ab, mit warmen Kompressen und anderem modischen
Schnickschnack, war aber relativ preiswert.
* * *
Von Braut und Bräutigam weit und breit nichts zu sehen.
Unruhig wanderten Willi Höger und Dietrich Lemmel, der
Frauenheld mit seinem interessanten Tagebuch, vor dem
unscheinbaren Gotteshaus in einem vernachlässigtem Viertel
Melbourne's auf und ab. Endlich kamen die beiden mit den
übrigen Hochzeitsgästen in zwei Taxis angebraust.
Der Meßbub benahm sich tolpatschig, schlurfte in
schmutzigen, viel zu großen Schuhen umher, und die ganze
Kirche erbebte, wenn er sich auf die Knie niederließ. Dann
wieder stellte er sich genau vor dem Priester hin, der ihm
ärgerlich bedeutete, doch beiseite zu treten. So heilig und
ernst die Trauungs-Zeremonie ablief, konnten die wenigen
Gäste doch kaum eine gewisse Heiterkeit
unterdrücken.
Der Diener Gottes bediente sich der deutschen Sprache und mochte
wohl auch ein Auswanderer sein. Seine australisch kurze
Einheitsfrisur fand jedenfalls die gebührende
Aufmerksamkeit.
Für die spärlich vertretenen Hochzeitsgäste gab es
somit Ablenkungsmöglichkeiten genug, so verfolgten sie die
Feierlichkeiten mit weniger Interesse, als deren
Begleitumstände. Willi Höger, der die ehrenvolle Aufgabe
übernommen hatte, diesen denkwürdigen Tag auf
Erinnerungsfotos festzuhalten, wurde plötzlich durch lautes
Schnarchen aus seiner Konzentriertheit gerissen: Eine alte, etwas
abgerissene Australierin aus den umliegenden Slums, wohnte, wohl
in Hinblick auf die kostenlose Unterhaltung, der Trauung bei und
hielt nun an dem lauwarmen und feuchtschwülen Nachmittag ein
kurzes Nickerchen in den kühlen Gewölben des
Kirchleins.
Trotz alledem – die Hochzeit wurde ein schönes,
unvergeßliches Ereignis für Rosa und Gemahl Hubert.
Auch wenn es nicht so nobel herging, wie die Gesellschaftsrubriken
täglich in Wort und Bild von den Traumhochzeiten berichteten.
Das Brautpaar und die weiblichen Gäste fuhren
anschließend zum Fotografen. Es war ausgemacht, daß
die Männer inzwischen einen Pub besuchen durften, bis sie von
einer Bekannten mit einem riesigen Buick wieder abgeholt werden
würden.
Wie sie so an der Theke standen und einander zuprosteten, wurden
sie von einem herumlungernden Pensionisten, dessen Rente, nach dem
Äußeren zu beurteilen, nicht sehr hoch sein konnte -
angestänkert und nach den Maiglöckchen auf ihren
Kragenaufschlägen befragt.
Was das bedeute? Hochzeitsschmuck?? Das seien keine australischen
Hochzeitsblumen!!! Ob sie es nicht für notwendig erachtet
hätten, sich wenigstens diesen australischen Brauch
anzueignen?
Einer der deutschen Ehemänner erklärte ihm geduldig,
falls er nochmals heiraten sollte, würde er
selbstverständlich australische Blumen anstecken. Bis jetzt
sei ihnen leider von der Existenz einer spezifisch einheimischen
Hochzeitsblume nichts bekannt gewesen. Er möge die
Maiglöckchen daher entschuldigen. Der Mann gab sich damit
zufrieden und gesellte sich in dem zerschlissenen khakifarbenen
Militärmantel wiederum seinem Kumpel zu, dem das Bier
über das stoppelige Kinn lief, dann den Hals in dünnen
Bächlein hinunter rann und schließlich auf der
behaarten Brust versickerte.
Sicher ein unscheinbarer Zwischenfall, dem aber, genauer
betrachtet, eine dramatische Bedeutung beizumessen war.
Was ging in den Gehirnen der beiden Gruppen vor sich?
Der alte Australier, einigermaßen schäbig gekleidet,
vermutlich aus eigener Schuld, da er die Rente aus Mangel an
anderer, sinnvoller Beschäftigung versoff, war durch den
Alkoholgenuß streitsüchtig geworden. Die Gruppe der
Europäer, aus besonderem Anlaß gut gekleidet und
gehobener Stimmung, stach im ins Auge.
Da seht euch die bloody migrants an, wird er vermutlich gefolgert
haben, wie sie im Leben vorwärts kommen und uns Australier
links liegen lassen! Und, konnte man nicht tagtäglich in den
Zeitungen lesen, daß diese Europäer hierzulande ihre
Sitten und Gebräuche so unbekümmert ausübten, als
ob s i e die Herren dieses Kontinents wären? Unerhört
und lächerlich! Dagegen mußte man einschreiten!
Und so war es auch gekommen.
Die Deutschen und Österreicher hingegen überlegten, wenn
überhaupt: Wegen euch besoffenen Brüder in dem tristen
Zustand geben wir unsere angestammten und jahrhundertelang
ausgeübten Gebräuche noch lange nicht auf. Da
müßt ihr uns schon ein bißchen mehr zu imponieren
versuchen!
In der Elizabeth Street, in der Innenstadt von Melbourne, entstand
ein weiterer kleiner Aufruhr, als die Hochzeiter, entgegen der
üblichen Sitte, die paar Schritte zum nahegelegenen
Continental Restaurant in voller Aufmachung zu Fuß
zurücklegten.
Der ungarische Geschäftsführer hatte wirklich gut
vorgesorgt, mit großem Behagen ließ Willi das
Paprikahuhn, die Wienerschnitzel und die erlesenen Salate in
seinem nimmermüden Magen verschwinden. Diskret servierte der
Kellner Wein in Limoflaschen – alkoholische Getränke durften
aus unerfindlichen Gründen in einem Restaurant nicht
ausgeschenkt werden. Die Stimmung hob sich beträchtlich, als
Rosa ihren Angetrauten wegen einer heiteren Szene beim Fotografen
auf den Arm nahm. Der Mann hatte nämlich auf das Faktum
aufmerksam gemacht, daß in Australien die Frau die Hosen
trägt, pardon, der Boß ist. Die Braut müsse sich
daher an die linke Seite ihres Gemahls stellen!
"Aber ausnahmsweise gestatte ich dir, die führende Rolle als
starkes Geschlecht weiterzuspielen!" flüsterte sie ihm mit
einem schelmischen Augenaufschlag zu.
Am Nebentisch blickte eine vornehme, etwa fünfzig Lenze
zählende Dame, versonnen und verzückt zugleich zur Braut
herüber, die zwar nicht mehr ganz taufrisch, deswegen aber
nicht weniger glücklich lächelte. Kurz bevor sie an der
Seite ihres eleganten Mannes das Lokal verließ, gab sie
einem momentanen Impuls nach, reichte Rosa die Hand und
wünschte ihr von Herzen "Good Luck" für die Zukunft.
Die Frauen der deutschen Gäste hatten inzwischen in Fitzroy
ein kleines Häuschen festlich mit Girlanden geschmückt,
Torten und Sandwiches vorbereitet sowie Bier und Wein
kaltgestellt.
Den ganzen Nachmittag war es Willi nicht gelungen, aus sich
herauszugehen. Erst nach Mitternacht riß es ihn
plötzlich hoch und er legte zu den Klängen aus der
Musiktruhe einen Rock 'n' Roll hin, daß den Leuten die
Spucke weg blieb. In der letzten Ekstase landete er auf einem
abgeräumten Tisch und steppte los, sodaß man ihn
hinterher allen Ernstes fragte, ob er denn Berufstänzer
sei.
"Nein, beileibe nicht", keuchte er, "ich bin im nüchternen
Zustand nicht fähig meine Beine im Takt zu bewegen!"
"Das gibt es ja garnicht!" rief einer. "Du mußt nur deine
Hemmungen ablegen, dann sieht man ja, was dabei herauskommt!" Ohne
es zu merken, war der schüchterne Höger mitten drin in
einem Prozeß, der ihn auf drastische Weise lehrte das Leben
voll auszukosten – und so seine Minderwertigkeitskomplexe zu
verlieren...
* * *
Am Nachmittag dieses Sonntages besuchte ihn Werner Benke und
säuselte ihm kläglich gebrochen vor, daß es mit
seiner Freundin Gudrun wahrscheinlich gleich nach ihrer Ankunft
Krach geben werde. Schuld sei ein unüberlegter Brief, in dem
er ihre Treue angezweifelt habe. "In ungefähr einer Woche
wird ihr Schiff einlaufen. Wie gesagt, sie wird wütend sein.
Unsere guten Beziehungen stehen ernstlich am Spiel. Aber ich werde
mich trotzdem um ein Zimmer für sie bemühen. Kannst du
mir dabei helfen?" Willi erwähnte seine Wirtin und deren
großen Bekanntenkreis. "Sprich einmal mit ihr, die
weiß bestimmt was passendes."
Später tauchte Pedro auf, sein bulgarischer Nachbar von
nebenan, der ihn um ein Pfund anpumpte. Der schmächtig
gebaute, leichtfüßige Mann schien dauernd in Eile
begriffen zu sein und fortwährend geheimnisvollen Dingen
nachzujagen, die Willi für sein Leben gerne enträtselt
hätte. Wenn er von der Arbeit heimkehrte stand der Mann mit
der dunkelbraun getönten Haut gewöhnlich schon am
Gasherd, um in einer großen Aluminiumpfanne Unmengen von
Zwiebel, Knoblauch und Karotten zu rösten. Der Geruch
wanderte über die ganze Veranda, um dann auf die Straße
hinunterzusinken, wo die vorübergehenden Leute nach allen
Seiten in die Luft schnupperten. "Mit dem Zeugs kannst du die
ganzen Aussies in die Flucht schlagen!" äußerte er sich
einmal über die Kochkünste seines Nachbarn vom
Balkan.
"Ich weiß, Australier nicht lieben Knoblauch – aber
Australier sein sehr dumm. Bulgaren wissen, daß sehr gesund.
Und deswegen essen viel Knoblauch und Zwiebel!" hatte der Mann mit
dem kleinen Körper und dem unwahrscheinlich großen Kopf
darauf geantwortet, fletschte sein blendend weißes
Roßgebiß und rührte weiter in der Soße
um.
Derzeit arbeitete er als Cleaner für eine größere
Gesellschaft und verdiente magere 14 Pfund die Woche. Seinen
erlernten Beruf als Bohrmeister konnte er nach einem schweren
Nervenschock, erlitten in einem Tunnel der Snowy Mountains, nicht
mehr nachgehen. Stolz zeigte er Willi eines Tages die
Leistungsplakette, die ihm von seiner ehemaligen US-Firma
verliehen worden war: " Für Weltrekord im Tunnelbohren – 447
Feet in einer Woche." Verliehen an ihn, an Pedro den
Knoblauchfresser, mißachtet von der Bevölkerung des
Landes, dem diese Leistung diente.
Trotz aller vitaminösen Zuschüsse war Pedro biologisch
am absteigendem Ast. Jeden Abend klagte er sein Leid über den
rapiden Haarausfall, der seine prächtige schwarze Mähne
bedrohte. Unzählige Fläschchen und Tiegelchen mit
Haarwuchsmittel reihten sich auf der Kommode in seinem Zimmer. Der
Österreicher wunderte sich, daß dem Mann überhaupt
noch Geld zur Lebenserhaltung blieb – bei dem Aufwand.
"Ja, es ist schon einmal so", pflegte er regelmäßig zu
dozieren, wenn er prüfend die eben ausgerissenen Büschel
am Kamm betrachtete. "Manche Einwanderer verlieren ihre
Zähne, manche ihre Haare – und nicht wenige den
Verstand!"
Nun, Willi konnte dieser Einwandererweisheit nur wohl oder
übel beipflichten, denn er bekam nun ernstliche
Schwierigkeiten mit seinen Zähnen. Der Kiefer rechts unten
und links oben schmerzte bedenklich wenn er nur leicht gegen die
Backe drückte. Dann war ihm, als ob seine kräftigen
Beißerchen den Halt verloren hätten und locker im
Knochen herumwackelten. Der Zustand seines Gebisses bedrückte
ihn nicht wenig, zumal seit der Landung in Australien die
Schwierigkeiten diesbezüglich nicht mehr aufhörten.
Pedro hatte ihm versprochen, das Geld morgen oder übermorgen
zurückzugeben. Er tauchte aber erst Donnerstag spät am
Abend auf. "Was ist denn los mit dir?" erkundigte sich Willi
verwundert, als sich Pedro schwerfällig auf einen Stuhl
fallen ließ. Eine Art, die bei ihm direkt komisch
anmutete.
Er stockte einen Augenblick, holte tief Luft und
äußerte mit belegter Stimme: "Ein Freund von mir, ein
Tscheche, hat sich heute Früh mit Gas vergiftet... Er war mit
einer Australierin verheiratet.
Sie sagt, sie fährt vierzehn Tage zu ihren Eltern, bleibt
aber zwei Monate weg. Gestern verlor er beim Pokern 10 Pfund – das
gab ihm den Rest. Als ich jetzt am Abend bei ihm anklopfte, teilt
man mir mit, daß er tot ist..." Pedro nickte mit dem viel zu
großen Kopf und sah Willi aus den treuherzigen braunen Augen
forschend an.
"Ein Drama, was?... Weißt du, was ich in meiner Freizeit
mache, wenn ich nicht in meiner Bude hocke?
Da jage ich zusammen mit einem Privatdetektiv hinter m e i n e r
Frau her! Ebenfalls eine Australierin! War vor der Hochzeit ganz
nett. Drei Tage nach der Trauung gibt sie mir auf Vorwürfe
meinerseits, sie vernachlässige unsere Werkswohnung, zur
Antwort: Sie habe mich ohnehin nur wegen meines Bankkontos von
1500 Pfund geheiratet!"
Weiters, erzählte er, habe er starke Verdachtsmomente
gefunden, daß sie während seiner Arbeitszeit
regelmäßig einen Boyfriend in die Wohnung lasse, und er
habe daher die Scheidung beantragt.
" Nichts kann ich mir mehr ersparen – mein halber Verdienst geht
allein für den Detektiv drauf, der mir schnellstens einen
Flagranti-Beweis für die Hurerei liefern muß. Ich habe
nicht die Absicht, drei Jahre geduldig zu warten, bis ich formell
von Tisch und Bett geschieden bin." Schockiert meinte Willi: "Aber
das sind doch sicherlich Einzelfälle,
Ausnahmefälle?"
"Na, mir sind allein zehn solche Schicksale bekannt," führte
'Don Pedro' aus. "Alles dasselbe: erschossen, erhängt,
vergiftet, davongelaufen! Keine einzige Ehe zwischen einem
Europäer und einer Australierin, zumindest aus meinem
Bekanntenkreis, ist wirklich glücklich."
Der Österreicher hatte in der Vergangenheit natürlich
auch die Beziehungen zwischen Mann und Frau soweit unter die Lupe
genommen, als ihm dies möglich gewesen war. "Ich denke die
Weiber hier sind zu dumm, um ein anständiges Leben an der
Seite ihrer Ehemänner zu führen. Wenn man bloß an
die millimeterdick gepuderten Wangen denkt, die aussehen, als
kämen die Trägerinnen geradewegs aus der Fastnacht heim.
Kein Wunder, wenn sie längstens mit dreissig Jahren eine
vollständig ausgetrocknete Haut haben, die sich in Runzeln um
die mageren Gestalten wirft!"
"Na, da hast du es ja", meinte Pedro trocken und trug nun
seinerseits gewagte Thesen zum Thema vor:
"Aber was speziell in gemischten Ehen ausschlaggebend ist: Erstens
können die Frauen großenteils nicht wirtschaften und
haben die Auszahlung vom Freitag bis längstens Montag Abend
durchgebracht. Bei den Männern ist es vielfach dasselbe. Der
Einheimische lebt mehr in den Tag hinein und legt sein Geld nicht
auf die hohe Kante wie der Europäer. Warum? Schuld daran ist
der Reichtum des Landes, der Überfluß, der sie noch nie
gezwungen hat ökonomisch zu denken. Der Europäer hat
Krieg und Not, unter Umständen mehrmals in einer Generation,
erfahren und weiß daher, daß er vorsorgen
muß!
Aber noch etwas anderes trägt den Keim des Zerfalls in diese
Ehen hinein, so paradox dies klingen mag: Australische Ehepaare
haben höchstens zweimal die Woche Geschlechtverkehr. Da die
europäischen Männer wesentlich öfter vögeln
und dabei mehr Glut und Feuer investieren, glauben die Frauen, sie
könnten aus der stärkeren Leidenschaft der Männer
auch materiell Nutzen ziehen. Genauso wie die Amerikanerinnen sich
ihren Männern einfach solange verweigern, bis sie ihren
Nerzmantel im Schrank hängen haben. Wie stupide diese Haltung
ist, um wieviel Glück sie sich dabei selbst betrügen,
wissen sie nicht. Insgeheim bewundern sie voll Neid die
europäische Frau, die ihrem Partner höchstes Behagen zu
vermitteln vermag – weil sie nicht egoistisch handelt.
Die Australierin? Die glaubt, daß es genügt, die Beine
zu spreizen, um den Mann an sich zu binden!"
Diese leidenschaftliche Anklagerede Pedros, des gehörnten
Bulgaren, lief allerdings nicht in flüssigem Deutsch ab,
sondern strotzte von Kraftausdrücken australischer
Provenienz. Was ihm sichtlich leicht fiel, gehörte er doch
wahrlich nicht der High Society des Landes an.
* * *
Die Abende in dem fensterlosen, engen Raum wurden ihm langsam zu
langweilig. Schweren Herzens trennte sich Willi von 12 Pfund
seines sauer ersparten Kapitals und erstand einen gebrauchten
Radioapparat. Ein 'Luxus', den er sich sinnvollerweise schon ein
halbes Jahr früher hätte leisten sollen, viele einsame
Stunden wären ihm leichter gefallen.
Werner Benke, welcher der Ankunft seiner Freundin unruhig und
rastlos entgegenfieberte, hatte auf der Straße zufällig
einen Malteser getroffen, den er seit der Überfahrt
kannte.
Zusammen mit dessen Frau sowie Werner und Willi besuchten sie am
Wochenende eine Großfamilie aus Malta, der zahlreiche
Söhne und eine siebzehnjährige Tochter angehörten.
Australische Mädchen ihres Alters liefen durchwegs mit voller
Kriegsbemalung durch die Gegend und klapperten meistens schon mit
künstlichen Zähnen – aber bei dem Girl war alles echt,
wo man auch hinsah.
Während sich Werner mit dem patriarchalischen
Familienoberhaupt unterhielt, begann Willi ein Gespräch mit
dem Subjekt seiner stillen Bewunderung. Wie üblich glitt die
Unterhaltung auf die Ebene "Wir und Australien" über.
Der Österreicher lernte bei dieser Gelegenheit, daß es
den aus südlicheren Breiten stammenden Menschen noch viel
schwerer fiel, mit dem Inselvolk einigermaßen gut
auszukommen. Ohne ein Wort der Klage, ohne daß der geringste
Vorwurf herauszuhören gewesen wäre, erzählte ihm
das junge Mädchen, wie ein kleiner Italienerjunge aus der
Nachbarschaft heulend nach Hause gekommen war, weil er von seinen
australischen Spielgefährten "Dago" (südamerikanischer
Mischling) angeschrien worden sei.
"Das brennt natürlich auf der Haut", setzte sie stolz und
scheinbar gleichmütig hinzu.
Derartige Eindrücke negativer Art verhalfen dem jungen
Österreicher nicht gerade zu einer positiven Einstellung
gegenüber seinen australischen Kollegen. Er war viel zu
ehrlich und integer, um mit seinen Gefühlen ein Doppelspiel
zu treiben. Innerlich distanzierte er sich weiter von seinen
einheimischen Bekannten, so unvoreingenommen er sich auch
wähnte.
Zwei Tage später warteten Werner und dessen Freund im
Hauptbahnhof auf Gudrun. Auf einmal entdeckte Willi mitten in der
Halle ein blondes Mädchen, das suchend um sich blickte. Nach
den Fotos zu schließen die er gesehen hatte, stand das
Ebenbild vor ihm. Nach der ersten freudigen, wenn auch ein wenig
reservierten Begrüßung, bummelten die drei
gemächlich durch die hellerleuchteten Straßen nach
Hause. Gudruns Gepäck lagerte noch im Frauencamp.
Natürlich bemühte sich Werner eifrigst, bei seiner
Freundin einen möglichst günstigen Eindruck zu
hinterlassen. Eifersüchtig versuchte er Rechte zu wahren, die
ihm Willi augenblicklich in keiner Weise streitig machen wollte.
Die junge Dame schien sichtlich erleichert, daß es ihnen
gelungen war, ein Zimmer für sie aufzutreiben.
Im Laufe des Gespräches erwähnte sie, daß sie
versuchen wolle bei Mayer's, dem Großkaufhaus, als Mannequin
anzukommen. Über soviel Zielbewußtsein konnten sich die
beiden Herren nur wundern. Schließlich war die Berlinerin
doch erst gestern in Melbourne gelandet, besaß jedoch
bereits Lokalkenntnisse, die verblüfften. "Viel zu gut
für Werner, den Dampfplauderer. Könnte sie ihm
ausspannen, dessen bin ich sicher", erwog Willi gerade, als sie
sich mit der Zimmerwirtin von Gudrun unterhielten.
"Und wo ist Ihr Girlfriend?"
Die Stimme der Wirtin ließ ihn aus seinen nicht sehr noblen
Gedankengängen emporschrecken. Auch die Berlinerin blickte zu
Willi herüber, aufmerksam, forschend.
"Leider", meinte der lächelnd. "Leider habe ich noch keine
gefunden."
* * *
Er gelangte langsam zur Erkenntnis, daß auch im
Konstruktionbüro nur mittelmäßige Talente
saßen. Zwei Gewindebohrungen an der Kurbelwelle eines
Dieselaggregates bereiteten ihm Kopfzerbrechen. Nur zögernd
vermochte er aus Ted Spranger eine Antwort herauszuquetschen. Das
mußte ihm doch im Laufe seiner Praxisjahre x-mal
untergekommen sein! Zum ersten Male stieg in ihm der Verdacht
hoch, Ted hielt nicht nur ihm, sondern auch den Australiern
gegenüber mit seinem Wissen hinter dem Berg. Als er einen
Vorschlag, den Ted rundweg abgewiesen hatte, zufällig in
einer Montagehalle bereits ausgeführt vorfand, riß er
die Augen verwundert auf.
Ted war kein mittelmäßiger Techniker, wie Willi annahm.
Sein Wesewnsart erwies sich auch nicht als so zynisch und
heimtückisch, wie es den Anschein hatte. Aber Ted hatte dem
jungen Österreicher an die fünfzehn Jahre Erfahrung
voraus. Er wußte, daß man im Industriemilieu mit
Wissen, Können und Ehrlichkeit allein nicht vorankommt, denn
der Konkurrenzkampf der vielen emporstrebenden Angestellten ist
beinhart. Er wußte, daß man speziell in der Fremde,
nicht gleich mit allen Geschützen auffahren darf. Daß
man als Ausländer besser sein Licht unter dem Scheffel
stellt, da es sonst leicht frühzeitig durch die Giftgase der
Neider und Hasser ausgeblasen werden kann. So sah er in Willi von
vorneherein einen Konkurrenten, von dem er erwartete, daß er
genauso mit allen Mitteln um den Weg nach Oben kämpfen
würde, wie die meisten anderen im Saal. Er war es
gewöhnt, Neid und Verleumdung um sich zu erleben und
versuchte mit denselben Instrumenten seine Existenz zu
verteidigen. Der verheiratete Engländer, dessen Lebenssinn
die Wohlfahrt seiner Familie darstellte, erkannte aber
allmählich, daß Willi ihm anvertraute Dinge nicht gegen
die Interessen des Informanten benutzte. Und so änderte Ted
sukzessive seine Haltung.
Willi konstatierte dies höchst überrascht, als er kurz
vor Fertigstellung einer umfangreichen Konstruktion den
betreffenden Spezialisten aufsuchen wollte und Spranger die
Zeichnungen nur flüchtig durchsah, jedoch in beiläufigem
Ton erwähnte: "Nebenbei gesagt – Ingenieur B. ist ein
begeisterter Anhänger des Motorboot-Rennsports. Das ist sein
Hobby..." Dann drehte sich Ted Spranger auf dem Absatz um und
ließ sich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, auf seinem
Hocker nieder.
Heiße Freude erfüllte den Österreicher, er war nun
sicher, er hatte in Ted einen wirklichen Freund in der Abteilung
gefunden. Einen wohlwollenden Freund, der noch dazu eine leitende
Stellung einnahm.
* * *
Der 22.November 1956 näherte sich, der Beginn der Olympischen
Spiele in Melbourne. Der australische Sommer mit seinen immens
hohen, unangenehmen Temperaturen, brach herein. Wochen vorher
hatte es nur geregnet, und das Veranstaltungs-Komitee bangte um
den reibungslosen Ablauf der bevorstehenden Ereignisse. Aber heute
strahlte die Sonne unbarmherzig hernieder. Willi lag ermattet auf
dem Bett und hörte sich ein Opernkonzert an. Der Moderator
von der Station 3KZ meldete sich eben: "La Mére von Claude
Debussy, gespielt vom Wiener Symphonischen Orchester." Und er
fügte noch eine Anmerkung hinzu, die den Österreicher
mit stiller Freude und Stolz auf sein Vaterland erfüllte:
"Nach Anhören dieser PLatte werden Sie zugeben müssen,
daß das eine der besten Aufnahmen ist, die Sie je
gehört haben!"
Als die Luft sich ein wenig abgekühlt hatte und der Nachtwind
durch die Bäume des nahegelegenen Parks strich, begab er sich
auf die Straße hinunter, um noch frische Luft zu
schöpfen. Über dem Zentrum der Stadt lag ein auffallend
heller, rötlicher schimmernder Abglanz, der sich irgendwie
von der Abstrahlung der normalen Reklamebeleuchtung unterschied.
Richtig, die olympische Fackel war entzündet worden. Die
Zeitungen quollen über voll Begeisterung über die
praktische Ausführung der Idee.
Sein Freund Werner suchte ihn jetzt nicht mehr auf, da er vollauf
mit Gudrun beschäftigt war: Sie gab ihm manche harte
Nuß zu knacken.
Allein schlenderte er durch die breiten Prachtstraßen,
genoß das Menschengetriebe, das da in Form von zehntausenden
Besuchern aus allen Teilen Australiens, der pazifischen Inseln,
Amerikas, des Orients und Okzidents über die Gehsteige
flanierte. Für den Tag der Eröffnung der Spiele hatte
seine Firma die Arbeiter und Angestellten freigestellt. Der
morgige Tag würde seine Kräfte brauchen. Erwartungsvoll
sah er ihm entgegen.
Gegen die Mittagszeit spazierte er in Begleitung Pedros zur
Melbourne Town Hall, begierig, die Ankunft des Herzogs von
Edinburgh zu erleben, der die Feierlichkeiten eröffnen
würde. Überall wirbelten aus Pappkarton hergestellte
farbige Girlanden zwischen den Masten der
Straßenbeleuchtung, riesige Sperrholz-Konstruktionen
stellten symbolisch Buschnegerfiguren dar, die sich die
Hochhäuser emporrankten. Blumenarrangements
grüßten die Besucher des "größten
Olympischen Ereignisses, das die Welt je erlebt hat!"
Endlich vermochte Melbourne zu beweisen, daß es bedeutender,
schöner, fröhlicher war als Sydney – ein ewiger Streit
um Überlegenheit, der immer wieder aufs neue aufflammte. Wie
verschiedenartig die Menschen auch sonst zu sein schienen, die
Grundprobleme blieben anscheinend überall dieselben.
"Auf die österreichischen Verhältnisse übertragen
läuft es simpel auf den Wettstreit zwischen Villach und
Klagenfurt hinaus – der besonders zur Faschingszeit stark
entflammt", dachte Willi vergnügt, wenn er die Berichte las.
Oder die Bäume auf der Collins Street, sollte man sie
umhauen, um dem anschwellenden Verkehr Platz zu schaffen?
Überall die selben Probleme. Wie soll man Rowdies beikommen,
die hordenweise Kirchen demolieren und plündern? Nein, soweit
war es in der Heimat noch nicht gekommen. "Aber wir sind ja meist
hinten dran, in Austria...", gingen seine Gedanken rund.
An die 20 000 Menschen säumten dichtgedrängt die
Umgebung des Rathauses. Tribünen stöhnten unter der Last
der Schaulustigen, Radioreporter und Fernsehkameraleute
wetteiferten miteinander, drängten sich auf den Balkons der
Geschäftshäuser. Am Himmel drehte ein Reklameflieger
seine Schleifen: "Overall-Weine."
Ja, die Weinfirmen hatten Werbung notwendig, sehr sogar. Auch
Pedro hatte ihm geraten, lieber Bier zu trinken. Die billigeren
Weinsorten seien mit Giftstoffen angereichert, die das
Nervensystem angreifen. "Sieh' dir doch die Einheimischen an!
Neunzig Prozent von ihnen trinken Bier, Bier und nochmals Bier.
Wein wird verächtlich 'Fusel' genannt. Ob wirklich mit Recht,
kann ich nicht beurteilen. Aber laß die Finger von dem
billigen Gesöff!"
Unruhe durchwogte die buntgemischte Menschenmenge in der
heißen Mittagssonne. Jetzt sprengte die berittene Polizei
mit weißen Tropenhelmen daher. Jeden Augenblick konnte der
Duke auftauchen! Er ist da! Die Menge tobt vor Begeisterung. Kein
Wunder, der Herzog spricht sehr männliche und
einschmeichelnde Worte, die wie Balsam auf die Volksseele wirken:
"... und gleichzeitig benutze ich die Eröffnung der Spiele in
Melbourne als Vorwand, wieder hierher zurückkehren zu
können!"
Bravo! Hurra!! Ohrenbetäubender Beifall toste auf. Der Herzog
verstand es, die Australier an der richtigen Stelle zu packen,
nein, einzuwickeln. Da waren sehr charmante und wohlüberlegte
Sätze gefallen. Sein schwarzes Jaguar-Cabriolet rauschte
vorbei. Nur Bruchteile von Sekunden huschte der Rand der
goldbetressten Mütze vor seinem Kameraobjektiv vorbei.
Um die Eröffnung nicht zu versäumen, machte sich Willi
Höger unmittelbar danach auf dem Weg zum Stadion.
Das kreisrunde Stadion war an der Frontseite modernisiert worden.
Von den Fahnenstangen flatterten die bunten Symbole der
teilnehmenden Nationen, Kurzwellenantennen wurden von Technikern
umringt, Flugzeuge und Hubschrauber kreuzten in geringer Höhe
über den Zuschauermassen. Kind und Kegel lagerte auf dem
verdorrten Rasen, suchten Schatten unter Parkbäumen oder
kämpften verbissen um eine Flasche Limonade in den
Verkaufszelten, wo die Luft heiß und unerträglich
stickig war. Immer auf der Suche nach exotischen Gestalten,
knipste Willi Pakistani mit hohen Schaffellmützen,
grünen Jacken und weißen Hosen, zierliche Japanerinnen,
stämmige Russen und ebenholzschwarze Neger aus Nigeria.
Auch die Heilsarmee durfte nicht fehlen. Sandwichmänner,
Knaben von zwölf Jahren, marschierten über die staubigen
Flächen mit Plakaten, auf denen es drohend
herunterschrie:
DER LOHN DER SÜNDE IST DER TOD.
Da es Willi nicht gelungen war, Karten für die
Eröffnungszeremonie zu ergattern, begnügte er sich
damit, hinter einem Drahtzaun aus einiger Entfernung den Einmarsch
der Nationen zu verfolgen.
Endlos zogen sie vorüber: Große und kleine Gestalten,
entschlossen und grimmig dreinblickende Osteuropäer,
lächelnde Schlitzaugen, selbstbewußte Amerikanerinnen
und leichtfüßig tänzelnde Italienerinnen. Je nach
Nation und Sympathie heulte die Menge auf oder klatschte nur
mäßig Beifall. An den immer wiederkehrenden Flaggen des
Commonwealth bekam der junge Österreicher eindrucksvoll vor
Augen geführt, wie mächtig und weltbeherrschend das
Mutterland dieser Nation Australien einmal gewesen sein
mußte, welch' geistigen Bande dieses "English Commonwealth
of Nations" noch immer verknüpfte. Wie armselig und verloren
wirkte dagegen das kümmerliche Häufchen der
Österreicher, das da eben vorbeizog.
Welch unbedeutende Rolle mußte dieses Land in den Augen des
Durchschnittsaustraliers wohl spielen? Und doch – aus seinem
Blickwinkel konnte dieses kleine Land mit den größten
und mächtigsten Staaten auf vielen Gebieten erfolgreich
konkurrieren. Die nationalen Überlegenheitsgefühle der
Australier waren unbegründet. Gewiß, sie hatten in den
ungefähr 270 Jahren seit der Landung der ersten Siedler auf
diesem Kontinent viel und unter schwierigsten Bedingungen
geleistet. Aber in seinen Augen war bis dato alles
mittelmäßig geblieben, in jeder Beziehung...
"Hallo! Höger!" brüllte auf einmal jemand seinen Namen.
Es kam ihm vor, eine Stimme direkt aus dem Himmel rief ihn. Da, im
Geäst eines Baumes hockte Erwin der Textiltechniker, den er
des längeren aus den Augen verloren hatte. Erwin kletterte
nun herunter, begrüßte ihn stürmisch und schleppte
ihn zu einem Wagen. "Gehört einem Freund von mir!"
erklärte er. "Du hast doch Zeit mit uns zu fahren?"
Während Erwin zuhause ein Duschbad nahm, hörte Willi die
Durchsage im Radio, daß ein Amerikaner und ein Jugoslawe
während der Feier im Stadion zusammengebrochen waren. Die
Hitze war ja wirklich zum aus der Haut fahren! Und das stellte
erst den Anfang der sommerlichen Schwüle dar.
"Du hast aber eine tolle Bude!" bemerkte Willi, als Erwin
zurückkehrte. "Klein, sonnig, nett eingerichtet, wunderbarer
Ausblick – alles da!"
"Und wenn ich dir erst den Eigentümer und Vermieter
vorstellen könnte! Ich sag' dir, ein Pfundskerl. Ein
älterer Australier, schon ein wenig herumgekommen in dieser
Welt. Er hält mich wie einen Sohn, ebenso seine Frau. Ich
gehe hier aus und ein, wie es mir beliebt. Benütze
Kühlschrank und Badezimmer, genauso wie das Wohnzimmer. Und
er hat nichteinmal etwas dagegen, wenn ich gelegentlich eine
Freundin mit heraufschleppe! Soetwas findest du zuhause nicht
leicht."
"Was treibst du sonst eigentlich?"
"Ich arbeite in einer Fabrik am Webstuhl. Bekomme an die Pfund
16/10 heraus."
Auf der Straße vor dem gepflegten Haus lehnte Erwins leicht
verlotterte Jawa. Der junge Mann stand anscheinend mit der ganzen
Nachbarschaft auf bestem Fuß, grüßte den mit
"Hello!" oder jenen mit "How are you going?" Erwin war ein flotter
Bursche, unbekümmert und wenig zielbewußt, aber
herzlich und goldrichtig. Höger nahm fast mit Sicherheit an,
daß er nicht ein Pfund auf der Bank liegen hatte.
"Wie gefällt es dir hier, so nach einem dreiviertel Jahr?"
erkundigte sich Willi.
"Ich muß sagen, ziemlich gut", antwortete Erwin. "Ich habe
einen großen Bekanntenkreis, komme selten vor Mitternacht
ins Bett – besuche eine Party nach der anderen. Werde dich
künftig mitnehmen, wenn du willst. Aber...", Erwin versank in
eine kurze Nachdenklichkeit, "...auf die Dauer kann das ja auch
nicht so weitergehen. Ich bin schließlich und endlich nur
Hilfsarbeiter. Und werde es auch bleiben, wenn ich nicht
größere Anstrengungen unternehme. Außer dem
Motorrad besitze ich praktisch nichts. Also steht meine ganze
Lebensführung auf fragwürdigem Grund."
Es war ja alles sonnenklar: Entweder man lebte – und man konnte
hier eine wirklich angenehme Existenz führen, vielleicht
angenehmer als sonstwo, oder man arbeitete auf ein Ziel drauflos
und knauserte mit jedem Penny. Das fiel genauso schwer wie im
Heimatland – eigentlich noch schwerer.
Willi fiel die Kartonschachtel in seiner dunklen Bude ein, wo
zeitweilig 15 Paar Nylonsocken von einem penetrant stinkendem
Dasein verkündeten und aufs Waschen warteten. Immerhin hatte
ihm die erklecklich Zahl den Spitznamen "Sockenkönig"
eingebracht. Er sinnierte weiter.
Zuhause konnte man stundenlang über grüne Wiesen wandern
und sich in der freien Natur erholen, sofern man die paar
Schilling für die Bahn ausgegeben hatte, lebte man in der
Stadt. Abgesehen von der Beach, wo die Menschen dichtgedrängt
wie die Sardinen in der Büchse, die Sonne auf das Hirn
scheinen ließen, gab es kaum vergleichbare
Erholungsmöglichkeiten. Bushwalking, das Wandern durchs
Buschgelände, stellte nach seinen Vorstellungen keinen
übertriebenen Spaß dar. Überall Staub, Hitze und
lauernde Reptilien. Man war also gezwungen, für
Vergnügungen aller Art viel Geld auszugeben. Wer dies tat,
konnte herrlich leben und der "easy way of living", der leichten
Lebensart, die der Aussie für sich gepachtet zu haben glaubt,
frönen. Das Leben hier ist ja so 'easy going,' so leicht und
unbeschwert! Das bleuten die örtlichen Gazetten
tagtäglich den Hirnen und Herzen der ahnungslosen
Inselbewohner ein. Ja, wenn man nur von einem Tag auf den anderen
zu disponieren gewillt war, stimmte das.
Aber wo stecken die australischen Millionäre?
Bleiben sie zu Hause und genießen sie den australischen
Lebensstil? Mitnichten!
Für neun Monate im Jahr findet man sie überall auf der
Welt, nur nicht in Diggers Paradies!
Der junge Wilde mit seiner Maschine drehte den Gasgriff noch
weiter auf, sie jagten über das Asphaltband nur so dahin.
"Deine Fahrerei ist aber nicht von schlechten Eltern", rief Willi
gegen den Wind in Erwins Ohr, dessen rasantes Vehikel ihn seiner
Behausung näher brachte. "Wäre nicht meine erste
Polizeistrafe!" brüllte der zurück.
Der leichtsinnige Kerl fühlt sich in dem Klima wohl, dem
fliegen die Herzen der Einheimischen zu. Aber ich, der ich ein
wenig abwägender, zurückhaltender bin, werde nun im
Büro bereits als arrogant angesehen. Scheinbar bin ich doch
nicht "the right type of immigrant", der richtige, der passende
Einwanderer, den man dauernd in der australischen
Öffentlichkeit diskutiert.
Solche und ähnliche Überlegungen stellte Willi am
Soziussitz an, während sie durch die Gegend brausten.
Aber soviel Willi Höger aus Leserzuschriften bisher hatte
entnehmen können, suchte man Menschen, deren Mentalität
und Traditionen möglichst den Bewohnern der Insel entsprach,
die möglichst nicht der katholischen Religion
angehörten, welche die technische Intelligenz der Deutschen
besitzen, jedoch bei Bedarf auch ohne weiteres als Kulis bei der
Zuckerrohrernte in Queensland eingesetzt werden können. Eine
Schufterei, die zur Zeit von Südeuropäern
durchgeführt wurde, die man aber wegen der dunkleren
Hautfarbe, dem lauten Benehmen und der sippenweisen
Zusammenrottung bis aufs Blut haßte und verachtete. Auf
keinen Fall gehe es an, und das betonte man in der
Öffentlichkeit immer wieder, daß die runde Million
Neuaustralier, die seit dem Kriegsende zugewandert war, die
Lebensart von neun Millionen Einheimischen maßgeblich
beeinflußten. Ganz egal, ob der Einwanderer nun ein Pommy,
ein bloody German oder bloß ein dunkelhäutiger Dago
sei. Immer wieder fragte sich Willi, mit welchem Recht der
Australier soviel an d e n Menschen auszusetzen hatte, die auf
Grund der Werbekampagnen, Aufrufe und Missionsstellen in allen
Ländern Europas ihr Schicksal vertrauensvoll in die
Hände dieses Inselvolkes legten. Waren sie minderwertigere
Menschen als die dominierende Rasse dieses Kontinents? Leisteten
sie weniger? Konnte man ihnen verübeln, daß sie
Geborgenheit und Schutz bei Landsleuten suchten, wenn die Aussies
mit höhnisch ausgestreckten Fingern auf die Fremden wiesen?
Daß es viele vernünftige, verständnisvolle und
intelligente Einheimische gab, wie etwa Erwins 'Landlord', bewies
unter anderem eine Leserzuschrift, die Willi sorgfältig
ausgeschnitten hatte und in seinem Koffer aufbewahrte.
"Weißt du, Erwin", gestand er dem Freund später, "die
ungeheuren menschlichen Probleme der 'Assimilierung', wie das
große Schlagwort hier lautet, verfolge ich beinahe wie ein
neutraler Beobachter. Obwohl ich zutiefst darin verwickelt bin!
Ich finde einfach die Ereignisse, in die wir verquickt sind, so
spannend und für die Zukunft des Landes so
bedeutungsvoll.
Lies dir bitte diesen Absatz durch und sag mir, ob es nicht ein
wunderbares Gefühl ist, daß es unter den zehn Personen,
die uns auf der Straße als eingefleischte Australier
gegenübertreten, wenigstens einen gibt, der seinen
Landsleuten mit Mut sozusagen das Wilde runter räumt!"
Erwin nahm das Blatt entgegen und begann zu lesen: "Wir wissen
alle wie wunderbar es ist, ein im Lande geborener, echter,
großzügiger und sportliebender Australier zu sein. Aber
wie lange soll es eigentlich noch so weitergehen, daß wir
die mehr als eine Million Australier mit dem Etikett
'Neuaustralier' auf Armeslänge von uns halten? Wenn sie
soviel Mut und Glauben an uns haben, um zu uns zu kommen, um uns
ihr eigenes und das Schicksal ihrer Kinder anzuvertrauen, dann
können wir wahrlich großmütig genug sein, um ihnen
'Willkommen' und 'Gut Glück!' zuzurufen.
Statt dessen wird jeder mit fremden Akzent, andersartigen
Geschmack oder europäischer Kleidung unbarmherzig
'Neuaustralier' genannt. Wann immer eine Messerstecherei gemeldet
wird, schreit jemand 'Neuaustralier!'. Und vergißt dabei die
Saufkultur der A l t – Australier!
Wir sind unseren Einwanderern gegenüber freundlich und
hilfsbereit – solange es nicht allzuviele Schwierigkeiten
verursacht. Aber wir unternehmen keinen wirklichen Versuch, sie
anzuerkennen oder sie zu verstehen.
Es ist an der Zeit, daß wir erkennen, daß wir alle im
selben Boot sitzen; und daß wir endlich lernen, Leute -
Einheimische und Neuankömmlinge – danach zu beurteilen, wie
sie sich aufführen – und nicht nach dem Maßstab der
Nationalität!"
Das Portrait einer hübschen jungen Frau, die nachdenklich,
versonnen, aber offensichtlich glücklich in die weite Welt
blickte, zierte die Spalte nebenan: "Sie ist aus Adelaide, oder
aus Amsterdam. Wer kann das schon sagen..., wenn es überhaupt
eine Rolle spielt?"
"Die zwei Zeilen Untertitel zum Bild drücken dasselbe aus,
wie der lange Artikel von vorhin", meinte Erwin nach kurzem
Schweigen. "Wenn alle Leute so denken würden – keine Minute
lang käme mir der Gedanke ans Nachhausefahren in den Sinn...
Aber mir gefällt insbesondere der Satz:'...Was spielt das
für eine Rolle, woher das Weib stammt?' Hübsch muß
sie sein!"
Damit war es mit dem Ernst des jungen Mannes auch schon wieder
vorbei; das Thema glitt automatisch über auf das Problem
Nr.1: Die Frauen in Australien.
* * *
Nicht ganz ohne Hintergedanken klopfte Willi eines Abends im
Halbdunkel des muffig riechenden Ganges an Gerhards Tür.
Insgeheim hoffte er, mit Judith zusammenzutreffen. Werner Benke,
Gerhards alter Bekannter, hatte sich seit Ankunft seiner Freundin
Gudrun hier nicht mehr blicken lassen. Und Willi beabsichtigte
auch nicht, ihn in seinem Glück zu stören. Aber die
reine Männergesellschaft, von der er umgeben war, ging ihm
zeitweise auf die Nerven. Pedro mit der ewigen
Zwiebelrösterei, dem hastigen Fortlaufen in die Nacht hinaus,
immer auf den Spuren seiner trauten Ehegattin. Aber auch Jimmy und
Robert, das Brüderpaar aus Irland, die zwei Türen weiter
wohnten und vor Langeweile umzukommen drohten. Die Spanier im
Parterre mit ihren stundenlangen Palavern, endlosen Diskussionen
über dieses Land und seine Frauen...
An diesem bewußten Abend hegte der junge Mann den
verständlichen Wunsch, einmal rotlackierte Nägel statt
schwarzumrandeter Fingerkuppen zu sehen, einer weicheren,
sanfteren Stimme statt den heiseren, schrill aufstoßenden
Lauten der Männer zu lauschen.
Es war Willi bekannt, daß Gerhard Briefmarken sammelte. Dies
gab ihm einen plausiblen Vorwand, zu diese Tageszeit in die
Wohnung zu krachen. Während nun Judith in der Küche Tee
zubereitete, erkundigte sich Willi so nebenbei, wie es um Judith
und ihm stünde, ob er beabsichtige, sie zu heiraten? "Nee,
Gott bewahre", gab er zur Antwort. "Sie ist ja ein netter,
gutmütiger Kerl, aber daß ich vielleicht für sie
und die beiden Kinder schufte – kommt nicht in Frage. Auch wenn
sie mir jetzt noch so schön Tee kocht."
"Was? Sie hat zwei Kinder?" Willi war einfach platt.
"Ja, ist in Scheidung begriffen. Wie eben jede siebente Ehe in
Australien flöten geht", bemerkte Gerhard gleichmütig.
Er setzt hinzu: "Unser Verhältnis ist übrigens ein rein
kameradschaftliches."
"Ich denke, das hättest du mir nichteinmal zu sagen
brauchen", dachte Willi. "Da liegt nämlich der Hase im
Pfeffer. Deine Eigentümlichkeiten, an der dein Freund Werner
öfters herumhackt – erklärt sich aus deiner Einstellung
zum weiblichen Gechlecht. Unter dieser zur Schau getragenen
Kälte, dieser abweisenden Haltung, steckt ein tiefes
Verlangen nach einem sauberen, innerlich und äußerlich
sauberen Mädel."
Und da kam auch schon die Bestätigung seiner
Überlegungen. "Wenn ich überhaupt heirate, dann nur ein
Mädchen, wie die 17-jährige Brigitte, die ich vor meiner
Abreise aus Deutschland kennengelernt habe – nett und
unverdorben!"
"Dann hol' sie doch rüber!" rief ihm Willi zu.
"Denke, das geht nicht. Ihre Eltern würden das nicht
erlauben. Etwas feinere Leute, weißt du!"
Gerhard berichtete von seinen Eindrücken aus dem Olympischen
Dorf, wohin er für die Dauer der Spiele von seiner Firma
versetzt worden war. "Ich muß euch Österreichern als
Ganzes ein Kompliment machen", meinte der Berliner im
Gespräch. "Als Individuum seid ihr Österreicher viel
schneller und wahrscheinlich reifer als wir – sowohl bei den Girls
als auch beim Englisch lernen. Ich kann das einwandfrei bei den
Olympiateilnehmern feststellen. So komisch das klingen mag,
herrscht deshalb im Olympiadorf Heidelberg dauernd eine gewisse
Spannung zwischen Euch und den Bundesrepublikanern!"
Gerhard wurde schläfrig und nickte kurz darauf draussen im
Wohnzimmer ein. Der Österreicher setzte sich zu Judith in die
Küche und schwatzte drauflos. Er erzählte der um einige
Jahre älteren Australierin seine Reiseabenteuer in Italien:
Wie er einmal ein einem Nonnenkloster übernachtet hatte, wie
er sich vor Hunger den Bauch mit Weintrauben vollgestopft hatte...
und dergleichen amüsante Dinge mehr. Judith unterhielt sich
köstlich. Willi konnte sich bereits ziemlich fließend
in Englisch ausdrücken – er war nicht wenig stolz darauf -
aber er verdrehte manchesmal bewußt und willkürlich die
Ausdrücke, um die Australierin noch mehr zum Lachen zu
reizen.
"Her mit einem Blatt Papier!" rief sie plötzlich aus, "Das
muß niedergeschrieben werden! Wenn du dieselben Vokabeln
verwendest, wird das ein Bestseller unter der humoristischen
Literatur dieses Landes!" Sie gluckste nur so vor Heiterkeit. "Ich
habe mal ein Buch gelesen, das im Stile eines noch nicht
allzulange im Lande lebenden Neuaustraliers geschrieben war – also
ich habe mich beinahe totgelacht!" rief sie nun aus.
Gerhard schrak durch die Heiterkeitsausbrüche in der
Küche aus seinem Schlummer hoch. "Was ist denn da drinnen
los?" erkundigte er sich schlaftrunken. Judith erklärte ihm
das ganze Theater und fügte laut und ein wenig vorwurfsvoll
hinzu: "Work and no enjoy makes Gerhard a dull boy!"
Scheint ihres Freundes – oder ihres Bekannten? – ein wenig
müde zu sein, sonst würde sie sich kaum so
äußern, dachte Willi pikiert. Aber vielleicht will sie
ihn auch nur provokant aufpulvern, ist ja auch möglich.
Judith plauderte weiter und versuchte den Österreicher zu
überzeugen, daß die Deutschen nach Ansicht der
Australier viel zu sehr in ihrem Beruf aufgingen. "Das ist der
Trouble mit euch Germans", meinte sie. "Ihr arbeitet wie
verrückt; und wenn ihr mit dem Kopf nicht gleich durch die
Wand könnt, spielt ihr gleich verrückt!"
Dagegen ließ sich wenig einwenden, überlegte Willi,
enthielt sich jedoch jeder Äusserung. Sollte er die
Anfeindungen erwähnen, denen er in zunehmenden Maße bei
Mills Ltd. ausgesetzt war? War es so schwer zu begreifen,
daß einem ledigen jungen Mann, der erst vor eineinhalb
Monaten in diese Stadt gezogen war, garnichts anderes
übrigblieb, als in seiner Arbeit aufzugehen? Daß er ja
versuchen mußte, mit seinen gleichaltrigen einheimischen
Kollegen irgendwie gleichzuziehen? Gewiß, er war nicht von
vorneherein mit der Absicht gekommen, sich niederzulassen. Aber
falls sich jenes sagenhafte Australien als das Paradies
herausstellen sollte, für das es immer gepriesen wurde -
warum sollte er dann nicht hier seine Existenz aufbauen?
Sie kamen auf die Ungarnrevolte zu sprechen, und Judith
erwähnte, daß ihre Eltern die Absicht hegten, eine
komplette Flüchtlingsfamilie in ihr großes Haus
aufzunehmen. "Wir können doch nicht hinter der
Hilfsbereitschaft deiner österreichischen Landsleute in
dieser Katastrophe zurückstehen!" meinte sie lächelnd.
Höchst verdattert, fragte er sie: "Wieso bist du darüber
so genau informiert?"
"Na hör' mal, die Zeitungen sind doch voll von Interviews mit
Ungarnflüchtlingen. Trotz der Aufregung über die
sportlichen Großereignisse!
Ich hätte beinahe geweint vor Rührung, als ich las,
daß österreichische Stellen die australischen
Einwanderungsbehörden unter anderem darauf hingewiesen haben,
daß das Töchterlein einer Familie Salusinsky am
soundsovielten Dezember Geburtstag hat. Es ist so beruhigend, wenn
man weiß, daß es überall auf der Welt gute
Menschen gibt!" Ihre Augen glänzten feucht.
Der junge Mann sprach es nicht aus, was er in diesem Augenblick
dachte: "Judith, du gehörst ganz bestimmt zu jenen
Leuten..."
* * *
Höger trat auf die Veranda hinaus, um seine Kleidung
gründlich auszubürsten. Der Gedanke an das Entsetzen
seiner Mutter über seine Haushaltsführung, bekäme
sie je Wind davon, belustigte ihn.
Jimmy und Robert, seine beiden irischen Nachbarn, eiserne
Junggesellen, hingen lässig in Stühlen und streckten die
nackten Plattfüße den wärmenden Strahlen der Sonne
entgegen.
"Was ist los mit dir, Hoeger? Warum bist du heute so
vergnügt?" Jimmy hob die Sonnenbrille hoch und sah ihn
fragend an. "Wenn man euch faule Säcke so betrachtet,
muß man ja unwillkürlich ins Grinsen kommen",
antwortete Willi ausweichend. Eben stellte er sich die
allabendliche Szene im Bad plastisch vor. Sobald er sich
nämlich gesättigt hatte, schlüpfte er unter die
Dusche. Und jetzt kam der Clou: Das Nylonhemd behielt er am Leib,
die Socken streifte er ab. Nun ließ er das Wasser
herunterrieseln und reinigte so gleichzeitig seinen Körper
und das Hemd mit Bürste und Seife! War erst mal genug Wasser
in der Badewanne, schlenkerte er die Beine hin und her und hoffte
so auch die verschwitzten Strümpfe zu waschen. Das System
funktionierte, die Zeitersparnis war beträchtlich. Es gab nur
einen gravierenden Nachteil: Weder er selbst, noch die Hemden,
geschweige denn die Socken wurden jemals blendend sauber. Aber das
merkte er garnicht.
Ein Zettel mit der Adresse Kurt Meiers fiel ihm bei seiner
Säuberungsaktion in die Hände. Er nahm sich vor, das
Ehepaar noch heute zu besuchen.
Er traf die beiden zwar glücklicherweise, jedoch nicht
sonderlich glückselig an. Gleich nach ihrer Ankunft in
Melbourne hatten sie sich eine Vespa zugelegt und an den
Wochenenden viele und ausgedehnte Ausflüge in die
landschaftlich wildromantische Umgebung von Melbourne gemacht.
Nach einem Kinobesuch waren sie von einem
unvorschriftsmäßig abbiegenden Auto
niedergestoßen worden.
" Es ist im Sommer ja ein ausgesprochener Krampf, in der Stadt
herumzufahren", klagte Kurti Meier.
"Die Hitze bewirkt eine leichte Gehirnlähmung. Und die Leute
steuern ihre Fahrzeuge zeitweise, als ob sie den Verstand verloren
hätten. Keine Disziplin, what so ever. Ich habe es ja an mir
selbst beobachten können. Manchmal war mir plötzlich
nicht klar, muß ich nun rechts oder links fahren, haben wir
Rechts- oder Linksverkehr?
Na, dann sind wir eben mitten auf der Kreuzung gelegen. Ich mit
einer Gehirnerschütterung, meine Frau mit einem
lädierten Fuß. Wie sie so halb ohnmächtig neben
dem Roller lag, trat ein Australier herzu, zog seinen Rock aus und
bedeckte damit ihren Schoß, da sich das Kleid verschoben
hatte.
Ich muß schon sagen, diese Handlungsweise, diesen Respekt
vor der Frau im allgemeinen, rechne ich diesem Volk hoch an! Als
mich dann Kollegen im Krankenhaus besuchten, galt die erste Frage
immer dem Befinden meiner Gattin. Wenn's der Frau gut geht, dann
ist alles in Butter. Haben ihr auch öfters Blumen
mitgebracht..."
"Von außen sehen die meisten Krankenhäuser ja
großartig aus. Wie sind sie eigentlich eingerichtet?" Willi
schenkte sich ein Glas Wein ein und knabberte an den hausgemachten
Süßigkeiten.
"Ach, es ist alles wunderbar ausgestattet und modern", antwortete
Kurtis blonde Frau. "Schließlich lagen wir ja im Royal
Melbourne Hopital. Über die Behandlungsmethoden kann ich als
Laie wenig aussagen. In vielen Dingen kommen mir die Einheimischen
schon sehr naiv vor. Der Staff, Schwestern wie Ärzte, legen
nach unseren Begriffen ein kindisches Verhalten an den Tag.
Da setzt sich zum Beispiel ein Arzt zu seinem eigenen
Vergnügen in einen Rollstuhl und kurvt damit durch die
Gegend. Oder er schäkert vor den Patienten mit einer
Schwester. Ich denke, das wäre.."
"Darf ich unterbrechen?" bat Willi. "Ja, bitte?"
"Ich war Gott sei Dank noch in keinem Krankenhaus. Aber was mir am
australischen Spitalswesen wirklich gefällt, ja imponiert,
ist die geachtete soziale Stellung der Schwestern, die
Image-Werbung, die für diesen Beruf getätigt wird.
Häufig sieht man Absolventinnen der Schwesternschule in den
Zeitungen abgebildet. Man sollte sich in Europa mehr um diese
Mädels bemühen. Dort klagt man dauernd über den
Mangel an Pflegepersonal. Hier drängt sich geradezu jedes
Girl danach, diesen schweren und verantwortungsvollen Beruf
aufzunehmen."
Stundenlang diskutierten die drei Österreicher das
unerschöpfliche Thema "Australien", nun waren sie bei einem
anderen Punkt angelangt.
"Die Frauen tun geradezu, als ob der Geschlechtsverkehr nur
gnadenweise gewährt würde...", wetterte Kurti eben.
"Hier ist sicherlich die puritanische Haltung der Kirche und der
Einfluß der Frauenvereine maßgeblich Schuld dran."
" Ja, deshalb sucht man sich vielleicht auch gegen die
Masseneinwanderung von Katholiken zu schützen, die in diesem
Punkt doch realere Anschauungen vertreten", warf Willi ein.
"Ich entnehme ja meinen Gesprächen mit Arbeitskollegen", fuhr
Meier fort, "die Ehe ist nicht wie bei uns mehr auf
kameradschaftlicher Basis aufgebaut, sondern Money-Angelegenheit,
wie alles übrige. Das beginnt schon beim
fünfzehnjährigen, verwahrlosten Buben, der an der
Straßenecke Zeitungen verkauft. Das gehört verboten,
das ist jedenfalls meine Ansicht."
Lachend erzählte Willi von den nächtlichen Abenteuern
Pedros, und von den Beweggründen dessen Frau, ihn zu
heiraten.
Dann kamen sie auf die Interesselosigkeit der Australier an
fremden Sitten und Gebräuchen zu sprechen. "Wenn du einem
Negerstamm in Zentralafrika von den Eskimos erzählen
würdest, fändest du wahrscheinlich aufmerksamere
Zuhörer wie hier, wo sich jeder gelangweilt abwendet. Das ist
etwas, das ich überhaupt nicht begreifen kann. Mich
interessiert das Leben, die Sitten und Gebräuche dieses
Landes jedenfalls sehr! Man sollte doch annehmen, daß auch
die Aussies ein wenig unseren Background studieren wollen. Aber
die beachten uns im allgemeinen soviel, wie wir uns für das
Liebesleben der Maikäfer interessieren: Nämlich
garnicht. Mich hat noch keiner um irgendeine Auskunft über
unser Heimatland gebeten."
"Nein, auch mir wurde noch nie eine Frage gestellt, die ein
gewisses Interesse gezeigt hätte", meinte Willi drauf.
"Und das Tolle ist ja, daß sie nicht einmal über ihre
eigene Heimat Bescheid wissen! Ich habe im vergangenen halben Jahr
mehr von Australien gesehen, als die meisten Digger die mir bis
jetzt untergekommen sind." Der Mann fügte nachdenklich hinzu:
"Aber vielleicht ist diese Gleichgültigkeit nur auf die
unteren, primitiven Gesellschaftsschichten beschränkt?
Schließlich habe ich es ja in der Hauptsache mit einfachen
Arbeitern zu tun..."
"Nun, soweit meine Erfahrungen reichen, geht es auch in den
Büros nicht anders zu", erwiderte Willi.
"Scheint schon ein sehr gleichgültiges Volk zu sein. Sehr
bedauerlich für uns, die wir hier leben. Wir denken
öfter an eine Heimreise, umso mehr, da meine Frau nun mit dem
Fuß laboriert." Kurti Meier pausierte und überlegte
anscheinend: "Aber wenn man dann wieder von den Angstkäufen,
den politischen Flüchtlingen und den kleinlichen
innerpolitischen Intrigen zuhause liest... Ich bekomme
nämlich wöchentlich mein ehemaliges Leibblatt
zugesandt", erklärte Meier, Willi die Wochenendausgabe
reichend, "dann überlegt man sich wieder, ob es nicht doch
vernünftiger wäre, hierzubleiben, wo man von politischen
Krimskrams vollständig unbehelligt bleibt. Wenigstens
außerhalb der Arbeitszeit..."
* * *
Nur schwer vermochte sich Willi an den eigenartigen, harten Klang
von Jimmys und Roberts Lauten zu gewöhnen. Allabendlich
verbrachte er eine Stunde in der Gesellschaft der beiden
grundsoliden, wenn auch recht einfachen Burschen, die gemeinsam
ein Zimmer bewohnten. Jimmy, der kleine, dickliche und
jüngere der beiden Brüder, erwähnte, daß er
als Besatzungssoldat in Österreich stationiert gewesen sei.
Erfreut schleppte Willi sogleich seinen Bildband herbei und
überließ ihn den Irländern einige Tage zur
Ansicht. Der Österreicher unterhielt sich gerne mit den
beiden, besonders mit Jimmy, da der Dreissigjährige als
Seemann bereits ein schönes Stück von der Welt gesehen
hatte.
Jimmy berichtete ihm von spannenden Erlebnissen in China, wo er
einige Jahre seines Lebens verbracht hatte. So zeigte er ihm
Fotos, wo er inmitten eines ganzen Harems hübscher
Chinesinnen posierte, die alle an Jimmys nicht allzuschwachen
Halse hingen.
Er erzählte von chinesischen Frauen, die angefeuchteten Reis
literweise verschluckten und so eine Schwangerschaft
vortäuschten, um einer Vergewaltigung durch die Japaner zu
entgehen. Der junge Österreicher dachte an die unruhigen,
ereignisreichen, sich überstürzenden Tage nach dem
Zusammenbruch des Hitler-Reiches, an den Einmarsch der
Sowjet-Russen und an die zerlumpten Frauen-Gestalten mit den
riesigen Kopftüchern, unter denen ängstlich-verschmutzte
Gesichter den Befreiern entgegenstarrten, aus demselben Grunde, in
der gleichen Situation...eine fremde Soldateska marschierte ein.
Was durften diese Menschen in Australien ihre Umgangsformen be-
und verurteilen, wo diese Europäer doch durch Jahrhunderte
die Stürme aus den Nachbarländern, oder noch
fürchterlicher, die Bruderkämpfe – überlebt hatten.
Kriege, für die das Einzelindividuum, der Mensch der hierher
auswanderte, meist so gut wie garnicht verantwortlich war. Wie
konnten sie gedankenlos Kleidung, Ernährung, Lebensregeln,
mit einem Wort Kulturen belächeln, die vielfach bereits
existierten, als auf diesem Kontinent nicht mehr als 300 000
Australneger und einige tausend Kangaroos herumhüpften!
Was war ihm kürzlich im Büro zu Ohren gekommen, als er,
nicht sonderlich guter Laune, auf das "keep smiling" vergessen
hatte. Augenblicklich begannen einige der Brüder ihre Possen
zu reissen und ließen Bemerkungen fallen, wie: Er sehnt sich
wahrscheinlich nach Erdäpfel und Sauerkraut zurück!
Und dies alles in einem Ton, der durchblicken ließ,
daß man in den Heimatländern der Einwanderer ohnehin
nur Hungerleider antreffen könne. Am liebsten wäre Willi
aufgesprungen und hätte ihnen ins Gesicht geschleudert: Ich
fresse zwar das eintönige und ewige 'Steak and Eggs' eurer
Erfindung ganz gerne, meine Herren, aber beileibe nicht alle Tage,
wie ihr Idioten!
Nicht umsonst fallen euch frühzeitig Haare, Zähne und
Nägel aus, und Kalkablagerungen verstopfen die Arterien. Und
aus eben diesem Grunde bereiten wir uns mal Sauerkraut zu, essen
Schwarzbrot statt kraftloses Weißbrot und versuchen unserem
Körper möglichst viele Vitamine zuzuführen!
Ja, ihr habt alle miteinander einen kleinen Horizont, engbegrenzt
und nieder. Deswegen führt ihr euch auch so überlegen
auf. Ihr habt aus eigener Anschauung nichts gesehen und nichts
erlebt. Eure Pioniertage sind längst verklungen und in den
Städten lebt ihr nur mehr in sattem Gleichmut dahin.
Auf dem Lande, auf einsamen Farmen, in entlegenen Townships,
findet man weit mehr offene Herzen und Hirne als bei der
hämisch grinsenden Stadtbevölkerung. Euch fehlt noch ein
Krieg im eigenen Land, der euch so durcheinander rüttelt,
daß ihr für die Nöte und Sehnsüchte, für
die Fehler und Laster eurer Mitmenschen mehr Verständnis und
etwas mehr Mitgefühl aufbringt!
Aber zurück zu Jimmy.
Einige Tage vor Weihnachten bracht er das Buch mit den Worten
zurück: "Die österreichische Landschaft sieht so
peacefully, so friedlich aus!" Willi verglich seinen Kommentar mit
dem Beryls, der gebildete Dame, in deren Armen er vor langer,
langer Zeit, wie ihm vorkam, gelegen war. Wie hatte sie sich
ausgedrückt? "Very nice!" Sehr nett. Das waren Worte, die
alles besagen konnten oder garnichts. Wie verschiedenartig doch
die Menschen sind...
In diesen Tagen flatterte ein Brief seines Freundes und
Buschkämpen Hugo Prattert auf den Tisch. Der Berliner schrieb
nur drei Zeilen, die aber von der Verzweiflung ahnen ließen,
die den Jungen, allein unter wildfremden Menschen, befallen haben
mußte: "...werde das erste Mal, ganz vergessen und einsam
hoch oben in den Wolken Weihnachten feiern müssen.
Gegenwärtig weder Deutsche noch Österreicher im Lager
Mc.Kay..."
Ärgerlich schlug sich Willi gegen die Stirn, er hätte
ihn doch einladen können. Aber Werner Benke versichterte ihm,
daß er dies bereits getan hätte, Hugo jedoch Bedenken
geäußert habe, da er ihn und Gudrun nicht stören
wolle.
Vom 23.Dezember bis 2.Jänner gewährte Mills Ltd bezahlte
Weihnachtsfeiertage. Sie konnte es sich ja leisten.
Willi überlegte ernsthaft, ob er bereit war, auch nur einen
einzigen Penny für eine kleine Reise oder ein sonstiges
Vergnügen auszugeben. Sein Salary war gerade hoch genug, um
das Allernotwendigste für die Lebenserhaltung erstehen zu
können. Eben 'Basic Wages', 'Ehernes Lohngesetz von Lasalle',
oder wie immer man sich auszudrücken beliebte. Er
tröstete sich damit, daß er wenigstens
technisch-praktische Erfahrung sammelte. Wie hatte sich Bill der
Jugoslawe unlängst über dieses Thema geäussert? "In
England arbeitete ich für ein Butterbrot. Hier ist die
Butterschichte um 1/64 Inch dicker!"
Der hoffnungsvolle junge Mann hatte schon vor geraumer Zeit
beschlossen, seinem kommunistischem Vaterland die Liebe
aufzusagen, um künftighin nur mehr als "Handlanger der
Kapitalisten" zu schaffen. Bills Traum seit der marxistisch
angehauchten Jugendzeit war es gewesen, dereinst mit weißen
Glacehandschuhen am Steuer des eigenen Wagens sitzen zu
dürfen. Nun lag die Erfüllung seiner Vision vor ihm:
Bald würde er seinen Secondhand-Car abstoßen, um dann
mit den Fingern über das Lenkrad eines nagelneuen, 1200-Pfund
teuren Holden zu streicheln.
* * *
Fünf Meter hohe Darstellungen von Santa Claus, mit Rentieren
vor dem gehörnten Schlitten, drehten sich vor Myer's
Großkaufhaus. Periodisch erschien auch ein langhaariger
goldener Engel mit einer Kerze zwischen den gefalteten
Händen. Lautsprecher brüllten "White Christmas",
gesungen von Bing Crosby, auf die vollgepackten Gehsteige
herunter. Aber noch häufiger ertönte "Jingle
Bell"...
In den Auslagen leuchteten elektrische Christbaumkerzen in allen
Farben. Flitter in schreiendem Rot, Papiergirlanden und
Plastikkugeln, warben für den Tag der Bescherung. Willi
stolzierte die schnurgerade Collins Street hinunter. Er bemerkte,
daß bei den nun herrschenden Temperaturen um die vierzig
Grad Celsius, der Lack vom Weihnachtsmann absplitterte und sich
die Sperrholzplatten verzogen. Er stellte sich in den Schatten
eines Bücherkiosk und betupfte seine Stirn mit dem
Taschentuch. Neben ihm drängten die Menschen vorbei, suchten
nach passenden Geschenken, Zeitschriften und
Weihnachtsgrußkarten.
Eine ältere Dame war offensichtlich mit der gebotenen Auswahl
nicht zufrieden. "Hören Sie mal", pfauchte sie die
Verkäuferin an, "ich bin gegen diese religiöse Zeugs
hier! Ich möchte die Karten hübsch und weihnachtlich
sehen..." Der Österreicher zog den Kopf ein und haute ab.
Hier bedeutete die Weihnachtszeit Fun, Fun für alle.
Fröhliche Gesichter, Tanzen, Parties, eisgekühltes Coca
Cola. Die Vorbereitungen der Menschen dieser großen Stadt
auf die Feiertage weckten in ihm nicht die geringste
weihnachtliche Stimmung. Wie konnten sie auch? Es war alles ganz,
ganz anders.
Am Heiligen Abend kaufte Willi Höger eine Kinokarte, zusammen
mit einem Berliner – die Stadt wimmelte anscheinend von diesen
sympathischen Typen – den er erst kürzlich in einer Milk Bar
kennengelernt hatte. So warteten sie gegen neun Uhr abends vor
einem Lichtspieltheater zweiter Klasse, wo der Film "Gunfight at
O.K.Corral" lief. Und als zweites Programm einen Streifen, der
für einige Minuten James Dean, das Idol von Millionen
Teenagern, zeigte.
Zum ersten Male in seinem Leben sah er vor den Standfotos
zehnjährige Buben so selbstverständlich wie Erwachsene
Zigaretten rauchen. Mit Ringen an den Fingern und unter den Augen.
Niemand bekümmerte dies anscheinend. Nur Rolf, den Berliner
Bootsbauer, Willi und einen Italiener reizte die Situation
unwillkürlich zum Lachen, obwohl der Anblick nichts
Erheiterndes bot.
"Das wird es wohl in jeder Großstadt der Welt geben, was
Rolf?" Er sah den Berliner fragend an. "Du mußt es ja
wissen? Die Bengel wachsen offensichtlich wie die Bäume im
Wald heran. Nein, die haben mehr Pflege. Sonst könnte es ja
nicht zu solchen Ausschreitungen kommen, wie der bandenweisen
Plünderung von Kirchen."
"Komm, setzen wir uns rein. Ich möchte das nicht länger
mitansehen. Am Ende rutscht mir noch die Hand aus."
Die Filme waren leidlich gut, am besten gefiel den beiden jedoch
die Szene, wo James Dean über die Leinwand geisterte. Nicht
etwa wegen des "Unsterblichen", sondern wegen der Wirkung, die er
auf einige Girls hinter ihnen ausübte.
"Bitte, bitte! Dreh' dein Gesicht noch einmal zu mir her, lieber
James! Darling!! Please!" Ununterbrochen flehten und jammerten die
Gören laut und zum Steinerweichen, fast zum Brüllen
komisch. Aber nur beinahe; auf die beiden Burschen wirkte es mehr
tragikkomisch.
Ihr armen, hirnlosen Puten! Ist das euer einziges Idol, das euch
zu Begeisterungsstürmen hinreißen kann? Das die
maskengleichen Gesichter, mit denen ihr uns auf der Straße
gewöhnlich anblickt, verzaubert und beweist, daß ihr
emotioneller Ausbrüche fähig seid? Ja, natürlich,
auch bei uns zuhause gibt es bei Jazzkonzerten gelegentlich
Temperamentsausbrüche, werden Saaleinrichtungen
zertrümmert. Aber die Jugendlichen tun es hauptsächlich,
weil es einfach einen Mordspaß bereitet, man kannte die
Grenzen.
Aber die Erschütterung der Mädchen war echt gewesen.
Und das war für die beiden Burschen das einzig
Erschütternde an diesem Vorfall.
* * *
Jimmy forderte Höger auf, mit ihm einen Pub in der Nähe
aufzusuchen. "Komm mit, du wirst dort einen Deutschprechenden,
einen Schweizer treffen!" lockte er ihn. Um den gemütlichen
Dicken nicht zu beleidigen, begleitete ihn Willi.
Das Lokal lag am Rande eines Slumviertels und erweckte von
vorneherein keine Begeisterung in ihm. Der Schweizer war ihm auf
dem ersten Blick hin gleichgültig. Von kleiner Statur,
gelblicher, ungesunder Gesichtsfarbe und fahrigen Bewegungen,
reihte er ihn in die Kategorie langsam absinkender Individuen ein,
die hier dem Untergang geweiht waren. Desweiteren fand sich in der
Gesellschaft noch ein hagerer, buckliger Irländer – aus dem
selben letzten Graben wie Jimmy, verheiratet mit einer Deutschen.
Der Irländer staunte nach den ersten Sätzen über
Willis Englisch, verstohlen raunte er seinen Freunden zu: "He is
an educated man." Einen einigermaßen gebildeten Menschen in
diesem Milieu anzutreffen, überraschte ihn sichtlich. Ein
kleiner, clowniger Australier trank noch in der Runde mit, der
sich, vermutlich durch den Umgang mit Neuaustraliern, an Dingen
interessiert zeigte, über die seine Landsleute kaum von
selbst zu sprechen begonnen hätten. Nach der üblichen
Sauferei knallte der Barman Punkt sechs Uhr die Läden
herunter – ein schrilles Klingelzeichen hatte die Männer zehn
Minuten vorher noch ermahnt, rasch einige 'Middies'
hinunterzuspülen – und komplimentierte das Publikum unsanft
zur Tür hinaus. Aber Jimmy hatte vorgesorgt und seine Kumpane
mit zehn Flaschen Bier beladen, da er die "Feier" in seinem Zimmer
fortzusetzen gedachte.
Vor dem Pub bettelte ein unglaublich dreckiger, struppiger alter
Pensionist um Zigaretten. "Look at his hands!" raunte der bucklige
Irländer seinen Begleitern entsetzt zu. Die Arme des Greises
hatten sicherlich wochenlang weder Wasser noch Seife gesehen.
In Jimmies Bude kreisten dann die Flaschen. Der Schweizer, leicht
angeheitert, erwies sich als Schwächling, der mit dem Leben
nicht fertig wurde. Aus den hervorgestammelten Bruchstücken
reimte sich Willi dessen Lebensgeschichte zusammen.
"Meine Schwester ließ mich fallen...bin das schwarze Schaf
meiner Familie...Gymnasium... Genf aufgewachsen... Gebt mir eine
Pistole...niemand will mich ...niemand!!!"
"Der Mensch ist ja vollkommen fertig", registrierte Willi
betroffen. Schauerliche Tragödien, die einem da unterkommen.
Gemütskrank, schwer. Schleppt sich nur noch so dahin. Ob dem
Mann in einer freundlicheren Atmosphäre geholfen werden
könnte?
Man weiß ja nicht, wie er früher war. Auf jedem Fall
emotionell labil. Soso, unwillkommen fühlst du dich. Auch
ich, mein Freund! Nicht bei meinen Bekannten und Freunden, aber am
Arbeitsplatz, überhaupt im Lande. Wir werden hier alle nur
geduldet, damit wirst du dich wohl abfinden müssen...
Jimmies Bruder Robert war inzwischen eingetrudelt. Der nahm das
Leben leicht. Immer gut aufgelegt, grinste er der Welt ins
Angesicht. War wohl eben von einer erfolglosen Schürzenjagd
heimgekehrt. Erfolglos, andernfalls er nicht vor vier Uhr morgens
aufgetaucht wäre.
Die drei Irländer stimmten nun laut gröhlend ein Lied
an, dessen Melodie aus den Glanztagen des Dritten Reiches zu
stammen schien. Willi horchte genauer hin und vermochte trotz der
bierseligen, lallenden Stimmen einige Textstücke
herauszuhören: "...daß der Englischmann uns nicht
länger traurig macht!" Das bekannte 'England-Lied' in einer
freiheitlich-irischen Fassung!
Es war kaum zu fassen. Die Männer brüllten so laut in
die Nacht hinaus, daß sich die Spanier unterhalb aufzuregen
begannen.
Der einzige Australier in der Schar gesellte sich Willi zu, der,
erheitert und betroffen zugleich, dem Sing-Song der drei
Irländer lauschte.
"Deine Art gefällt mir", begann er, "du bist so richtig der
Typ, den wir uns unter einem German vorstellen." Der
Österreicher verzichtete auf die Entgegnung, daß er
kein Deutscher, sondern ein Österreicher sei. Er fand es
immer wieder schwierig, den Leuten den Unterschied zu
erklären. So unterließ er es und hörte sich
gelassen an, was dem Mann auf dem Herzen lag.
"Du mußt verstehen, wir Australier bewundern die Germans und
ihre Smartheit", erklärte er ihm vertraulich. "Ja,
Bewunderung ist noch keine Liebe, und kann leicht in Neid
umschlagen", dachte Willi mißvergnügt, schwieg aber
wohlweislich.
"Aber die Dagos, die Italiener und Griechen und das ganze andere
südländische Gesindel – die Hunde arbeiten 24 Stunden am
Tag. Ja, und dann besitzen sie die Geschäfte, in die wir
einkaufen gehen müssen!" Wütend starrte der Aussie vor
sich hin. Willi hätte ihm manches entgegenhalten,
erklären können. Seine Argumente hätten etwa so
gelautet.
"Ihr könnt ja auch den ganzen Tag fest zupacken und Geld
verdienen, dann wären die Italiener vielleicht gezwungen, bei
euch den Salat für die Mittagstafel zu kaufen. Denn irgendwer
muß ja schließlich neue Läden für die
jährlich um 100 000 Personen zunehmende Bevölkerung
eröffnen, und zwar rasch und effektiv.
Wenn die Italiener in der Lage sind, den gestiegenen Bedarf an
Spinatblättern zu decken, dann laßt sie doch
gewähren. Oder sollen die Europäer euretwegen vielleicht
kein Grünzeug mehr fressen? So sehe ich es jedenfalls...",
wollte Willi antworten, aber er unterließ es, denn er hatte
nicht die Absicht seinen neu gewonnenen australischen Bekannten
unnötigerweise zu verstimmen.
Am Ende der großangelegten Besäufnis, als die
Pappkarton-Kiste leer am Boden stand, die Bierflaschen
herumkollerten und die Aschenbecher von Stummeln überquollen,
neigte sich der Aussie nocheinmal zu Willi hin, betrachtete
schweigend den Saustall und flüsterte ihm dann geheimnisvoll
raunend zu:
"Der lange Irländer dort, der mit dem Buckel – mein Freund,
der hat eine Deutsche als Gattin...Die rührt das Bier nicht
einmal an!" Und das sollte etwas heißen in einem Lande, wo
selbst die Mütter der Nation ihre Freizeit
regelmäßig in der Ladies Lounge verbringen...
* * *
Durch Rolf, seinem neuesten Bekannten, lernte er auch dessen
Bruder kennen, der seit einigen Jahren in einer
Leuchtstoffröhrenfabrik als Elektriker beschäftigt war.
Er hatte damit eine Lebensstellung, bei guter Bezahlung und viel
Freizeit und war stolzer Besitzer eines Mercedes.
"Was der aus seinem Leben macht, ist furchtbar", klagte ihm Rolf
sein Leid. "Er ist vollkommen schlapp geworden, liegt dauernd auf
der Couch herum und liest Romane. Kaufte sich eine riesige
Filmkamera, mit der er nun Streifen im Obstgarten dreht,
nützt weder Auto noch Kamera aus..."
Nachdem Willi den Älteren kennengelernt, sagte er sich
resigniert, wenn ich in drei bis vier Jahren auch denselben
'Lebensstandard' erreicht habe, wie Rolfs Bruder – Nein Danke!
Aber wie überzeugend der Mann für Australien das Wort
ergriff! Man solle doch hier bleiben! Die wirtschaftlichen
Aussichten, das "easy way of life", und so weiter. Und kein Wort
davon, daß die meisten der Einwanderer nach all den langen,
harten, entbehrungsreichen, oft von wirklichen materiellen
Erfolgen begleiteten Jahren in Australien – in ihrer
Vitalität und ihrem Unternehmungsgeist so weit abgesunken
waren, daß es immer aufs Neue überraschte und
deprimierte.
Er ahnte, daß jeder, der einmal dem Trott, der
Gedankenlosigkeit und Apathie dieses Landes zum Opfer gefallen
war, sich vor dem Gedanken an eine Rückkehr in das Heimatland
fürchtete, da er sich dem Lebenstempo dort nicht mehr
gewachsen fühlte. Obwohl er sich nach frischer Atemluft, nach
der seit der Kindheit vertrauten Umgebung sehnte, ja
verzehrte.
Und Willi fühlte, daß jeder Neuaustralier in jedem
Neuankömmling einen Menschen sah, der seine eigene Position,
sein Lebensrecht hierzulande verstärkte. Und weil sich damit
Millionen Europäer weniger verlassen und auf sich gestellt
vorkamen. So sollte er es hunderte Male erleben, wie man
Rückwanderer bat und zuredete: "Bleibt doch bei uns!"
* * *
An einem der letzten Tage des Jahres 1956 gastierte in Melbourne
das National-Chinesische Klassische Opern-Ensemble und hielt das
kunstverständige Publikum in Atem. Für Willi bildete
diese Begegnung mit dem Land seiner Jugendträume etwas
Faszinierendes. Er bemerkte zu Werner Benke, daß die
Australier in der beneidenswerten Lage wären, sowohl die
Völker des Fernen Ostens, wie auch die Europäer in
unmittelbarem Kontakt studieren zu können. Wieviele
Nationalitäten und Rassen lagen nicht über das ganze
Stadtgebiet verstreut, boten in ihren speziellen Restaurants
interessierten Besuchern das Beste an lukullischen Genüssen.
Italienische Espressos schossen wie Pilze aus dem Boden, und Filme
in Originalfassung liefen in einigen Kinos.
"Stell' dir vor, wie leicht es hier ist, eine Fremdsprache zu
studieren! Es gibt tausend Möglichkeiten durch
persönlichen Umgang Sprache und Brauchtum irgendeines Landes
kennenzulernen!" schwärmte Willi seinem Freund vor. "Aber wie
viele machen schon davon Gebrauch?"
"Tust du es denn?" erkundigte sich Werner spöttisch.
"Ich bemühe mich zumindest", antwortete der. "Bei mir im Haus
wohnen fünf Spanier. Vor Jahren belegte ich mal auf der
Volkshochschule einen Konversationskurs in Spanisch – heute
erteilt mir einer von den Fünf, ein Maturant, Unterricht.
Hier arbeitet er, nebenbei gesagt, als Tellerwäscher. Ich
wiederum unterweise ihn in englischer Grammatik. Das Ganze ist
äußerst amüsant. Für ihn als Spanier ist es
fast unmöglich, das 'little' richtig auszusprechen, genauso
wie für einen Italiener. Wenn ich lache, glaubt er, ich lache
ihn aus und ärgert sich deswegen. Aber ich korrigiere seine
Fehler immer wieder, denn nur so wird er zu einer korrekten
Aussprache gelangen. Leider unterziehen sich die Australier bei
uns kaum dieser Mühe. Man schimpft und kritisiert zwar
dauernd, daß es Einwanderer gibt, die nach jahrelangem
Aufenthalt kaum ein Wort Englisch beherrschen – aber im Umgang mit
den Einheimischen geht es halt normalerweise am schnellsten.
Gerade hier hapert es aber!" meinte Willi.
"Du kannst ja auch zweimal in der Woche kostenlos Unterricht
nehmen, der Australische Staat bemüht sich ja wirklich um
eine Lösung des Problems", wandte Werner ein.
"Das möchte ich ja garnicht verkennen. Aber was mir absolut
nicht gefällt ist, daß sich selten einer der Leute, mit
denen du in Kontakt kommst, bemüßigt fühlt auch
nur deine schwersten Fehler auszubessern! Du kannst zum Beispiel
X-mal sagen 'avaivable', wie es mir passiert ist. Kein Mensch hat
mich aufmerksam gemacht, daß es richtig 'available'
heißt. Der Fehler muß einem Australier doch
auffallen!" Der Österreicher hatte sich wiedereinmal so
richtig in Wut geredet und wäre mit seiner harten Kritik
weiter fortgefahren, doch Werner unterbrach ihn. "Was du da
kritisierst, ist alles gut und schön – jeder weiß davon
ein Lied zu singen. Sowohl der Einwanderer, als auch der
Australier. Vielleicht ist es auch für ihn bedauerlich, denn
früher oder später wird er an den Folgen dieser
Nachlässigkeiten zu leiden haben. Aber höchst eigenartig
finde ich den Grund, den man ihrerseits für diese
Unterlassung anführt. Weißt du, wie man sich in der
Öffentlichkeit rechtfertigt?"
"Nein, keine Ahnung", gestand Willi.
"Der Australier behauptet nämlich, er sie zu – wohlerzogen
dazu! Es gehe doch nicht an, daß man einem Bekannten
Sprachfehler ausbessere! Ich sehe ja ein, daß es auf die
Dauer ermüdet, das Gestammel seines Gegenüber
auszubessern. Aber nach Wochen glättet sich dann dieses
Stottern und geht in flüssigere Formen über."
Werner Benke, dessen Freundin Gudrun und Willi Höger
spazierten durch die gepflegten Parkanlagen dem hellerleuchteten
Theater zu, das durch hunderte nackter Glühbirnen, die
girlandenförmig zur Kuppel emporliefen, illuminiert wurde.
Das Innere dieses immerhin ehrwürdig anmutenden Baues erwies
sich als restaurierungsbedürftig. Kabelstränge wandten
sich, für das Publikum sichtbar, empor, und der Orchesterraum
mochte noch aus der Viktorianischen Ära herübergerettet
worden sein. Doch schien sich eine neue Welle eines
Kulturbedürfnisses anzubahnen, diskutierte man doch gerade
heftigst den ultramodernen Entwurf eines dänischen
Architekten, der in Syndney das erste Opernhaus des Fünften
Kontinents erbauen sollte.
Auch für die beliebten sommerlichen Freiluftkonzerte in den
Parkanlagen Melbourne's, wo tausende Menschen den Klängen der
Meister lauschten, sollte es bald eine Überraschung geben,
plante man doch eine Music-Bowl nach amerikanischem Vorbild.
Mit unheimlicher Präzision, tollem Schwung und ungeheurem
Aufwand an kostbaren, wallenden, goldverzierten Gewändern
rollten die Auszüge aus der Peking Opera vor dem gemischten
Publikum ab. Die phantastischen Gestalten der chinesischen
Mythologie hüpften als Affen, Schlangen, Könige,
Prinzessinnen und Generäle zum nervenaufpeitschenden
Getöse fremdartiger Musikinstrumente über die
Bretter.
Furchterregende Kampfesszenen wurden von drolligen
Spaßmachern und lieblichen Volkstänzen abgelöst.
Gespannt verfolgte Willi Höger das ungewohnte Schauspiel. Aus
der dritten Reihe konnte er die freudesprühenden Augen der
anmutigen Chinesinnen, die perfekt einstudierten Bewegungen der
Tänzer genauest verfolgen.
Zufällig saß ihm zur Seite ein Chinese, der dem
anscheinend lustigen Dialog von "Der Herbstfluß" mit
unverhohlenem Vergnügen folgte. Während einer Ansage des
australischen Managers lachte er hellauf heraus. Als sich Willi
erstaunt bei ihm erkundigte, was daran denn so witzig sei,
erklärte der Chinese kichernd, der Mann habe einen Frauen-
mit einem Männernamen verwechselt. Auf Ersuchen des
Österreichers malte er mit bemerkenswerter Fixheit das
Programm in verschnörkelten chinesischen Symbolen auf die
Rückseite der Broschüre. Der junge Chinese war sichtlich
erfreut mit dem Europäer ins Gespräch zu kommen. Mit
leichter Wehmut überlegte Willi, ob wohl die Zukunft aus
Australien ein Land formen würde, in dem sich Vertreter aller
Rassen unbeschwert niederlassen durften, ihre Kulturen hier
einpflanzen und doch friedlich nebeneinander, ihren Eigenarten
entsprechend, leben konnten. Welch Paradies müßte so
entstehen, welch schöpferische und vitale Nation würde
daraus geboren!
* * *
Das neue Jahr brachte gleich eine unangenehme Überraschung.
Seit Wochen fühlte sich sein Kiefer äußerst
druckempfindich und schmwerzhaft an. Dann schwoll
überraschend der Gaumen an, eine Eiterbeule entwickelte sich
neben den oberen Backenzähnen. Instinktiv hatte er schon
jahrelang geahnt, daß in seinem Organismus eine
Infektionsquelle steckte, die ihn schleichend und
heimtückisch an den Rand eines Zusammenbruches trieb. Bereits
im Busch hatte sich der Gaumen manchmal flammend rot
verfärbt, aber der Arzt vermochte nichts absonderliches
festzustellen. Wegen der zwei gelben Knötchen im Rachen
befragt, hatten die konsultierten Mediziner nur mit der Achsel
gezuckt. Das linke Ohr, das andauernd rauschte und zeitweise
völlig ertaubte, blieb die beständige Quelle geheimer
Qual.
Das hoffnungslose, aussichtslose Leiden und das vergebliche Warten
auf ein Wunder hatte ihn zermürbt, nahezu am Boden
vernichtet. Wenn er mit Freunden scherzte, vergaß er
zeitweilig seine Besorgnisse und Leiden. Sobald er jedoch in sein
ruhiges Zimmer zurückkehrte und allein war, kreiste sein
Denken unaufhörlich um jenen Punkt. Unerklärliche
Kopfschmerzen befielen ihn, Magenkrämpfe traten auf – es war
zum Verzweifeln. Pfund für Pfund war für Dentisten,
Röntgenaufnahmen und Magenuntersuchungen draufgegangen – ohne
eindeutige Resultate.
Im Büro begannen seine Kollegen zu munkeln. Sein
gequälter Gesichtsausdruck ließ sie alle möglichen
und unmöglichen Mutmaßungen aufstellen. Aber bis jetzt
war er unter älteren, soliden, verständnisvollen
Kollegen gesessen, die über sein ungewollt zur Schau
gestelltes Mißbehagen einfach hinweggesehen hatten.
Es war gut, daß Willi eine so aufgeschlossene und rege
Wirtin zur Hand hatte. Sie schrieb ihm die Adresse eines
Zahnarztes auf, den sie gelegentlich konsultierte.
Das Ordinationsschild wies abgeblätterte Buchstaben auf, die
Fensterscheiben neben der Tür mit dem altmodischen Klopfer
aus Messing blickten matt und trübe in den hellen Tag. Einige
Meter weiter balgten sich Straßenjungen, und eine fette
griechische Gemüsehändlerin sah ihnen gelangweilt zu.
Auf dem Gehsteig trieb ein Windhauch Papierfetzen und zerrissene
Zeitungen über achtlos weggeworfene Bananenschalen. Das ganze
Viertel machte keinen vertrauenserweckenden Eindruck.
Komisch, Polizisten sieht man in australischen Städten sehr
wenige, durchfuhr es Willi plötzlich. Zuhause steht an jeder
Straßenecke einer.
Der Wartesaal schauerte vor Dunkelheit. Über eine knarrende
Treppe stieg eine unordentlich gekämmte Frau herunter. "Wir
sind gerade vom Urlaub zurückgekommen. Sie müssen sich
ein wenig gedulden, muß vorher den Ordinationsraum
saubermachen", bat sie. Es dauerte nur eine halbe Stunde, bis
Willi mit gemischten Gefühlen auf dem Marterstuhl Platz
nehmen konnte. Der Arzt rumorte nebenan in einer Kammer herum. Das
Spülbecken wies Krusten von Dreck auf. Die Bohrer lagen
zwischen blutbefleckten Wattebäuschen, daneben eine
rostbedeckte Reißzange. Wandbilder mit Abbildungen des
Nervensystems, noch aus der Jahrhundertwende stammend, stellten
die Gefahren vereiterter Zähne drastisch dar.
Am liebsten wäre er aufgesprungen und geflohen: der ganze
Anblick war einfach furchterregend. Das Bild offensichtlicher
Verwahrlosung erfüllte ihn mit Abscheu und Entsetzen, wie
gelähmt saß er in dem Stuhl.
"Kein Mensch in Zentraleuropa würde sich zu einem solchen
Bader wagen. Das Ganze gehört behördlich geschlossen und
versiegelt", überlegte er geschockt.
Schon hatte er sich dazu durchgerungen, mit einer Ausrede
schnellstens das Weite zu suchen, da trat der Zahnarzt an ihn
heran. "How do you like Australia?" erkundigte er sich
teilnahmsvoll. "Oh, not so bad!" lautete die kühle, vage
Formel, die gemeinhin ein Lob darstellte.
Das Extrahieren erwies sich für Willi als grauenhaft,
für den Mann mit der rostigen Zange als äußerst
anstrengend. Erst nach einem Blutbad gaben die drei
Backenzähne nach und waren draussen. Der Österreicher
bezahlte die paar "Quid" und wankte zur Tür hinaus, ohne auf
den Gruß des Baders zu achten. Zuhause angekommen, nahm er
ein schmerzstillendes Mittel und ließ sich aufs Bett
fallen.
Am nächsten Morgen erwachte er früh. Als er die Augen
öffnete, drehte sich alles um ihn. Das Blut pulsierte
fieberhaft durch den Körper, im Schädel verspürte
er einen Druck, als ob ihm der Kopf zerreissen würde. Unter
der Backe wölbte sich eine Schwellung. Von dem Dreckzeugs war
sicherlich der Kiefer infiziert worden, er hatte es ja geahnt.
Wäre er doch aus der lausigen Bruchbude verschwunden, bevor
es zu spät war!
"Was passiert mit mir, wenn ich eine Blutvergiftung, eine Sepsis
bekomme", fragte er sich verzweifelt. "Mein ganzes Geld wäre
zum Teufel, ich würde vielleicht meinen Job verlieren,
müßte wieder ganz von vorne anfangen. Wer würde
sich ernstlich um mich kümmern, wenn ich ins Krankenhaus
käme? Hier hat doch keiner Zeit für den anderen. Werner?
Der würde sich kaum für mich einsetzen, da mache ich mir
nichts vor", überlegte er fieberhaft. Seine Gudrun bereitete
Werner Sorgen genug. Er hatte Angst, sie zu verlieren. Sie war
inzwischen arbeitslos geworden. Hatte vorerst als Näherin ihr
Brot verdient, aber der Chef interessierte sich allzusehr für
sie und war abgeblitzt. Die Konsequenz – als sie dann zufolge des
Klimawechsels, oder wegen der ungewohnten Nahrungsmittel, an einer
Magenerkrankung laborierte, hatte er sie kurzerhand auf die
Straße gesetzt. Das war ausgesprochenes Pech gewesen.
Und Rolf, der Berliner Tischler, seine jüngste Bekanntschaft?
Besaß selbst keinen Penny zuviel. Und außerdem stand
die Ankunft seiner vielgeliebten Uschi kurz bevor. Von ihren
Eltern in Deutschland hatte er einen Brief erhalten, sie magere
vor lauter Sehnsucht immer mehr ab. Der war versorgt mit eigenen
Problemen.
Aber Erwin wäre ein Mensch, der ihm helfen könnte,
sollte wirklich etwas schief gehen. Erwin war ein flotter Bursche
und keineswegs kleinlich. Oder vielleicht das Ehepaar Finze?
Er war nicht vollkommen allein und verlassen!
Er taumelte mehr als er ging in das nächstgelegene
Krankenhaus. Dort vewrpasste ihm eine Schwesternschülerin
eine Injektion in den Allerwertesten, nicht ganz ohne
Vertändnisschwierigkeiten. Bereitwillig und ganz ohne
Aufforderung hatte er den linken Oberarm freigemacht und auf den
Einstich gewartet. Aber auch die nette kleine Schwester wartete
und murmelte etwas ungeduldig ein paar Worte, die er nicht
verstand. Schließlich hatte sie ihm kurzangebunden bedeutet,
er möge die Hose runterlassen. Wenn ihm nicht der Schmerz die
ganze Visage verzogen hätte, würde er jetzt
gelächelt haben. So aber gefror sein Gesicht nur zu einer
Grimasse.
* * *
Die Schmerzen ließen nur geringfügig nach. Mit aller
Willensanstrengung raffte er sich dazu auf, ins Büro zu
gehen. Gleich als erstes teilte man ihm mit, daß für
ihn ein neuer Platz in der Mitte des Saales vorgesehen sei. Um ihn
herum bemerkte er nur verhältnismäßig junge Leute.
Verbissen setzte er sich an das Brett und begann mit der Arbeit.
Er wollte weder Mitleid noch Teilnahme für sich erheischen.
Und niemand sollte behaupten können: Da seht, er kann die
Arbeit nicht leisten, für die er bezahlt wird!
Er hätte sich ja einen Tag freinehmen können, aber er
war in den vergangenen Wochen ohnehin zu Genüge gezwungen
gewesen, Krankentage in Anspruch zu nehmen. Er schämte sich
dessen. Er wollte denen beweisen, daß er jeder Anforderung
gewachsen war. Sonst würde man wieder munkeln: Aha! Besonders
viel ist nicht mit ihm los.
Und dann steckte etwas in ihm, dessen er sich nicht voll
bewußt war: Die Angst, nochmals zu versagen, hängen zu
bleiben oder aufgeben zu müssen, wie es vor seiner Abreise in
Europa der Fall gewesen war.
So legte er mit zitternden Fingern die Dreiecke aneinander und
versuchte die Symmetrielinien aufzureißen. Aber die Augen,
vielmehr das Sehzentrum, versagte unter den fiebrigen Schauern die
ihn durchfluteten. Die Aufgabe war unkompliziert, aber stundenlang
probierte er herum, bis es ihm endlich gelungen war, die Sache ins
rechte Lot zu bringen.
Seine neuen Nachbarn beobachteten ihn argwöhnisch von der
Seite her. Einer begann zu kichern und riß Witze über
den "smarten" Europäer, der da an simplen Entwürfen
verstört herumfuchtelte, mit dem offensichtlich irgendetwas
los war.
Was, das würden sie schon noch herausbekommen!
Zu Mittag begab sich Willi nicht wie üblich in die Kantine,
um Fish and Chips zu essen, sondern ließ sich auf einer der
Bänke nieder, die am Rande eines Mini-Golfplatzes standen und
bot seine schmerzende Gesichtshälfte den wärmenden
Strahlen der Sonne dar. Er hätte die vielen neugierigen
Blicke im Speisesaal nicht ertragen, wohl wissend, daß er
elend aussah.
Von allen Anfang an hatte er sich bemüht, bei den
älteren Australiern Anschluß zu finden. Und sein
Stammplatz beim Mittagstisch lag einem etwa dreissigjährigen
Australier gegenüber, der ein Jahr lang in den USA gearbeitet
hatte. Zu Jack Whitt besaß er vollkommenes Vertrauen. Jack
behandelte ihn als einen in jeder Beziehung gleichwertigen
Kollegen, er hatte niemals auch nur die kleinste Distanzierung
aufgebaut. Gewiß, John der Tasmanier ließ es selten an
Freundlichkeit fehlen, behielt jedoch eine gewisse, abwartende
Reserviertheit bei.
Willi war eben dabei herauszufinden, daß den Digger nichts
so sehr in geifernde Wut zu setzen vermochte, wie Kritik an
Institutionen oder Errungenschaften dieses Landes, wenn auch noch
so wohlgemeinte. Dem Österreicher, mit dem stürmischen
Drang der Jugend nach Wahrheit und Gerechtigkeit, fiel es mitunter
furchtbar schwer, eine scharfe Entgegnung hinunterzuschlucken,
obwohl dies auf längere Sicht für ihn entschieden besser
gewesen wäre.
Ein kleiner, zerknitterter Mann hatte ihn gleich in der ersten
Minute in ein Gespräch verwickelt, das bezeichnend war
für die naive Denkungsart seiner Kollegen. Witzig,
schlagfertig und ein klein wenig infantil wirkend – man nannte ihn
'Baby' – sprach er davon, daß Willi nun wohl an Gewicht
zulegen werde. Nun, da er ausreichend Nahrungsmittel erstehen und
sich an Steak and Eggs gütlich tun könne. Der
Österreicher klärte ihn auf, daß in Mitteleuropa
Mitte der Fünfziger Jahre kein Mensch mehr des Hungers
sterben müsse, nichteinmal die Altersrentner, wie er mit
einem Seitenhieb auf die australischen Zustände anspielte. Er
gab fairerweise zu, daß in unwirtlichen Gebieten
Südeuropas die Menschen mit kärglicheren Rationen ihr
Auslangen finden mußten. Das Männchen mit der
ungesunden, fahlen Gesichtsfarbe war ob dieser Offenbarung
regelrecht enttäuscht. In seiner Vorstellung hatte er nun
gegenüber dem Europäer an Terrain
eingebüßt.
Nur der dringende Wille, durchzuhalten, ließ Höger
diesen und den folgenden Arbeitstag überstehen.
Am Wochenende bedrängte ihn Rolf, doch mit ihm Canoe-Rudern
zu gehen. Willi war jede Abwechslung willkommen, wenn er sich auch
weder physisch noch psychisch auf der Höhe wußte. Beim
Fairfield Canoe Club mieteten sie ein Boot und paddelten, nach
Indianerart am Bug und Heck knieend, die Windungen der Yarra
hinauf.
Rolf erzählte von seiner Arbeitsstelle. Unter anderem,
daß er selbst mit seinen Leistungen nicht zufrieden sei.
Daß es ihn nicht wundern würde, wenn ihn der Boß
rausfeure.
"Ich weiß nicht, habe ich alles verlernt? Oder spielen da
andere Faktoren mit, Gesundheit, Geschlechtsleben und so weiter?"
fragte sich Rolf verbittert und zugleich resigniert.
Während sie gemächlich flußaufwärts ruderten,
schwärmte er von den Tugenden seiner Braut, die offenbar
vollkommen war. Wie toll sie gebaut sei. Was für eine
Hausfrau! Und so weiter in den höchsten Tonarten. Seine
Phantasie gauckelte dem jungen Berliner vor, was er alles mit
seiner Uschi anstellen würde, wenn sie nur erst mal bei ihm
wäre: "Ich werde den Fluß runterfahren, ...siehst du
das Gebüsch dort? Da werde ich mich mit Uschilein hinhauen
und sie umarmen, und küssen, und...Ooooch, Mensch, Junge!!!
Das wird eine Wucht werden!"
Willi hegte nur die Hoffnung, daß sowohl Rolf wie seiner
geliebten Partnerin eine bittere Enttäuschung erspart blieb.
Da die Frauen sehr häufig feststellen mußten, daß
aus ihren ehemals soliden Geliebten haltlose Männer und
Trinker geworden waren, die ohne jede Energie dem Hergott einen
Tag nach dem anderen stahlen.
Den ganzen sonnigen Nachmittag auf der Yarra hätte er vor
Kopfschmerzen heulen mögen. Es war Willi einfach
unerklärlich, daß die Qualen selbst nach drei Tagen
nicht nachließen.
Zum Abschluß des Sonntages besuchten die beiden noch ein
Kino, das auschließlich 'Continental Pictures' brachte -
zufällig eine österreichische Produktion in
unverfälschtem Wienerisch. Beim Nachhause gehen hörte
er, wie eine Frau an ihren europäischen Gatten erstaunt die
Frage richtete "...Und ich dachte immer, die Wiener sprechen auch
Deutsch??" Was Willi trotz seiner Schmerzen ein breites Schmunzeln
entlockte.
* * *
Als Willi die Stiege in den ersten Stock hinaufkletterte, fiel ein
Lichtstreifen quer über den Korridor. Seine Schritte
dröhnten in der Stille der Nacht überraschend laut. Die
Glastüre zu dem hellerleuchteten Zimmer der beiden
Irländer war weit geöffnet, man war also noch auf den
Beinen. Jimmy befand sich allein im Raum. Er hing total deprimiert
am Stuhl und war richtiggehend besoffen. Der Österreicher
trat bei ihm ein. Schwerfällig erhob sich der Irländer,
stellte sich vor den großen Wandspiegel und blinzelte aus
verquollenen Äuglein hinein. Tränen liefen ihm dabei
über die Wangen hinunter. Mit der Rechten umklammerte er
krampfhaft ein Trinkglas voll Whisky, das er nun Willi
entgegenstreckte, und klöhnte mit weinerlicher Stimme:
"Trink, Hoeger, du bist genauso einsam wie ich!
Ich muß dir was sagen, Hoeger – mich freut nichts mehr auf
dieser Welt. Und dann noch etwas...", seine Stimme stockte, er
lallte nur mehr, "...Ich war mit einem österreichischen
Mädchen verlobt. Ich war Besatzungssoldat – in dieser Zeit -
und sie lebte in – Styria. Wie sagt ihr doch? St-Steier-mark?? Ich
hoffe, das ist richtig?" Pause. "Ich habe sie in den zehn Jahren
nicht vergessen. Hoeger, I tell you – ich habe Frauen in China, in
Amerika und Australien ... überall auf der ganzen Welt, the
whole world over...aufs Kreuz gelegt. Aber dieses
österreichische Mädchen geht mir nicht aus den
Sinn..."
Er stierte auf das halbleere Glas, soff es dann mit einem Zug aus.
Schwankte unsicher hin und her, griff nach der Stuhllehne, um sich
festzuhalten.
Urplötzlich schrie es vehement aus ihn hervor: "Ihr Kind ist
mein Kind!! Her child is my child!! My child, my ...", wiederholte
er tonlos, mit absterbender Stimme.
"Deswegen kann ich nicht heiraten, weil sie mir nicht aus dem Kopf
geht, weil ich sie nicht vergessen kann..." Fast entschuldigend
klangen seine Worte. Und von einem Augenblick zum anderen fuhr er
wild hoch, rollte die Augen und schrie Willi an: "Hoeger, verlasse
dieses Land! Es ist nicht gut, ist nicht gut! Es treibt dich zum
Wahnsinn!!" Zu einem nahezu unhörbaren Flüstern
abgesunken, mit verlöschender Kraft, brachte er nochmals
hervor: "Du bist genauso wie ich – einsam..." Dann fiel der
Irländer über seine Liegestatt und blieb wie ein
gefällter Klotz liegen.
Erschüttert knipste Willi die Deckenlampe ab und schloß
behutsam die Glastüre hinter sich.
"How do you do this morning?"
"How are you going mate, 'orright?"
Grüsse? Erkundigung nach dem Befinden?
Nein, das waren routinemäßig angewandte Phrasen, die er
da allmorgendlich zu hören bekam. Nein, sie wurden
gewöhnlich nicht an ihn gerichtet, außer von Baby, Ted,
John oder Jack Whitt etwa. Aber untereinander traten sie so
aufeinander zu, die Aussies.
Rechts neben Willi zeichnete ein 21jähriger, fanatisch
dreinblickender Australier. Es war dem an sich freundlichen und
gutmütigem Österreicher noch nicht einmal gelungen, den
Nachbarn zu einem flüchtigen Gruß am Morgen zu bewegen.
Finster saß er die Stunden ab, zog seine Striche, ohne ihn
auch nur eines Blickes zu würdigen. Er ignorierte den
Österreicher vollständig. Der hatte keine Ahnung,
warum.
In den ersten Tagen, die er in der neuen Umgebung verbrachte, war
er von einer Überraschung in die nächste Bestürzung
geschlittert. Die Dinge, die da um ihn vorgingen, raubten ihm den
Atem. Was er da im Zentrum des Zeichensaals von Mills Ltd,
Erzeuger von Bohraggregaten und Tochterfirma eines
US-amerikanischen Unternehmens, in den ersten Stunden mitanzusehen
gezwungen war, ließ in ihm Zweifel aufsteigen, daß er
es mit normalen Individuen zu tun habe. Zumindest nach seinen, von
heimatlichen Verhältnissen befangenen Verstand nach zu
beurteilen.
Sein Nachbar griff nach einer Stunde seelenruhig nach dem
Scotchband, das er sich vorhin besorgt hatte, und riß sich
einen Meter davon ab, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Mit der
morgendlichen Teepause gesellte sich ein Schwung junger Burschen
an den Platz des jungen Australiers, lagerte auf Zeichentischen,
Rollenablage und fremden Sesseln. Einer langte nach einem
Bleistift auf Willis Brett, rührte damit den Zucker im Tee um
und legte ihn irgendwo wieder ab.
Willi blieb vor Erstaunen der Mund offen. Während sie mit
lautem Geschwätz ihre Autoprobleme diskutierten, ergriff der
Nachbar, der Kapo der Bande zu sein schien, Högers
schönen weißen Radiergummi und feuerte ihn einen
zwanzig Meter entfernt Sitzendem an den Schädel. Der blickte
wütend von seinem Sexmagazin hoch, und die Menge heulte vor
Freude auf. Mit wachsendem Befremden versuchte Willi diese kleinen
Ereignisse in seine Erfahrungswelt einzuordnen.
Was war das für eine unkultivierte Horde? Die benahmen sich
ja so, als ob sie allein im Saale existierten. Solche
Rüpelhaftigkeiten hatte er nicht einmal im Busch erlebt. Wo
waren die Kerle aufgewachsen? In den Slumvierteln von Melbourne?
Im Gangsterclub? Oder waren dies die ersten Früchte der
hochgelobten antiautoritären Erziehung, die er, Willi
Höger, noch nicht genossen hatte?
Da kniete einer der Jungen auf einem Hocker und las aus der Truth
die letzten Sportnachrichten vor, sein verlängertes
Rückgrat ragte also gewissermaßen deutlich in die Luft.
Flugs ergriff einer der 'Kollegen' einen kurzen Handbesen und fuhr
ihm mit dem Stiel zwischen die Schenkel...
Der jaulte auf, schlug um sich und fegte eine abgestellte Tasse
vom Tisch. Klirrend zerbrach sie am Boden, und der Tee ergoß
sich über die Bananenschalen, die man vorhin achtlos dorthin
gefeuert hatte.
War es dem halbwegs wohl erzogenem Willi Höger übel zu
nehmen, wenn er nach solchem Einblick in das Geistesleben der
jungen australischen Generation, angewidert seine ausgestreckten
Fühler wieder zurückzog? Daß die wenigen
Europäer unter ihnen von ähnliche Gedanken bewegt
wurden, zeigte sich in den Mittagspausen. Der jüngst
eingestellte Italiener stand unbeweglich im Schatten eines Baumes
und kaute an seiner Jause, der eine Russe grinst sein
geistesabwesendes Lächeln, schritt allein die Werkshallen
entlang und dachte dabei vermutlich an seine Freunde in Sydney,
die er so gerne besuchte. Die deutsche Stenotypistin trippelte
einsam mit dem Tablett daher, um dann schweigsam mit Messer und
Gabel zu hantieren: Rasch, damit sie schnell fertig wurde. Warum
konnte er sie nie unter der Schar von Frauen entdecken, die alle
auf einem Haufen beieinander saßen?
Die drei Jugoslawen diskutierten gewöhnlich miteinander, und
der Holländer schloß sich ihnen häufig an. Und
gelegentlich trafen sich alle Europäer draussen bei den
Sitzgelegenheiten entlang der Grünanlagen, debattierten die
ganze Mittagspause hindurch, bis es wieder an der Zeit war, in den
Saal zurückzukehren.
Komisch, in Europa glaubten die verschiedenen Nationen nicht
miteinander existieren zu können. Aber dieser isolierten
Gruppe gelang es ohne Schwierigkeiten. Nicht ein einziges Mal
tauchten ernstliche Meinungsdifferenzen auf. Was bedeutete
dies?
Daß das Denken dieser Gruppe, dieser kleinen
europäischen Population, konform verlief, einem gemeinsamen
Geist entsprungen: Der gemeinsamen Kultur des Abendlandes.
Daß ein alle europäische Völker und Nationen
umfassendes Kulturgut, ein Denken und Fühlen, aus einem
unausweichlichem Schicksal entstanden, vorhanden sein
mußte.
Dies wurde Willi Höger in eben diesen Wochen und Monaten klar
wie noch nie zuvor.
Denn wie sonst sollte man das Phänomen erklären,
daß in einer Unterhaltung zwischen Australiern und
Vertretern verschiedener europäischer Nationen, es immer nur
die im Lande geborenen Australier waren, deren Ansichten in einem
bestimmten Diskussionspunkt von allen anderen strikte abwich, ja
meist diametral entgegengesetzt war? Bei angenommen ungefähr
demselben Bildungsgrad und perfekten Sprachkenntnissen der
Teilnehmer?
Da erwähnte etwa der Holländer, daß kommenden
Samstag 'on the river head' ein Motorbootrennen ausgetragen wird.
Ein gebildeter, belesener Australier meinte drauf, ihm gefalle so
eine literarische Ausdrucksweise wie 'am Kopf des Flusses' nicht.
Man solle sich doch exakter ausdrücken. "Na hör' mal",
überfielen ihn die Europäer, "wir würden eine
Sprache solcherart schön primitiv finden. Man soll ruhig ein
wenig Phantasie in seine Ausdrucksweise legen, oder etwa
nicht?"
Der Aussie zuckte nur mit der Schulter. Er war nicht dieser
Ansicht.
Eine Abend bummelte Willi eine Stunde durch die Innenstadt. Vor
dem Schaufenster eines Schallplattengeschäftes versank er in
die Betrachtung der farbenprächtigen Schutzhüllen.
Einige waren Lizenzprodukte, doch die meisten der Platten stammten
aus Übersee. Da prangte die Mähne Beethovens neben einem
Werk eines norwegischen Komponisten, Klavierkonzerte von
Rachmaninoff, von Liszt – alle bekannten Werke genialer
Tonkünstler lagen sorgfältig ausgebreitet inmitten einer
Auswahl elektrischer Plattenspieler. Über die menschenleeren
Straßen war ein Mann dahergekommen, um ebenfalls die
Kostbarkeiten hinter der Glasscheibe zu betrachten. Vielleicht
fühlte sich der Mann durch die Stille um sie bewogen, ein
Gespräch anzuknüpfen. Ähnlich, wie sich wildfremde
Menschen auf entlegenen Gebirgspfaden zumindest einen
flüchtigen Gruß zunicken.
"Diese Musik ist wohl das Einzige, was a l l e Menschen auf dieser
buckligen Welt verstehen", begann er. "Einschränkend
muß man wohl hinzufügen – zumindest unter der
weißen Rasse. Denn einem Araber wird eine Wagner-Oper
wahrscheinlich auch nicht allzuviel geben."
Der Österreicher pflichtete ihm höflich bei. Der Mann
war Australier und weitgereist, wie sich bald herausstellte. "Habe
bei der Gelegenheit Verwandte in Schweden besucht", erwähnte
er. "Obwohl die Nordländer unserer Mentalität, vielmehr
der Briten, die ja unsere Vorfahren sind, sehr nahestehen, habe
ich mich oft über die Unmöglichkeit, andere Völker
vollkommen verstehen zu können, gewundert", dozierte er
nachdenklich.
"Es liegt nicht daran, daß man die Sprache eventuell nicht
fließend beherrscht, es liegt auch nicht am Vokabularium:
Die Gedankengänge laufen einfach anders. Sehen Sie",
erzählte er Willi, "da fuhr ich fünf Wochen in
Gesellschaft eines netten Franzosen um die halbe Welt. Wenn er
einen improvisierten Witz vom Stapel ließ, lachten die
Europäer hell auf. Ich verstand den tieferen Sinn der
Bemerkung nicht, oder fand wenig Humorvolles dran. Genauso erging
es den anderen, wenn ich versuchte, meinen Geist leuchten zu
lassen. Man lachte zwar höflich, aber von einer
zündenden Wirkung kann keine Rede sein...Da tut sich eine
Kluft auf zwischen uns und den Einwanderern, die sich weder durch
fleissiges Englischlernen, noch durch andere Versuche der
Assimilierung in wenigen Monaten überbrücken
läßt: Der Neuaustralier denkt europäisch, der fair
dinkum Aussie eben australisch!"
"Und gerade das will man in der australischen Öffentlichkeit
nicht wahrhaben. Ich selbst benötigte ein Jahr, um das
herauszufinden, was Sie da eben festgestellt haben!" antwortete
Willi. Und er spann den Gedanken weiter: "Die Polen,
Engländer, Norweger oder Deutschen mögen den
lässigsten australischen Slang beherrschen, mit euch in dem
Pub saufen oder sich sogar zum Crickettspielen aufgeschwungen
haben – wenn sie 20, 30 oder mehr Jahre in Europa verbracht haben,
bleiben sie trotz allem Europäer – genauso, wie ihr euch
rühmt 'fair dinkum Aussies' zu sein. Ihr könnt doch
nicht von einer Million Andersdenkender verlangen, daß sie
quasi über Nacht eure Wesensart verstehen und annehmen. Das
ist doch unsinnig! Das dauert Generationen. Da muß man eben
genügend Toleranz für den Mitmenschen aufbringen!"
Daß in diesen starken Worten ein gewisser Widerspruch mit
seinen eigenen Ansichten über Australien lag, übersah er
unbewußt. Oder doch geflissentlich?
* * *
Baby, Willis Nachbar zur Linken, war ein seelensguter Mensch, der
keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte. Meist war der Australier
gut aufgelegt, voll origineller Einfälle, die von makaberen
Bleistift-Portraits seiner Kollegen bis zu barocken Verzierungen
am Griff einer Handbremse reichten. Für Willi bedeutete ein
Gespräch mit dem munteren Kerlchen die reinste Erholung und
Ablenkung von den düsteren Gedanken, die sich in seiner Seele
wie Unrat häuften. Meist kam er des Morgens bedrückt zur
Arbeit und schlich abgekämpft wieder von dannen. Und da
erzählte ihm Baby von einer Kangaroo-Jagd oder sprach von der
Ausstellung im Exhibition Building, und forschte wohl ein wenig
neugierig und eifersüchtig nach, ob denn solche
Veranstaltungen in Europa genauso großartig aufgezogen
seien.
Meist jedoch drehten sich ihre Gespräche um seinen
VW-Käfer. Welch Wunderleistungen er aus dem Fahrzeug
herausgeholt habe, und warum der Wagen allen anderen Autotypen
überlegen sei.
Die anderen Australier machten sich ob dieser Manie lustig, aber
Baby verteidigte mutig seinen 'Egg beater', den
Eierschüttler, wie er im Volksmund genannt wurde. Er verwies
unermüdlich auf die phantastischen Erfolge dieses Autos bei
den diversen Mobil Gas Trials rund um Australien.
Nur in einem Punkt schwieg Baby beharrlich – über das
weibliche Geschlecht im allgemeinen. Sich darüber auszulassen
bevor man verheiratet war, oder etwa mit sexuellen Erfahrungen vor
der Ehe zu prahlen, kam ihm höchst unschicklich und tabu, und
was die Erfahrungen anbetraf – ungeheuerlich vor.
Als Willi einmal die Affäre mit Beryl erwähnte, brach
das gute Baby sofort in Rufe des Abscheus aus und erklärte
ihm, daß die eben geschilderten Dinge in Australien
höchst verpönt seien. Er solle sich hüten,
derartige Geschichten weiterzuerzählen, da er ansonsten in
den Ruf eines Rowdies oder Teddy Boys gelangen würde.
Willi war bestürzt, welche negative Wirkung die nur
andeutungsweise skizzierte Story auf das Gemüt des
Australiers ausübte.
Anscheinend hatte Baby nicht dicht gehalten, denn er merkte,
daß man ihn jetzt als ausgekochten Schürzenjäger
betrachtete, der er aus seiner Sicht nun garnicht war.
Obwohl seit der Zahnextraktion mehrere Wochen verstrichen waren,
schmerzte ihm der Kiefer nach wie vor. Dazu quälten ihn
Magenschmerzen, die möglicherweise durch die fette
Zubereitung der Spaghetti oder die eindeutig auf Kohlehydrate
aufgebaute Nahrung zurückzuführen war. So kam es,
daß man die tiefen Ringe unter den Augen und seinen
müden Gang auf ganz andere Ursachen zurückführte.
Er wurde nun von vielen Kollegen in auffallender Weise geschnitten
und man sparte nicht mit spöttischen Angriffen auf seine
Person. Tatsächlich sackte Willi Höger in seiner
körperlichen und geistigen Gesundheit rapide ab.
Gleichgültig geworden, vernachlässigte er auch sein
Äusseres. Immer häufiger erschien er mit ungepflegten
Schuhen im Büro und trug ungebügelte Hosen. Im Bus traf
er einmal einen jungen australischen Kollegen mit seiner ebenfalls
bei Mills Ltd beschäftigten Verlobten, als er eine
Schnürlsamthose trug, die an sich ungeplättet, weit um
die Beine schlotterte.
"Schau den mal an!" vernahm er eine verächtliche Stimme
hinter sich. "Der sieht aus, als ob er geradewegs von einer
Jitterbug-Party käme!" Willi reagierte nicht auf die
Provokation, er blieb ruhig.
"Da behaupten die Migrants immer, wir seien dumm!" hatte ihm Baby
gestern empört vorgeworfen. "Aber urteile selbst, wie sich
diese Menschen oft benehmen, wie hirnlos und läppisch!"
"Schieß los, ich bin sehr neugierig", meinte Willi nur
skeptisch.
"Kürzlich sah ich eine Europäerin, die von der
Straßenbahn abstieg. Ohne um sich zu blicken, lief sie
direkt in ein herankommendes Auto und wurde auf der Stelle
gekilled. So was Blödes!!" ereiferte sich der kleine
Aussie.
"Mein lieber Freund!" Höger betonte das 'Freund' und sprach
absichtlich langsam und vorsichtig. "Was weißt du von dieser
Frau, außer daß sie eine Einwanderin war?
Denk doch einmal nach: vielleicht lebte sie erst seit wenigen
Wochen im Land. Vielleicht brummte ihr der Kopf voll Sorgen, wie
sie ihre Kinder versorgen soll, woher sie das Geld für die
nächste Miete nehmen wird! Vielleicht war ihr Mann arbeitslos
oder arbeitsunfähig geworden? Ich weiß es nicht. D u
hast alle diese Probleme nicht! D u kannst jederzeit in das
Landhaus deiner Mum zurückkehren.
Vielleicht vergaß sie für einen Augenblick, daß
in Australien der Linksverkehr gilt und rannte so in ihr
Verderben? Wie kannst du nur so hart urteilen – wie blöde
sich die Einwanderer benehmen!"
"You are right, Willy", hatte Baby darauf kleinlaut geantwortet.
Oh, es gab Probleme genug, die Australier und Europäer von
ganz verschiedener Warte aus betrachteten.
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