21. opfer
der ofen war aus, die weissagungen des geistesgestörten
propheten hatten sich in keinster weise bewahrheitet und alles,
was von der gedenkstätte übriggeblieben war, war ein
futzel von einem maroniblatt, das verhalten auf dem opferaltar
lag, unverdorben, ursächlich und geheimnisvoll.
kommt, meine kinder, folgt mir, sagte der führer zu seiner
zwergwüchsigen gefolgschaft und sie folgten ihm. in
annäherung an ein tiefsinniges sinkendes schiff gruppierten
sie sich neugierig um den steinernen altar und brachten ihm ihr
singendes gekicher zum opfer, stülpten ihre verdorbenen
atemwolken um das jungfräuliche, zerbrechliche braunblatt des
heiligen kastanienbaums und hielten sich gegenseitig an den
händen. alle waren sie ergriffen von dem schauspiel, sogar
der kleinste von ihnen, ein zeitgenosse, der sonst immer beide und
sogar sein drittes auge zudrückte, nahm teil am wonnevollen
geschehen dieses samstagnachmittags, dieses treff- und
schnittpunktes zweier welten, an dem sie sehr viel dazulernten
über die geheimnisse und mysterien des einstein'schen
universums.
sie baten um etwas, jeder einzelne von ihnen und die
fragmentierten überreste der steinernen heidenkirche lagen im
wald verstreut und verschluckten die in den himmel und aus der
kehle geschrieenen gebete der gottesfürchtigen zwerge. sie
sogen sie auf wie ausgetrocknete schwämme, quollen und
blähten sich auf, bis sie einen zustand der homöostase
erreichten, sie die genetische information wiedererlangt hatten,
die ihnen seit fünfzehntausend jahren langsam und mit bedacht
entzogen worden war, aminosäure für aminosäure.
doch die gebete der zwergwüchsigen kreaturen dauerten an und
die magischen steine erhielten somit zusätzliche
informationen, aus denen sie in zukünft schöpfen
konnten, aus dem zustand der sättigung entstand ein zustand
der übersättigung und für eine kurze zeit genossen
sie das.
ihr müßt vorsichtig sein, bedacht sein auf die
gefahren, die euch drohen, wenn ihr eure bitten im
übermaß aus euch herausschreit, belehrte sie der
führer der klitzekleinen zwergengruppe und hob zur
bekräftigung seiner worte seinen arm in die höhe,
handfläche nach vorn. er hatte einen sechsten und einen
siebenten sinn ausgebildet, war dementsprechend in
äußerstem maße sensitiv für naturkräfte
aller art und spürte das drohende unheil, das von den
überresten der miniaturkathedrale ausging, die diese
informationsfülle nicht würden verarbeiten können.
mit seiner ganzen autorität, die nicht zu unterschätzen
war, gebot er seinen untertanen einhalt, er forderte sie auf, ihre
mäuler zu verschließen und fürbitten oder
ähnliches für heute zu unterlassen, damit es nicht zu
einer katastrophe unvorhersehbaren ausmaßes käme.
anfangs schienen die zwerglein brav zu gehorchen, sie
mäßigten ihr geleier, doch es war um sekundenbruchteile
zu spät, die gesteinsbrocken waren nunmehr vollgesogen und
mußten die lästige und beschwerliche zusatzinformation
in form von antimaterieemissionen wieder abgeben.
das kam natürlich einer katastrophe gleich, denn das
bedeutete, daß den armen betern die haut in fetzen von den
gesichtern flog und wie von unsichtbaren fäden gezogen auf
dem steinalten opferaltar gleich über dem maroniblatt
liegenbleib. nun, wahrscheinlich wollten das die zwerge irgendwie,
es waren sicher unbewußte bewußtseinsinhalte, die sich
in die umwelt des waldes und in die überreste einer
verfallenen kathedralanlage hineinmanifestierten. wer konnte das
schon mit sicherheit und absoluter exaktheit feststellen. was
jedoch sicher war, war die tatsache, daß die armen zwerge
sorgsam abgeschält auf dem opferaltar aufgeschlichtet waren
und somit natürlich nicht mehr am leben waren, weiters konnte
als sicher gelten, daß sich ihre mühsam
hervorvorgebrachten bitten durch ihren vorzeitigen
todeserguß nicht mehr erfüllen konnten, sowie auch der
beweis angetreten wurde, daß der führer ebenfalls aus
antimaterie bestand, weil er noch immer mit erhobenem arm und
unbescholten herumstand und den mundwinkel verzog, so als wollte
er sagen, ich habe euch ja gewarnt, ihr ungläubigen
wichte(l).
wieder einmal war die mühe vergeblich gewesen. alle
gehorchten sie ihm, alle warteten darauf, von ihm irgendeinen,
auch den nichtssagendsten befehl zugeteilt zu bekommen und doch
ging es am ende immer daneben. in solchen situationen, da
hieß es kühle nerven bewahren und nicht verzweifeln,
eventuell eine bachblütentherapie beginnen und auch sonst
meditieren, meditieren, meditieren, da führte einfach kein
weg drumherum. es blieb ihm nichts mehr zu tun übrig, hier,
an diesem trostlosen und grausamen ort. das maroniblattfragment
würde sein übriges tun, indem es für die
nächsten sechsundvierzig jahre hautfetzen als nahrungsquelle
parat hatte und die steinbrocken, die irgendwann einmal in einem
geschlichteteren und geordneteren zustand eine heidnische
kathedrale darstellten, hatten jetzt informationen, an denen sie
weitere zweiundvierzigtausend oder sogar mehr jahre knabbern
konnten, während die flimmerkiste rannte und sie als
verkabelte teilnehmer am worldwide-network rund dreiundsiebzig
kanäle parat hatten.
noch einmal drehte sich der führer um, erwies quasi der
totenstätte seiner treuen zwerge seine letzte gütige
ehre und schlenderte dann schnurstracks in den wald hinein, wo er
sich verspielt seinen weg durch das raschelnde laub bahnte, das
die relativ mächtigen bäume verloren hatten. relativ zu
ihm natürlich, denn seine macht kannte keine grenzen (oder
fast keine), wie wir am vorigen geschehen die ehre hatten, live
mitzuerleben. und obwohl diejenige – die macht natürlich, was
sonst – der bäume da schon wesentlich mehr grenzen kannte,
konnten sie immer noch als mächtig gelten, soviel war schon
drinnen.
frohgemut schlurfte der führer also dem mythos zufolge in den
dunklen wald hinein, wo ihm alle tiere wohl gesinnt waren und es
gut mit ihm meinten, sogar wahrhaftige freunde waren. nun ja, es
gab da ein tier, das wieder mal eine extrawurscht darstellte, es
war dies die graugefleckte baumwickelspinne, die im führer
eine ernsthafte konkurrenz ihr gegenüber witterte – womit sie
vielleicht, nebenbei bemerkt, gar nicht so unrecht hatte – und die
ihm – verraten wir's ohne viel umschweife – eine falle stellte, in
die er wie ein dummer junge, oder, um einen anderen vergleich zu
verwenden, wie ein blutiger anfänger prompt hineintappte.
diese falle war ein klug ausgetüfteltes ekelklebriges netz
mit spezialschleimbeschichtung und speziell für diesen zweck
entwickelten unzerreissbaren naturfaserstoffen. vorgestern hatte
sie ihr patent dafür erhalten, und schon haben sich
unzählige großkornzerne bei ihr gemeldet, die ihr die
produktionsrechte abkaufen und ihr den mund wässrig machen
wollten, indem sie ihr versprachen, sie zu einer glücklichen
reichen spinne zu machen. sie hatte das natürlich
entrüstet abgelehnt, das einzige, was ihr am zartbitteren
herzen lag, war die vernichtung dieses stinkenden subjekts, dieses
westentaschendesperados, den sie den führer nannten, und der
für ihre begriffe schon jetzt viel zu viel macht besaß.
sie stellte sich ernsthaft und ohne umschweife die frage, wo das
noch hinführen sollte, wenn jeder x-beliebige sich zum
führer emporschwingen könne, gleichgültig, ob er
oder sie jetzt aus antimaterie bestand, oder nicht. was war das
schon, schließlich bestand sie ja aus multimaterie, und das
war immerhin erheblich mehr.
ihr kurz entbrannter zorn legte sich sogleich wieder, denn nunmehr
kam das opfer herbei, die spannung stieg, immer näher
gelangte es an das sauber unsichtbar gemachte netz der
graugefleckten baumwickelspinne und tapp! ging es – sie erinnern
sich, wir haben es oben bereits erwähnt – in die sauber
gelegte falle. die spinne, die, wie es schien, ein echter profi
war, lachte sich ins spinnenfäustchen – wenn es so etwas
überhaupt gibt – und sah gierig und lüstern – es tropfte
ihr aus allen nur erdenklichen löchern – zu, wie die sorgsam
zubereitete spezialschleimbeschichtung den – wie es den anschein
hatte – zu wenig mächtigen führer verdaute.
na bitte, dachte sie sich, das war ja gar nicht so schwer, und der
führer dachte sich, während die wirklich genial
komponierte chemische zusammensetzung der
spezialschleimbeschichtung seine haut – antimaterie, oder nicht,
das war vielleicht das genialste daran – zerfraß, ja, du
graugefleckte baumwickelspinne, hiermit erkenne ich deine
autorität an, aber nun auf in eine neue inkarnation.
daraufhin verließ er seinen anti- aber materischen leib und
transportierte seine scheinbar doch irgendwie mächtige seele
in den astral- oder ätherleib – so genau verriet er es uns
nicht, das machte ihn ja gerade so mächtig, daß er so
seine geheimnisse hatte, hinter die niemand blicken konnte, auch
die ihrer selbst so sichere graugefleckte baumwickelspinne nicht,
die ja keine ahnung hatte, was da alles mit der seele des
führers geschah, welche unergründlichen wege diese
gerade beschritt.
das einzige, was sie sah, war das langsame verdautwerden ihres
verhaßten feindes, das zerfressenwerden seiner sportlichen
bodybuilderzellen und sie lachte. lachte, daß man es im
ganzen wald hörte. und die tiere und bäume des waldes
dachten bei sich, heute spinnt sie mal wieder, die spinne.
22. krokodilliebe
das ganze begann, als er seinen afrikaurlaub plante und sich die
ganzen fotos von den hübschen, netten pyramiden vor seine
augen führte, die in seinen unzähligen reiseführern
abgebildet waren. da waren auch sie, die pharaonischen
krokodilweibchen mit ihrer unfaßbaren erotischen
ausstrahlung, die sich fotogen wie das römische kolosseum im
nilwasser tummelten und um die gunst der reptilhengste buhlten,
die sich im angesicht solcher reize nicht zweimal bitten
ließen und es ihnen tüchtig besorgten. diese
pornographischen szenen waren selbstverständlich nicht in
seinen führern abgebildet, sitte und anstand blieben gewahrt,
darauf waren die herausgeber stolz, aber er machte sich selbst
einen reim darauf, die exzessiven paarungsszenen liefen vor seinem
inneren auge ab wie ein videoclip, die ineinander verschlungenen
körper, die hautpanzer, die aneinanderschabten, das aus den
gewaltigen mäulern sich entringende keuchen und stöhnen,
das klatschende geräusch der ins wasser peitschenden
krokodilschwänze.
er mußte unbedingt dorthin, er mußte sie unbedingt
alle haben, diese fruchtbaren und leidenschaftlichen
krokodilweibchen, er würde alles dafür tun, um sie zu
besitzen und von ihnen besessen zu werden, also buchte er sie,
diese reise, die sein leben so grundlegend verändern sollte
und ihn mit absolut neuartigen facetten der existenz
konfrontierte. er kam an, sah sich ein wenig um und schloß
prompt die ersten flüchtigen bekanntschaften mit den hiesigen
krokodilprostituierten, die sich auf seine fremdartigkeit
bereitwillig einließen und ihm unmißverständlich
zu verstehen gaben, daß sie es sich auch ihrerseits voll auf
ihn standen. als es dann soweit war – das berühmte erste mal
mit anderen worten – konnte er sich vor wonne kaum bei besinnung
halten, seine erste krokodilgeliebte war so voll mit ungehemmter
liebes- und leibeslust und zog ihn in einen strudel von noch nie
durchlebter wollust hinab, daß er sich schwor, von nun an
nur mehr mit weibchen ihresgleichen sexuellen verkehr zu pflegen.
und so ergab eines das andere, er verließ die klauen der
einen geliebten, um sich an den zartbehäuteten bauch seiner
nächsten zu schmiegen, eine eroberung löste die
nächste ab, den scharf-säuerlichen geruch der einen noch
in der nase, schnüffelte er bereits am berauschenden
krokogenital der folgenden.
die tage vergingen, alles zerfloß im rausch der
zügellosen leidenschaft, er machte erfahrungen, für die
andere ein ganzes leben lang keine zeit fanden und erwachte eines
morgens – er hatte gerade so eine sexy krokolady neben sich auf
dem durchgewühlten bettlaken liegen, die ihren sinnlichen
schwanz zwischen seine weiß gott befriedigten schenkel schob
– und wurde sich mit einem schlag der realität und damit dem
ernst der lage bewußt, in der er sich seit nunmehr sieben
wochen befand. sein in mühsamster kleinstarbeit
zusammengespartes geld löste sich langsam in luft auf, er
hatte seinen job aufgegeben und so wie er mit seinem arbeitgeber
verblieben war, keine chance mehr, ihn wiederzubekommen. er war
hier in einem fremden land, dessen sprache er nicht verstand,
kapselte sich von allen menschen ab und das einzige, was er tat,
war sich täglich ein anderes krokoweibchen mit aufs zimmer zu
nehmen, weil er von ihnen geradezu besessen, ihnen rettungslos
ausgeliefert war. das konnte natürlich nicht ewig so
weitergehen. irgendetwas mußte geschehen.
daß es dann allerdings so kam, konnte er damals
natürlich noch nicht ahnen. sie nahmen ihn hops, den armen,
die hiesigen bullen kamen in sein zimmer gestürzt und legten
ihm handschellen an, der kessen krokodillady wurden die
ausweispapiere abverlangt und dann gings ab ins kittchen. erst
jahre später schloß man seine zelle wieder auf, um ihm
den grund für seine verhaftung mitzuteilen. er war illegaler
besitzer seines heroinpenisses, das mag zwar komisch klingen, ist
es aber ganz und gar nicht, es kamen heroinmoleküle statt
samenzellen aus seinem schwanz und das machte die krokoweibchen so
fickrig, aber auch so abhängig und auch er selbst war
abhängig. abhängig von sich selbst, was für ein
drama. aber davon ein anderes mal.
an dieser stelle genügt es, wenn wir festhalten, daß er
ein sonderfall war, ein unikat gewissermaßen, das nach
seiner freilassung, die feierlich begangen wurde und wo er beim
heiligen gralskelch schwören mußte, sich zu bessern und
in erster linie immer und stets kondome beim crocodile-fuck zu
verwenden, daß er also nach seiner heimreise zur lokal- und
weltberühmtheit emporgehievt wurde, was sein nach jahrelangem
praktischen und theoretischen strafvollzug zerschundenes ego rasch
wieder auf vordermann brachte.
alle frauen der welt wollten sich von seinem heroinpenis begatten
und besaften lassen, er aber dachte nicht einmal in seinem
feuchtesten traum daran, ein menschenweibchen auf seinen mitunter
harten schwanz klettern zu lassen, um sein kostbares gut bei und
in ihnen zu verschleudern, nein, nachdem er nun einmal die echte,
wahre krokodilliebe kennengelernt hatte, wußte er ganz
genau, wo es für ihn in zukunft in sexueller hinsicht
langging. obwohl er tag und nacht von hysterischen frauenmassen
belagert wurde, die an anzahl ungefähr die zwanzigfache menge
von beatles, rolling-stone und elvis presley-spektakeln zusammen
bei weitem überstieg, blieb er diesem grundsatz treu und
vergoß seine liebe nur mehr an die dafür extra aus
memphis eingeflogenen geliebten.
es gab natürlich auch – das hat das berühmtsein so an
sich – viele nachahmer seiner passion. krokodilweibchen mutierten
zum männerpartyklatsch, wo in ausführlichen
schilderungen deren fellatiofähigkeiten gepriesen wurden, die
durch die rhythmische zahnverteilung im maul der krokos
zustandekamen. massenhaft reichten erboste und gedemütigte
ehefrauen scheidungsklagen aufgrund der seitensprünge ihrer
männer ein, die sich mit einer oder manchmal sogar gleich mit
mehreren krokodilgeliebten ein- und ausließen. viele setzten
ihre ganze existenz, die da wäre: toller job, brave ehefrau,
hypothekenbelagertes häuschen in der stadtperipherie, zwei
kindlein und fast ausbezahlter mercedes (in dieser
wertigkeitsskala), auf's spiel, nur um sich mit einem attraktiven
krokoweibchen auf und davon zu machen, durchzubrennen wie die
sicherungen in ihren köpfen während des
liebesspiels.
dann gab es da noch einige männer, die auf die ausgezeichnete
idee kamen – manchmal hatten auch ihre ehefrauen diese idee – sich
heroinkatheder vor dem geschlechtsverkehr zu verabreichen. das war
allerdings ein gefährliches spiel, denn viele hatten probleme
damit, die dosis genau abschätzen und gaben sich eine
drüberdosis und damit den tod, der jedoch meist während
des sexual live-acts eintrat und somit einigermaßen
erträglich wurde. einschlägige wochen- und
tageszeitungen gaben indes tips für den richtigen umgang mit
diesen "cockpushers" – wie sich ein begriff einführte –
heraus und in großen und mit millionenschwerem
mattscheibenpublikum ausgestatteten talk- und quizshows wurden die
erfahrungen mit "krokosex" und "cockpushing" bis weit über
die unerträglichkeit hinaus ausdiskutiert.
für ihn – den entdecker der krokodilerotik und stolzen
besitzer des einzigen originalen heroinpenisses auf erden
war das leben eines stars eher unangenehm, mit ausnahme der
kohle, die er haufenweise scheffelte, indem er zum beispiel nur
kurz einmal in einem werbespot auftrat und eine anerkennende
bemerkung über ein produkt machte, das nach seinem
original-samenflüssigkeitsrezept hergestellt war (man
beachte, daß heroin damals schon seit längerer zeit
absolut legal war). mit den ganzen millionen, die er absahnte,
reiste er zurück nach ägypten, besuchte seine einstigen
geliebten, fand zahlreiche neue, revolutionierte das ehegesetz,
indem es ihm als ersten menschen gelang, sich mit einem
krokodilmädchen standesamtlich und kirchlich zu
vermählen und lebte fortan glücklich bis ans ende seiner
tage in einer traumvilla am fuß der hehren
pyramidalgräber und am bein des breiten und mächtigen
flusses, dem sie seinerzeit den wohlkingenden namen nil gaben, den
er sich bis zum heutigen tag bewahren konnte wie die krokodile,
die darin herumschwammen und es ungehemmt miteinander trieben.
23. aristokrat
stephen sah an sich herunter und bemerkte mit erstaunen und
entsetzen, daß seine unterhose, mit der er seit gut
dreißig jahren in der stadt herumlief, verrutscht war und
alle es sehen konnten, das genitale durchlauchterlebnis, denn sir
stephen war von adel. also, was war zu tun. zuerst einmal
mußte er sehen, wie er von der straße wegkam, denn
genau dort fand der skandal ja statt, danach mußte er seinen
nackten und wohlbemerkt unbeschnittenen schwanz wieder in seine
angebrunzte unterhose verpacken und hoffen, daß so ein
skandal nicht wieder passieren würde. als drittes würde
er sich wieder auf die straße zurückbegeben, so tun,
als wäre etwas gewesen – er war ein abgrundtief ehrlicher
mensch, unser sir stephen – und seinen weg zur kerzenhandlung ecke
frohleichengasse fortsetzen. vielleicht würde sich bis dahin
auch etwas ergeben, so ein kleines rendezvous zum beispiel, mit
einer von den schmierig-erotischen klofrauen, die um diese
nachmittagsstunde in dieser gegend immer ihre bahnen – oder waren
es bananen – ziehen, mit anderen worten also auf der straße
herumstreunten, weil die leute meistens zu mittag oder am abend
pissen gingen, der nachmittag also ihnen gehörte, und sie
wußten das zu nutzen.
so auch an diesem tag, in der tat kam das rendezvous zustande, der
aristokrat mit der urinverseuchten unterhose kollidierte
drehbuchgemäß mit einer von den adretten und drallen
klofrauen, die, wie gesagt, am streunen waren, auf der suche nach
wild, das sie nach herzenslust und gehirnsgier verspeisen konnten
und allemachen. der aristokater war so ein tier. und er wollte
verspeist werden, am besten noch heute und mit fäkalzutaten.
das ließe sich machen, versprachen ihm die kollaudierten
pissoirjungfern und wiesen ihn in das unterirdische labyrinth ein,
das als städtische toilette bei manch einem harnverhalter
bekannt geworden war, wo sie ihre ruhe hatten vor den
verständnislosen ungläubigen mitbürgern, die
für solche unternehmungen keinerlei mitgefühl,
geschweige denn zustimmung und beifall aufbringen konnten.
sodann machten sie sich ans werk, sie strippten ihm den
schlotterslip vom arsch und fetzten ihn in die nächstgelegene
pissschüssel, wo er gutaufgehoben liegenblieb und auf sein
herrchen wartete. dann wutzelten sie an seiner nudel herum, bis
sie erste anzeichen von sich gab, ein wenig in stimmung zu kommen
– von in fahrt konnte vorerst noch keine rede sein – aber das war
schließlich nur eine frage der zeit und der geduld, denn
wofür sonst konnten die klo(ster)frauen auf jahrzehntelange
tut- und blaserfahrung zurückblicken, wenn sie nicht im
geeigneten augenblick den gekränkten schwanz eines
degenerierten, abgehalfterten grafen zum leben erwecken
könnten. nach gut zweieinhalb stunden – in denen stephen, die
alte adelssprosse, zweimal aufgrund von notorischem und somit
natürlich neurotischem wasserlassens die zeremonie
unterbrechen mußte – hatten es die wackeren
muschelwaschweiber endlich geschafft. er stand waagrecht und sir
stephen senkrecht dazu. ein geometrisches schauspiel also, mit
einer prise pissoirgeruch untermalt, zur bereicherung des
bühnenbildes und weiteren stimulierung der bereits erhitzten
gemüter. was nun folgte, war adelssex von reinster güte,
da konnte ihm so schnell keiner was vormachen, dem aristokater
stephen of goofbrough. die ladies of toiletteburg auf der anderen
seite des spieles gaben ihm kontra, ihr letztes, sich hin und
schließlich auf. er schaffte sie alle und das war gut so,
wurde doch sein stolz, himmelblaues blut und grasgrünen samen
in sich zu tragen, bestärkt und konnte für zwei stunden
wieder in seinem herzen wohnen, wo er sich auf die dauer nicht so
recht zu hause fühlen wollte. er holte seine american excess
karte, die tag und nacht zwischen seinen hinterbacken steckte,
hervor und bezahlte die ganze inszenierung mit einer riesen- also
extraportion trink- und schmiergeld, schnappte sich sein
rudimentäres bekleidungsstück und begab sich dann wieder
auf die erd- oder besser asphaltoberfläche, wo er – den
verwunderten und entrüsteten blicken zum trotz, die ihm die
ganzen netten menschen entgegenwarfen wie grobe steine – mit oben
genanntem stolz in der brust weiterflanierte.
stephen war nicht von gestern, das muß man ihm lassen. er
kannte das leben und die regeln, die es einem braven
mitbürger abverlangte. fragte ihn einer, warum er denn
lediglich mit einer unterhose und darüberhinaus noch mit
einer fünf wochen alten in der gegend rumlief, dann
antwortete er einfach, weil es so heiß ist. (manchmal sagte
er auch, weil es so kalt ist, aber das kam eher seltener vor).
verwechselte ihn mal einer mit einem der heruntergekommenen penner
oder mit einem geistesgestörten hippiejesus, dann klärte
er ihn oder sie mit den worten auf, gnä herr – oder gnä
frau, je nachdem, ob sich deren oberbekleidung in der tittengegend
oder in der schwanzgegend wölbte – ich bin sir stephen of
goofbrough und das – er hantierte am hinterteil seines
intimschoners – ist meine american excess-karte, sie sehen also,
hier muß eine verwechslung vorliegen. das nahmen ihm etwa
sechsundneunzig prozent der verwechsler ab, die restlichen drei
prozent konnte er von der echtheit seines aristokratendaseins und
von der falschheit ihres skeptikerdaseins nur dadurch
überzeugen, indem er sie in ein vierstündiges
gespräch über die eheproblematik von prinz diana und
lady charles verwickelte.
im großen und ganzen hatte stephen ein schönes leben,
er vegetierte in den tag hinein, hoffte auf gelegentliche
kloabenteuer und sang alte minnelieder vor vergammeltem kreis.
dann und wann erwischte ihn ein seitenhieb eines kolonialbullen,
der ihn nicht nur straucheln ließ, sondern auch schwer zu
fall brachte. er mußte dann immer still auf dem kalten
pflaster liegenbleiben, die beine hochlagern und warten, daß
sich seine malträtierte birne wieder gnädig auf die erde
herabsenkte. das waren die eher unerfreulichen
begleiterscheinungen, die man, so dachte er bei sich, in kauf
nehmen mußte, wenn man aus edlem adelsholz geschnitzt war.
denn schließlich, so schlußfolgerte sir stephen of
goofbrough aus seiner jahrhundertelangen lebenserfahrung, die
langsam zu einer weisen reifheit (oder zu einer reifen weisheit,
wie man's nimmt) gewachsen war, hat eben alles seinen preis. und
den konnte und wollte er einfach immer bezahlen, in erster linie,
indem er seine american excess-karte aus seinem arsch zog und
seine unterschrift auf einem zettelchen hinterließ, wie
urinspuren auf dem frontteil seiner steinalten unterhose.
01. 02. 03. 04. 05. 06. 07. 08. 09. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. | Inhalt