Kein
Staub keine Gefahr
Beim Fortescue Hotel
und Pub wurden luxuriöse Moteleinheiten gebaut und die Küche modernisiert,
um anspruchsvolleren Gästen zu genügen. Würde Steves einfaches
Café der Konkurrenz eines modernen Betriebes die Stirne bieten können?
Liz schien es, in letzter Zeit habe die Anzahl der Touristen kaum mehr zugenommen.
Möglicherweise waren die Nachrichten aus aller Welt über die Gefährlichkeit
von Asbest schuld am allgemeinen Stillstand. Die Leute wollten in den Ferien
nicht dorthin reisen, wo der gefährliche Stoff herkam. Aber in Wittenoom
bestand keine Gefahr mehr, davon waren die Bewohner überzeugt. Zur Zeit
des Bergbaus, ja, da war der Staub, der unsichtbare Fasern des blauen Asbests
enthielt, gefährlich gewesen. Das war vorbei, es gab keinen Staub mehr
und damit auch keine Fasern. Sogar der verhasste, rote Pilbarastaub,
eine tägliche Belästigung, war gebannt, zugedeckt von tailings.
Staublunge, Silikose/Asbestose
hatten alle ehemaligen Arbeiter der Mine und der Asbestmühle. Auch Steve
litt darunter, seine Lunge war nur noch zu 60% funktionsfähig. Bisher
war kein Lungenkrebs daraus entstanden, er war arbeitsfähig, musste nur
bei körperlicher Anstrengung stark keuchen. Er war zuckerkrank, das störte
ihn mehr als die Asbestose. Wenn bis jetzt kein Lungenkrebs ausgebrochen war,
würde das auch in Zukunft nicht geschehen.
Viele jüngere Grubenarbeiter
waren seinerzeit an Lungenkrebs gestorben. Sie waren meistens starke Raucher
gewesen, und zusammen mit dem Staub war das zuviel für die Lunge. Jetzt
wurde aber eine weitere Krebsart, die man auf Asbest zurückführte,
bekannt, war in aller Leute Munde: Mesotheliom, ein Krebs des Brustfells.
Fasern des blauen Asbests (Krokydolit) durchdringen langsam die Lunge und
verursachen nach Jahren am Brustfell den Krebs, der unheilbar ist. Bei dem
weissen Asbest (Chrysotil) sei die Gefahr geringer, da diese Fasern mit der
Zeit von den körpereigenen Abwehrstoffen zerstört würden. Der
blaue Asbest ist unzerstörbar, sogar gegen Säuren resistent
gerade das ist ja eine seiner in der Industrie geschätzten Eigenschaften.
Es kann Jahrzehnte dauern, bis Mesotheliom ausbricht. Auch Menschen, die nur
kurze Zeit Asbeststaub ausgesetzt waren, können an einem Mesotheliom
erkranken, ohne unter einer Beeinträchtigung ihrer Lunge, unter Atemlosigkeit,
gelitten zu haben. Es war erschreckend, dass in Amerika und Europa Menschen
erkrankten und starben, deren Kontakt mit Asbest viele Jahre zurücklag.
Liz machte sich ihre
Gedanken über solch beunruhigende Berichte. Wenn Wittenoom des Asbests
wegen in Verruf geriet und eine Zunahme des Fremdenverkehrs deshalb ausblieb,
dann müssten sie sich nach einer neuen Erwerbsquelle umsehen. Neben einem
modernisierten Fortescue konnte ihr Café mit dem schäbigen Mobiliar
in der Gaststube und der bescheiden eingerichteten Küche nicht bestehen.
Steve sollte sich eine Anstellung suchen, wo möglich in einer neuen Stadt,
etwa in Tom Price, Newman, Paraburdoo, alles Orte im Umkreis von weniger als
300 km, so dass sie ihr Haus behalten könnten. Sie kam nicht dazu, ihre
Vorstellungen über die Zukunft zu äussern, denn Steve entwickelte
bereits seine eigenen Pläne für ein neues, lukratives Unternehmen.
Alkoholfreie Getränke,
die von Perth kamen, waren in den Läden und Restaurants überall
sehr teuer. Für eine in der Pilbara hergestellte Limonade entfiele der
teure Transport, sie wäre für den Konsumenten wesentlich billiger.
Deshalb wollte Steve eine Tafelwasserfabrik gründen, gab es doch in der
Nähe eine nie versiegende, bis jetzt ungenützte Quelle. Von Liz
wurde er ausgelacht. Der Plan sei absurd, sei ein Hirngespinst, aber er verhandelte
trotzdem mit Bill, einem Techniker bei der Western Mining. Dieser sass jeden
Abend im Café, mit Ideen, Theorien, schliesslich handfesten Plänen
und mit Geschäftsinteresse und geschick. Bill ging es nicht nur
um das gute Geschäft, sondern offensichtlich auch um Grety, die am Pläne
schmieden aktiv beteiligt war. Steve war begeistert. Immerhin stürzte
er sich nicht kopflos in das Abenteuer, seine Pläne hatten Hand und Fuss,
von der Auswanderung über die Episode mit der Schuhmacherwerkstatt bis
zum heutigen Tag. Als erstes liess er das Quellwasser aufs Genaueste analysieren.
Das Resultat war ermutigend, es sei von ausgezeichneter Qualität und
für die Herstellung eines Tafelwassers sehr geeignet. Er kaufte vorsorglich
Land, um später dort eine Fabrik zu bauen. Für den Anfang mietete
er das frühere Klubhaus, das leer stand, und richtete in diesen Räumen
seine Produktionsstätte ein. Aus zweiter Hand erwarb er die Maschinen
günstig. Die grösste Anschaffung waren die 50'000 Flaschen mit den
Holzharassen und der Druck der Etiketten. Wittspark hiessen die neuen
Getränke und waren mit den Aromen Orange, Zitrone, Himbeer, Limone, traditionelle
Limonade, Ginger Ale und Cola erhältlich. Die Grundsubstanzen kamen
wie alles in Wittenoom aus Perth. Bill gab seine Stelle bei der Western
Mining auf und brachte im Frühling 1970 die ganze Produktion in Gang.
Jetzt erst wagten sie es, das Café zu schliessen.
Liz, die ihre Zustimmung
nur widerstrebend gegeben hatte, freute sich nun doch über das neue Unternehmen.
Eigentlich war ihr die anstrengende Kocherei in der primitiven Küche
schon lange verleidet. Sie legte ohne Bedauern die Kochschürze ab und
besorgte im neuen Betrieb die Büroarbeiten. Es wäre ihr auch kaum
gelungen, Steve von seinen Plänen für ein neues Unternehmen abzubringen,
das hatte sie ja schon mehrmals erfahren.
Wie immer wenn Steve
und Liz etwas Neues in Angriff nahmen, war es nach kurzer Zeit ein Erfolg.
Bestellungen gingen ein aus der ganzen Pilbara, der Wittspark Laster war ständig
mit Lieferungen unterwegs, nach Tom Price, an die Küste, zu abgelegenen cattle stations, zu Bauarbeitercamps, zu den neuen Eisenerzminen.
Die Fabrikation war gerade
richtig in Schwung gekommen, als Bill und Grety ihre Absicht, möglichst
bald zu heiraten, bekannt gaben. Die jungen Leute wollten von ihrer Hochzeit
nicht so viel Aufhebens machen wie Ros es getan hatte. Ein Besuch auf dem
Standesamt in Port Hedland, und die Sache wäre erledigt. Der Wunsch des
Paares, in aller Stille auswärts zu heiraten, kam auch den beschränkten
Mitteln der Brauteltern entgegen. Sie hatten wieder einmal jeden cent (die
australische Währung hatte von pfund, shilling und pence zu dollar und
cents gewechselt) in ein Unternehmen gesteckt, und eine grosse Hochzeit konnten
sie ganz einfach nicht bezahlen. Aber da hatten sie die Rechnung ohne die
Wittenoomer gemacht. Eine Hochzeit in aller Heimlichkeit von einem Paar, das
in Wittenoom wohnte, das war ja eine Beleidigung! Da äusserte sich Mary.
Auch sie sei an einem grossen Fest interessiert, und sie platzte mit der Neuigkeit
heraus, sie wolle ihre Verlobung mit Peter an der Hochzeit ihrer jüngeren
Schwester verkünden. Liz hatte die Romanze zwischen Mary und Peter beobachtet,
als der junge Engländer, der beruflich verschiedene Bergbaufirmen in
Westaustralien besuchte, in Wittenoom sein Hauptquartier aufschlug. Die Ankündigung
kam ihr nicht unerwartet.
Es war dennoch ein bisschen
viel aufs Mal für Liz. Die Einarbeitung im neuen Geschäft, und Hochzeit
und Verlobung und Ebbe in der Kasse. Steve allerdings war fröhlich:
Bill würde fest mit seinem Betrieb verbunden sein, und die drei ältesten
Töchter waren alle unter der Haube. Jetzt konnte man nur hoffen, dass
der Delikatessenhändler diesmal keinen Fehler machte, dass Freunde einsprangen
und zu den Vorbereitungen substantiell beisteuerten, und dass kein Zyklon
Tanz und Fest unter freiem Himmel störte.
*
Die Fabrik lief auf Hochtouren,
von Tom Price bis Port Hedland, sogar bis Dampier wurde Wittspark getrunken.
Jetzt wäre der Augenblick gekommen, da Steve die vorgesehene Fabrik auf
dem vorsorglich gekauften Land bauen müsste. Das hiesse dann, das Liefergebiet
noch weiter ausdehnen, bis Pannawonica und Onslow im Westen, bis Newmann im
Südosten, vielleicht sogar bis Broome im Nordosten an der Küste.
Man müsste in den weit entfernten Orten einen Agenten mit einem Lager
einsetzen, es bräuchte zuverlässige, ständige Angestellte,
vielleicht einen stellvertretenden Geschäftsführer. Mit Hilfskräften
allein war ein Grossbetrieb nicht zu führen. Zwar redete Steve davon
gross ins Geschäft zu kommen, aber das wollte er mit der eigenen Familie
tun. Viel investieren konnte er nicht, Kredite aufnehmen wollte er nicht.
Er hatte schon einmal Pleite gemacht, ein zweites Mal sollte ihm das nicht
passieren. Jetzt wollte er abwarten, kein Risiko eingehen. Bill zog sich aus
dem Wassergeschäft zurück und trat den Posten bei der Western Mining
wieder an, wo er schon vorher gearbeitet hatte.
Der Traum vom Familiengrossbetrieb
war verflogen, flackerte aber wieder auf, als Nancy aus der Highschool nach
Hause zurückkehrte und im elterlichen Betrieb arbeitete. Als Chauffeuse
war sie unermüdlich zusammen mit einer Freundin unterwegs. Steve kam
kaum nach mit der Fabrikation, seine Getränke wurden immer beliebter.
Obschon die Preise für die Wässer von Perth sanken, war Wittspark
konkurrenzfähig. Es war bekömmlicher, denn das Wasser aus dem Hamersley
Gebirge war besser als die Flüssigkeit so behaupteten böse
Zungen , die man in Perth als Wasser ausgab und zur Getränkeherstellung
brauchte.
Nancys Mitarbeit dauerte
nicht lange. Ihr Verlobter, ein junger Farmer aus New South Wales, drang auf
baldige Heirat, da er die Farm von seinen Eltern übernehmen sollte, die
sich zurückziehen wollten. Ohne Frau könne er den Betrieb nicht
führen.
Alle vier Töchter
unter der Haube, sagte Steve, aber glücklich waren die Eltern nicht
über diese überstürzte Heirat. Nancy schien ihnen viel zu jung
und unerfahren, um als Farmersfrau Verantwortung zu übernehmen. Liz selber
hatte zwar auch vor dem 20. Altersjahr geheiratet. Das war natürlich
nicht dasselbe, und die Verhältnisse waren ganz andere gewesen.
Abgesehen von Hilfskräften
waren Steve und Liz jetzt allein in ihrer Wasserfabrik. Das Geschäft
ging gut, ihre Stammkunden waren sichere Abnehmer. Die Hoffnungen ruhten schon
bald auf dem einzigen Sohn Charles, auch wenn der noch in die Grundschule
ging. Er wuchs auf wie ein Einzelkind, und wenn er nicht seine Kameraden heimbrachte,
dann war es still im Haus. Die Schule hatte sich verändert, fast die
Hälfte der Kinder waren Aborigines, und Charles schloss mit manchen
unter ihnen Freundschaft. Sie lehrten ihn, wie man im bush lebt und
überlebt. Ihm hätte es nicht zustossen können, dass er einer
Autopanne wegen auf einsamer Strasse verdurstet oder verhungert wäre.
Familie, Arbeit im Betrieb,
Verkehr mit der Kundschaft die Tage waren ausgefüllt. Im Herbst
1977 erhielt Liz unerwartet einen Telefonanruf aus dem Ländle. Als
Ueberraschung war der Anruf gedacht, und Liz konnte fast nicht begreifen,
dass man sich so deutlich um die halbe Welt herum hören und verstehen
konnte.
Telefonieren mit dem
Ausland! So etwas hatte man sich in Wittenoom bisher kaum vorstellen können.
Es war aber dermassen umständlich und teuer, dass Briefe noch für
lange Zeit die sicherste Kommunikationsmöglichkeit blieben.
Im Juni 1978 schrieb
sie hoffnungsvoll:
Wir haben einen kalten
Winter und niemand trinkt Limonade. So nützen wir die Zeit,um im Garten
zu arbeiten und haben einen schönen Steinboden gelegt in der neuen Veranda,
die wir am Häusle angebaut haben. Es wird sehr schön, Ihr werdet
es sehen, wenn Ihr auf Urlaub kommt. Ein Rückgang der Limonadebestellungen
wegen kühlem Wetter macht uns nicht Sorgen, es wird eh wieder durstiges
Sommerwetter...
In jedem Brief schrieb
sie davon, wie ihr Haus immer schöner und bequemer ausgebaut werde, und
wie sie sich freue auf baldige Besucher aus der alten Heimat. Sie berichtete
ganz stolze Mutter von den erfreulichen Fortschritten ihres
Nesthäkchens Charles, der der Grundschule schon bald entwachsen ins college eintreten werde, sie plante einen weiteren Besuch im Ländle, ihre
Briefe strömten Zuversicht aus. Schon bald durfte sie von einem Enkel
und ein Jahr später von einem zweiten solchen berichten, den Söhnen
von Grety und Bill, die an derselben Strasse, der 5th avenue wohnten,
so dass sie sich täglich sahen.
Asbest
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