Asbest
für die ganze Welt
Man wohnte abgelegen
in Wittenoom, aber vom Geschehen in der grossen Welt draussen wollte man sich
nicht ausgeschlossen wissen. Man war auch gar nicht ausgeschlossen, doch es
war nicht das Radio, das sie mit der ganzen Welt verband. Es war Asbest, der
begehrte blaue Asbest (Krokydolit) aus der Wittenoom Gorge, der in alle Welt
exportiert wurde.
Schon 1917 war in den
Hamersley Ranges blauer Asbest gefunden worden, und bis in die dreissiger
Jahre wurden von Kleinunternehmern geringe Mengen gewonnen. 1936 begann Lang
Hancock in etwas grösserem Stil mit dem Abbau, und in den vierziger Jahren
wurde die Australian Blue Asbestos Ltd. (ABA) gegründet, mit Hancock
als Direktor, der allerdings 1948 zurücktrat. Die ABA war eine Tochtergesellschaft
der Colonial Sugar Refinery (CSR) in Queensland.
Die Nachfrage nach Asbest
stieg weltweit. Zementmischungen und Verputze wurden damit verstärkt,
und er wurde versponnen für feuerfeste Schutzanzüge der Feuerwehrmänner
und Giessereiarbeiter, und für Theatervorhänge und dergleichen.
Unzählige Materialien enthielten Asbest: Bodenbeläge, Dachziegel,
Blumenkisten, Filter in Gasmasken und in Saftpressen, Bügelunterlagen,
Bremsbeläge. Der weisse Asbest, der auf der ganzen Erde vorkommt, wurde
zwar häufiger verwendet, aber ein Zusatz des hochwertigen, blauen Asbests
verbesserte stets das Endprodukt. Da er im Gegensatz zum weissen Asbest säureresistent
war, eignete er sich für gewisse Anwendungen ganz besonders gut. Die
ABA hatte keine Absatzsorgen für ihr Produkt.
Jetzt war man daran,
im Eiltempo die Stadt zu vergrössern. Ein australisches Eiltempo, fand
Stephan. Es sei nicht zu glauben, wie langsam die australischen Bauleute arbeiteten.
Sie passten sich dem Klima an, war ihre Ausrede. Die Europäer in der
Mine würden bei ihrer Hektik in dem heissen Klima ihre Gesundheit ruinieren.
Es war nicht die Hektik,
die ihrer Gesundheit zusetzte. Es war der Staub. Es wurde gehustet, viel gehustet.
Es sei das Berufsrisiko der Mineure, eine Staublunge zu erwerben, das sei
bei jedem Tunnelbau der Fall, hier kaum schlimmer als anderswo.
Es war eindeutig schlimmer,
denn australische Berufsmineure, die vorher vielleicht in einer Goldmine gearbeitet
hatten, blieben nie lange in Wittenoom. Sie erklärten, der Staub hier
sei nicht tolerierbar. Seit 1911 gab es für die Goldminen strenge, gesetzliche
Vorschriften zur Staubbeseitigung. Mit Wasser und mit Absaugventilatoren wurde
dem Staub erfolgreich zu Leibe gerückt. Von Asbest stand nichts in dem
Gesetz.
Die vorwiegend ausländischen
Bergarbeiter in Wittenoom wussten sich gegen die schlechten Bedingungen im
Bergwerk nicht zu wehren. Der Verdienst war gut, die Miete der Häuser
niedrig, das Leben überhaupt billig verglichen mit den Preisen in Perth.
Die Einwanderer waren mittellos und bereit, für den Neubeginn in ihrem
Leben hart zu arbeiten und Risiken in Kauf zu nehmen.
Wie gross das Risiko
wirklich war, wussten sie nicht, wusste niemand, war in den Fünfzigerjahren
nicht allgemein bekannt. Sie nahmen an, sie würden eine Silikose überleben,
wie Bergarbeiter anderswo auch überlebten bis ins hohe Alter. Die Mehrzahl
von ihnen wollte ohnehin nicht ein Lebenlang in der Asbestmine arbeiten. Dass
ihre Lungen bei Asbestose viel anfälliger wurde, an Krebs zu erkranken
als bei Silikose, sagte ihnen niemand. Noch Jahre später wurden Warnungen
von Wissenschaftlern ignoriert, totgeschwiegen, so wie man bereits in den
dreissiger Jahren nicht an eine besondere Gefahr geglaubt hatte, als Krankheitsfälle
bekannt waren, die mit Asbeststaub in Zusammenhang gebracht wurden. Die Industrie
weltweit wollte nicht auf den billigen und vielseitig verwendbaren Stoff verzichten.
Die Einwanderer im Bergwerk nahmen den Staub als gegeben hin, und wer sich
nicht damit abfinden konnte, gab die Stelle wieder auf, sobald er genug Geld
für die Rückreise beieinander hatte. Die Australier waren als Vorgesetzte
dem Staub weniger direkt ausgesetzt und wehrten sich nicht für Einrichtungen
zur Staubbekämpfung. Staub gab es sowieso überall in der Pilbara.
Asbest
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