1. November
Es ist später Nachmittag, die Dunkelheit schließt
das Licht ein, wieder fühle ich mich in einer
riesengroßen Stadt, die verlassen ist, schmerzhaft
beunruhigt, denn wenn der Atem fehlt, fehlt sämtliches Leben.
Der Ton von Jenseits, über den Ufern, ausufern – ausholen –
PENG!, das ist der Knall aus der Ur-Einsicht.
Keiner ist im Schuh.
Stellen sie sich vor, hier beginnt eine Kriminalgeschichte. Die
Zeit der psychedelischen Utopie ist passé, sowohl in der
Musik, im Film wie in der Literatur.
Mordabsichten
Haß, unumgesetzte Agression ... die Depression aus
Verzweiflung, aus der Tiefe bricht etwas gewaltig durch ...
Hoffnungslosigkeit
Unlust, auch nur aufzustehen, um auch nur irgendetwas zu tun ...
einfach nicht mehr können, nicht mehr wollen,
warten auf irgendeinen Menschen!
Entblößung, jedes Geräusch schmerzt im Ohr.
Gänsehaut, es muß etwas mit meinen Hormonen nicht
stimmen.
Was passiert mit mir?
Ich habe doch noch immer gute Lust zu leben.
Herumkramen im Gehirn, es wird mich nicht weiterbringen, "tanzt
du?"
Fieber der Nerven, ich halte keinen Seelenrausch durch, ich bin
dafür nicht geschaffen. Am Leiden zerbreche ich, kein
Aufblühen, keine Intensität ... das Leben kann mich
erwürgen in solchen Anspannungen.
Ich nasche Konfitüre.
Ein Herz ist wie eine Träne.
Ich freue mich auf das Treffen mit Monika, weil sie eine
wohltuende Wärme verströmt.
Monika sagt: "Wartest du schon lange?"
Ich sage. "Die Termine jagen dich."
Es entstehen Gedächtnislücken – die Löcher
überbrücken Zeit.
Das Private frißt mich völlig auf. Ich vergesse die
Schlüssel, ich vergesse die Papiere, ich vergesse die Welt –
umsonst, der Nacken versteift sich, weil der psychosomatisierende
Körper seine Rechte fordert.
Das Wort ist wie die Telefonschnur, es leitet die Gedanken von
einem Kopf in den anderen.
Monika ist ein Mensch, der spricht: "Du schaffst dir deine eigene
Wirklichkeit."
Wenn ich spreche, denkt sie.
Ich bin mir sicher, daß wir im Winter in eine "neue Zukunft"
gehen, aber was ist mit dieser Unzulänglichkeit, Inhalte,
Begriffe als konkret Greifbares faßbar zu machen.
Wenn ich denke, spricht sie.
Das ist, weil für mich der Geist im Unsichtbaren bleibt.
Eine
Oder
Die
Bitte
An
Das
Oder
Ein
Universum
Der Kopf mit dem Stöpsel
zugekorkt
die Hand
handlungsunfähig
die Finger halten Gegenstände fest
während die Augen leuchten.
ZU VER SICHT
Entschwunden, die Zeit lebt schnell, in einem Auto von diesem Ort
zum Ausgangspunkt zurück.
Gleich wie unbedeutend Erlebnisse sind, prägen sie dennoch
den Charakter, wobei der Punkt im Wesen immer derselbe ist und
bleibt ... wobei der Kern die Konstante bildet. Die eine
Konstante, die die Leitlinie aus Zeit ist. Die Zeit, die jeweils
überschaubar bleibt, die vielleicht ein Menschenleben
zusammenfaßt.
Jetzt mache ich keine Augen auf – jetzt schaue ich nicht
mehr.
Jetzt bin ich in mir, zumindest für diesen Augenblick.
Ich höre durch meine Ohren.
Ich sehe durch meine Augen.
Am Bahnhof.
Schweigen, die Stille der Menschen, das Surren der Rolltreppe,
mein Wunsch nach Sprache, einer muß an die Wahrheit glauben,
das vorangehende Gespräch mit Monika ... leer, auch in der
Umarmung mit dem Kuß auf den Mund.
Fragen, viele Fragen nach dem Sinn ... nach dem Mut.
Menschen, alte und junge, welche, die noch auf ihr Leben warten,
andere, die ihr Leben bereits hinter sich gelassen haben.
Umarme mich, es ist wie ein Strudel, ein Sog, hinter dieser
Leidenschaft steckt eine Lüge – dem Leben entrinnen.
Wörter, die ich gebrauche, um dem Alltag zu entkommen.
Der Tanz ist rund.
Die Erzählung einer Freundin über ihren Vater.
Altruismus – durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete
Denk.- und Handlungsweise – Selbstlosigkeit
Atavismus – entwicklungsgeschichtlich als überholt geltendes
körperliches (oder unvermittelt wieder auftretendes) oder
geistig-seelisches Merkmal
Der Vater
Die Vaterfigur:
der Vater vollzieht die Strafe
ich habe den Vater verlassen – ich erlebe jetzt die gleiche Angst
– der Vater rächt sich an mir – vielleicht spielt die
Mutter doch eine untergeordnetere Rolle, als ich annehme.
Jedenfalls kommt jetzt der Vater zum Zug...
Ich durchlebe diese abscheuliche Angst vor dem Jähzorn des
Vaters, der so unberechenbar, auch ohne weiteres in der
späten Nacht fähig war, sich auf mich zu
stürzen.
Die Mutter daneben, die Hände ringend – einen Schrei
einwerfend: "Jetzt ist es genug!" – Dieses Abnormale – jetzt ist
es genug – als wäre nicht schon alleine das Aufspringen des
Vaters genug gewesen.
Nein, ich glaube, sie wollte das Eingreifen des Vaters, der mich
auf eine besitzergreifende Art und Weise liebte, die keinen
Widerspruch duldete.
Diese Liebe, die sich nie äußerte, die sich mir nie
anders als in Form von Angst vor dem Vater zeigte – und das
Kräftemessen, das daraus resultierte. Zum Schluß ging
es nur mehr darum, wer wen verläßt oder zerstört.
Aber ich war im Aufbruch, meine Zeit war da, ich war stark dadurch
– damit konnten sie nicht rechnen! Weder Prügel, die mich
bis zu einem Ohnmachtsanfall trieben, noch die Selbstmorddrohungen
der Mutter konnten mich abhalten – Ich mußte gehen, ich
hatte keine andere Wahl, wenn ich meine Seele behalten wollte.
Die Prügel an diesem Abenden, an denen ich mit meiner Mutter
herumstritt, werde ich nie vergessen. Es waren die entsetzlichsten
und gleichzeitig die verzweifeltsten Prügel, die ich jemals
erhalten habe. Jedes Mal, wenn Mutters Stimme zu aufgebracht
wurde, riß sich der Vater aus dem Schlaf, stand eigenartig
umdämmert mit schlafverzerrtem Gesicht in der
Schlafzimmertüre, die direkt in die Küche führte,
einen Satz nur und ich wußte, ich war ihm ausgeliefert. Es
vollzog sich dann auch wie von selbst: Der Vater starrt in meine
Richtung, geht auf mich zu, zerrt mich an den Armen, erwischt die
Haare und spricht laut und hart zu mir: "Steh auf, du Vieh, du
Hure, steh auf, du Zigeunerin – du bist ja kein Mesch, du bist
ein Vieh." Dabei schlägt er mit seinen Händen, die sich
dazwischen zu Fäusten ballen, auf mich ein. Ich versuche,
mich zaghaft zu wehren, das reizt ihn umsomehr in seinen Zorn
hinein. Ich lasse mich auf den Boden schleifen, löse mich auf
– er schlägt durch mich hindurch, ich bin weiches,
nachgiebiges Fleisch, er tritt mit den Füßen nach mir,
ich löse mich auf, werde unerreichbar, er brüllt ...
steh auf, du Viech!
Mir kann nichts mehr geschehen, mein Schreien hat sich in
Tränen verfangen, und selbst die versickern schon längst
wieder. Er könnte mich töten, ich weiß es – die
Mutter schreitet ein – jetzt ist es genug. Ja, jetzt ist es genug
... diese Worte aus ihrem Mund haben eine unüberwindbare
Barriere zwischen uns errichtet.
Das Brechen
Das Gebrochen werden
Den Willen brechen
Ich mußte sie überleben, sonst hätten sie mich
überlebt. Leben – das überlappt auf einen anderen –-
Lebensformen, Lebensauffassungen, Lebensanschauungen –
Weltbilder!
Der Zug fährt heute so schnell nach Hause.
2. November
Am Morgen, nachdem ich mich angekleidet habe, nehme ich ein
Buch von Ingeborg Bachmann zur Hand, um einige Sätze von ihr
zu lesen. Es berührt mich, ihre Sätze zu lesen, sie in
mich hineinzulassen, alles hat seine besondere Bedeutung. Ihre
Sprache fließt und ich bewundere die Dichte und die
Fülle ihrer Formulierungen.
Leben und leben lassen, die Kleinen fressen die Großen.
Ein neues Textbuch ...
Die persönlichen Tendenzen gestalten sich bunt und
farbenprächtig.
Ich fahre mit dem Lift herum, im Traum ist es sogar möglich,
mit dem Lift einen Sidestep zu machen, man muß sich nur
für die Richtung entscheiden können.
Zwei rote Schuhe, die eigentlich Trinkgefäße sind, alt,
ich fülle Wasser hinein, um daraus zu trinken.
Die Symbolik
ein anderes Gedicht
frei assoziieren
das stachelige Schalentier
Wasser
Schlamm
Seeigel
Aber mir ist ganz anders zumute, die Geschichte des Vaters hat
mich aufgewühlt. Meine Freundin lebt heute in Amerika und
schickt regelmäßig nette Postkarten an mich, von ihrem
Vater hat sie mir nie mehr erzählt, außer kurz vor
ihrer Abreise, daß sie sich mit dem Vater ausgesöhnt
hätte, da es ihr unmöglich sei, in zweifacher Entfernung
mit ihm zu leben. Scherzhaft fügte sie hinzu: "Findest du
nicht auch, daß der Vater der Held deines Lebens
bleibt?"
Ich putsche mich mit dem Alltag auf und bin dabei gequält von
der Qual des Wartens. Träume schleichen sich ein, Bilder
werden des nachts lebendig, die mich hemmen, die mich traurig
stimmen. Das Auf und Ab meiner Existenzgrundlage betrübt
mich, meine Kraft verliere ich im Denken an eine verworrenen
Zukunft. Ich ermahne mich, gebiete mir, mich
zusammenzureißen.
Die Sorge um die Zukunft, warum stehe ich nicht auf, um etwas zu
tun.
Ich bin vergraben im Luftschlösser Bauen, platzt eine
Seifenblase, bin ich irritiert und hilflos.
Es scheint kein Morgen zu geben, der heutige Morgen ist nur eine
Floskel von vielen.
Eine Allüre des Lebens.
Großmutters Worte klingen im Ohr, es wird immer wieder alles
recht, alles wird wieder gut, aber was ist Recht, was ist Gut?
Ich sumpfe in einem grautrüben Morgen und das ist zuwenig, um
aufzustehen und die Seifenblasen zum Platzen zu bringen.
Ich lebe in einer Stadt.
Ich lebe in einer Stadt, und ich lebe in dieser _Stadt in einem
Haus.
Ich lebe in einem Haus, und ich lebe in diesem Haus in einer
Wohnung.
Die Wohnung ist für das, was sie ist, viel zu teuer.
Die Preise, alles hat seinen Preis – "Diesen Nonsens nimmst du
doch nicht für bare Münze?"
Es muß etwas geschehen! Die Welt dreht sich, dreht sich um
ihre eigene Achse. Jedes Leben dreht sich um die eigene Achse.
Aber über was wollte ich berichten, oder wollte ich etwas
berichtigen?
Vielleicht genügt es, zu sagen, daß ich nichts zu
berichten habe, außer, daß ich mir den Kopf zerbreche
und selbst dabei weiß ich nicht, über was ich mir den
Kopf zerbreche.
Sicher, es muß etwas geschehn.
Hier im Zimmer ist Musik.
Ich liebe Musik.
Über was ich schreiben will – Momente – wie halte ich das
Erlebnis fest ... das Leben ist eine Kette von Momenten und
Momente sind wieder unterteilt in die kleineren Einheiten der
Augenblicke. Ein Blick/ein Moment/eine Weile/ aus dem
Augenblick.
Der unbändige Wunsch in mir, das ganz Große zu tun.
Aber was ist das ganz Große?
Ich stelle mir vor, zu lieben sei das Größte
überhaupt.
5. November
Urplötzlich die große Angst vor
Veränderungen.
Allein der Gedanke, daß etwas auf mich zukommen könnte,
dem ich ausgeliefert bin, unausweichlich, beunruhigt mich aufs
Tiefste.
Stiegen auf, Stiegen ab ...
Zerreißprobe
Nervenkitzel
und der Fall, nein, ich rapple mich immer wieder auf
Kunstfehler in meinem Charakter.
Das opportune Chamäleon!
verstiegen
verschwiegen
Analyse zum Auffinden etwaiger Schlupfwinkel im
Seelenhospitalismus, oder: ich habe mich verstiegen und bin jetzt
verschwiegen.
Heute ist der fünfte Tag in diesem Monat, ein Tag, der als
Heute bezeichnet wird. Die Zeit heute.
Zeit kann ich nicht konservieren.
Ich bin jetzt konservierungswütig.
Was kann noch alles konserviert werden?
ER HAT MICH IN DEN HIMMEL GEHOBEN DER GAR KEIN HIMMEL IST!
ICH HABE DIE STERNE GESEHEN, DIE GAR KEINE STERNE SIND!
Desillusionierung ist auch eine Möglichkeit sich zu befreien
– von was eigentlich?
Ein Desperado ist ein Verzweifelter.
Sollte ich nicht vielmehr auf dem Boden der Tatsachen bleiben, um
nötigenfalls jederzeit bereit für eine Flucht zu
sein?
"Irgendwie" geht alles weiter –
der Tag
die Übelkeit
die Hoffnung
die Disziplin
das Denken
das Fühlen
das Emigrieren
die Emanation
Das Einsetzen eines kreativen Prozesses.
Das Milieu dominiert unsere Verhaltensweisen.
Wir werden auch davon nicht klüger, sooft sich auch eine
Erfahrung wiederholen mag. Es dient nichts zur Erhaltung des
Geistes oder der Sinne. Ausschließlich begehrt ist das Leben
oder der Tod. Je intensiver wir fähig sind zum Erlebnis umso
intensiver "rütteln" uns Erlebnisse durch. Die daraus
gewonnene Erfahrung wird in einem seelischen Speicher
(ab)gelagert, um zu einem anderen, gegebenen Zeitpunkt in unser
Leben einfließen zu können.
Kein philosophisches Denkmodell ist ins tatsächliche Leben
umsetzbar. Aus dem Grunde, da wir eine zu starke Selektion
zwischen Möglichem und Unmöglichem betreiben.
Jedes Zuviel an Gesprochenem ist in Wirklichkeit eine
Verhinderung, eine Unfähigkeit, sich die Möglichkeit
eines Erlebnisses und damit einer Erfahrung zu schaffen. Solange
sich Wünsche, und was sind Wünsche anderes als
Bedürfnisse, die sich ins Bewußtsein eines Menschen
drängen, nur in der Phantasie abspielen, bleibt das Leben
unerfüllt.
Die Wahrheit ist, den Mut zu haben, den Tatsachen ins Auge zu
schauen.
Die Nacht spuckt mich aus
nachdem sich die Träume an mein Wachbewußtsein
angeschlossen haben
ich kann ihnen nicht aus
der dicke Mann hinter dem Verkaufspult, der Fleisch in
weißes, weiches Butterpapier einwickelt – im Fleischerladen
–
der sagt mir die Zukunft voraus – im Alter Berühmtheit –
meine Empörung, aus der heraus ich frage: "Heißt das,
ich werde erst im Alter von sechzig, siebzig Jahren Erfolg haben,
da muß ich ja eine Charaktertänzerin werden?"
Und meine besten Jahre, die Blüte meines Lebens vergeht
einfach so? Ich bin Tänzerin und mein Körper ist das
Werkzeug meiner Botschaft.
Ich bin das Opfer meiner natürlichen Begabung.
Es findet sich kein Kanal für meine verschiedenen Anliegen,
meine kreativen Anlagen. Die Entfaltung meiner Persönlichkeit
fällt mir schwer. Einmal muß es aber durch, muß
herausbrechen, muß sich umsetzen, ich muß mir eine
Befreiung verschaffen können – sonst – ist alles umsonst
–
Rudi
Immer am Abend rennt er gegen die Mauer – Rudi rennt gegen die
Mauer. Was sagt das Horoskop über ihn? Steinbock mit
Aszendent Zwilling – die Absicherung einerseits, die
Auflösung andererseits, die Befreiung über den Verstand,
ein Spiel mit den X-Möglichkeiten. Er geht mir nicht aus dem
Kopf. Er und seine Kunst. Er und sein kindlicher Übermut, der
ihn sooft verzweifeln läßt. Die Verwandtschaft mit ihm;
ich glaube an seine Behäbigkeit ... das wird die Lösung
für ihn sein ... aber ist er nicht zu langsam? ... ich frage
mich das allen Ernstes.
Die Konservierung des Lebens!
So wie andere Menschen bereit sind, für die Erreichung ihrer
Ziele über Leichen zu gehen, bin ich bereit, mein Leben zu
konservieren in der absolut unsinnigen Hoffnung, so unsterblich zu
werden.
Hier ist der Punkt, den ich suche – ja, ich muß mir
Klarheit verschaffen.
Die Blockade, die ich erlebe, die ich selbst bin – ich bin mir
mein eigenes Hindernis. Aber wer nichts wagt, gewinnt auch
nichts.
Wenn ich heute wieder einmal darin versunken bin, mit den vielen
Rätseln, die mir das Leben stellt, fertig zu werden, so
muß ich mir gleichzeitig eingestehen, daß ich noch
immer auf der Flucht vor mir selbst bin. Ich bin noch lange nicht
das, was ich bin.
Multidimensionales (Vielschichtiges)
Unbehagen macht sich breit
Unbehagen dehnt sich aus
Unbehagen setzt sich fest – es muß eine neue Sprache
entstehen
oder auch nur eine andere Möglichkeit zu sprechen gefunden
werden.
Die Begrenzungen werden mir unerträglich.
Ein riesengroßer Sumpf breitet sich aus
– Es ist nicht nur der Unsinn, der mich verletzt, es ist die
Unmöglichkeit schlechthin, etwas begreifen zu wollen, das es
gar nicht gibt, oder was zumindest ohne Beweise keine
Existenzberechtigung hat (haben kann).
Ich wiederhole:
AUSSCHLIEßLICH BEGEHRT IST DAS LEBEN ODER DER TOD!
Und hier wird es schwierig, schwierig aus gesellschaftlichen und
kulturellen Gründen.
Der Tod ist mit einem Tabu unzugänglich gemacht.
Das Leben ist sowieso unzugänglich, da der Mensch sich immer
nach mehr streckt und keinen Sinn für das Augenblickliche
entwickelt hat. So immer am Leben vorbeilebt.
So immer am Leben vorbeischaut
So immer am Leben vorbeigeht
So immer am Leben zerbricht
So immer am Leben erstirbt
So immer an ein Tabu stößt, an die Grenze gelangt – zu
seinem Tod kommt.
Es ist ein Teufelskreis, die Erkenntnisse führen gerade immer
bis zur Himmelspforte.
Nach dem Einkauf denke ich, wieviel ich noch lernen muß.
Wie gerne ich im Supermarkt stehe und die Waren betrachte – ich
nehme die Sonderangebote eben nicht wahr. Natürlich hin und
wieder stecke ich außergewöhnliche Dinge ein, z.B.
einen Werbespot von Billa: Freut Euch Leute – heute und so ... Es
ist lustig weil so widersprüchlich, ich kann mich also doch
noch freuen.
Die goldene Mitte.
Nicht jeder hat einen Überfluß, schon gar nicht an
Gefühlen.
Selbstgespräche, natürlich, das ist doch ganz normal,
daß man sich entfremdet, wenn man sich längere Zeit
nicht sieht, nicht fühlt ... mit dem Bruch der Gefühle
kommt auch Unglaubwürdigkeit.
Was es alles heißt, hinter verschlossenen Türen zu
leben weiß nur jemand, der selbst hinter verschlossenen
Türen lebt. Das ist das Geheimnisvolle an den Menschen, die
hinter verschlossenen Türen leben, das ist das Anziehende
oder auch das Abstoßende an ihnen. Tageweise verbringen sie
die Zeit mit Denken an das, was sie wollen, ist es dann soweit,
fliehen sie in den nächsten Raum, um die Türe wieder
hinter sich abzuschließen.
dementieren
Dementi
small talk
Ausbluten – gebündelt kommen Formulierungen – eindringlich,
aber ohne Zusammenhang.
Freunde verlieren ... Sehnen nach Freunden, Wien ist kein guter
Platz, um Freundschaften zu pflegen und Freundschaften brauchen
viel Pflege. Beeindruckend, wie alle mit dem Leben fertig werden,
wo Stärke ist, ist auch Schwäche.
Manches Mal überkommt mich ein Schauer, dann rieselt es mir
über den Rücken, die Zeit will nicht stillstehen, nur
der Tag geht weiter, selbst wenn sich die Stunden ausbreiten.
Über alles wächst Gras, wie hoch sind die
Cäsiumwerte jetzt?
Spanischer Mond, spanische Nacht, Träume quellen
über.
Hilfloses im Menschen, Hilfloses in mir!
Wie soll ich begreifen ... – ein wilder Rhythmus, der das Leben
dominiert.
Eine alte Frau sitzt auf einer Parkbank, ihr Rücken ist
gebeugt, gekrümmt liest sie die Zeitung, die auf der Bank vor
ihr liegt. Mit zittrigen Augen verfolgt sie den Sinn, den diese
Nachrichten ihr vermitteln sollen.
Alte Frau, wo bist du zu Hause?
Haben wir dich vergessen, du könntest eine Tote sein, wie du
da sitzt auf dieser Bank.
Ich eile hastig vorbei an dir. Damit will ich nicht leben, das
kann ich nicht sehen wollen ... ich müßte mich sonst in
dir erkennen und das wäre mir unerträglich.
Verstehst du, alte Frau, warum ich es so eilig habe, warum meine
Schritte plötzlich so unbeschwert an dir vorbeieilen?
Segnungen, das ist genau das, was uns berührt.
Rituale
Was nicht ist, kann noch werden, vergebliche Müh ist auch
eine Müh.
In den Märchen sind Königinnen fast immer gut, darum
finde ich sollten wir alle Königinnen sein, denn eine
Königin tut alles, was sie tut, mit einer verinnerlichten
Würde.
7. November
Steffen, der eine Freundin mit auftoupiertem Haar hat und ein
wirklicher Freund von mir ist, befindet sich seit Tagen in der
psychiatrischen Anstalt.
Eines Nachts lief er schreiend und betrunken durch die
Straßen: "Ich bin Gott. Ich bin die Sieben und der dort ist
die Fünf. Ich will, daß sie alle leben!"
Ich sitze im Taxi mit einem großen Apfel in der Tasche, um
Steffen eine Freude zu bereiten.
Abgemagert, durchsichtig und vollgespritzt mit Valium kommt er mir
entgegen, er weiß nicht, wer ich bin, gibt mir einen Namen.
Ich heiße Zona und bin jetzt für ihn ein Mann, um mich
bald darauf wieder in eine Frau zu verwandeln, er macht Theater
für uns alle. Er stürzt sich in die Arme von Zona, ohne
zu wissen, wer Zona ist. Mir wird bewußt, wie rasch die
Dinge in ihm vorgehen und wieder einmal mehr sehe ich, wie
behutsam man mit dem Leben umzugehen verpflichtet ist, damit nur
ja keine zu großen Wunden entstehen.
Während ich das Gebäude verlasse, schlurft Steffen, den
Apfel auf seinem Kopf balancierend, er ist jetzt Wilhelm Tell,
langsam mit stolzer aufrechter Haltung in das Krankenzimmer
zurück.
Ich zünde mir eine Zigarette an, Ruhe bewahren, das ganze
Leben lang – wie gesagt, das ist die Ausdauer. Wie leid tut es
mir, daß nicht auch Steffen Ruhe bewahrt hat.
Krankheit als Regulation.
10. November
Mir ist danach zumute, aufzuspringen und die Ärmel
hochzukrempeln
– sinnbildlich – in die Hände zu spucken, diese ineinander
zu klatschen und ein Haus zu bauen. Ist das Haus errichtet,
würde ich wieder von Neuem beginnen, nur vorher würde
ich das Haus in Schutt schlagen ... darum fange ich endlich an,
dieses Ritual zu vollziehen.
Die Suche nach dem Zuhause, nach einem Ort, an dem wir uns
wohlfühlen, der uns geborgen hält – in dem wir uns
bergen.
Die Leidenschaft, mit der ich den widrigen Umständen die
Stirn biete. Oft verhalte ich mich wie ein Ringkämpfer, dem
der Gegner abhanden gekommen ist. Ich verliere den Boden unter den
Füßen.
Ein Traum:
Jemand will mich ins Wasser stoßen. Ein Mann, der mich vom
Schiff ins dunkle Meereswasser werfen will. Ich halte mich mit
aller Kraft an dem Holzbug des Schiffes fest.
Am Schiff ist ein Swimming-pool, ich überlege, ob ich in das
türkise Wasser steigen soll. Es scheint mir aber zu
gefährlich, da ich vermute, daß das Schiffspersonal
Haie darin hält. Daraufhin kommt die ganze Mannschaft des
Schiffes und bedroht mich; durch ein süßes
Lächeln, das ich nur mit größter Anstrengung
zustande bringe, kann ich mich jedoch in letzter Sekunde
retten.
Dann binden sie meine Hände und lassen mich am Rand des
Wasserbeckens, das Licht ist trüb, stehen. Ich weiß
nicht, wie ich mich aus dieser Fesselung lösen kann.
Der Kampf um das Erkennen geht weiter.
Tanz als Vollzug des Lebens.
Nach Jahren lese ich noch einmal Nijinsky's Tagebuch. Über
den Gott des Tanzes. Der Wahnglaube, der ihn allmählich
zersetzte, die materielle Not, die ihn beunruhigt und seine
Krankheit zusätzlich beschleunigt und begünstigt.
Die Selbstgefälligkeit, die er aufgeben muß, die
Eitelkeit der Reichen, die Selbstvergessenheit, mit der sie
glauben, die Welt gehöre ihnen. Er spricht einmal von der
enormen Bedeutung des Geldes, ein andermal negiert er diese
Realität ("es sei gegen das Glück"), er ist hin und
hergerissen, kann sich sein Versagen und die Angst vor dem Entzug
der Bedeutung aber nicht eingestehen. Immerhin hat er "das Spiel
mit seiner Bedeutung" erkannt, hat begonnen, sich und die
Umstände zu hinterfragen, er ist dabei in seinen eigenen
Abgrund gestürzt.
Wie unmündig muß er gewesen sein?
Der Wahn als Flucht tritt ganz klar in das Licht der
Alltäglichkeiten. Nijinsky hat jongliert, sich erpressen
lassen, um dann wieder in seinen Wahn auszubrechen, hat den
Menschen, die dein Publikum waren, die Masken entrissen, um sie
sich selbst aufzusetzen und ihr Spiegelbild zu sein, entsetzt sind
sie zurückgewichen.
Welche Kraft und Bedeutung hätte Nijinsky erlangt bei einer
Entscheidung für seine Gesundheit und Vitalität?
Stabilität in allen Facetten.
KLein ruhendes Meer – ein Sonnenstrahl, der auf der
Wasseroberfläche Farben entstehen läßt.
Was wenn meine Realität Sprünge bekäme durch die
Demaskierung meiner Illusionen?
Es könnte alles Spuren hinterlassen!
Das Geld im Leben, ich sehe Menschen, die sich opfern, nur um das
Eine zu besitzen, in vielerlei Hinsicht ist das für mich
erschreckend.
Langsam beginne ich wieder zu schweigen ... das Laute ist mir
suspekt, auch an mir. Nur die Bewegung schreit, der Lauf der Dinge
ist unabdingbar veraltet. In diesem Muster verharren, um
persönliche Stagnation zu rechtfertigen. Nach Begriffen
ringen, der ganze verflixte künstlerische Gestaltungsdrang,
– und der Werdegang – im Gehen werden ... Probleme, die sich
offenbaren, ein Schritt zuviel nach vor oder zurück?
Mit mir geht ein Zorn durch, der mich fürchten
läßt, daß ich alles zerbrechen werde, jeden Rest
an Zuneigung unserem Lebenskampf opfern.
13. November
Ein Strauß getrockneter Blumen steht am Tisch. Ich
stelle mir vor, ein Gedicht zu schreiben:
ich atme
Luft strömt ein
durchtränkt mit der Ausdünstung knospender Pflanzen
Farben
impressionistisch
– das Augebiet mit den sich dürr ausstreckenden Bäumen /
ein Baldachin aus Sternen / wenn der Blick nach oben wandert.
Ich suche nach der erfüllenden Bestimmung und jeder
Augenblick ist dazu bereit, mir etwas mitzuteilen.
So sehr ich mir die Liebe wünsche, so sehr wird sie in mir
sein.
Das Böse liegt in der Unschuld wie in der Schuld, nur,
daß die Unschuld kein Böses ahnt in allem Bösen,
was sie auch tut.
Pablo ist verzweifelt, hat keinen Mut zum Weitermachen, ist
niedergeschlagen, weil es aussichtslos ist, Bilder zu malen. Er
hat kein Geld, wir haben kein Geld. Kein Geld heißt: kein
Moment, der uns erlauben würde, Luftsprünge zu machen.
Das Leben vollzieht sich ; wenn wir die letzten sechs Schillinge
für einen halben Liter Milch ausgeben.
"Pablo", sage ich, "egal zu was wir berufen sind, es dient dem
Lebenszweck".
"Meine Liebe", sagt Pablo, "du vergißt, daß unsere
Arbeit für die Welt nicht existiert und das ist wohl das
Schlimmste für uns."
Pablo nimmt seinen Hut und geht in die Welt hinaus.
Wenn ich aus meinen Träumen aufschrecke, sehe ich mich einer
unbeweglichen Realität gegenüber, dann streichle ich das
Gesicht von Pablo neben mir, alles ist so weit weg neben mir. Ich
wünschte, ich könnte alles etwas tiefer in mich
hineinholen ... der Schleier reißt wohl nie. Aus der Haut
fahren, sich in Tränen auflösen – schade, daß ich
nicht die Fähigkeit besitze, mich zu häuten, darum
beneide ich die Schlangen sehr.
Inne halten ... lauschen, von innen her dröhnt die Wehmut,
die ich so sehr liebe, die ich nie verlieren will, weil ich durch
sie erst zum Leben erwache.
Die schwarze Nacht schaut zum Fenster rein.
Ein Hirngespinst, das mir das Rückgrat stärken soll.
Mehr denn je fühle ich mich mir ausgeliefert, ich rede
zuviel, aus Übereifer, aus Euphorie, meine Zunge brennt ...
die mich entblößt hat. Vielleicht stört mich am
vielen Reden, daß es oft den Zweck hat, sich oder eine Sache
ins rechte Licht zu rücken.
Ich wünsche mir Frieden mit mir.
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