Problematische
Abfallverwertung
Das Leben in der Stadt
wurde immer angenehmer, denn dem verhassten roten Staub der nicht asphaltierten
Strassen wurde zu Leibe gerückt. Die Flugpiste und die Strassen wurden
mit tailings bedeckt, dem Erzabfall aus der Asbestmühle. Das war
sehr feiner, dunkelgrauer Kies, der gewalzt wie Asphalt wirkte. Auch der Schulhausplatz
und der Kinderspielplatz wurden mit tailings bedeckt, der Zement für
die neuen Häuser wurde damit vermischt, das war billiger als ein Transport
von Sand und Kies von weit her. Dabei entstand nicht Asbestzement, denn die
tailings waren lediglich Ersatz für Sand oder Kies, und da es Erzabfälle
waren, enthielten sie theoretisch kein Asbest mehr. Wenn man weiss, wie sie
entstanden, sind allerdings Zweifel angebracht. In der Asbestmühle wurde
das Erz zu feinem Kies vermahlen, wobei sich die Asbestfasern vom Stein abtrennten.
Da sie viel leichter waren, brauchten sie bloss noch abgesogen und in Säcke
abgefüllt zu werden. Eine einfache und billige Art, ein derart vielseitig
verwendbares Material zu gewinnen und sogar für den Abfall eine Verwendung
zu finden!
Dr. Oxer, einer der Aerzte
im Spital, war mit Asbestminen in Südafrika in Verbindung. Dort äusserte
man grosse Bedenken gegen die Verwendung von tailings als Strassenbelag.
Sie könnten immer noch bis 2% Asbest enthalten, und wie man wisse, sei
solch ungebunden herumliegender Asbest für die Gesundheit problematisch.
Proteste des Arztes fanden kein Gehör, die tailings blieben in
Wittenoom ein begehrter Stoff. Er wurde gratis abgegeben, man brauchte ihn
bloss zu bestellen, und schon wurde eine Wagenladung auf den staubigen Hausplatz
gekippt. Eine feine, blaue Wolke stieg dabei auf, und der schwarz-graue Abfall
deckte die rote, staubige Erde zu. Fortan war die Umgebung des Hauses sauber
und staubfrei. Dass die Abfälle noch kleine Mengen Asbeststaub enthalten
könnten, merkte man nicht, denn man sah ihn ja gar nicht, und dass die
unsichtbaren Fasern des blauen Asbests gefährlich waren, wusste niemand.
Als Jahre später etwas von diesen Gefahren in der Stadt bekannt wurde,
so wollte man es nicht glauben, wohnten doch die Direktoren selber in der
Siedlung hinten im Tal in nächster Nähe der Mine und der Mühle.
Wenn das wirklich so gefährlich wäre, würden doch nicht ausgerechnet
die leitenden Kaderleute dort leben, wo der Staub in Fetzen von den Bäumen
hing! Dass so viel gehustet wurde, musste andere Gründe haben. Die jungen
Leute rauchten viel zu viel und verbrachten einen zu grossen Teil ihrer Freizeit
im pub...
Es wurde tatsächlich
viel gehustet. Es handle sich um Staublunge, das sei normal bei solcher Arbeit,
sagten sich die Arbeiter. Die Aerzte im Spital stellten bei vielen jungen
Arbeitern Asbestose fest. Mit Staublunge, Silikose, sogar mit Asbestose, konnte
man leben, auch wenn die Lunge stark beeinträchtigt war und man ein Lebenlang
bei geringer Anstrengung stark keuchen musste. Den Lungenkrebs, für den
die Lunge bei Asbestose anfällig wurde, den überlebten viele junge
Arbeiter nicht.
Den bei den Frauen verhassten
roten Staub in der Stadt hatte die ABA erfolgreich und mit geringem finanziellem
Aufwand bekämpft mit ihren eigenen Abfällen. Gegen den Staub im
Bergwerk und in der Asbestmühle unternahm sie nicht viel. Grubeninspektoren
der Regierung, Aerzte, Gewerkschaften, alle schrieben geharnischte Berichte
über die katastrophale Staubentwicklung, und alle forderten Staub reduzierende
Einrichtungen, wie sie z.B. in Goldgruben gesetzlich vorgeschrieben waren.
Wissenschaftler wiesen auf die grossen Gesundheitsrisiken hin, die besonders
von unsichtbaren, in der Luft schwebenden Asbestfasern herrührten und
von denen man seit Jahrzehnten wusste. Auch Dr. Oxer setzte sich für
Staub reduzierende Massnahmen ein. Die minimen von der Firma vorgenommenen
Verbesserungen halfen nicht, und alles, was die Gewerkschaften erreichten,
war 1957 eine Staubzulage von 6 pence pro Stunde für die Arbeiter in
der Asbestmühle, die nach einem Jahr, wegen einer geringfügigen
Verbesserung des Zustandes auf 3 pence reduziert wurde.
Die Direktoren der ABA
(Australian Blue Asbestos) in Wittenoom hatten keine Kompetenz zu grösseren
Investitionen. Die ABA war eine Tochtergesellschaft der CSR (Colonial Sugar
Refinery), die obersten Direktoren residierten 6000 km entfernt am
andern Ende des Kontinentes in Sydney und betrachteten die ABA lediglich als
Investition. Sie hatten das Sagen, ihnen war nur der Gewinn wichtig und an
Staub reduzierenden Massnahmen waren sie nicht interessiert.
Die Bergarbeiter wussten
nichts von der Bedrohung, krank zu werden. Vor der sichtbaren Gefahr, dem
Steinschlag, schützte sie der Helm, den dichten Staub nahmen sie in Kauf,
und vor der unsichtbaren Gefahr, den in der Atemluft schwebenden Asbestfasern,
gab es keinen Schutz. Wohl trauerten sie, wenn wieder einer ihrer Kumpel erkrankte,
wenn sie gar vernahmen, dass er im Sanatorium verstorben sei. Aber jeder dachte,
er selber werde die Jahre hier schon unbeschadet überstehen. Von späteren
Folgen war nichts bekannt. Sorglos freuten sie sich, dass das Bergwerk ständig
vergrössert wurde, dass täglich Lastwagen mit Säcken reinen
Asbests aus der Mühle wegfuhren an die Küste zur Verschiffung in
Point Samson, dass man ihr Produkt in alle Welt exportierte und sich ihre
Stadt immer mehr entwickelte. Es war zwar eine Bergbaustadt, die mit der Erschöpfung
der Asbestvorkommen verschwinden würde. Doch der blaue Asbest fand sich
reichlich an vielen Stellen des Hamersley Gebirges, bedeutete Arbeit und Verdienst
für viele kommende Generationen. Die Nachfrage in der ganzen Welt nach
diesem vielseitig verwendbaren Produkt würde nie nachlassen.
Asbest
und KÄngurus | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19